Zurück zur Übersicht

Herausforderungen/Status quo

Der Personalmangel im deutschen Gesundheitswesen stellt dieses vor große Herausforderungen. „Die Verknappung der Ressource Personal wird zu weiteren einschneidenden Veränderungsprozessen in der Patientenversorgung führen, die auch die Kooperationsformen von allen Gesundheitsfachberufen weiter verändern werden.“ Das sagte Dr. Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, anlässlich der 36. Konferenz der Fachberufe im Gesundheitswesen am 29. Mai 2024 in Berlin. Bundesweit existieren bei circa 58 Prozent der Krankenhäuser Stellenbesetzungsprobleme im Ärztlichen Dienst. Die Anzahl der Ärzte wird in den nächsten Jahren durch vermehrten Renteneintritt der Babyboomer-Generation sinken. Gleichzeitig arbeiten immer mehr Ärzte in Teilzeit und stehen dem Gesundheitswesen nur noch im eingeschränkten Umfang zur Verfügung. Bereits 2030 ist mit einer prognostischen Lücke im ärztlichen Dienst von circa 33 Prozent aller deutschlandweit zu besetzenden Stellen zu rechnen. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen wird in der Zukunft jedoch aufgrund von steigender Morbidität in der Bevölkerung steigen.

Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, wird eine Erhöhung der staatlich geförderten humanmedizinischen Studienkapazitäten um 5.000 zusätzliche Studienplätze gefordert. Dies ist jedoch teuer, kurzfristig schwierig umsetzbar und als isolierter Lösungsansatz ungeeignet.

Lösung

Die knappe Ressource Personal muss effizienter eingesetzt werden. Das kann etwa durch die Neustrukturierung der Aufgaben- und Verantwortungsverteilung innerhalb und zwischen den Gesundheitsberufen geschehen. Durch die Delegation ärztlicher Tätigkeiten bestehen erhebliche Entlastungs- und Rationalisierungspotenziale mit Blick auf den Ärztemangel. Kostenersparnisse sind dadurch auch möglich. Die Delegation ist im Klinikalltag bereits die gelebte Praxis. Im Jahr 2008 delegierten circa 38,2 Prozent der Krankenhäuser ärztliche Tätigkeiten.

Die Sorge, mehr Delegation führe zu einem Abbau von Arztstellen, ist unbegründet, so Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Es gehe nicht um den Ersatz von Ärzten, sondern um ein anderes Arbeiten im Team, sagt Dr. Volker Schrage, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Langfristig müsse aus der eigentlichen ärztlichen Leistung eine Teamleistung unter Verantwortung des Arztes werden.

Einschränkend sei allerdings erwähnt, dass eine umfassende Delegation ärztlicher Tätigkeiten einen längeren zeitlichen Vorlauf erfordert, um ausreichend Personal verfügbar zu haben, das ärztliche Tätigkeiten übernehmen kann. Zudem wird die Auffassung vertreten, der Rechtsrahmen der Delegation sei ein Hindernis. Viele Ärzte in der Praxis seien daher zögerlich.

Rechtsrahmen

Dieser Beitrag soll zeigen, dass ein solches Zögern unbegründet ist. Der rechtliche Rahmen der Delegation lässt sich hinreichend bestimmen.

Der Begriff der Delegation ist zwar gesetzlich nicht definiert. Darunter wird jedoch allgemein die Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten aufgrund einer Anordnung von einem Arzt auf andere Berufsgruppen verstanden. Die Delegation kann an nicht-ärztliche Mitarbeiter (sogenannte vertikale Arbeitsteilung) oder an andere Ärzte (sogenannte horizontale Arbeitsteilung) erfolgen. Im Folgenden wird nur die vertikale Arbeitsteilung behandelt.

Die Möglichkeit einer Delegation ist vom Gesetzgeber und von der Rechtsprechung anerkannt. Eine allgemeine Rechtsgrundlage, die die Voraussetzungen einer Delegation regelt, fehlt. Es existiert zudem keine gerichtliche Entscheidung, die sich in der Art und Weise so mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Delegation befasst, dass diese als Maßstab zur grundsätzlichen Beurteilung einer Zulässigkeit herangezogen werden kann.

