Es gibt sie noch, die einzelärztliche chirurgische Praxis, aber es wird immer schwerer sich als einzelner Arzt zu halten. Ich bin seit elf Jahren als Einzelarzt in einer chirurgischen Praxis in Schweinfurt (Unterfranken) niedergelassen und habe trotz erheblicher Konkurrenz ein gutes Auskommen.
Wie geht das?
Zunächst war und ist weiterhin eine solide Markt- und Umfeldrecherche unabdingbar. So habe ich zwar meine Praxis in einer Stadt mit einer chirurgischen Überversorgung von mehr als 200 % im Jahr 2008 übernommen. Aber die Stadt umfasst 53.450 Einwohner – mit direkt umgebenden Gemeinden 106.500 Einwohner – und einem Einzugsgebiet von ca. 600.000 Einwohnern im Umland. Somit relativiert sich eine 200 % Überversorgung deutlich und kann bald eine Unterversorgung bedeuten. Zudem sitzt meine Praxis mitten zwischen großen Automobilzulieferern mit 52.900 Arbeitsplätzen und damit mit einem sehr großen Potenzial an BG-Fällen. Zudem ist meine Praxis die einzige Facharztpraxis im bevölkerungsreichsten Stadtteil mit 11.200 Einwohnern.
In meinem Einzugsgebiet gibt es zwölf Krankenhäuser, von der Universitätsklinik bis zum kleinen Belegkrankenhaus ist hier alles vertrete. Zudem gibt es mindesten elf größere chirurgisch/orthopädisch/unfallchirugische Facharztzentren mit mindestens vier Ärzten. Hier überlebt man nur mit besonderer Expertise und einem sehr wirtschaftlichen Management.
Unsere Expertise ist die breite Aufstellung und ein großes Feld der stationären Behandlungsmöglichkeiten, die nach außen immer noch als ein besonderes Qualitätsmerkmal (das Krankenhaus) gesehen werden. Ein striktes Personal- und Wirtschaftsmanagement ist ebenso notwendig. Die Personalstruktur ist gestrafft, wobei auf eine sehr gute Personalentwicklung und Weiterbildung geachtet werden muss. Eine chirurgische Praxis mit Schwerpunkt auf Operationen muss OP-Kräfte, Sterilgutassistentinnen, Röntgenpersonal, QM, Praxismanagement und betriebswirtschaftliche Kompetenz vorhalten. All diese Qualifikationen müssen erworben und bezahlt werden und sich natürlich auch im Gehalt niederlegen. Somit ist das Personal der größte Kostenblock. Ich darf dankbar sein, dass dies alles von meiner Ehefrau, die BWL studiert hat, wahrgenommen wird. Sie übernimmt auch die gesamte Geschäftsführung und damit den größten Teil der Verwaltung.
Somit kann ich mich als einziger Arzt voll auf die Medizin konzentrieren, was es natürlich ermöglicht deutlich mehr Patienten zu versorgen und dies an drei Standorten: in der Praxis, im Belegkrankenhaus und in der Kooperationsklinik. Ohne diese effektive Arbeitsteilung wäre dies unmöglich.
So haben wir in zehn Jahren 69.200 Patienten behandelt. Und dies bei nur einem Arzt! Also pro Jahr 6.920 Patienten! Die Krankenhausambulanz möchte ich sehen, bei der ein Arzt so viele Patienten im Jahr behandelt. Und diese Zahlen geben nur die Erstkontakte (oder Scheine) wieder und nicht die tatsächliche Anzahl der Kontakte, welche in der Realität noch viel höher liegt. Ich behaupte, so effektiv ist keine Krankenhausambulanz, gerechnet auf den einzelnen Arzt.
ABER JETZT ARBEITE ICH FÜR MICH UND DAMIT FÜR MEIN KONTO.
Mit einer 38,5 Stundenwoche ist dies nicht zu leisten, als D-Arzt muss ich 50 Stunden in der Woche präsent sein. Dazu kommen noch einige Stunden Administration in der Woche und die Dienste im Belegkrankenhaus und die KV-Dienste. Leider auch an Wochenenden, Feiertagen und in der Nacht. Also verabschieden wir uns mal davon, dass die chirurgische Niederlassung „chillig“ ist. In der Arbeitsbelastung unterscheidet sich das nicht von der Arbeit im Krankenhaus! Aber jetzt arbeite ich für mich und damit für mein Konto. Eine nicht zu unterschätzende Motivation oder warum sollte man sonst Unternehmer werden? Ich habe damit allerdings auch das Risiko des Unternehmers und damit die Sorgen. Keine Lohnfortzahlungen, wenn ich ausfalle oder die Technik oder sonstige Ausfälle die Praxis lahmlegen, dann verdiene ich nichts mehr, die Kosten laufen aber weiter.
