01.06.2018 Politik
Sektorübergreifende Versorgung – Mehr als nur ein Schlagwort?
Der Begriff „Sektorübergreifende Versorgung“ beherrscht in zunehmendem Maße die öffentliche Diskussion, unter anderem auch im aktuellen Koalitionsvertrag. In der Regel ist die Formulierung positiv besetzt als erstrebenswertes und heilbringendes Ziel, allerdings sind Hinweise zur Umsetzung eher vage, wenn überhaupt zu erkennen.
Der BDC hat seit Jahren die sektorübergreifende Versorgung auf der Agenda und bietet jedes Jahr anlässlich des Chirurgenkongresses Sitzungen mit verschiedenen Aspekten dazu an. Dennoch, trotz aller Willensbekundungen, ist es bisher keinen Schritt voran gegangen. Woran liegt das?
Ein wichtiger, vielleicht entscheidender Punkt ist bereits die Namensgebung. Es geht nämlich nur vordergründig um eine sektorübergreifende oder -verbindende Versorgung, sondern um die Überwindung fest zementierter Sektorengrenzen. Die kollegiale gemeinsame Betreuung einzelner Patienten durch Kliniker und Niedergelassene ist längst gelebte Praxis, allerdings nur in Form gegenseitiger Information und Beratung. Eine organisierte und generelle Kooperation scheitert an den Betonmauern des Systems.
Auf der einen Seite stehen die Krankenhäuser, planungstechnisch in Länderhoheit und finanziert über Fallpauschalen (DRG). Die Ärzte sind Angestellte und weisungsabhängig von Vorgaben der Verwaltungen. Auf der anderen Seite die niedergelassenen Ärzte, zwangsorganisiert über die Körperschaft der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), ebenfalls länderspezifisch. Die Finanzierung ist hochkomplex in einem gedeckelten Budget, nicht unmittelbar leistungsbezogen und im Prinzip über Fallzahlen gesteuert. Eine Niederlassungsfreiheit gibt es nicht, Arztsitze werden über eine bundesweite Bedarfsplanung aus dem vorigen Jahrhundert vergeben. Aus der Zeit Konrad Adenauers stammt auch das Monopol der KVen auf die ambulante Versorgung gekoppelt mit dem Verzicht auf ein Streikrecht. Dieses Monopol wird inzwischen mit Billigung der Politik ausgehöhlt, indem ambulante Notfallversorgungen in großem Umfang an Kliniken erbracht werden und dafür neue Strukturen wie etwa Portalpraxen installiert werden.
Die genannten unterschiedlichen Regelungen wären nicht unüberwindbar, wenn es nicht auch eine stringente Trennung der Finanzmittel für Kliniken und Praxen bei den Krankenkassen gäbe. Einsparungen in einem Sektor führen nicht zu einem notwendigen Transfer dieser Mittel in den jeweils anderen Bereich. Das führt naturgemäß zu einem vertiefenden Grabenkampf zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhausträgerorganisationen, denn verständlicherweise wird keiner freiwillig Honoraranteile abgeben wollen.
Ohne eine grundlegende Reform der Finanztrennung wird jeder systematische Ansatz einer sektorübergreifenden Versorgung scheitern. Allenfalls könnte man das Belegarztsystem als einen Ansatz betrachten, bei dem sowohl ambulant wie stationär derselbe Arzt tätig wird. Aber auch dieses System wird bestraft mit Erlösabschlägen, die nicht wirklich nachvollziehbar sind.
Bereits heute gibt es zahlreiche Individuallösungen, die aber immer nur auf Basis von Einzelverträgen abgeschlossen werden können. Die Bereitschaft der Ärzteschaft, im Sinne ihrer Patienten eine echte kooperative Behandlung gemeinsam über alle Bereiche zu gestalten, ist vorhanden. Allein, es fehlt der politische Wille zu einer grundlegenden Reform.
Rüggeberg JA. Sektorübergreifende Versorgung – Mehr als nur ein Schlagwort? Passion Chirurgie. 2018 Juni, 8(06): Artikel 05_02.
Autor des Artikels
Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg
Vizepräsident des BDCReferat Presse- & Öffentlichkeitsarbeit/Zuständigkeit PASSION CHIRURGIEPraxisverbund Chirurgie/Orthopädie/Unfallchirurgie Dres. Rüggeberg, Grellmann, HenkeZermatter Str. 21/2328325Bremen kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
24.04.2023 Politik
Lauterbach zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Medizin
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnt vor einer riskanten Ausbreitung unregulierter medizinischer Angebote im Netz, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren.
01.04.2023 Gesetzgebungsverfahren
Offener Brief – Den Deutschen Irrweg in der Organspendepolitik beenden
Laut dem Bündnis ProTransplant sind drei Jahre nach Abstimmung des Bundestages über die neue Gesetzgebung weitere 3.000 Menschen verstorben, die mit einer Organspende hätten gerettet werden können. Statt der erhofften Verdopplung der Organspendezahlen gebe es einen schlimmeren Einsturz als je zuvor. Jetzt hat das Bündnis sich in einem offenen Brief am 01. März 2023 an den Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach gewandt und in fünf Punkten seine Forderungen formuliert.
01.04.2023 Politik
Patientenbeauftragter der Bundesregierung übernimmt Schirmherrschaft für das Infoportal Hautkrebs
Der BDC ist im Beirat des NVKH e.V. vertreten und leistet hier einen wichtigen Teil zum interdisziplinären Austausch.
15.03.2023 BDC|News
Gemeinsame Stellungnahme zur Qualitätssicherung-Vereinbarung zur Interventionellen Radiologie
Gemäß der QS-Vereinbarung zur Interventionellen Radiologie aus dem Jahr 2010 gibt es keine Möglichkeit für Gefäßchirurg:innen und Angiolog:innen, im ambulanten (EBM gesteuerten) Bereich Eingriffe/Interventionen in der Gefäßmedizin anzubieten.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.