Die Bundesärztekammer (BÄK) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) verfassten 2008 jedoch eine Stellungnahme zu den sogenannten „Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen“. In dieser findet sich eine Zusammenstellung delegierbarer ärztlicher Leistungen. Diese Stellungnahme hat keine Rechtskraft. Gleichwohl entfaltet sie eine große praktische Bedeutung: Ist nach der Stellungnahme eine ärztliche Leistung nicht delegierbar, dann wird dadurch nicht zwangsläufig der Facharztstandard unterschritten. In einem etwaigen Arzthaftungsprozess hat der Richter dies grundsätzlich mithilfe eines Sachverständigen festzustellen. Dieser wird sich dann mit den ärztlichen Leitlinien und eben dieser Stellungnahme auseinandersetzen. Der Behandler wird infolgedessen darzulegen haben, warum in seinem Fall die Abweichung der Stellungnahme gerechtfertigt gewesen sein soll. Eine Orientierung an der Stellungnahme ist daher geboten.

Delegierbare Leistungen

Fraglich ist, welche ärztlichen Leistungen delegierbar sind. Zu den Leistungen, die nicht an nicht-ärztliches Personal delegiert werden dürfen, zählen diejenigen, bei denen der Gesetzgeber die Leistungserbringung Ärzten ausdrücklich vorbehält (Arztvorbehalt). Normierte Arztvorbehalte finden sich etwa in § 48 AMG (Verschreibung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln), §§ 8 ff. TPG (Entnahme von Organen und Geweben bei lebenden Spendern) oder § 4 HebG (Leistung von Geburtshilfe neben Hebammen).

Ferner darf der Kernbereich medizinischer Behandlungsmaßnahmen nicht auf nicht-ärztliches Personal delegiert werden. Die BÄK und die KBV definieren diese als: „Leistungen oder Teilleistungen, die der Arzt wegen ihrer Schwierigkeit, ihrer Gefährlichkeit für den Patienten oder wegen der Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen unter Einsatz seiner spezifischen Fachkenntnis und Erfahrung höchstpersönlich erbringen muss.“ Nicht delegierbare ärztliche Kernleistungen sind etwa die Anamnese, Indikationsstellung, Untersuchung, Diagnose, Aufklärung und Beratung des Patienten, Therapieentscheidung und Durchführung invasiver Therapien, einschließlich operativer Eingriffe. Da ärztliche Kernleistungen nicht delegierbar sind, ist eine Delegation auch dann ausgeschlossen, wenn nicht-ärztliches Personal im Einzelfall tatsächlich über ausreichend Erfahrung und fachliche Kompetenz zur Übernahme der Tätigkeit verfügt.

Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungspflicht

Kommt der Arzt zu dem Ergebnis, dass die beabsichtigte Maßnahme an sich delegiert werden kann, treffen ihn verschiedene Pflichten. Der Arzt muss insbesondere geeignetes Personal aussuchen, anleiten und überwachen (Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungspflicht).

Der Arzt ist zunächst verpflichtet, die fachliche Eignung des Personals zu überprüfen (Auswahlpflicht). Der Abschluss einer entsprechenden Ausbildung reicht allein nicht für die Feststellung der Qualifikation zur Übernahme einer ärztlichen Tätigkeit. Ihr kommt aber eine Indizwirkung dahingehend zu, dass die in der Ausbildung vermittelten Inhalte beherrscht werden. Der delegierende Arzt kann sich daher darauf beschränken, beim erstmaligen Einsatz zu überprüfen, ob die materielle Qualifikation der formellen Qualifikation entspricht.

