01.11.2024 Safety Clip
Safety Clip: Verwechslung von Gewebeproben
Geschätzte 250.000 Proben von medizinischen Untersuchungsmaterialien werden täglich in Deutschland versandt: zwischen medizinischen Einrichtungen unterschiedlicher Art, auf verschiedene Weise und über unterschiedliche Transportwege. Dabei durchläuft das (verpackte) Untersuchungsmaterial viele Stationen und geht durch viele Hände. Das Risiko für Fehler steigt mit jeder Station.
Überall, wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Geht es aber um das Leben und die Gesundheit anderer, sollte das Risiko für Fehler von vornherein so klein wie möglich gehalten werden. Das gilt besonders für die Arbeit im Krankenhaus, in der Praxis sowie in der Pathologie, damit es nicht wie in dem nachfolgenden Fall zu einer folgenschweren Verwechslung einer Gewebeprobe kommt.
Der Schadenfall
Der Patient stellt sich mit einem Rezidiv einer Urachusfistel im Krankenhaus vor. Die dort entnommene Gewebeprobe wird zur feingeweblichen Untersuchung an die Pathologie eines auswärtigen Krankenhauses versendet. Das Ergebnis der Untersuchung ist die Diagnose eines manifestierten papillären Karzinoms. Die Pathologen des auswärtigen Krankenhauses ziehen jedoch gleichzeitig in Betracht, dass es sich um verschlepptes Gewebematerial handeln könnte, also Gewebe, das nicht zum Patienten gehört, ein sogenannter „Schwimmer“.
Das behandelnde Krankenhaus teilt dem Patienten jedoch die Diagnose als endgültig mit. Es rät zu einer Zystoskopie mit anschließender Blasenresektion. Nach einer weiteren MRT-Untersuchung in einem dritten Krankenhaus wird der Patient operiert. Nach der Operation teilt die Pathologie in einem Bericht mit, dass die seinerzeitige Gewebeprobe nicht von dem Patienten stamme und somit die Operation nicht erforderlich gewesen sei.
Mögliche Fehlerstellen
Auf Anhieb wird deutlich, dass es hier vier „Stellen“ gibt, an denen Fehler unterlaufen können:
- im Krankenhaus bei der Zuordnung des entnommenen Gewebes,
- im Krankenhaus beim Versenden der Proben,
- in der Pathologie bei der Entgegennahme des Gewebematerials,
- in der Pathologie bei der eigentlichen Untersuchung/Prüfung.
Sachgerechte Klassifizierung
Um mit einer Gewebeprobe fehlerfrei zu verfahren, ist die sachgerechte Klassifizierung des Gewebes der grundlegende Schritt. Das klassifizierte Gewebe wird einer UN-Nummer zugeordnet, nach der sich die Wahl der Verpackung richtet. Diese UN-Nummer bestimmt alle weiteren beim Transport einzuhaltenden Vorschriften.
Infektionserreger sowie die Materialien, in denen sie enthalten sind, werden vereinfachend in die gefahrgutrechtlichen Kategorien A und B eingeteilt. Die Kategorisierung erfolgt aufgrund ihres Gefährdungspotenzials, das im Wesentlichen auf ihrer Pathogenität und Infektiosität beruht.
Zur Kategorie B gehören Patientenproben mit Verdacht auf Erreger vergleichsweise weniger gefährlicher Infektionskrankheiten. Sie sind als UN-Nummer 3373 „Biologischer Stoff, Kategorie B“ zu klassifizieren und sind nach der Verpackungsanweisung P 650 zu verpacken, also in einem transparenten Patientenprobenbeutel. Die gewissenhafte Einhaltung dieser Anweisung stellt diese Proben von den übrigen Anforderungen des europäischen Gefahrgutabkommen ADR (Europäisches Übereinkommen zur internationalen Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße) frei; dazu gehören zum Beispiel Anforderungen an die Ausbildung der Fahrer und Ausrüstung der Transportfahrzeuge. Zu den Proben, die in diese Kategorie B einzuordnen sind, zählt insbesondere das hier behandelte Biopsiematerial zur Feststellung einer Krebserkrankung.