Somit zu einem wichtigen Teil der Niederlassung: der Versicherungen! Ich muss unbedingt dafür sorgen, dass meine Familie, mein Betrieb und ich ausreichend versichert sind. Neben Kranken-, Renten- und BG-Versicherung gehören hierzu Lebensversicherung, Rechtschutzversicherung und natürlich die Haftpflichtversicherung, die mittlerweile für einen Belegarzt ca. 10.000 Euro ausmacht und damit bei mir noch recht günstig ist. Tipp von mir: Gruppenversicherung des Berufsverbandes nutzen. Dazu kommen Betriebsausfallversicherung, Elektronikversicherung, Berufsunfähigkeit und nicht zu vergessen, die KFZ-Versicherung.
Niederlassung bedeutet aber auch Betriebsführung. Die Abbildungen 3 und 4 geben einen kleinen und unvollständigen Einblick in das, was noch zur Niederlassung gehört. Die zunehmende Bürokratie setzt zu, die gesetzlichen und behördlichen Anforderungen sind in den letzten Jahren massiv gestiegen. Hier sehe ich die eigentliche Gefahr für die Niederlassung, denn das ist in der Einzelarztpraxis bald nicht mehr zu stemmen. Neu ist die jetzt verschärfte DSGVO und nun kommt noch das Terminservice & Versorgungsgesetz (TSVG) hinzu. Das TSVG hat besondere Sprengkraft. Es sind nicht die 25 Stunden in der Woche, für uns Chirurgen geschenkt, es ist der drohende massive Eingriff in die Freiberuflichkeit und damit direkt in die Betriebsführung.
Ich muss mich um die Abrechnung, GKV, BG und GOÄ kümmern, das QM liegt in letzter Verantwortung bei mir. Ich muss mich um die entsprechenden KV-Zulassungen und damit um die Qualitätsanforderungen kümmern. Die EDV muss auch dem neusten Stand sein, Dale-UT, KV-Safenet und Telematik seien hier genannt. Hierdurch lassen sich aber auch Effizienzreserven nutzen. Begehungen von Behörden, Gewerbeaufsicht, Gesundheitsamt ggf. BG müssen begleitet werden. Arbeitsschutz, Hygieneschulung, Strahlenschutzbelehrungen, Med GV etc. gehören auch dazu.
Die Betriebsführung mit Buchhaltung, Gehältern, Steuern, Bilanzen, Finanzierungen müssen erledigt werden. Genauso wie die Personalentwicklung und Personalqualifizierung heute selbstverständlich sind. Unsere große Flexibilität kann sich für die Personalgewinnung auch als Vorteil zeigen. Die Gewinnung von entsprechend qualifiziertem Personal ist aber auch bei uns ein zunehmendes Problem.
Auch wenn es Arbeit macht, seinen Betrieb selbst planen und organisieren zu können ist eine nicht zu unterschätzende Freiheit. Und dies empfinde ich als sehr befriedigend. Ich bin der „Boss“, ich kann das machen was mir Spaß macht und was ich kann. Kann auch mal kurzfristig frei nehmen, meinen Urlaub nach meinem Gusto planen. Ich statte meine Praxis so aus, wie ich es will und so ich es auch bezahlen kann. Ich bin mit meinem Team meine eigene Marke, mit eigener Corporate Identity.
Alles was ich in der Praxis verwende muss angeschafft und gewartet ggf. validiert werden. Je mehr ich anbiete, umso mehr Arbeit macht das, aber umso mehr kann ich erwirtschaften. Dies soll gut abgewogen werden. Aber eine breite Aufstellung macht mich weniger anfällig gegen politische und wirtschaftliche Veränderungen. Als Einzelpraxis kann ich hierauf einfacher reagieren. Aber als Einzelkämpfer merke ich auch die Grenzen dessen, was ich leisten kann. Dies limitiert auch.
Die Frage, ob sich die Einzelpraxis lohnt, misst sich sehr an der Work-Life-Balance. Diese ist sehr individuell. Solange „Life“ noch das Übergewicht hat, kann ich dies für mich persönlich mit Ja beantworten. Auch finanziell lohnt es sich noch, auch wenn die Gewinnmargen immer kleiner werden, da die Kosten steigen, aber in einem budgetierten System leider die Einnahmen nicht in gleichem Maß, wie die zunehmenden Kosten.
Die Work-Life-Balance bemisst sich aber auch am Arbeitseinsatz. Hier sehe ich kaum noch Vorteile für „Life“, da die überbordende Bürokratie mehr und mehr Zeit beansprucht und meine Freizeit reduziert, aber auch die von mir als befriedigend empfundene Arbeit am Patienten zunehmend einschränkt.
Insgesamt kann ich sagen, dass sich der Schritt in die Selbständigkeit für mich gelohnt hat, aber die Umstände werden schwieriger. Für die Zukunft tendiere ich zur Berufsausübungsgemeinschaft, hier lassen sich Risiken, Kosten und Arbeit besser verteilen. Allerdings schränkt dieses Modell die unternehmerische Freiheit deutlich ein.
Farghal D: Und auch das geht: Einzelpraxis und Belegarzt. Passion Chirurgie. 2019 Mai, 9(05): Artikel 05_01.