In einem zweiten Schritt ist der Mitarbeiter in Abhängigkeit von seiner Qualifikation anzulernen (Anleitungspflicht). Nachdem sich der Arzt davon überzeugt hat, dass der Mitarbeiter die durchzuführende Leistung beherrscht, muss die Durchführung überwacht werden (Überwachungspflicht). Eine bloße nachträgliche Erfolgskontrolle des Heilerfolgs genügt nicht. Dabei hängt das Maß der Überwachung von der (materiellen) Qualifikation des nicht-ärztlichen Personals und der Gefährlichkeit der Maßnahme ab. Sofern ein Mitarbeiter bereits durch einen anderen Arzt angeleitet wurde, darf der delegierende Arzt eher von einer regelmäßigen Überwachung zu einer stichprobenartigen Überprüfung übergehen. Bei Berufsanfängern sind die Überwachungspflichten besonderes hoch. Mit wachsender Berufserfahrung hingegen kann die Intensität der Kontrollmaßnahmen gesenkt werden.

Sonstige Pflichten und Folgen bei Nichteinhaltung

Der delegierende Arzt ist zudem verpflichtet, sich grundsätzlich in unmittelbarer Nähe aufzuhalten (Rufweite). Bei Leistungen mit geringem Gefährdungspotenzial genügt es, wenn der Arzt telefonisch erreichbar ist und kurzfristig erscheinen kann.

Eine rechtliche Verpflichtung, dass delegierte Leistungen nur auf schriftliche ärztliche Anordnung hin ausgeübt werden dürfen, besteht nicht. Eine derartige Pflicht würde den Zielen der Delegation, Kostenersparnis und Arbeitserleichterung widersprechen. Aus den berufsrechtlichen Dokumentationspflichten ergibt sich nichts Anderes. Jedoch ist es ratsam, aus Beweissicherungsgründen, die Delegation zu dokumentieren. Eine gesonderte Aufklärung über die Delegation ist nicht erforderlich, denn eine Delegation ist nur zulässig, wenn der Facharztstandard eingehalten und keine Risikoerhöhung beim Patienten eintritt. Dennoch wird eine solche Aufklärung empfohlen.

Die Delegation stellt einen Behandlungsfehler dar, wenn keine entsprechende Auswahl, Anleitung und Überwachung erfolgen und der Arzt sich nicht in Rufweite aufgehalten hat. Werden Aufgaben übertragen, denen der nachgeordnete Mitarbeiter nicht gewachsen ist, haftet neben dem Arzt regelmäßig auch der Mitarbeiter unter dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens.

Weitere Empfehlungen

Unter Beweissicherungs- und Transparenzgründen ist es sinnvoll, Prozessabläufe und Standards zu installieren, die den Delegationsablauf regeln. Das kann etwa mithilfe von Checklisten, Prozessbeschreibungen, klaren und umfassenden Verfahrensregelungen und Dienstanweisungen geschehen.

Sofern abstrakte Regeln zur Delegation implementiert werden sollen, ist zunächst zu ermitteln, was in den jeweiligen Abteilungen eines Krankenhauses tatsächlich an Leistungen delegiert wird (Analyse des Ist-Zustandes). Es ist ein Überblick über die tatsächlichen Geschehensabläufe zu verschaffen.

Dann ist festzulegen, welche Leistungen grundsätzlich als delegierbar erachtet werden. Orientierungshilfen bieten hier die medizinischen Leitlinien und die bereits genannte Stellungnahme der BÄK und KBV. Da diese keine Rechtskraft haben, kann von diesen abgewichen werden, wenn dies medizinisch vertretbar ist. Bezüglich der Auswahlpflicht ist es ratsam, bei der Delegation auf standardisierte Qualifizierungen aufzubauen und die erworbenen Qualifikationen regelmäßig zu kontrollieren.

Betreffend der Anleitungspflicht braucht es klare Anweisungen, in welchen Situationen ein Arzt hinzugezogen werden müsse. „Was trauen Sie sich zu? Was würden Sie lieber lassen? Und was würden Sie sich nach einer Fortbildung noch zutrauen?“ Das sind Fragen, die diskutiert werden sollten, wenn überlegt wird, welche Leistungen delegierbar sind. Es ist auch generell festzulegen, ob und falls ja, welche (auch internen) Schulungsmaßnahmen notwendig werden, um die (geeigneten) Mitarbeiter anzuleiten.

