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Möglichkeiten und Grenzen von Beschäftigungsverboten nach dem Entwurf des neuen Mutterschutzgesetzes (MuSchG-E)

Mit einer Schwangerschaft steigt nicht nur die Vorfreude auf den Nachwuchs. Auch die Arbeitgeber müssen disponieren und sich auf den (vorübergehenden) Ausfall der schwangeren Arbeitnehmerin einstellen bzw. besondere Schutzvorkehrungen während der Schwangerschaft treffen. Gerade bei Ärztinnen mit operativer Tätigkeit stellt sich die Frage, ob sie ihren Beruf bis zum Eintritt der Mutterschutzzeit überhaupt weiter ausüben können. Besonders Weiterbildungsassistentinnen teilen ihrem Arbeitgeber die bestehende Schwangerschaft oft aus Furcht, den Weiterbildungskatalog nicht in der vorgegebenen Zeit zu erfüllen, erst spät mit und nehmen dafür eine Gefährdung ihres ungeborenen Kindes in Kauf. Früher wurden schwangere Ärztinnen, die operativ tätig waren, regelmäßig zum „Innendienst“ eingeteilt und durften z. B. nur noch Aufklärungsgespräche führen. Heute stehen viele noch bis kurz vor der Entbindung im OP. Für Arbeitgeber gilt es, einerseits dem Beschäftigungsanspruch der schwangeren Arbeitnehmerin gerecht zu werden und andererseits Sorge dafür zu tragen, dass Mutter und Kind gesundheitlich nicht gefährdet werden.

Rechtsgrundlagen

Die wesentlichen Rechtsgrundlagen, die bei der Beschäftigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen beachtet werden müssen, sind im Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz – MuSchG) sowie in der Mutterschutzrichtlinienverordnung (MuSchRiV) niedergelegt. Seit seinem Inkrafttreten im Jahre 1952 ist das Mutterschutzgesetz kaum geändert worden, obwohl sich die gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für berufstätige (schwangere) Frauen erheblich gewandelt haben. Aus diesem Grund ist das Mutterschutzgesetz kürzlich umfassend überarbeitet und worden; die Bundesregierung hat der Novelle (Stand: 04.05.2016) bereits zugestimmt. Dazu wurden die zahlreichen Vorschriften der Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz (Mutterschutzarbeitsverordnung – MuSchArbV) zur besseren Orientierung in das MuSchG-E integriert. Die Neuregelungen treten voraussichtlich zum 01.01.2017 in Kraft und bedeuten für die Beschäftigung schwangerer Chirurginnen im Ergebnis nur wenige Unterschiede zur derzeitigen Rechtslage. Was auch nach der künftigen Rechtslage bedacht werden muss, soll im Folgenden erläutert werden.Mitteilungspflichten

Damit Arbeitgeber in der Lage sind, spezielle Schutzvorkehrungen zugunsten der Schwangeren zu treffen, muss ihnen die Schwangerschaft bekannt gegeben werden. Nach § 14 Abs. 1 MuSchG-E sollen werdende Mütter ihrem Arbeitgeber die Schwangerschaft und den mutmaßlichen Tag der Entbindung mitteilen, sobald ihnen ihr Zustand bekannt ist. In der Praxis teilen Arbeitnehmerinnen die bestehende Schwangerschaft jedoch häufig erst zu einem späteren Zeitpunkt, zumeist nach Ablauf der kritischen ersten drei Monate, mit. Ärztinnen, die sich noch in der Weiterbildung befinden, ziehen die Mitteilung oft sogar so weit hinaus, bis eine Schwangerschaft offensichtlich ist. Eine verspätete Mitteilung hat zwar nicht zur Folge, dass Frauen ihr Recht auf Mutterschutz verlieren, sie sollten sich dabei jedoch bewusst sein, dass eine operative Tätigkeit ohne jegliche Schutzvorkehrungen ein hohes Gefahrenrisiko für sich und das ungeborene Kind in sich bergen kann.Mit Benachrichtigung über die Schwangerschaft ist der Arbeitgeber nach § 25 Abs. 1 Nr. 1a MuSchG verpflichtet, der zuständigen Aufsichtsbehörde die Beschäftigung einer Schwangeren anzuzeigen.
Von Schutzvorkehrungen bis zum Beschäftigungsverbot

