Der Gesetzgeber hat das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz für zahlreiche weitere Themen der GKV genutzt. Im Vordergrund hierbei stehen Regelungen zum Risikostrukturausgleich (RSA), zum Anspruch auf Krankengeld, zum Schutz von Sozialdaten, zur Beitragserhebung bei Selbstständigen und zur Versicherungspflicht. Ein wichtiges Thema klammert die Regierung dabei jedoch weiterhin aus.
Wesentlicher Inhalt des am 16.02.2017 vom Bundestag beschlossenen Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) sind die Regelungen zur Versorgungsqualität und -transparenz für Versicherte sowie für eine angemessene Vergütung der Leistungen von Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen (vgl. “Links zum Thema”). Darüber hinaus regelt das Gesetz jedoch eine Vielzahl anderer Themen, die jeweils für sich genommen kein eigenes Gesetz rechtfertigen würden.
Maßnahmen gegen das “Upcoding” von Diagnosen
Ein skandalträchtiges Thema im Jahr 2016 war das nachträgliche Ändern von Patientendiagnosen, das sogenannte “Upcoding” (vgl. Box). Die genaue Kodierung der Diagnosen hat besondere Relevanz für die Höhe der Erstattungen aus dem krankheitenbezogenen Finanzausgleich der Krankenkassen im Gesundheitsfonds, dem morbiditätsorientierten Risikistrukturausgleich (Morbi-RSA). Einer entsprechenden Einflussnahme von Krankenkassen auf Arzt-Diagnosen wolle man nun einen Riegel vorschieben, sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vor dem Beschluss des Gesetzes im Bundestag. Das HHVG sieht hierzu laut Bundesundheitsministerium (BMG) vor:
- Mit verschiedenen Regelungen wird die Beeinflussung von Diagnosen, die für den Risikostrukturausgleich relevant sind, unterbunden. Dazu wird der Bestandsschutz bei Betreuungsstrukturverträgen eingeschränkt sowie zusätzliche Vergütung für Diagnosen in Gesamt- und Selektivverträgen, nachträgliche Diagnoseübermittlung im Rahmen von Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfungen sowie Kodierberatung durch die Krankenkassen verboten. Außerdem erhält das Bundesversicherungsamt bei der Durchführung des Risikostrukturausgleichs verbesserte Prüfungsmöglichkeiten.
Beitragseinstufung für Selbstständige
Mit einem neuen Beitragsverfahrenssystem will die Regierung die Beitragsbemessung für freiwillig in der GKV versicherte Selbstständige entbürokratisieren. Hierzu heißt es:
- Die Beitragsbemessung erfolgt in Bezug auf das Arbeitseinkommen und gegebenenfalls anderer ebenfalls starken Schwankungen unterworfenen beitragspflichtigen Einnahmen zunächst vorläufig aufgrund des zuletzt erlassenen Einkommenssteuerbescheids. Nach Vorlage des Einkommenssteuerbescheids für das Kalenderjahr, für das die Beiträge zu zahlen sind, wird der endgültige Beitrag für dieses Kalenderjahr rückwirkend entsprechend der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen festgesetzt.
Die Möglichkeit zur Korrektur des Einkommens besteht drei Kalenderjahre. Die Beeinflussung der Beitragseinstufung durch lange Bearbeitungszeiten zuständiger Finanzämter oder der verzögerten Abgabe von Einkommenssteuerbescheiden soll damit beendet werden.
Ausgenommen von den hierdurch möglichen nachträglchen Korrekturen bleibt der Anspruch auf Krankengeld. Dieser leite sich aus einer vereinfachten Erhebung des unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erzielten Einkommens ab und bleibe auch durch eine nachträgliche Korrektur des Einkommens für die Beitragsberechnung weiter bestehen.
Kernproblem der Beiträge für Selbstständige bleibt
Ein drängendes Problem bei der Beitragsbemessung für Selbstständige wird dadurch jedoch weiterhin nicht angegangen. So gilt die finanzielle Überforderung hauptberuflich Selbstständiger durch die Mindestbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung als Hauptursache für die milliardenschweren Außenstände der Krankenkassen (vgl. “Links zum Thema”). Über die Mindesbemessungsgrenzen müssen Selbstständige in der GKV von virtuellen Mindesteinkünften Beiträge zahlen, die das tatsächliche Einkommen weit übersteigen können. Anträge der Opposition zur Absenkung dieser Mindestbemessungsgrenzen wurden durch die regierungsdominierten Ausschüsse bisher abgelehnt.
