01.07.2010 Politik
Wir brauchen mehr Vertrauen, nicht mehr Geld
Eine Analyse der Rede unseres Gesundheitsministers Dr. Rösler auf dem Ärztetag
Seine vietnamesische Abstammung legte es Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler nahe, seine Haltung mit einem asiatischen Sprichwort zu beschreiben: „Ein Bambus wiegt sich im Wind, aber er bricht nicht.“ Das heisst aber auch, dass er sich dem Druck und der Richtung des Windes anpassen dürfte. Etwas anderes wird dem FDP-Politiker auch nicht übrig bleiben, da der Druck aus der bayerischen Schwesterpartei CSU anhält und sich neuer Druck im Bundesrat nach dem Ausgang der nordrhein-westfälischen Landtagswahl abzeichnet. Die inzwischen erfolgte harsche Abfuhr seiner ministerialen Pläne zur Einführung von Kopfpauschalen und Zuzahlungen bei jedem Arztbesuch durch seinen Amtsvorgänger und jetzigen CSU-Chef Horst Seehofer zeigt die wahren Machtverhältnisse: Hier der von den Ärzten mit großem Vorschusslorbeer gestartete Newcomer, dort die „alten Hasen“. Dennoch verbreitete Herr Rösler in seiner ersten Rede vor einem Deutschen Ärztetag in der Dresdner Semperoper am 11. Mai Optimismus: Eine gute Reform sei trotz allem möglich.
Ist das naiv oder zweckoptimistisch? BÄK-Präsident Prof. Jörg D. Hoppe freut sich, dass hier endlich jemand im Ministeramt sei mit einem offenen Ohr für die tatsächlichen Probleme des Gesundheitswesens. „Und endlich einmal müssen wir uns nicht mit einem Vorschaltgesetz zur Kostendämpfung auseinandersetzen.“ Und still murmelte er vor sich hin: „Dass ich das noch erleben darf“.
Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle nicht besser
Rösler wies darauf hin, dass es in den letzten 20 Jahren allein sieben Gesundheitsreformen gegeben habe – dadurch sei es nicht unbedingt besser, aber immer teurer geworden. Sie hätten das Ziel gehabt, die Lohnnebenkosten zu stabilisieren. Es sei falsch, eine Reform nur auf diesen Punkt auszurichten, anstatt das System insgesamt zu reformieren und zu verbessern. „Allein aufgrund der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts werden wir auch weiterhin mit Kostensteigerungen zu tun haben.“ Viele Ärzte, sagte er verständnisvoll, hätten das Gefühl, in einem System der unfairen Konkurrenz zu arbeiten anstatt im fairen Wettbewerb. Erfolgreich sei nur der, der sich in diesem Regelwerk gut auskenne. Die Klage der Ärzte über die überbordende Bürokratie verstehe er aus eigener Erfahrung sehr gut. Für ihn selbst war das im Übrigen auch ein Grund, den Arztberuf aufzugeben und stattdessen Politiker zu werden. In Deutschland glaube man eben, der Staat sei am ehesten geeignet, Probleme zu lösen. Doch es gebe bessere Wege, als die Verwaltung alles regeln zu lassen. Er appellierte auch an die Selbstverwaltung: „Machen wir Schluss mit der Kontrollitis und finden wir zu einer Kultur des Vertrauens und Miteinander.“ Andererseits gab es keinerlei Vorschläge, wie es denn dann gehen soll.