Richtige Verpackung
Die Verwendung des Patientenprobenbeutels transparent UN 3373 hat den Vorteil, dass die Sendungsverfolgung beim Probentransport leicht möglich ist. Denn zum einen sind die Beutel fortlaufend nummeriert, zum anderen haben sie einen Barcode. Zusätzlich kann auf der Rückseite der Sicherheitstasche eine Dokumententasche zur Aufnahme von Begleitpapieren oder Laborkarten aufgesetzt werden.
Die „Regelungen für die Beförderung von gefährlichen Stoffen und Gegenständen – Brief National“, die seit dem 1. Juli 2010 gelten, legen fest, dass freigestellte medizinische Proben in starrer oder flexibler Außenverpackung (Versandhülle) als Großbrief, Maxibrief oder als Päckchen befördert werden dürfen. Sie müssen allerdings als „Freigestellte medizinische Probe“ gekennzeichnet und in einer Dreifach-Verpackung nach Absatz 2.2.62.1.5.6. ADR verpackt sein. Eine Dreifach-Verpackung umfasst ein wasserdichtes Primärgefäß (zum Beispiel Monovette, Schraubröhrchen), eine wasserdichte Sekundärverpackung und eine ausreichend feste Außenverpackung (mindestens 100 mal 100 Millimeter). Grundsätzlich müssen medizinische Untersuchungsmaterialien so verpackt sein, dass sie allen üblicherweise beim Transport auftretenden Belastungen standhalten und jegliches Freisetzen des Inhalts verhindern.
Abb. 1: Kennzeichnungs-, Verpackungs- und Beförderungsrichtlinien für den Transport von Gewebeproben nach ADR Quelle: Robert-Koch-Institut www.rki.de/DE/Content/Infekt/Biosicherheit/Probentransport/Probentransport_inhalt.html
Abb. 2: Beispiele von Versandstücken für Gewebeproben; Quelle: Zentrum für Virologie, Medizinische Universität Wien https://viro.meduniwien.ac.at/informationen-fuer-patientinnen-und-zuweiserinnen/diagnostik/lagerung-transport-und-kennzeichnung/
Maßnahmen zur Sicherung der Abläufe
Seitens des OPs oder der Funktionsabteilung ist eine Prozessbeschreibung „Versorgung von Gewebeproben“ zu erstellen, um Fehler im Umgang mit Gewebeproben schon im Vorfeld zu eliminieren.
Im Rahmen dieser Prozessbeschreibung müssen folgende Punkte berücksichtigt werden:
- eindeutige Identifikation des Patienten und der Gewebeprobe,
- Beschriftung der Probe unter Angabe des OP-Gebiets (Herkunft der Probe),
- ausreichende Angaben auf dem Histologiebegleitschein,
- Verpackung und Transport der Gewebeprobe nach UN 3373 an das zuständige Labor,
- Rücklauf des schriftlichen Befundes.
Vonderhagen K: Safety Clip: Verwechslung von Gewebeproben. Passion Chirurgie. 2024 November; 14(11): Artikel 04_02.
Autor des Artikels
Klaus Vonderhagen
RisikoberaterGRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbHEcclesiastr. 1-432758Detmold kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
01.06.2014 Fachübergreifend
Safety Clip: Mangelernährung – Schaden- und Risikoprävention mit berufsgruppenübergreifenden Screening-Verfahren
S. Federhen Mangelernährung tritt bei der Behandlung komplex kranker Patienten
01.05.2014 Qualitätssicherung
Safety Clip: Neues nationales Gesundheitsziel Patientensicherheit
Mit ihren Empfehlungen forderte die Europäische Union 2009 die Mitgliedsländer
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.