Bei der Beschäftigung werdender Mütter hat der Arbeitgeber alle erforderlichen Vorkehrungen und Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit der Schwangeren zu treffen. Entgegen einer weitläufig verbreiteten Ansicht bedeutet die Mitteilung der bestehenden Schwangerschaft nicht gleichzeitig das vorübergehende Aus der beruflichen operativen Tätigkeit. Solange durch Schutzvorkehrungen die Gefahr für Mutter und Kind eliminiert werden kann und die schwangere Chirurgin dies ausdrücklich wünscht, kann sie weiterhin im OP arbeiten und Eingriffe durchführen. Der Anspruch auf Fortführung ihrer Tätigkeit ist nun in § 8 Abs. 1 Satz 2 MuSchG-E ausdrücklich normiert. Nachteile aufgrund der Schwangerschaft, der Entbindung oder der Stillzeit sollen vermieden oder ausgeglichen werden. Hierbei sind folgende Besonderheiten und insbesondere die nun in § 12 MuSchG-E normierte Rangfolge der Schutzmaßnahmen zu beachten:

1. Individuelle Gefährdungsbeurteilung

Mit Benachrichtigung des Arbeitgebers ist dieser nach § 9 Abs. 2 MuSchG-E gehalten, eine individuelle Gefährdungsbeurteilung für die schwangere Ärztin in ihrem konkreten Arbeitsumfeld vorzunehmen. Bei chirurgisch tätigen Arbeitnehmerinnen muss daher im Einzelnen geprüft werden, ob die chirurgische Tätigkeit an sich oder die speziellen räumlichen bzw. sachlichen Einrichtungen in der Klinik eine Gefahr für Mutter und Kind darstellen können. Die Beurteilung dient dem Zweck, mögliche Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit sowie alle Auswirkungen auf die Schwangerschaft abzuschätzen und die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen zu bestimmen.