Autor des Artikels
Dirk Farghal
Stellv. Regionalvertreter des BDC|Landesverband BayernVorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Beleg- und Kooperationsärzte (AG BeKo) im BDCStellv. Vorsitzender RNC im BDCÄrztlicher Leiter MVZ Rothenburg o.d.T. kontaktieren
Die Entscheidung für eine der acht Säulen der chirurgischen Weiterbildung fällt meist aufgrund persönlicher Neigungen oder abhängig von Erfahrungen während des PJ oder dem aktuellen Stellenangebot. Es ist aber zu beachten, dass die Eignung für eine spätere Niederlassung höchst unterschiedlich ist.
Ein entscheidender Baustein in der Niederlassung ist eine hoch effiziente und leistungsfähige IT und EDV. Allein das derzeit letzte Digitalisierungsgesetz, das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG), bringt eine Fülle von digitalen Neuerungen in das Gesundheitswesen und damit auch in die Arztpraxis, denen Sie sich in der Niederlassung nicht entziehen können.
Während früher die Niederlassung eher als Notnagel bei Brüchen in der chirurgischen Karriere angesehen wurde, hat sich die Tätigkeit in einer chirurgischen Praxis in den letzten Jahren zu einer attraktiven Alternative für eine befriedigende chirurgische Lebensposition entwickelt [2]. Darüber hinaus ist anzumerken, dass das althergebrachte Schisma zwischen der Tätigkeit in einem Krankenhaus und in einer Praxis aufgrund der wachsenden Anzahl sektorenübergreifender Kooperationen zukünftig nicht mehr zielführend sein wird.
Zum Zeitpunkt meiner Niederlassung vor etwa 20 Jahren war die chirurgische Einzelpraxis der Regelfall. Dies war zu einem großen Teil der damaligen Weiterbildung geschuldet mit breiter Ausbildung im Gesamtgebiet der Chirurgie. Selbst wenn das eigene Steckenpferd die Leistenhernie-Chirurgie war, so wurden natürlich auch unfallchirurgische Patienten behandelt und in der Regel lag auch eine D-Arzt-Qualifikation vor. So konnte eine Einzelpraxis auch wirtschaftlich auskömmlich arbeiten.
Das „D-Arzt-System“ steht im Fokus der aktuellen Ausgabe, passend zum Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU), der vom 24. bis 27. Oktober 2023 in Berlin stattfindet. Der BDC ist an allen vier Kongresstagen mit einem Stand vertreten in Halle 2.2b. Wir freuen uns auf Gespräche mit Ihnen!
Kennen Sie schon unseren Chirurgie-Podcast „Surgeon Talk“? Am 20. September diskutiert der Leiter der BDC|Akademie Professor Dr. Wolfgang Schröder mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt zum Thema „Wie gewinnen wir genug Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten?“. Sie sind herzlich eingeladen, den kostenlosen Podcast anzuhören: www.surgeontalk.de.
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Passion Chirurgie: Nachhaltigkeit in Krankenhäusern – Möglichkeiten und Nutzen
Auszug aus dem Inhalt:
Die Urlaubszeit hält für die meisten noch eine Weile an und der Sommer zeigt sich gerade von der besten Seite. Eine gute Gelegenheit, bei einem Kaltgetränk die Lektüre der neuen PASSION zu genießen. Schwerpunkt der Ausgabe ist diesmal Nachhaltigkeit in Krankenhäusern mit konkreten Beispielen aus der klinischen Praxis.
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Es ist offiziell Sommer – und damit Zeit für unsere Nachlese zum Bundeskongress Chirurgie und DCK 2023. Wir haben Ihnen die Highlights und Impressionen der Kongresse in der neuesten Ausgabe zusammengefasst.
Für alle chirurgischen Kolleginnen und Kollegen, die den Deutschen Chirurgie Kongress 2023 nicht live miterleben konnten, haben wir noch einen Hinweis: In diesem Jahr hat das Surgeon Talk-Team den Kongress begleitet und in Form von Kurz-Interviews einen Überblick über relevante Themen als Podcast erstellt. Hören Sie rein! DCK Kompakt 2023
Eine Empfehlung haben wir noch für unsere Assistenzärztinnen und –ärzte: Für das BDC|Seminar „Curriculum Basischirurgie“ in Kaiserslautern vom 27. bis 29. September 2023 sind noch Plätze frei. Gerne Weitersagen. Hier geht´s zur Information & Anmeldung
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In dieser Ausgabe können Sie sich durch einen CME-Artikel auf den aktuellen Stand der interventionellen Therapie bei Rückenschmerzen bringen und gleichzeitig Fortbildungspunkte sammeln.
Wie der aktuelle Stand der Entwicklungen zum Thema Hybrid-DRG aussieht, berichtet BDC- Vizepräsident Dr. Jörg Rüggeberg in Berufspolitik Aktuell.
Hier noch ein Extratipp der BDC|Akademie für angehende Thoraxchirurg:innen: Vom 14. bis 16. Juni 2023 findet das BDC-Facharztseminar „Thoraxchirurgie“ als Online-Veranstaltung statt. Die optimale Vorbereitung für die Facharztprüfung. HIER finden Sie mehr Informationen und die Anmeldemöglichkeit.
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