Das Wort Kostenerstattung ist gefallen
Der Minister streifte kurz die wichtigsten Punkte seiner politischen Vorhaben: Kostenerstattung ist für ihn erstrebenswert, um den Versicherten Transparenz über Leistungen und Preise zu verschaffen. Klar, dass an dieser Stelle Beifall aufbrandete, auch wenn mit keiner Silbe deutlich wurde, wie denn ein solches System konkret ausgestaltet werden könnte, ganz abgesehen von den massiven Widerständen gegen ein solches Vorhaben in der Koalition. Auch die Prävention müsse vorangebracht und die Ärzte zu mehr Prävention motiviert werden. Vertragsfreiheit ist ebenfalls ein Anliegen: „Die Versicherten müssen sich frei für ihren Therapeuten entscheiden können, unabhängig von Verträgen.“ Man könne vieles aus dem System der freien Marktwirtschaft in das Gesundheitssystem übertragen, aber nicht alles. Hier sei Solidarität entscheidend. Der Starke hilft dem Schwachen. Aber nicht nur der Ausgleich zwischen gesund und krank sei notwendig, sondern auch der zwischen arm und reich. Dieser Ausgleich geschehe schon heute nicht mehr zwischen Generaldirektor und Sekretärin, sondern finde unter den Sekretärinnen statt. Die Generaldirektoren hätten sich längst aus der Solidarität verabschiedet und seien in die private Krankenversicherung abgewandert. Deswegen gehöre der Ausgleich zwischen arm und reich nicht in die Krankenversicherung, sondern ins Steuersystem. Jeder, der sich ein wenig im Politikerdeutsch auskennt, weiß, dass mit solchen Formulierungen die klassische FDP-Programmatik nach Einführung einer Kopfpauschale beworben wird. Das ist sicher im Kern richtig, unter den gegebenen Bedingungen aber nicht ohne weiteres umsetzbar. Der bayrische Löwe hat das unlängst überdeutlich klargestellt.
Noch sieht Rösler genug Geld im System
Natürlich kann auch ein Arzt als Minister nicht mehr Geld für das Gesundheitswesen versprechen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern sagt Herr Rösler das aber auch offen. Erst müsse dafür gesorgt werden, dass die 170 Milliarden Euro besser eingesetzt werden und Verschwendung vermieden wird. Ob das mit der neuen Kultur des Vertrauens gelingt oder gesetzliche Regelungen notwendig werden, wird sich zeigen, denn letztlich ist der Bundesgesundheitsminister für Effizienz im System verantwortlich. Jedenfalls sagt er nichts anderes als seine Vorgängerin, wenn er der Priorisierung eine klare Absage erteilt und eine gerechtere Verteilung der ausreichend vorhandenen Mittel fordert. Erst wenn sich nach allen Effizienzbemühungen herausstellen sollte, dass zu wenig Geld im System sei, so Rösler, werde er dafür kämpfen, dass mehr Geld hinein komme. Allerdings verrät er nicht, auf welchen Zeitpunkt sich das „dann“ bezieht. Wann merkt man, dass mehr Geld ins System fließen muss? Leider bleibt unser neuer Minister an diesem zentralen Punkt genauso vage wie alle anderen Politiker vor ihm. Da ist dann sein Credo für ein System, das auf Eigenverantwortung, Solidarität und Freiberuflichkeit setzt, eher Balsam auf die geschundene Seele seiner Zuhörer als konkrete Programmatik.
Die in Dresden versammelte Ärzteschaft war dennoch glücklich, allein wegen der „neuen Kultur des Miteinander“, das sich deutlich von früheren Zeiten unterscheide. Der Unterschied gegenüber früher liegt tatsächlich im Ton. Wir Ärzte müssen bei allem Ungemach nicht auch noch Politikerschelte über uns ergehen lassen, sondern dürfen der Anerkennung Ihres obersten Dienstherrn gewiss sein. Mehr Geld gibt es deswegen nicht und ob es angesichts der Machtverhältnisse in Berlin zu einer erkennbaren Wende in der Gesundheitspolitik kommt, bleibt mehr als fraglich. So bleibt zu befürchten, dass der Minister getreu seinem asiatischen Motto doch nur das Schilfrohr ist, das sich geschmeidig unter dem Wind weg biegt, der dann uns Ärzten weiterhin ungebremst ins Gesicht bläst.
Autor des Artikels
Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg
Vizepräsident des BDCReferat Presse- & Öffentlichkeitsarbeit/Zuständigkeit PASSION CHIRURGIEPraxisverbund Chirurgie/Orthopädie/Unfallchirurgie Dres. Rüggeberg, Grellmann, HenkeZermatter Str. 21/2328325Bremen kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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