2. Umgestaltung des Arbeitsplatzes, Schutzvorkehrungen

Sollte sich bei der Beurteilung ergeben, dass eine potenzielle Gefährdungslage vorliegt, hat der Arbeitgeber nach § 8 Abs. 2 MuSchG-E alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit Gefährdungen einer schwangeren Frau oder ihres Kindes möglichst vermieden werden und eine unverantwortbare Gefährdung ausgeschlossen ist. Im Gegensatz zur derzeitigen Rechtslage, wonach jede Gefährdung für Mutter und Kind ausgeschlossen sein muss, ist die Zulässigkeit der Fortsetzung der Arbeit im neuen Gesetzentwurf erweitert worden. Dass die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „unverantwortbare Gefährdung“ zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen wird, liegt auf der Hand. Hieran ändert auch die gesetzliche Definition nichts, wonach eine unverantwortliche Gefährdung vorliegen soll, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist. Welche Fälle im Zusammenhang mit operativen Tätigkeiten einer unverantwortbaren Gefährdungslage zugeordnet werden und wann die Grenze einer möglichst weitgehenden Gefährdungsvermeidung überschritten sein soll, ist auch in der Gesetzesbegründung nicht näher definiert und bleibt abzuwarten. Der Arbeitgeber hat den Arbeitsplatz der Schwangeren in jedem Fall so zu errichten und zu unterhalten, dass alle technisch, medizinisch oder ergonomisch möglichen Maßnahmen zum Schutz der Mutter getroffen werden. Dies ist durch eine einstweilige Umgestaltung der Arbeitsbedingungen oder der Arbeitszeiten möglich. Das Schutzgebot umfasst auch die Arbeitsorganisation, sodass Pausen, Arbeitstempo, Schichteinteilung etc. den Bedürfnissen der Schwangeren angepasst werden müssen. Es ist offensichtlich, dass die ärztliche Tätigkeit in Operationssälen grundsätzlich ein gewisses Gefahrenpotential mit sich bringt. Die Anästhesie, das Infektionsrisiko oder eine potentielle Strahlenbelastung können zuweilen gravierende gesundheitliche Auswirkungen auf Mutter und Kind haben. Um beide vor OP-typischen Gefahren zu schützen, müssen daher besondere Schutzvorkehrungen getroffen werden. Hinsichtlich einer Gefährdung durch die Narkoseführung ist darauf zu achten, dass gesundheitsgefährdende Gase oder Dämpfe nicht auf die schwangere Chirurgin einwirken. Daher empfiehlt es sich, ausschließlich bei Patienten operativ tätig zu sein, die eine Totale Intravenöse Anästhesie (TIVA) oder eine Spinalanästhesie erhalten.Um das Infektionsrisiko von Viren zu minimieren, sollten schwangere Chirurginnen zunächst ihren aktuellen Immunitätsstatus prüfen und ggf. aktualisieren. Zudem sollte Wert auf ein präoperatives Patienten-Screening auf Hepatitis-C-Antikörper und HIV-Antikörper gelegt werden. Zur Infektionsprophylaxe eignet sich auch das Tragen von geeigneten Schutzbrillen (Visier). Nadelstichverletzungen können durch das Tragen von doppelten Indikatorhandschuhen sowie durch die Verwendung stichsicherer Instrumentarien weitgehend vermieden werden. Zudem sollte keine Teilnahme bei bekannten infektiösen Eingriffen, mit unterbrochener Sichtkontrolle sowie in beengtem Operationssitus erfolgen. Der Umgang mit potentiell kontaminierten Instrumenten ist generell zu unterlassen und der Kontakt mit Körperflüssigkeiten und Aerosolbildung ist zu vermeiden.Besonderes Gewicht ist auch auf den Strahlenschutz zu legen, wobei ergänzend die Vorschriften der Röntgenverordnung zu beachten sind. Nicht selten werden intraoperativ Röntgenbilder angefertigt, um etwa die richtige Positionierung von Implantaten bzw. Prothesen überprüfen zu können. Solange sich die schwangere Chirurgin im Kontrollbereich, das heißt während der Durchleuchtung bzw. Anfertigung der Röntgenbilder, befindet, muss die Dosis streng überwacht werden. Hierzu wird im Allgemeinen angeraten, den OP-Saal kurzzeitig zu verlassen bzw. bei entsprechenden Räumlichkeiten auf Abstand zum Röntgengerät zu gehen. Entsprechend § 22 Abs. 1 Nr. 2 d Röntgenverordnung (RöV) ist das Betreten des Kontrollbereichs aber dann möglich, wenn der fachkundige Strahlenschutzverantwortliche bzw. Strahlenschutzbeauftragte dies ausdrücklich gestattet und durch geeignete Überwachungsmaßnahmen sicherstellt, dass der besondere Dosisgrenzwert eingehalten und dokumentiert wird. Der Grenzwert der effektiven Dosis beträgt während der gesamten Schwangerschaft 1 mSv. Um eine höhere Bestrahlung zu vermeiden wird empfohlen, ein wöchentlich ablesbares Dosimeter auf Uterushöhe zu tragen.Weiterhin sollten werdende Mütter keine Lagerungstätigkeiten sowie nach Ablauf des fünften Schwangerschaftsmonats keine stehenden Tätigkeiten über vier Stunden vornehmen. Vielmehr muss ihnen eine Liege- bzw. Sitzgelegenheit zur Verfügung gestellt werden, sodass sie sich bei Bedarf ausruhen können. Auch sollten schwangere Frauen lediglich bei elektiven Eingriffen tätig und Notfalleingriffe sowie anstrengende, längere Operationen vermieden werden. Hier ist vor allem die Organisation des Arbeitgebers hinsichtlich der Einteilung von genügend Personal gefragt. Es muss bedacht werden, dass die Schwangere aufgrund Unwohlseins spontan ausfallen könnte, sodass jederzeit ein chirurgischer Backup vorzuhalten ist.

