01.01.2011 Fehlermanagement
Safety Clip: Fehler und Risiken der Thromboseprophylaxe
In der täglichen Praxis der Bearbeitung von Schäden im Zusammenhang mit Behandlungsfehlervorwürfen begegnet man regelmäßig auch dem Thema der Thromboseprophylaxe. Typischerweise wird nach Auftreten einer Thrombose die Behauptung aufgestellt, dass trotz Notwendigkeit keine medikamentöse Prophylaxe eingeleitet oder diese zu früh beendet worden sei. Diese fehlerhafte Maßnahme sei Grund für die Ausbildung der Thrombose. Im Rahmen einer sich anschließenden Auseinandersetzung ist mit gutachterlicher Hilfe den Fragen nachzugehen, ob das Thromboserisiko richtig eingeschätzt wurde, hieraus die angemessenen Konsequenzen für eine hinreichende Prophylaxe gezogen wurden oder auch für eine ausreichende Dauer der Einnahme blutverdünnender Medikamente gesorgt wurde. Die gezielte Auswertung solcher Schadenfälle kann deshalb Erkenntnisse über typische Risiken und Fehler im Umgang mit der Thromboseprophylaxe bringen.
Wir haben als Versicherungsmakler, der sich intensiv mit der Bearbeitung solcher Schäden befasst, eine entsprechende Auswertung vorgenommen. Grundlage der Auswertung sind die Daten aus einem Pool von ca. 240 Krankenhäusern mit der Besonderheit, dass diese Häuser bereits seit 1996 kontinuierlich unverändert betreut werden und somit eine ununterbrochene Datenerhebung möglich ist. Aus diesem Datenbestand konnten 133 Schäden ermittelt werden, bei denen der eingetretene Schaden in dem Auftreten einer Thrombose lag.
Vergleicht man das Alter der Geschädigten der „Thrombose-Schäden“ mit den Schäden des Gesamtbestandes, so zeigt sich eine leichte Verschiebung zu jüngeren Patienten bei der untersuchten Thematik.
Ein entsprechender Vergleich zur Verteilung des Geschlechts zeigt eine größere Bedeutung der Problematik bei Frauen.
Ein Blick auf die Fachrichtungen zeigt, dass das Thema Thromboseprophylaxe in der Allgemeinchirurgie und Urologie unterpräsentiert und in der Gefäßchirurgie überrepräsentiert ist.
Neben den rein statistischen Aussagen ergeben sich Erkenntnisse vor allen Dingen aus der Analyse einzelner Schadenfälle. Drei typische Fallkonstellationen sind dabei besonders aufgefallen.
Einschätzung des Thromboserisikos
Beispiel 1
Eine 22jährige Patientin wird aufgrund einer Pneumonie sechs Tage stationär behandelt. Im Krankenhaus wird die Notwendigkeit einer medikamentösen Prophylaxe verneint. Aufgrund der Adipositas, der Einnahme von Kontrazeptiva, Teilimmobilisierung und Pneumonie war jedoch eine medikamentöse Prophylaxe erforderlich.
Beispiel 2
Nach einer Nierenbeckenplastik tritt bei der Patientin eine Thrombose auf. Die Ärzte hatten sich gegen eine medikamentöse Prophylaxe entschieden. Dass die Patientin vier Jahre zuvor bereits eine Thrombose erlitten hatte, war nicht abgefragt bzw. nicht in den Krankenunterlagen vermerkt worden.
Risiken und Fehlerquellen
- Nicht alle Risikofaktoren sind bekannt.
- Beachtung der einzelnen, bekannten Risikofaktoren und hinreichend strukturierte Zusammenfügung und Bewertung.
Fortsetzen der Prophylaxe nach Entlassung
Beispiel 3
Eine 34jährige Patientin entbindet mittels Kaiserschnitt. Zur Frage der Thromboseprophylaxe wird extra ein Konsil abgehalten. In den Krankenunterlagen wird vermerkt: „Thromboseprophylaxe post partum sechs Wochen“. Die Patientin erhält weder einen Hinweis noch ein Rezept. Im Entlassungsbericht findet sich ebenfalls kein Hinweis auf die Notwendigkeit der medikamentösen Prophylaxe.
Beispiel 4
Ein 33jähriger Patient wird nach einem Arbeitsunfall arthroskopiert und erhält während des stationären Aufenthaltes medikamentöse Prophylaxe. Die stationäre Reha schließt sich übergangslos an. Im Zwischenbericht wird auf die Notwendigkeit der Prophylaxe hingewiesen. Der Patient verstirbt in der Reha an Herzkreislaufversagen aufgrund einer Lungenembolie. Der Staatsanwalt stellt fest, dass der Zwischenbericht in der Reha nicht vorlag und deshalb die Prophylaxe unterblieb.
Risiken und Fehlerquellen
- Die richtige Erkenntnis führt nicht zu den notwendigen Maßnahmen.
- Informationsweg vom richtig erkennenden Arzt zum Patienten bzw. Weiterbehandler.
Selbstmedikation nach ambulantem Eingriff
Beispiel 5
Aufgrund eines Knieschadens erfolgt ambulant eine Arthroskopie. Ein Rezept für die medikamentöse Prophylaxe wird dem Patienten überreicht. Er erleidet eine Thrombose im linken Unterschenkel. Es stellt sich heraus, dass er die Selbstmedikation nicht vorgenommen hat.
Beispiel 6
Nach einer ambulanten Metallentfernung im Fuß wird der Patient mit Schiene und Gehstützen entlassen. Im OP-Protokoll ist vermerkt: „0,3 Fraxiparin 1 x tägl. s. c.“. Weder erhält er einen Hinweis darauf noch entsprechende Spritzen oder ein Rezept.
Risiken und Fehlerquellen
- Keine Kontrolle über die Compliance des Patienten.
- Notwendigkeit einer Prophylaxe wird erkannt. Es wird jedoch nicht danach gehandelt. Die Information erreicht den Patienten nicht.
Aus den beispielhaft dargestellten Schadenfällen lassen sich – wie vorstehend erfolgt – Erkenntnisse über typische Risiken ableiten. Diese können sich im klinischen Alltag jederzeit verwirklichen. Es ist deshalb sinnvoll, sich mit der Frage zu befassen, wie die erkannten Risiken minimiert werden können, was wir nachfolgend getan haben.
Handlungsempfehlungen
- strukturierte Risikoeinschätzung bei Aufnahme
- Entwicklung und Einführung eines Risikoscores analog der Dekubitusprophylaxe
- poststationäre Thromboseprophylaxe als Pflichtbestandteil im Entlassungsgespräch
- direkte Information über poststationäre Prophylaxe des Weiterbehandlers
- bei ambulanten Eingriffen intensive Anleitung des Patienten, erste Selbstapplikation unter Aufsicht, Mitgabe eines Merkblattes, Ausstellen eines Rezeptes, Mitgabe von Spritzen
Jaklin J.: Fehler und Risiken der Thromboseprophylaxe. Passion Chirurgie 01/2011, 03_01
Autor des Artikels
Johannes Jaklin
Fachanwalt für MedizinrechtLeiter Abteilung Schaden KrankenhausEcclesia Versicherungsdienst GmbHEcclesiastraße 1-432758Detmold kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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