13.12.2018 Politik
Qualität in der Medizin durch Ökonomisierung bedroht
Wertewandel und Umstrukturierungen im Gesundheitswesen zum Wohl der Patienten erforderlich
Ökonomische Ziele dürfen medizinische Entscheidungen nicht unangemessen beeinflussen. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) forderte im Rahmen ihres „Berliner Forums“ am 28. November, die Bedürfnisse der Patienten wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Eine gute Patient-Arzt-Beziehung im Sinne der gemeinsamen Entscheidungsfindung sei für eine erfolgreiche Versorgung unverzichtbar und daher zu stärken. Darüber hinaus sei es notwendig, Strukturen zu verändern. In einer aktuellen Stellungnahme zu „Medizin und Ökonomie“ nennt die AWMF verschiedene Ansatzpunkte wie die Stärkung der ärztlichen Kompetenz im Rahmen der Krankenhausführung, eine bedarfsorientierte Krankenhausplanung mit Abbau von Überkapazitäten und die patientenzentrierte Anpassung des Fallpauschalen-basierten Vergütungssystems.
Medizin und Ökonomie sind nicht zu trennen. Beeinträchtigen betriebswirtschaftliche Anforderungen jedoch eine evidenzbasierte, patientenorientierte Versorgung, gefährdet das unmittelbar das Patientenwohl. Unter dem ökonomischen Druck in vielen Kliniken werden heute wirtschaftlich lukrative Leistungen in Diagnostik und Therapie häufiger durchgeführt als beispielsweise schlecht vergütete Maßnahmen der „Sprechenden Medizin“. Dabei ist das ausführliche Gespräch mit dem Patienten die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung und ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis. Derzeit werden zeitliche Aufwände für die Kommunikation jedoch kaum im System der Fallpauschalen berücksichtigt. Daher fordern die AWMF und ihre Fachgesellschaften, die sogenannten Diagnosis Related Groups (DRGs) anzupassen. „Künftig müssen zeitliche Aufwände für das Arzt-Patienten-Gespräch, aber auch die Abstimmung mit anderen Fachkollegen in die Berechnung deutlich mehr einfließen“, fordert Professor Dr. med. Rolf Kreienberg, Präsident der AWMF. Das wird immer wichtiger, da Patienten zunehmend mehrfach und chronisch erkrankt sind und eine ganzheitliche Betreuung durch verschiedene Experten benötigen.
Um das zu realisieren, muss sich auch die Rolle von Ärzten und Pflegenden in den Kliniken verändern. Die AWMF fordert eine gemeinsame Krankenhausführung, in der Ärzte und Pflegende mit kaufmännischen Direktoren auf Augenhöhe Entscheidungen treffen. Basis dafür sollte ein Wertemanagement im Krankenhaus sein, das nicht nur an betriebswirtschaftlichen Zielen ausgerichtet ist, sondern medizinische Überlegungen und Patientenorientierung integriert. „Notwendig sind dafür auch Arbeitsbedingungen, die eine qualitativ hochwertige Versorgung gewährleisten“, betont AWMF-Präsidiumsmitglied Dr. med. Manfred Gogol.
Ursache für die teils schwierige Arbeitssituation in den Kliniken ist nicht zuletzt der betriebswirtschaftliche Erfolgsdruck und die dadurch bedingte Mengenausweitung der letzten Jahre. Trotz kürzerer Liegezeiten der Patienten ist die Zahl der Krankenhausbetten nur geringfügig gesunken, die Zahl der Behandlungsfälle hingegen deutlich gestiegen. „Die Zahl der Krankenhausbetten in Deutschland liegen weit über dem Durchschnitt in anderen EU-Ländern oder der OECD – ebenso die Anzahl der Behandlungsfälle“, so Kreienberg. Diese seien jedoch sehr unterschiedlich auf die verschiedenen Fächer verteilt. Eine hohe Bettendichte in einem Fach sei ein Treiber dafür, dass jedes einzelne Krankenhaus immer mehr Fälle durchschleuse. Außerdem geht diese Entwicklung zu Lasten der Qualität: „Kleinere Krankenhäuser führen Eingriffe durch, für die sie weder ausgestattet sind noch die notwendige Erfahrung haben“, warnt Kreienberg. Die AWMF fordert daher von der Politik auf Bundes- und Landesebene, die vielfältigen Aktivitäten der Fachgesellschaften zur qualifizierten Zentrenbildung zu unterstützen. Durch diese Spezialisierung in meist interdisziplinären, sektorenübergreifenden Teams ließe sich bei zahlreichen Krankheitsbildern die Versorgungsqualität nachweislich steigern.
Dazu sei es notwendig, die Krankenhausplanung im Interesse der Patienten am regionalen Bedarf orientiert und sektorenübergreifend auszurichten. Die AWMF forderte am Ende ihres Berliner Forums, dass Politik, Krankenhausmanagement, Selbstverwaltung und Ärzteschaft, die seit vielen Jahren offensichtlichen Fehlentwicklungen im Krankenhaussystem gemeinsam mit Patientenvertretern zeitnah angehen: Nur so seien Über-, Unter- und Fehlversorgung zu bekämpfen. Der gesamte Maßnahmenplan der AWMF mit dem Titel „Medizin und Ökonomie – Maßnahmen für eine wissenschaftlich begründete, patientenzentrierte und ressourcenbewusste Versorgung“ ist hier abrufbar.
Quelle: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Birkenstraße 67, 10559 Berlin, www.awmf.org, 05.12.2018
Weitere Artikel zum Thema
27.03.2020 Krankenhaus
DIVI: „Wir entscheiden nicht nach Alter!“
Deutschlands Notfall- und Intensivmediziner bereiten sich auf die schwerste aller Entscheidungen vor: Welchen Patienten im Fall der Fälle intensivmedizinisch behandeln und welchen palliativmedizinisch versorgen, wenn die Intensivbetten und Ressourcen knapp werden? Noch ist es nicht so weit.
26.03.2020 Corona
COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz
Um den erhöhten Finanzbedarf der Krankenhäuser durch die COVID-19-Pandemie auszugleichen und Liquiditätsengpässe zu vermeiden, wurde am 25.3.2020 das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz vom Bundestag beschlossen. Damit werden einige der belastenden Neuregelungen des MDK-Reformgesetzes für 2 Jahre ausgesetzt, die Leistungen gemäß Pflegepersonalstärkungsgesetz verbessert und weitere finanzielle Zuschüsse ermöglicht.
25.03.2020 Corona
DGCH zum Beschluss, planbare Operationen zu verschieben: Risiko muss Facharzt prüfen!
Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) hat in ihrer Stellungnahme zur Verschiebung planbarer Operationen in der COVID-19 Pandemie Krise deutlich gemacht, dass sie alle Bemühungen unterstützt, die die Ausweitung der Virus- Infektionen verzögern, um alle Ressourcen des Gesundheitssystem zur Behandlung der schweren Krankheitsverläufe zur Verfügung stellen zu können.
16.03.2020 Politik
Hinweise für Einsatzkräfte zum Umgang mit Coronavirus
Auch Beschäftigte von nicht-medizinischen Hilfeleistungsunternehmen und Einsatzkräfte der (freiwilligen) Feuerwehr sind durch die Art ihrer Tätigkeit besonders betroffen von der Ausbreitung des Coronavirus SARS-ScV-2. Wie können sie sich schützen? Was können Feuerwehren und Hilfeleistungsorganisationen tun, um die eigene Arbeitsfähigkeit aufrecht zu erhalten? Eine neue "Fachbereich AKTUELL" der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) fasst Informationen und Hinweise zusammen.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.