Neue Datenschutzrichtlinie für Krankenkassen
Mit einer neuen Richtlinie zum Schutz von Sozialdaten soll der Wiederholung von Datenpannen bei Krankenkassen vorgebeugt werden. In der Vergangenheit hatten mehrere Medien über Sicherheitslücken bei Online-Portalen einzelner Krankenkassen berichtet (vgl. Box). In diesem Zusammenhang spielte auch die Sicherheit der Authentifizierung bei telefonischen und elektronischen (per Internet beziehungsweise E-Mail übermittelten) Anfragen von Versicherten bei ihren Krankenkassen eine wichtige Rolle, insbesondere bezüglich der für Versicherte bestehenden Möglichkeit, die Stammdaten auf diesem Wege zu ändern.
Mit dem HHVG wird nun der GKV-Spitzenverband zur Erstellung einer Richtlinie verpflichtet, die geeignete Schutzmaßnahmen der Krankenkassen im Kontakt mit ihren Versicherten verbindlich vorgibt. Hierfür hat der Verband neun Monate ab Inkrafttreten des Gesetzes Zeit. Im Hinblick auf die hohe Sicherheitsrelevanz und die genannten Vorkommnisse hält der Gesetzgeber die Frist für angemessen. Weitere Vorgaben für die Richtlinie sind eine Zertifizierung der Umsetzung der Maßnahmen bei den Krankenkassen durch anerkannte unabhängige Gutachter sowie die Zusammenarbeit mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und dem BSI. Das BMG muss die Richtlinie schlussendlich genehmigen.
Weitere themenfremde Regelungen des HHVG
Darüber hinaus enthält das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz weitere Maßnahmen in anderen Bereichen der GKV. Dazu gehören:
- Es wird eine Versorgungslücke beim Krankengeld zwischen dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses und dem Bezug von Arbeitslosengeld geschlossen. Mit dem Vorziehen des Beginns der Versicherungspflicht wird erreicht, dass künftig grundsätzlich bereits ab dem ersten Tag einer Sperrzeit oder einer Urlaubsabgeltung Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht und darüber ein Krankengeldanspruch hergeleitet werden kann.
- Eine Benachteiligung von Kinder erziehenden Ehegatten und Lebenspartnern bei der Berücksichtigung von Vorversicherungszeiten für die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) wird beseitigt. Zukünftig können unabhängig von der Krankenversicherung des Ehe- und Lebenspartners jeweils pauschal drei Jahre pro Kind auf die Vorversicherungszeit für die KVdR angerechnet werden. Damit wird der Zugang zur KVdR für die Ehegatten und Lebenspartner verbessert, die in der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens die Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung von Kindern unterbrochen haben und in dieser Zeit nicht gesetzlich krankenversichert waren. Sie erfüllen teilweise nicht die geforderte Vorversicherungszeit für eine in der Regel günstigere Pflichtmitgliedschaft in der KVdR (sogenannte 9/10 Regelung).
- Privat krankenversicherte selbstständige Frauen werden während der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz finanziell besser abgesichert. Durch Änderungen des Versicherungsvertragsgesetzes haben selbstständige Frauen, die eine private Krankentagegeldversicherung abgeschlossen haben, während der Mutterschutzfristen einen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Krankentagegeldes. Dann können Schwangere und Wöchnerinnen unabhängig von finanziellen Erwägungen entscheiden, ob und in welchem Ausmaß sie in dieser Zeit beruflich tätig sein wollen.
- Um auch in Zukunft eine flächendeckende Notarztversorgung sicherstellen zu können, soll die zusätzliche Tätigkeit als Notarzt durch eine Befreiung von Sozialversicherungsbeiträgen flexibler möglich werden. Die Regelung sieht daher vor, dass Ärzte, die ihre notärztliche Tätigkeit im Rettungsdienst neben einer Beschäftigung mit einem Mindestumfang von 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes ausüben oder als Ärzte niedergelassen sind, von den Beiträgen zur Sozialversicherung für diese zusätzliche Tätigkeit befreit sind.
Das HHVG bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates.