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Eine Adipositas stellt aufgrund einer durch sie bedingten Erhöhung des intraabdominellen Drucks einen der stärksten Risikofaktoren für verschiedene abdominelle Hernien dar [1]. Da eine Hernien-bedingte Symptomatik oft unspezifisch und eine klinische Untersuchung im Falle einer ventralen Bauchdeckenhernie aufgrund des subkutanen Fettgewebes eingeschränkt sein kann, bleiben diese oftmals unentdeckt. So ist eine Hernie als Zufallsbefund im Rahmen einer bariatrischen OP keine Seltenheit. Während eine präoperativ diagnostizierte Hernie mittels CT genauer eingeschätzt werden und eine OP-Planung präzise erfolgen kann, stellt ein Zufallsbefund Chirurg:innen vor die Frage, inwieweit eine Hernie simultan während des bariatrischen Eingriffs versorgt werden kann bzw. soll.

Auf der einen Seite stehen dabei eine möglichst langfristige Versorgung mit Ersparung eines Zweiteingriffs und einer durch Adipositas sowie deren assoziierte Komorbiditäten risikobehafteten Narkose. Auf der anderen Seite gilt es jedoch, ein Risiko für Komplikationen einer simultanen Hernienreparation (Rezidiv, Infektion, erhöhte Morbidität) so gering wie möglich zu halten.

Im Folgenden soll die Entscheidung einer begleitenden intraoperativen Versorgung bei der primärer Bauchwandhernie, der Narbenhernie sowie bei der Hiatushernie genauer beleuchtet werden.

Primäre Bauchwandhernie, Narbenhernie

Prävalenz und Beschwerden

Bei etwa 8 % der Patient:innen mit einem BMI > 30 findet sich eine primäre ventrale Bauchwandhernie. Auch die Inzidenz für Narbenhernien nach einer Laparoskopie oder Laparotomie ist bei Adipositas deutlich erhöht. In Studien finden sich je nach erfolgter Diagnostik und Nachbeobachtungszeitraum stark unterschiedliche Zahlen: Für Narbenhernien nach einer Laparoskopie werden Prävalenzen von über 20 %, nach Laparotomien sogar bis über 50 % genannt [2].

Die klinischen Symptome dieser Hernien reichen von Schwellungen und Schmerzen bis hin zu den Zeichen einer Inkarzeration. Es können jedoch auch sehr unspezifisch Beschwerden geäußert werden oder die Hernie bleibt asymptomatisch mit einem nachfolgenden intraoperativen Zufallsbefund.

Eine Indikation zur Hernienreparation besteht prinzipiell bei symptomatischen Hernien sowie einer Inkarzerationsgefahr. Während das klinische Beschwerdebild bei einem Zufallsbefund nicht in die Entscheidung mit einbezogen werden kann, sollte das Inkarzerationsrisiko anhand bestimmter Charakteristika eingeschätzt werden. Als Hernien mit niedrigem Inkarzerationsrisiko konnten unter anderem Hernien mit Omentum-haltigem Bruchinhalt sowie kleine oder besonders große Bruchlücken identifiziert werden. Ein erhöhtes Inkarzerationsrisiko besteht hingegen bei Defektgrößen von etwa 2-7 cm [3].

Intraoperativ präsentieren sich primäre ventrale Bauchwandhernien größtenteils mit einem Durchmesser < 4 cm. Aufgrund ihrer Lokalisation eignen sich epigastrische oder umbilikale Hernien für eine simultane Versorgung während einer bariatrischen OP. Narbenhernien weisen hingegen eine erheblich größere Variabilität in Bezug auf die Größe und Lokalisation im Bereich der Bauchdecke auf.

Intraoperatives Vorgehen

Als operative Optionen stehen für beide Hernienarten während eines bariatrischen Eingriffs eine Versorgung mittels Direktnaht oder eine laparoskopische Netzimplantation in IPOM-Position bzw. retroperitonealer Lage zur Verfügung.

