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Kinderchirurgie ist bekanntermaßen nicht die Chirurgie zu klein geratener Erwachsener und doch gab es in der Vergangenheit einige Entwicklungen der Erwachsenenchirurgie, die in der Kinderchirurgie adaptiert wurden. Zu den letzten großen Entwicklungen auf dem Gebiet der Chirurgie zählt sicherlich die roboterassistierte Chirurgie. Bereits seit vielen Jahren in der Urologie, Viszeralchirurgie und Gynäkologie beheimatet, entwickelte sich seit der ersten publizierten roboterassistierten Operation an einem Kind 2001 eine stetig wachsende kinderchirurgische Robotik-Szene [22]. Vorreiter waren hier, wie auch in der Erwachsenen-Chirurgie, die USA. Ursprünglich wurde die roboterassistierte Chirurgie für den Einsatz in Kriegsgebieten entwickelt. Mittlerweile hat sich die Technologie aber flächendeckend in der zivilen Nutzung durchgesetzt. In einigen Bereichen entwickeln sich die roboterassistierten Eingriffe zum Goldstandard (z. B. Prostatektomie) [28]. Im kinderchirurgischen Bereich wurden in den USA bereits 2015 40 % der Nierenbeckenplastiken roboterassistiert operiert [30]. Auch beim zweithäufigsten kinderchirurgischen Eingriff, der roboterassistiert durchgeführt wird, der Ureterneueinpflanzung, zeigen sich stark steigende Fallzahlen [4].

Nachdem 2017 die roboterassistierte Chirurgie in Deutschland in der Universitätsmedizin Göttingen zuerst im kinderchirurgischen Setting Anwendung fand, ziehen seit einigen Jahren andere Zentren nach. Auch hierzulande lässt sich ein kontinuierlicher Anstieg der roboterassistierten Eingriffe an Kindern und Jugendlichen verzeichnen. Während 2019 105 Fälle erfasst wurden, belaufen sich die Zahlen für 2022 bereits auf 170 Fälle (Ammer et al. 2024, submitted). Unter Berücksichtigung der Einschränkungen für elektive Eingriffe während der Covid-19-Pandemie ist hier ein deutlicher Anstieg an roboterassistierten Eingriffen zu verzeichnen.

Vorteile roboterassistierter Chirurgie

Bei den meisten kinderchirurgischen Eingriffen handelt es sich um rekonstruktive Operationen. Hierfür sind im sehr kleinen Raum Präparation und Rekonstruktion notwendig.

Die Vorteile der roboterassistierten Chirurgie wie bis zu 10-fache Vergrößerung und 3D-Sicht, Tremorfilter, Kameraführung durch die/den Operateur:in und multiple Freiheitsgrade der Instrumente bei intuitiver Handhabung liegen auf der Hand. Durch die enorme Vergrößerung und 3D-Sicht können gerade zarte kindliche Strukturen besonders visualisiert werden. Zusammen mit der intuitiven Bewegung der Instrumente mit hohen Freiheitsgraden und einem Tremorfilter, der die natürlichen Zitterbewegungen der Hände herausfiltert, ist so besonders präzises, punktgenaues Operieren möglich. Dies ist insbesondere bei zarten kindlichen Strukturen und empfindlichen Geweben ein großer Vorteil. Nähen im sehr kleinen Raum, mit schlechten laparoskopischen Winkeln (z. B im kleinen Becken) oder operieren „über Kopf“ sind leichter möglich, als konventionell laparoskopisch.

Aufgrund des deutlich einfacheren Nähens und Knotens im Vergleich zu konventionell laparoskopischer Technik erhöht sich die Sicherheit für die kleinen Patient:innen und eine größere Anzahl an Kindern können von einem minimalinvasiven Verfahren profitieren [7, 17, 18]. Dies ist auch aus kosmetischen Gründen ein interessanter Aspekt. Bei regelmäßiger Nutzung der OP-Roboters ist die Lernkurve steil. Gezielte Ausbildung am Simulator ermöglicht die Vorbereitung auf diffizile Eingriffe und das Training auch ungeübter Chirurg:innen. Besonders vor dem Hintergrund deutlich geringerer Fallzahlen als in der Erwachsenenchirurgie kommt dem in der Kinderchirurgie im Hinblick auf die Patient:innen-Sicherheit große Relevanz zu [26, 29]. Untersuchungen ergaben eine deutlich geringere Ermüdung der/des Operateur:in bei roboterassistierten Eingriffen verglichen mit konventionell laparoskopischen Operationen. Da in der konventionellen Laparoskopie oft unphysiologische Haltungen eingenommen werden müssen, kommt es rasch zu Ermüdungserscheinungen der Muskulatur. Durch die Positionierung der/des Chirurg:in an der Konsole ist eine entspannte Körperhaltung möglich und auch längere Eingriffe können ohne Ermüdungserscheinungen durchgeführt werden [31].

Eltern und Patient:innen nehmen Krankenhausaufenthalte sehr belastend wahr. Mehrere Studien legen nahe, dass durch den Einsatz von roboterassistierter Chirurgie der postoperative Krankenhausaufenthalt reduziert werden konnte [6, 27].

Besonders bei Kindern und Jugendlichen sollten möglichst kurze Narkosezeiten angestrebt werden. In der Literatur finden sich widersprüchliche Angaben zur OP-Dauer roboterassistierter Eingriffe, verglichen mit konventionell laparoskopischen oder offenen Prozeduren. Dauert bei einem erfahrenen und routinierten Team das Andocken des Roboters ca. 10 Minuten, kann dies in einem ungeübten Setting bis zu 40 Minuten in Anspruch nehmen, was die Narkosedauer verlängert. Die reine OP-Zeit ist je nach Eingriff und Erfahrung des Teams zumeist kürzer als konventionell laparoskopisch [3, 6, 11].

