01.09.2015 Krankenhaus
Wird in Deutschland zu viel operiert? – Aus Sicht eines Krankenkassenvertreters
Vergleiche mit anderen Ländern, aber auch Vergleiche zwischen einzelnen deutschen Bundesländern, belegen starke Unterschiede bei den Operationsraten. Erklärungsansätze und Rechtfertigungen gibt es mindestens so viele wie Artikel, Referate und Gutachten zu diesem Thema. Ob es letztlich wirklich ein „zu viel“ ist, oder Folge regionaler Morbiditätsstrukturen, lässt sich nicht vollständig klären. Selbst bei Betrachtung des Einzelfalls ist eine belastbare ex post Beurteilung nur in den seltensten Fällen möglich. Dennoch, allein der Verdacht, dass zu viel im Sinne von unnötig operiert wird, kann weder im Interesse der Politik, Medizin, Kassen und erst Recht nicht im Interesse der Patienten sein. Und dieser Verdacht wird vor allem durch die bestehenden Anreizmechanismen genährt.
Die Wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser ist vor allem wegen fehlender Investitionskostenförderung schlecht. Wenn in den Krankenhäusern Wirtschaftlichkeits- und Rationalisierungsreserven ausgeschöpft sind, können die notwendigen Investitionen nur mit Gewinnen aus Betriebserlösen finanziert werden. Dazu tragen möglichst viele DRGs mit hohem Deckungsbeitrag bei. Hohe Deckungsbeiträge erreicht man vorrangig durch Mengensteigerung bei einzelnen wenigen Leistungen, also durch Spezialisierung. Dieser Effekt wirkt jedoch nicht explizit auf das Feld der Operation, sondern befördert eine generelle Leistungsausweitung.
Derartige Anreize werden vom Krankenhausträger teilweise über Zielmengenvereinbarungen in den Chefarztverträgen weiter gegeben. Die Inhalte dieser Verträge einschränken zu wollen, wie es der Gesetzgeber im Referentenentwurf des KHSG vorsieht, laboriert aber (wieder einmal) nur an den Symptomen. Genauso fraglich erscheint die Wirkung des im GKV-VSG vorgesehenen strukturierten Zweitmeinungsverfahrens. Unbestritten kann eine weitere ärztliche Einschätzung bei der Suche nach der optimalen Behandlungsmethode sehr hilfreich sein. Aus diesem Grund haben die meisten Kassen bereits jetzt entsprechende Angebote. Ob das neue strukturierte Zweitmeinungsverfahren für ausgewählte Indikationsbereiche vermag den vorgenannten Fehlanreizen etwas entgegen zu setzen, erscheint daher eher zweifelhaft.
Das Grundproblem, dass die Bundesländer seit nun über zwei Jahrzehnten rechtswidrig ihren Investitionsverpflichtungen nicht nachkommen und damit vielfältige Probleme in den Krankenhäusern erst schaffen, bleibt weiterhin ungelöst (obwohl gerade dieses Thema Hauptgrund für die Bund-/Länder-Arbeitsgruppe war). Schlimmer noch, zukünftig werden Beitragsmittel der Krankenversicherung (ein Infrastrukturfonds von 500 Mio. €) für die Reparatur der dadurch geschaffenen Probleme zweckwidrig verwendet. Dies wird
a) das Problem nicht lösen,
b) die Betriebskostenfinanzierung (das DRG-Modell) auch zukünftig mit falschen Erwartungen belasten und damit systematisch diskreditieren und
c) auch weiterhin grob falsche Anreize in den Krankenhäusern setzen.
Über deren Konsequenzen (Mengenpolitik/Qualitätsfragen) werden wir dann wieder wie gehabt streiten dürfen.
Autor des Artikels
Prof. Dr. h.c. Herbert Rebscher
VorstandsvorsitzenderDAK-GesundheitNagelsweg 27-3120097Hamburg kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
28.11.2017 Krankenhaus
Viele vermeidbare Todesfälle durch „Gelegenheitschirurgie” bei Krebs-OPs
Viele Patienten in Deutschland sterben zu früh, weil sie in Kliniken operiert werden, die zu wenig Erfahrung mit komplizierten Krebs-OPs haben. So könnte allein die Zahl der Todesfälle infolge von Lungenkrebs-Operationen durch die Einführung einer rein rechnerisch ermittelten Mindestmenge von 108 Eingriffen pro Jahr um etwa ein Fünftel sinken - von 361 auf 287 Todesfälle pro Jahr.
17.11.2017 Kinderchirurgie
Welt-Frühgeborenen-Tag: Kinderchirurgen fordern Rund-um-die-Uhr-Versorgung für Frühchen
In Deutschland kommt nahezu jedes zehnte Baby vor Ende der 37. Schwangerschaftswoche und somit als Frühgeborenes zur Welt. Heutzutage sind ihre Überlebenschancen vergleichsweise gut, je unreifer ein Kind jedoch geboren wird, umso größer können die Probleme sein.
15.11.2017 Krankenhaus
Krankenhauskosten 2016 auf 87,8 Milliarden Euro gestiegen
Die Kosten der stationären Krankenhausversorgung betrugen im Jahr 2016 rund 87,8 Milliarden Euro. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, waren das 4,3 % mehr als im Jahr 2015 (84,2 Milliarden Euro).
07.11.2017 Krankenhaus
Führungskräfte haben Probleme, mit dem ökonomischen Druck umzugehen
Aufgrund des im System angelegten Stresses, der derzeit in Krankenhäusern herrscht, sehen sich Menschen in führenden Positionen nur begrenzt in der Lage, in einer positiven Weise mit den massiven Widersprüchen des Gesundheitssystems umzugehen.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.