Empfehlung

Obwohl zur Thematik Adipositas und Hernienversorgung mehrere große Meta-Analysen und Handlungsempfehlungen existieren, werden dort ausschließlich bereits präoperativ diagnostizierte Bauchwandhernien eingeschlossen. Studien bezüglich intraoperativen Zufallsbefunden, auch im Rahmen anderer laparoskopischer Eingriffe, gibt es hingegen kaum.

So scheint bei der Metanalyse von Lo Menzo et al. eine simultane Versorgung einer Bauchwandhernie während eines bariatrischen Eingriffs vertretbar zu sein, da sich in mehreren Studien keine Häufigkeit der aufgrund einer möglichen intraoperativen Kontamination gefürchteten Netzinfekte im Vergleich zu einem zweizeitigen Verfahren nachweisen ließ [4].

Trotz dieser Erkenntnis ist eine Netzimplantation aus unserer Sicht kaum vertretbar. Obowhl diese bei Adipositas schon bei primären Bauchwandhernien unter 2 cm und bei Narbenhernien unabhängig von der Größe empfohlen wird, können schwerwiegende Komplikationen im Krankheitsverlauf der Patient:innen nicht ausgeschlossen werden, was mit einer Erhöhung der Morbidität einhergeht. Schwer wiegt zudem, dass die wenigsten Patient:innen hierüber aufgeklärt wurden, wenn ein zufallsbefundlich erhobener Bauchdeckendefekt vorliegt.

Aus unserer Sicht ist daher lediglich eine Direktnaht dieser Hernien möglich, auch wenn dabei ein erhöhtes Rezidivrisiko besteht. Empfehlungen, für welche Herniengrößen eine Direktnaht möglich ist, können nicht gegeben werden.

Bei Petermann et al. [5] wird auch auf die Möglichkeit eines zweizeitigen Vorgehens eingegangen. So kann von einer Risikoreduktion durch die anzunehmende Gewichtsabnahme profitiert werden und eine Hernienreparation, ggf. auch im Rahmen einer Abdominoplastik, mit einem optimalen Verfahren durchgeführt werden. Hierbei darf jedoch das bis zur Hernienversorgung weiterhin bestehende Inkarzerationsrisiko nicht außer Acht gelassen werden.

Hiatushernie

Prävalenz und Beschwerden

Adipositas ist ein Risikofaktor zur Ausbildung einer Hiatushernie (HH). Die Prävalenz einer HH wird mit bis zu 40 % der Adipositaspatient:innen angegeben [6]. Obwohl in der klinischen Anamnese häufig keine Beschwerden dokumentiert werden, muss von einer erhöhten Rate an gastroösophagealer Refluxerkrankung (GERD) unter den Adipositaspatient:innen ausgegangen werden.

Zumeist wird ein Verdacht oder die Diagnose HH bereits präoperativ im Rahmen der Ösophagogastroduodenoskopie (OGD) gestellt. Somit kann ein angepasstes OP-Verfahren indiziert und mit dem Patienten/der Patientin besprochen werden.

Der Magenbypass (GB) gilt als antirefluxives Verfahren, während nach Magenschlauchanlage (SG) gehäuft mit Reflux gerechnet werden muss. De-Novo-Reflux bzw. ein Aggravieren der Symptome fand sich in der SM-Boss-Studie bei 31,8 % der Patient:innen nach SG und lediglich bei 6,2 % nach Roux-en Y Gastric Bypass (RYGB) [7].

Eine einheitliche Empfehlung hin zur Anlage eines GB bei Adipositaspatient:innen mit HH kann hieraus jedoch nicht abgeleitet werden. Begleiterkrankungen wie Morbus Crohn, Voroperationen mit zu erwartenden intraabdominalen Adhäsionen, technischen Schwierigkeiten und nicht zuletzt der Patient:innen-Wunsch und die Präferenz des Operateurs/der Operateurin beeinflussen entscheidend die Wahl des Operationsverfahrens.

Um Reflux zu vermeiden, gehen immer mehr Chirurg:innen dazu über, bestehende Hiatushernien intraoperativ darzustellen und bereits im Rahmen der bariatrischen Primäroperation mitzuversorgen.