3. Arbeitsplatzwechsel

Wenn die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und Schutzvorkehrungen nicht möglich oder wegen des nachweislichen Aufwandes dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist, kann der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 MuschG-E einen Arbeitsplatzwechsel vornehmen. Im operativen Bereich wird schwangeren Ärztinnen dann regelmäßig das Führen von Aufklärungsgesprächen bzw. das Abfassen von Arzt- und Entlassungsbriefen sowie anderen Schreibarbeiten aufgetragen.

4. Beschäftigungsverbot

Erst wenn auch ein solcher Arbeitsplatzwechsel nicht möglich oder für den Arbeitgeber nicht zumutbar ist, darf werdenden Müttern nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG-E ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden. Die Freistellung von der Arbeit ist daher immer nur als ultima ratio in Betracht zu ziehen und darf nicht zur Regel werden.Das Mutterschutzrecht unterscheidet zwischen generellen und individuellen Beschäftigungsverboten. Während individuelle Beschäftigungsverbote nach § 15 MuSchG-E in jedem Fall durch ein ärztliches Zeugnis bestätigt und nur dann ausgesprochen werden dürfen, wenn die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist, knüpfen generelle Beschäftigungsverbote an die Arbeitsumstände an und werden unabhängig von einem konkreten, individuellen Risiko ausgesprochen. Bei einem Beschäftigungsverbot aufgrund der besonderen Gefährdungslage im OP handelt es sich daher regelmäßig um ein generelles Beschäftigungsverbot. Ein individuelles Arbeitsverbot ist hingegen zu erteilen, wenn die Schwangere beispielsweise eine Zeitlang nur liegen darf oder sich wegen hoher Arbeitsbelastung besonders schonen muss.
Schwangerschaft während der Weiterbildungszeit

Operativ tätige Frauen, die während der Weiterbildungszeit schwanger werden, haben häufig Schwierigkeiten, die notwendigen Weiterbildungsinhalte zu erfüllen. Grundsätzlich ist auch die Schwangerschaft auf die Weiterbildungszeit anzurechnen. Aus diesem Grund sollten schwangere Weiterbildungsassistentinnen ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Chefarzt führen, um den Stand der Weiterbildung festzuhalten und die Inhalte der weiteren Weiterbildungszeit hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit zu besprechen. Hierbei kann herausgestellt werden, welche Inhalte trotz der Schwangerschaft noch möglich sind bzw. in den der Elternzeit folgenden Zeitraum verschoben werden müssen.

Fazit

Aufgrund der vielseitigen Möglichkeiten, den OP-Betrieb für schwangere Chirurginnen sicher zu gestalten, können schwangere Chirurginnen operative Eingriffe oftmals während der gesamten Schwangerschaft durchführen. Sobald der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwangerschaft erhält, muss er die potenzielle Gefährdungslage fachbezogen beurteilen und alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um unverantwortbare Gefährdungen für die werdende Mutter und ihr Kind auszuschließen. Erst wenn ein Ausschluss solcher Gefährdungen und ein Arbeitsplatzwechsel nicht möglich bzw. zumutbar sind, darf der Arbeitgeber im Ausnahmefall ein Beschäftigungsverbot gegenüber der Schwangeren aussprechen. Insofern wird künftig ein noch stärkeres Augenmerk auf die Abwägung zwischen Gesundheitsschutz von Mutter und Kind sowie dem Recht auf Fortführung der Erwerbstätigkeit gelegt werden müssen. Grundsätzlich muss berücksichtigt werden, dass der Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen die betroffenen Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht benachteiligen und insbesondere die Richtlinien zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen nicht beeinträchtigen darf. Daraus folgt, dass an die Möglichkeit der Umgestaltung der Arbeitsplatzbedingungen hohe Anforderungen gestellt werden und ein hoher organisatorischer und wirtschaftlicher Aufwand nicht per se eine Unzumutbarkeit begründen kann.

Kuball L. / Wienke A. Schwanger im OP. Passion Chirurgie. 2016 Dezember, 6(12): Artikel 04_08.

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