Entwicklungszusammenarbeit aus Sicht der DTC
Jeder zweite Mensch weltweit hat keinen Zugang zu einer adäquaten chirurgischen Basis- oder Notfallversorgung. Diese Zahl hat sich nach 20 Jahren „Entwicklungshilfe“ und millionenschweren Gesundheitsprogrammen kaum verändert. Die chirurgische Versorgung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen (Low and Middle Income Countries = LMIC) ist immer ein Abbild ihrer wirtschaftlichen Situation. Hier liegt langfristig die einzige Lösungsmöglichkeit. Zwischenzeitlich können die Länder bei der Verbesserung der medizinischen Versorgung auch von extern unterstützt werden.
Staatliche Programme, die speziell auf die Verbesserung der chirurgischen Versorgung in LMIC abzielen, gibt es weder in Europa noch im amerikanischen Raum in großem Stil. Einzige Ausnahme sind die im Rahmen der Sustainable Development Goals (SDGs) der WHO durchgeführten Mutter-Kind-Projekte, mit denen die Mütter- und Säuglingssterblichkeit in fast allen LMIC deutlich gesenkt werden konnten.
„Entwicklungszusammenarbeit“ im chirurgischen Bereich ist stattdessen getragen von Einzelprojekten, direkten Kooperationen zwischen zwei Krankenhäusern und häufig gelebt durch den sehr persönlichen Einsatz einzelner Chirurgeninnen und Chirurgen oder anderem medizinischen Personal auf beiden Seiten.
Oft werden die Aktivitäten der vielfach von Idealen geleiteten Gesundheitshelfer durch Interesse, Neugier, eine sozialpolitische Verantwortung für Entwicklungsländer oder das Streben nach einer operativen Selbstverwirklichung gestartet. Bereits nach dem ersten Einsatz rücken dann aber Argumente für eine Fortführung des Engagements in den Vordergrund, die patientenorientiert und projektbezogen sind und mehr und mehr die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen.
Aber die Hilfe bleibt oft determiniert durch die zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten, die den Akteuren zur Verfügung stehen, ohne dass sie aus ihrem jeweiligen privaten und beruflichen Umfeld aussteigen müssen.
Anzahl, Bedeutung und finanzielle Aufwendungen dieser lokalen Projekte übersteigen das Volumen der staatlichen Förderung in der chirurgischen Entwicklungszusammenarbeit um ein Vielfaches und sind deshalb als deren Hauptpfeiler anzusehen. Dies wird von den politischen Gremien in den reichen und armen Ländern nur unzureichend wahrgenommen. Hinzu kommt, dass es mit den Twinning-Projekten eher gelingt, Hilfe dort zu leisten, wo sie am meisten gebraucht wird, flexibel auf lokale Gegebenheiten zu reagieren sowie einheimische Gesundheitshelfer zu schulen und zu motivieren.
Andererseits gelingt es aufgrund fehlender finanzieller und organisatorischer Kapazitäten häufig nicht, die Projekte sinnvoll auszubauen, nachhaltig fortzuführen und strukturbildend in die nationalen Gesundheitsstrukturen der LMIC einzugliedern.
Es stellt sich die Frage, ob es möglich ist bzw. gefordert werden sollte, für diese vielfältigen Projekte einige Grundregeln aufzustellen, durch deren Einhaltung bzw. Umsetzung ein möglichst hohes Maß an Effektivität und Nachhaltigkeit erzielt werden kann, ohne die Flexibilität und Individualität dieser Projekte zu zerstören.
Solche Standards oder definierte Anforderungsprofile könnten sein:
- Akteure sollten eine Basisausbildung in humanitärer Hilfe bzw. Chirurgie unter einfachen Bedingungen durchlaufen haben.
- Ersteinsätze sollten immer an der Seite Erfahrener durchgeführt werden (Huckepack).
- Der Bedarf und die Umsetzbarkeit des Projektes sollten vor Projektbeginn beurteilt werden.
- Zielvorgaben sollten definiert und regelmäßig evaluiert werden.
- Lokale Partner sollten benannt, deren Aufgabenverteilung geregelt und in einem Memorandum of Understanding dokumentiert sein.
- Das Projekt sollte (stufenweise) in die nationalen Gesundheitsstrukturen integriert werden.
Bei Einhaltung dieser Kriterien ist es aus unserer Sicht erfolgversprechender, die Projekte erfolgreich und zum Nutzen der Patienten umzusetzen.
Aktivitäten der Deutschen Gesellschaft für Tropenchirurgie (DTC) Die DTC sieht sich – da sie zahlreiche aktive und ehemalige in der Tropenchirurgie bewanderte Chirurgen aus Deutschland und vielen Entwicklungsländern vereint – als Vermittler und Initiator von Projekten rund um die „Chirurgie in Entwicklungsländern“. Die Aktivitäten ergänzen sich und sind geeignet, Chirurgen und Entwicklungshelfer anderer Fachgebiete auf einen medizinischen Einsatz in Entwicklungsländern vorzubereiten. Wir führen regelmäßig regionale, nationale und internationale Symposien durch, in denen spezielle Themen aller chirurgischen und benachbarten operativen Fachgebiete angesprochen werden. Die Kongresse werden durch regelmäßige Kurse ergänzt, in denen chirurgische Basistechniken „Hands-on“ trainiert werden (Nahttechniken, Schädeltrepanation, geburtshilfliche Eingriffe, Ultraschall, Fixateur externe-Anlage, konservative Frakturbehandlung). Diese Workshops haben wir wiederholt auch in den Zielländern selbst durchgeführt. Für die DTC bleibt es eine Hauptaufgabe, potenziell interessierte Chirurginnen und Chirurgen für die Thematik der Arbeit in LMIC zu motivieren und zu schulen und sie während ihres Einsatzes zu begleiten. Zahlenmäßig betrifft dies zwar häufiger die Kurzeinsätze im Rahmen der erwähnten persönlichen Projekte oder der humanitären Hilfe in Kriegs- oder Katastrophensituationen. Darüber hinaus bewegt uns aber die langfristige Verbesserung der chirurgischen Versorgung weltweit, die auch nur durch langfristig angelegte Kooperationen zu erreichen ist. Neben der verbesserten Patientenversorgung vor Ort ist die Stärkung von Globaler Chirurgie wichtig, die als vielleicht wichtigster Bestandteil von Global Health noch zu wenig wahrgenommen und unterstützt wird. Deshalb beteiligt sich die DTC zunehmend auch an der hiermit verbundenen Advocacy-Arbeit und am Einwirkungen auf politische Entscheidungsträger sowohl in den Empfänger- als auch Geberländern. Kontakt: |
Mothes H, Lindert J, Borsche A: Zum Für und Wider chirurgischer Projekte. Passion Chirurgie. 2018 Juli, 8(07): Artikel 03_01.