Interview mit Chirurgen des Gemeinschaftskrankenhauses Bonn
Einzelheiten zur Umsetzung und den Herausforderungen auf dem Weg zur digitalen Patientenakten erläutern PD Dr. med. Bernd Sido, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am Gemeinschaftskrankenhaus Bonn, und Frau Dr. med. Pönicke, die maßgeblich bei der Umsetzung des Projekts in der Chirurgie beteiligt war.
PD Dr. med. Bernd Sido,
Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am Gemeinschaftskrankenhaus Bonn
Dr. med. Pönicke,
Assistenzärztin Allgemein- und Viszeralchirurgie am Gemeinschaftskrankenhaus Bonn
Frau Dr. Pönicke, was war die größte Herausforderung bei der Einführung der Tablets?
Zunächst mussten technische Voraussetzungen für die Nutzung der iPads geschaffen werden. Lückenloses WLAN im Gesamthaus musste eingerichtet werden und stationäre Arbeitsplätze mit größeren Bildschirmen ausgestattet werden, um den digitalen Arbeitsplatz übersichtlicher darzustellen. Da ein Teil der Pflegedokumentation, wie die Erstellung der Pflegemaßnahmen, nur über einen stationären Arbeitsplatz möglich ist – dies betrifft nicht die ärztliche Dokumentation.
Abteilungsspezifische Anforderungen an die ärztliche Dokumentation mussten in der Planungsphase einfließen. Bestehende Dokumentationsbögen, Dokumente und Formulare mussten ebenfalls in digitale Form gebracht werden.
Ein sehr wichtiger Punkt ist natürlich der Datenschutz, der bei Nutzung von WLAN gewährleistet werden musste.
Die Schulung und Einarbeitung aller Mitarbeiter war ebenfalls eine Grundvoraussetzung, um das Projekt umsetzen zu können. In der Anfangsphase wurden Pflegekräfte durch EDV-Spezialisten begleitet. Viele der Mitarbeiter waren sehr euphorisch, was die Umstellung angeht – andere hingegen waren eher konservativ eingestellt und mussten noch überzeugt werden.
Inwieweit konnten Sie als Ärzte über die Einführung mitbestimmen bzw. diese mitgestalten?
Pönicke: Die Grundsatzentscheidung zur digitalen Dokumentation und langfristigen papierlosen Akte war Direktoriumsbeschluss. Dafür hat man das Engagement einiger Mitarbeiter positiv nutzen können, eine mobile Visite zunächst mit Laptop einzuführen. Innerhalb der Projektgruppe zur Erarbeitung der mobilen Visite und digitalen Patientenakte waren Ärzte aller Fachabteilungen vertreten, um abteilungspezifische Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Fachspezifische Anamnesebögen, Anordnungsfunktionen mit Berücksichtigung von abteilungsinternen Behandlungs- und Medikationsstandards wurden dabei ebenfalls erarbeitet.
Wie lange hat die Umsetzung bis zur tatsächlichen Einführung gedauert?
Pönicke: Projektstart war im Juli 2014 mit dem Beginn der Organisationsgespräche zur Einführung der mobilen Visite, mobilen Patientenkurve, der digitalen Pflegearbeitsplätze und digitalen Wunddokumentation in einzelnen Projektgruppen.
Insgesamt wurde ab November 2014 auf vier Pilotstationen die Alltagstauglichkeit der digitalen Patientenkurve und der mobilen Visite mit Anordnung und Dokumentation über das iPad oder den Stationslaptop getestet.
Bis September 2015 wurde dann die Einführung im Gesamthaus einschließlich Komplettierung der digitalen Pflegedokumentation umgesetzt.
Herr Dr. Sido, was ist der größte Vorteil, der digitalen Patientenakten?
Vor allem sparen wir Zeit und die Patientensicherheit wird erhöht. Alle Patientendaten sind jederzeit und überall abrufbar. Zeitaufwendiges Suchen von Laborberichten, Briefen und Befunden entfällt somit. Ein sehr großer Vorteil ist auch, dass Probleme mit der Lesbarkeit der Handschriften von Kollegen entfallen – ein wichtiger Aspekt für die Patientensicherheit. Es entstehen auch weniger Übertragungsfehler, beispielsweise bei der Anordnung von Medikamenten in der klassischen Patientenkurve. Neben eindeutigen Medikationsangaben inklusive Dosierung und Applikationsart kann auch ein digitaler automatischer Medikamentensicherheitscheck zur Vermeidung von Interaktionen und Doppelverordnungen durchgeführt werden.
Alles in allem werden Prozesse vereinfacht: Aufträge für Diagnostik und Therapie können direkt auf Visite am Patientenbett über das Tablet erstellt werden, ebenfalls Medikamente über das iPad angeordnet, umdosiert und abgesetzt werden. Die direkte Umsetzung im Patientenzimmer minimiert so eventuelle Informationsverluste.
Die vollständige und detailliertere Dokumentation führt zur verbesserten Leistungsabrechnung gegenüber der Krankenkasse durch zeitnahe Erfassung von DRG-relevanten Nebendiagnosen und Prozeduren. Zudem wird jede Dokumentation mit Name und Uhrzeit erfasst, sodass sich eine deutlich bessere Nachvollziehbarkeit ergibt.
Wie reagieren Patienten auf die Tablets?
Pönicke: Die meisten unserer Patienten stehen der mobilen Visite mit den Tablets positiv gegenüber, auch mit älteren Patienten gab es bislang keine negativen Erfahrungen. Da die Tablets die Möglichkeit bieten, Befunde wie Röntgen- oder Endoskopiebilder direkt bei der Visite mit dem Patienten zu besprechen und bildlich zu demonstrieren, wird das Verständnis für das weitere therapeutische Vorgehen transparenter und der Patient in das Behandlungskonzept aktiv eingebunden. Jedoch verleitet die Möglichkeit des Informationsgewinns über das Tablet im Patientengespräch, sich primär auf das Tablet zu konzentrieren und sich weniger aktiv dem Patienten zuzuwenden. Dem Patienten ist nicht ersichtlich, was der Arzt durch das „Wischen“ über das Tablet für Informationen sucht. Aber das ist letztlich eine Frage der Selbstdisziplin.
Sind in Ihrem Haus weitere Anschlussprojekte geplant?
Pönicke: Aktuell ist die Umsetzung der papierlosen Patientenakte noch nicht komplett umgesetzt. Einige wenige Dokumente wie EKGs, Aufklärungsbögen und Röntgenscheine werden weiter in Papierform ausgestellt. Unser Ziel ist es, auch diese Dokumente zu digitalisieren. Natürlich sind bei der Anwendung im Stationsalltag noch einzelne Feinheiten aufgefallen, die es jetzt noch anzupassen gilt – zum Beispiel die automatische Angabe der postoperativen Tage auf dem Tablet.
Weilbach J. Digitale Visite – Tablets im Krankenhausalltag. Passion Chirurgie. 2015 Dezember, 5(12): Artikel 02_03.