Nachteile roboterassistierter Chirurgie

Dem entgegen stehen die Nachteile roboterassistierter Chirurgie. Hier sind vor allem die hohen Anschaffungs- und Wartungskosten, Kosten für Instrumente und Einmalmaterialen zu nennen [9, 19, 25]. Vor diesem Hintergrund wird häufig eine kinderchirurgische Nutzung des OP-Roboters im Wechsel mit anderen Abteilungen praktiziert, um den Roboter voll auszulasten und die Kosten aufzuteilen. Zum anderen stellt die Größe der verfügbaren Instrumente ein besonderes kinderchirurgisches Problem dar. Einige Anbieter haben bereits reagiert und 5-mm- bzw. 3-mm-Instrumente auf den Markt gebracht [15, 16].

Dennoch ist auch bei kleinen Instrumenten ein gewisser Trokarabstand ist erforderlich, um sinnvolles roboterassistiertes Arbeiten zu ermöglichen. In der Literatur werden Fälle von 5 bis 7 kg beschrieben [14, 23]. Die Einschätzung anderer Autoren deckt sich mit unserer Erfahrung [10]: Bei Kindern, die signifikant leichter als 8 kg sind, ist die Trokarplatzierung mit ausreichend Abstand zum Rippenbogen/Xiphoid und den Beckenkämmen nicht immer sinnvoll möglich. Hier kommt es wiederholt zu Kollisionen der Roboterarme, die sich gegenseitig behindern. Auf die korrekte Lagerung der Patient:innen muss aus diesem Grund besonderes Augenmerk gerichtet werden. Aufgrund der geringen Körpergröße käme es bei kleinen Patient:innen neben der Arm-Arm-Kollision zu Kollisionen der Roboter-Arme mit dem OP-Tisch. Zudem lässt sich durch das Auslagern der relativ kurzen Extremitäten wenig Raumgewinn schaffen, sodass auch hier strikt auf genügend Abstand zu den sich bewegenden Roboterarmen und fachgerechte Lagerung zu achten ist. Kinderchirurgisch lassen sich aufgrund der kleinen OP-Situs häufig nur drei Arme verwenden, ggf. unterstützt durch einen „konventionellen“ Hilfstrokar. Dies macht einen häufigen Instrumentenwechsel erforderlich. Auch diesen Aspekt gilt es bei der Lagerung und Platzierung des Roboters zu beachten.

Ein weiterer Punkt, den es speziell beim Einsatz von Robotersystemen in der Kinderchirurgie zu beachten gilt, sind Sorgen, Vorbehalte und Ansprüche der Eltern. Während mittlerweile viele Eltern explizit Zentren aufsuchen, die roboterassistierte Chirurgie anbieten, dominierte noch vor einigen Jahren elterliche Skepsis die Einstellung zur roboterassistierten Chirurgie. Die landläufige Vorstellung eines „OP-Roboters“ als einer autonom agierenden Einheit führte zu Verunsicherung. Die zunehmende mediale Präsenz und Etablierung der Robotik in der Erwachsenenmedizin führten hier zu einem deutlichen Wandel [2].

In der praktischen klinischen Anwendung haben sich einige kinderchirurgische Eingriffe als besonders prädestiniert für den Einsatz von OP-Robotern erwiesen. Hierunter zählen Operationen an den Nieren (Nephrektomie, Nierenbeckenplastik, Nierenteilresektionen), Fundoplikationes, Pyloroplastiken, Operationen an der Milz und Ureterneueinpflanzungen [5, 8, 12]. Aber auch Blasenaugmentationen, Prozeduren nach Soave bei M. Hirschsprung, Kasai-Operationen, Splenektomien, Zwerchfellhernien, Korrekturen der Ösophagusatresie und Darmchirurgie wurden bereits erfolgreich durchgeführt und publiziert [1, 8, 13, 20, 21, 24]. Bei allen Eingriffen zeigt sich deutlich der Vorteil des erleichterten Nähens und Knotens, der guten Übersicht und des intuitiven Handlings von Gewebe und Strukturen in engem Raum.

Letztlich bedarf der kinderchirurgische Einsatz von OP-Robotern einer individuellen Abwägung zwischen Benefit und Risiken für die kleinen Patient:innen. Bei bewusstem Einsatz für definierte Eingriffe in Zentren mit ausreichend Erfahrung und Routine können Kinder und Jugendliche von der Präzision und der kürzeren OP- und Krankenhausverweildauer bei gleichem Outcome sehr profitieren.

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via [email protected].

Korrespondierende Autorin:

Dr. med. Elisabeth Ammer

Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie

Universitätsmedizin Göttingen

[email protected]

Prof. Dr. med. Michael Ghadimi

Direktor

Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie

Universitätsmedizin Göttingen

Dr. med. Fritz Kahl

Ärztlicher Leiter

Schwerpunkt Kinderchirurgie und Kinderurologie

Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie

Universitätsmedizin Göttingen

Chirurgie

Ammer E, Ghadimi M, Kahl F: Stellenwert
der roboterassistierten Chirurgie im Kindes-
und Jugendalter. Passion Chirurgie.
2024 Oktober; 14(10): Artikel 03_02.

Mehr Artikel zur Kinderchirurgie finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Fachgebiete | Kinderchirurgie.

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