Intraoperatives Vorgehen

Intraoperativ kann die Hernie bei ausgeprägtem Fettgewebe um die Cardiaregion zunächst gar nicht sichtbar sein. Es sollte die Präparation des gastroösophagealen Übergangs und His-Winkels erfolgen mit Darstellung des Crus laterale des Hiatus oesophagei. Zur Bestätigung einer Hiatushernie erfolgt dann die Präparation des Crus mediale und die dorsale sowie ventrale Darstellung mit Befreien der distalen Ösophagusanteile.

Bei spannungsfreier Lage der distalen 3-5 cm des Ösophagus infradiaphragmal kann die Hiatusplastik erfolgen.

Empfehlung

Es gibt Konsensus über das methodische Vorgehen, aber für eine evidente Empfehlung reicht die Datenlage unseres Erachtens nach derzeit nicht aus.

Kamal Mahawar et al. verglichen in ihrem systematischen Review eine begleitende Versorgung der HH bei SG und RYGB. Hier zeigte sich bei RYGB-Patient:innen kein sichtbarer Unterschied in der Reoperationsrate mit oder ohne HH-Verschluss. Bei der SG hingegen zeigte sich eine höhere Reoperationsrate ein bzw. drei Jahre nach Primäroperation zuungunsten einer begleitenden Versorgung der HH. Beide Operationsvarianten SG und RYGB zeigten zudem ein höheres postoperatives Risiko einer endoskopischen Intervention, wenn die HH intraoperativ mitversorgt wurde [8].

Die Meta-Analyse von Henry Mills et al. konnte zeigen, dass eine begleitende HH-Versorgung mit SG oder RYGB sicher durchgeführt werden kann, ohne die Mortalität zu erhöhen. HH und SG führen zu einer Reduktion der postoperativen GERD. HH und RYGB reduzieren die Gefahr einer Pouchmigration nach intrathorakal [9]. Nach diesen Ergebnissen wird für eine Empfehlung zur intraoperativen Versorgung einer Hiatushernie geschlossen.

Wir schließen uns diesen Ausführungen an, möchten aber bemerken, dass bei präoperativ nach gewiesenem GERD eine erweiterte Diagnostik mittels Manometrie und pH-Metrie durchgeführt werden sollte, um eine bessere Indikationsstellung für den Patienten/die Patientin zu erreichen.

Die Indikation zur Einlage eines Netzes als Verstärkung des Hiatus bei HH als Zufallsbefund ist kritisch bei präoperativ meist ungenügender Aufklärung der Patient:innen.

Zusammenfassung

Bei Narbenhernien und primären ventralen Bauchdeckenhernien ist eine simultane Versorgung der Hernien laut Studienlage zwar möglich, aufgrund von fehlender Diagnostik und meist nicht vorliegender Aufklärung kann keine Empfehlung, vor allem nicht zur Netzimplantation, gegeben werden.

Inwieweit eine Direktnaht bei kleineren Hernien durchgeführt werden kann, ist anhand der Studienlage unklar. Trotz des bestehenden Inkarzerationsrisikos ist ein zweizeitiges Verfahren mit Hernienversorgung nach erfolgter Gewichtsabnahme vor allem bei einem größeren oder komplexeren Befund zu befürworten. Es bleibt jedoch zu empfehlen, bereits im Rahmen der bariatrischen Indikationsstellung während der Anamnese gezielt nach einer möglichen Herniensymptomatik zu fragen, vor allem bei Voroperationen oder weiteren Risikofaktoren wie Diabetes mellitus oder Steroidtherapie. In diesen Fällen sollte eine gezielte Diagnostik durchgeführt werden, um Zufallsbefunde zu vermeiden und Therapieoptionen für die Hernie mit den Patient:innen besprechen zu können.

