07.06.2018 Politik
AWMF-Arbeitskreis diskutiert über Mindestmengen in der Medizin
Patientensicherheit lässt sich durch Erfahrung des OP-Teams verbessern
Es gibt statistische Daten, die einen direkten Zusammenhang zwischen der Anzahl durchgeführter Operationen in einem Krankenhaus und der Qualität der Versorgung aufweisen: Wer mehr Erfahrung mit einem Eingriff hat, behandelt seine Patienten in aller Regel erfolgreicher. Trotzdem ist wissenschaftlich und auch juristisch schwer zu definieren, welche Mindestmenge bei welcher Therapie anzusetzen ist. Über die aktuelle Datenlage und die Auswirkung von Mindestmengen auf die Patientensicherheit sprach der Arbeitskreis „Ärzte und Juristen“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) e.V. bei seinem letzten Treffen.
„Bei Operationen der Bauchspeicheldrüse und der Speiseröhre ließe sich jeder vierte Todesfall vermeiden, wenn höhere, verbindliche Mindestmengen für den behandelnden Arzt und das Krankenhaus gelten und auch durchgesetzt würden“, führte Professor Dr. med. Thomas Mansky, Leiter des Fachgebiets Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen der Technischen Universität Berlin, beim Treffen des AWMF-Arbeitskreises aus. Allerdings könne man Mindestmengen methodisch bedingt nicht ausschließlich wissenschaftlich festlegen, sondern müsse diese über normative Vorgaben, die die wissenschaftlichen Berechnungen ergänzen, definieren – also ähnlich wie bei Geschwindigkeitsbegrenzungen, für die es, bezogen auf die konkrete Höhe, im Einzelfall auch keine wissenschaftliche Evidenz gibt. Gelten müssten diese Mindestmengen dann sowohl für den behandelnden Arzt als auch für alle Behandlungsteams. Denn entscheidend sei nicht nur die Erfahrung des Operateurs, sondern die des gesamten Behandlungsteams, das bei einem Eingriff Hand in Hand arbeiten und insbesondere bei auftretenden Komplikationen wissen muss, was zu tun ist.
Letztlich ließe sich das jedoch nur durch mehr Zentralisierung im Krankenhauswesen sicherstellen, führte Mansky weiter aus. „Manche Kliniken führen heute komplexe Operationen durch, ohne dafür die notwendige Erfahrung und strukturellen Voraussetzungen mitzubringen“, kritisierte der Internist Mansky. So habe 2014 ein Viertel der deutschen Kliniken weniger als acht Brustkrebspatientinnen im Jahr operiert. Bei Ösophagus-Operationen erfüllten 2015 63 Prozent der operierenden Häuser die eher zu niedrige gesetzliche Mindestmenge von zehn nicht. Selbst bei der Knie-Endoprothesenoperation würden 15 Prozent der Häuser die Mindestmenge von 50 Fällen pro Jahr nicht erreichen. Das zeigt: Selbst wenn Mindestmengen vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorgegeben sind, ist deren Durchsetzung unzureichend. Das könnte unter anderem auch an der juristischen Bewertung liegen. So wies das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 2011 eine Mindestmenge für die Operation von Knieprothesen unter anderem mit der Begründung ab, zwischen OP-Ergebnis und Mindestmenge gebe es keinen kausalen Zusammenhang, allein statistische Befunde reichten nicht aus, was das Bundessozialgericht ein Jahr später bestätigte.
Doch schon „wenn die Studienlage auf ‚wahrscheinliche Zusammenhänge‘ von Qualität und Menge hinweise, seien Mindestmengen-Vorgaben sinnvoll“, betonte der Stellvertretende Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Recht beim G-BA, Dr. jur. Dominik Roters beim AWMF-Treffen. Bislang war gesetzlich ein „besonderer Zusammenhang“ von Menge und Qualität gefordert, was juristisch problematisch gewesen sei. Am 26. März 2018 habe das Bundesministerium für Gesundheit jedoch eine Regelung genehmigt, die in Bezug auf ausgewählte Leistungsbereiche einen „wahrscheinlichen Zusammenhang“ zwischen Behandlungsmenge und Ergebnisqualität der Leistung für ausreichend erachtet. „Wenn es darum geht, die Höhe einer Mindestmenge festzulegen, müsste eine „hinreichende Behandlungsroutine“ gewährleistet sein, um Risiken zu reduzieren und die Patientensicherheit zu erhöhen“, so der G-BA-Jurist. Jedenfalls sei die Höhe der Menge so festzulegen, dass zumindest eine sogenannte Gelegenheitsversorgung ausgeschlossen werde. Krankenhäuser, die diese Menge nicht vorweisen können, dürfen einen Patienten dann auch nicht mehr behandeln.
Mit der neuen Regelung sind weitere Rechtsgrundlagen für Mindestmengen geschaffen – nun komme es auf die Umsetzung an. Im Krankenhausbereich gibt es derzeit Widersprüche zwischen den bundesgesetzlichen Vorgaben für die Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und der Planungshoheit der Länder. Daraus ergeben sich zum Teil Probleme bei der Umsetzung der Mindestmengenbestimmungen. Hinzu kämen, so Professor Dr. Friedhelm Hase, Gesundheits- und Medizinrechtswissenschaftler an der Universität Bremen, tiefsitzende Vorbehalte gegenüber einem primär auf statistisches Wissen gestützten Qualitätsmanagement. Sie ergeben sich aus einem überkommenen juristischen Denken, zumal aus den darin verankerten Kausalitätskonzepten. Ein angemessenes Verständnis der Mindestmengen werde heute aber auch durch ein Grundrechtsverständnis blockiert, für das in jeder sozialversicherungsrechtlichen Regelung schon dann ein Eingriff in die Berufsfreiheit der Leistungserbringer zu sehen sei, wenn sie zum Ausschluss von einer durch die GKV getragenen Krankenbehandlung führen kann. Hase betonte jedoch, dass „Vertragsärzte und Krankenhäuser durch die Zulassung als Leistungserbringer in das krankenversicherungsrechtliche Versorgungssystem eingebunden und dabei an Entscheidungen über die Leistungsansprüche der Versicherten beteiligt“ seien. Sie seien damit auch an die rechtlichen Vorgaben dieses Systems gebunden: Die wichtigste Regel für das Leistungsgeschehen in der GKV laute, dass im Interesse der versicherten Patienten die Versorgungssicherheit – im Einklang mit den gegebenen versorgungswissenschaftlichen Erkenntnissen – bestmöglich zu gewährleisten ist.
Allerdings müsse man aufpassen, so die Experten, dass die Mindestmengen nicht dazu führten, dass sich die Zahl der Eingriffe erhöhe – nur mit dem Ziel, die ausreichende Menge zu erzielen. Mindestmengen für komplexe Therapien sollen ein Instrument sein, um Kompetenzen vermehrt in spezialisierten Zentren zu bündeln. Insbesondere bei geplanten, aufwändigen Prozeduren sollte die stationäre Behandlung in einem Zentrum erfolgen, auch wenn der Patient dafür einen längeren Anfahrtsweg auf sich nehmen muss. Im Interesse der Patientensicherheit und dem besten Ergebnis kann die wohnortnahe Behandlung – wie von der Politik so oft angeführt – nicht alleiniger Maßstab für eine optimale Patientenversorgung sein.
Quelle: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Birkenstraße 67, 10559 Berlin, www.awmf.org, 06.06.2018
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