Weiterhin hat der delegierende Arzt die Durchführung der delegierten Aufgabe zu überwachen. Dazu gehört auch, dass die erlernten Fähigkeiten überprüft beziehungsweise nachgeholt werden müssen (Nachschulungen).

Fazit

Der Personalmangel im deutschen Gesundheitswesen ist eine der großen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Die vermehrte Delegation ärztlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztliches Personal ist hierbei eine von mehreren möglichen Lösungen. Der geltende Rechtsrahmen ist kein Hindernis. Die Stellungnahme der BÄK und der KBV von 2008 kann als Maßstab dienen. Sie regelt, welche Leistungen delegiert werden können und welche nicht. Welche Pflichten dann den delegierenden Arzt treffen, ist hinreichend bestimmt und umschrieben. Die Erfüllung dieser Pflichten ist durch Installation gewisser Standards und Kontrolle der Einhaltung ebendieser möglich. Zögerliches Verhalten ist hier unbegründet. Vielmehr kann der Arzt in Deutschland „etwas wagen“ und auch Leistungen delegieren, die bislang noch nicht alle ärztlichen Kollegen delegieren, solange er dabei sorgfältig vorgehe, so Prof. Dr. jur. Karsten Scholz, Leiter der Rechtsabteilung der Bundesärztekammer.

Literatur

[1]   Bergmann, Karl Otto, Zulässigkeit der Übertragung von Injektionen auf nicht ärztliches Fachpersonal, GesR 2010, 119-122.
[2]   Blum, Karl/Löffert, Sabine, Ärztemangel im Krankenhaus – Ausmaß, Ursachen, Gegenmaßnahmen, 2010.
[3]   Bundesärztekammer, Resolution zur Delegation, Positionspapier der Bundesärztekammer v. 23.2.2012.
[4]   Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen, 2008.
[5]   Jorzig, Alexandra (Hrsg.), Handbuch Arzthaftungsrecht – Fehlerkategorien – Schadensregulierung – Mandats- und Verfahrensgestaltung – Praxistipps, 2. Auflage, Heidelberg 2021.
[6]   Naujoks, Jocelyne, Arbeiten auf Augenhöhe, Rheinisches Ärzteblatt, Heft 10/2021.
[7]   Pauge, Burkhard/Offenloch, Thomas/Gödicke, Patrick, Arzthaftungsrecht – Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung, 15. Auflage, Köln 2021.
[8]   Remmert, Jens/Gokel, Julia, GKV-Kommentar SGB V Online, 66. Lieferung, 7/2024.
[9]   Rieger, Hans-Jürgen (Hrsg.)/Dahm, Franz Josef/Katzenmeier, Christian/Stellpflug, Martin H./Ziegler, Ole, Heidelberger Kommentar Arztrecht Krankenhausrecht Medizinrecht, 97. Lieferung, 6/2024.
[10] Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Pflege, Fachkräfte im Gesundheitswesen – Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource, 2. Auflage (2024).
[11] Weiß, Rüdiger, Reichweite und Grenzen der Delegationsfähigkeit ärztlicher Leistungen auf Nichtärzte im Krankenhaus, GesR 2015, 262-268.

Riesenbeck H: Safety Clip: Delegation ärztlicher Tätigkeiten an nicht-ärztliches Personal: Anforderungen, Risiken und Vermeidung.
Passion Chirurgie. 2024 Oktober; 14(10): Artikel 04_03.

Autor des Artikels

Profilbild von Henry Riesenbeck

Henry Riesenbeck

Schadenregulierer PersonenschadenUnternehmensbereich SchadenEcclesia Holding GmbHEcclesiastraße 1-432758Detmold kontaktieren

Weitere Artikel zum Thema

PASSION CHIRURGIE

Passion Chirurgie: Kinder- und Jugendchirurgie

In der heutigen Ausgabe spielen die aktuellen Entwicklungen der Kinder-

Passion Chirurgie

Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!

Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.