Selbst wenn die Studienlage Vorteile in einer simultanen Versorgung einer Hiatushernie zur Verhinderung einer Refluxsymptomatik sieht, ist auch hier eine Netzeinlage ohne adäquate Aufklärung der Patient:innen kritisch zu hinterfragen. Im Gegensatz zur Symptomatik von Bauchwandhernien spielen die Refluxerkrankung und deren Symptome bereits während der Indikationsstellung der bariatrischen OP eine wichtige Rolle und eine Routinediagnostik präoperativ mittels ÖGD ist dringend zu empfehlen. Bei auffälliger Anamnese oder auffälliger ÖGD kann bereits präoperativ die Diagnostik um funktionelle Untersuchungen erweitert werden. Zudem können bereits hier mögliche Optionen im Falle eines Zufallsbefunds während der bariatrischen OP angesprochen und im Aufklärungsgespräch entsprechend aufgeklärt werden.

Literatur

[1]   J. Esteban Varela, Marcelo Hinojosa, and Ninh Nguyen, ‘Correlations between Intra-Abdominal Pressure and Obesity-Related Co-Morbidities.’, Surgery for Obesity and Related Diseases : Official Journal of the American Society for Bariatric Surgery, 5.5 (2009), 524–28 <https://doi.org/10.1016/j.soard.2009.04.003>.

[2]   C. J. Wehrle and others, ‘Incisional Hernia Rates Following Midline Laparotomy in the Obese Patient: A Retrospective Review.’, Hernia : The Journal of Hernias and Abdominal Wall Surgery, 27.3 (2023), 557–63 <https://doi.org/10.1007/s10029-022-02688-6>.

[3]   Frederik Helgstrand and others, ‘Outcomes after Emergency versus Elective Ventral Hernia Repair: A Prospective Nationwide Study.’, World Journal of Surgery, 37.10 (2013), 2273–79 <https://doi.org/10.1007/s00268-013-2123-5>.

[4]   Emanuele Lo Menzo and others, ‘American Society for Metabolic and Bariatric Surgery and American Hernia Society Consensus Guideline on Bariatric Surgery and Hernia Surgery.’, Surgery for Obesity and Related Diseases : Official Journal of the American Society for Bariatric Surgery, 14.9 (2018), 1221–32 <https://doi.org/10.1016/j.soard.2018.07.005>.

[5]   Diana E. Peterman and Jeremy A. Warren, ‘Ventral Hernia Management in Obese Patients.’, The Surgical Clinics of North America, 101.2 (2021), 307–21 <https://doi.org/10.1016/j.suc.2020.12.014>.

[6]   Fredrick Che and others, ‘Prevalence of Hiatal Hernia in the Morbidly Obese.’, Surgery for Obesity and Related Diseases : Official Journal of the American Society for Bariatric Surgery, 9.6 (2013), 920–24 <https://doi.org/10.1016/j.soard.2013.03.013>.

[7]   Ralph Peterli and others, ‘Effect of Laparoscopic Sleeve Gastrectomy vs Laparoscopic Roux-En-Y Gastric Bypass on Weight Loss in Patients With Morbid Obesity: The SM-BOSS Randomized Clinical Trial.’, JAMA, 319.3 (2018), 255–65 <https://doi.org/10.1001/jama.2017.20897>.

[8]   Kamal K. Mahawar and others, ‘Simultaneous Sleeve Gastrectomy and Hiatus Hernia Repair: A Systematic Review.’, Obesity Surgery, 25.1 (2015), 159–66 <https://doi.org/10.1007/s11695-014-1470-0>.

[9]   Henry Mills and others, ‘Outcomes of Concurrent Hiatus Hernia Repair with Different Bariatric Surgery Procedures: A Systematic Review and Meta-Analysis.’, Obesity Surgery, 33.12 (2023), 3755–66 <https://doi.org/10.1007/s11695-023-06914-7>.

Korrespondierende Autorin:

Prof. Dr. med. Silke Mertmann

Klinikum Landkreis Tuttlingen

Zeppelinstraße 21

78532 Tuttlingen

[email protected]

Dr. med. Seraphina Doll

Schwarzwald-Baar-Klinikum
Klinikstr. 11

78052 Villingen-Schwenningen

[email protected]

Chirurgie

Mertmann S, Doll S: Hernien als Zufallsbefund im Rahmen einer adipositaschirurgischen Operation. Passion Chirurgie. 2024 Mai; 14(05): Artikel 03_02.

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