Über Risiken und Nebenwirkungen des Praktischen Jahrs für die Chirurgie
Zuerst das Gute vorweg: Ich wollte vor dem Praktischen Jahr (PJ) Chirurgin werden und bin es jetzt tatsächlich auch geworden. Einige können trotz aller Anstrengungen dann doch nicht vergrault werden.
Aber nun von vorne
Noch während des zehnten Semesters, in dem man durch die Blockpraktika die Chance hat, in die verschiedenen Stationen der Uniklinik für jeweils eine Woche „reinzuschnuppern“, machte ich mir Gedanken, wo ich denn meine drei PJ-Tertiale verbringen möchte. Nach einigen chaotischen Wochen auf der Gynäkologie und der Kardiologie standen wir drei Studenten bedächtig vor dem Arztzimmer der Allgemeinchirurgie. Viel Schlechtes habe ich bisher über diese Woche gehört, aber ich wollte mir selber ein Bild machen. Empfangen wurden wir nett: „Guten Morgen, gut, dass ihr da seid. Wir brauchen gleich jemanden im OP, wer hat Lust?“ Ich hatte Glück und meine Kommilitonen waren eher OP-scheu, so freute ich mich über einen sehr spannenden Tag im OP. Der endete zwar erst um 20 Uhr, aber das machte nichts, da ich einen super Tag hatte. Am nächsten Tag durfte ich dann sogar unter toller Anleitung zwei kleinere Eingriffe im ambulanten OP zu machen (ich hatte schon zwei Jahre OP-Erfahrung als studentische OP-Assistentin hinter mir).
Nach der Woche ging ich nach Hause und dachte mir: „Was haben die denn alle nur? Warum finden die ihr Chirurgie-Tertial an der Uniklinik so schlimm?“ und buchte mir über das PJ-Portal einen der vielen freien Plätze für das Chirurgie-Tertial an der Uniklinik. Für mein Inneres-Tertial buchte ich mich in ein kleines Krankenhaus ein, in dem man wohl viel Studentenunterricht hat und zum eigenständigen Arbeiten angeleitet wird.
Das Wahlfach war auch schon klar: Orthopädie sollte es werden. Und das plante ich an einem mittelgroßen Vollversorger-Krankenhaus.
Ich startete mit dem Innere-Tertial …
… mit dem Hintergedanken „das Schlimmste zuerst“ und es graute mir vor stundenlangen Visiten und Diskussionen über Natriumwerte. Ich wurde positiv überrascht und hatte ein tolles Tertial, in dem ich viel gelernt habe, wöchentlich drei Mal Studentenunterricht hatte und endlich lernte, EKGs perfekt zu interpretieren. Mein Ziel zu lernen, wie ich später meine orthopädischen Patienten internistisch elegant durch ihren stationären Aufenthalt führe, hatte ich erreicht.
Mein orthopädisches Wahltertial …
… war sehr OP-lastig und nachdem ich jeden Operateur einzeln überzeugen konnte, dass ich keine faule PJlerin bin, die nicht hauptsächlich am pünktlich Gehen interessiert ist, durfte ich mit der Zeit auch mal kleinere Schritte in OPs übernehmen. Gerne hätte ich selber mehr gemacht, jedoch fingen mit mir drei neue Assistenzärzte an und so bekamen sie selbstverständlich den Vortritt. Auch hier gab es täglich Studentenunterricht, den ich jedoch so gut wie nie wahrnehmen konnte, da ich die meisten Tage im OP verbrachte. So schön die Tage im OP waren, so unterfordernd waren die Tage auf Station, die ich mit Reha-Anträgen, Arztbriefen und Blutabnahmen verbrachte. Das waren leider verlorene Tage. Aber auch aus diesem Tertial ging ich eher positiv heraus.
Das Beste zum Schluss: das Chirurgie-Tertial …
…. an der Uni-Klinik sollte den krönenden Abschluss bilden. Wir wurden auf der Station des oben erwähnten spannenden Blockpraktikums freundlich begrüßt. Schnell wurde jedoch klar, dass von den 15 zu belegenden PJler-Stellen nur fünf belegt waren. Das führte dazu, dass mit einer Schwangeren und im Schnitt einem fehlenden PJler pro Tag (Studientag) nur drei OP- und blutentnahmefähige PJler pro Tag anwesend waren. Bereits am ersten Tag musste man sich zwischen einem Anschiss von den Oberärzten, da wir erst die 25 Blutentnahmen auf der Station gemacht haben, bevor wir in den OP gegangen sind, oder einem Anschiss von den Stationsärzten, da wir direkt in den OP gegangen sind, ohne die Blutentnahmen zu machen, entscheiden. Meistens kam man erst nach 18:30 Uhr aus der Klinik (72 Prozent der PJler arbeiten mehr als 40h/Woche [1]) und viele Tage ist man mit dem Gefühl, nichts gelernt zu haben, nach Hause gegangen. Das Schlimmste daran ist, dass man dafür nicht mal einen „Schuldigen“ ausmachen kann. Die Stationsärzte waren mit der Anzahl der zu betreuenden Patienten auf der Station voll ausgelastet (um nicht überlastet zu sagen) und entschuldigten sich regelmäßig bei uns, dass sie es zeitlich nicht schaffen, uns etwas zu zeigen. Wirklich mit einbezogen im OP wurde ich vielleicht drei bis vier Mal. Teilweise stand man einfach fünf Stunden mit der laparoskopischen Darmfasszange in der Hand am Tisch und hat den Darm (und die Klappe) gehalten. Ich hatte oft das Gefühl, dass die Operateure es bei dem großen Durchlauf an PJlern „leid“ waren, den PJlern chirurgisch-praktisch noch etwas zu zeigen. Liegt es daran, dass es vor mir zu viele chirurgisch uninteressierte PJler gab, die kein Interesse hatten etwas praktisch zu erlernen? Warum war die Woche Blockpraktikum auf derselben Station so spannend und das PJ jetzt nicht?
Abb. 1: Motivationslage für den Arztberuf vor und nach dem PJ aus der PJler-Umfrage 2014
Wirklich etwas gelernt hat man während der Dienste, bei denen man freiwillig mitlaufen konnte. Wir PJler haben diese Eins-zu-eins-Betreuung in den Diensten sehr geschätzt und dadurch häufig Dienste mitgemacht. Aber ist das die Lösung? Ein PJ voller Dienste, weil man sonst nichts lernt?
Das Schlimmste ist doch eigentlich, dass in den vier Monaten PJ an einer Uniklinik lediglich einmal 30 Minuten Studentenunterricht stattgefunden hat. Das ist in meinen Augen ein Armutszeugnis an einer Uniklinik! Dies deckt sich jedoch mit einer Umfrage des Hartmannbundes zusammen mit der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd). Dabei wurde gezeigt, dass 60 Prozent der PJler zwei oder weniger Stunden Studentenunterricht pro Woche hatten, obwohl sich 91 Prozent mehr als zwei Stunden pro Woche wünschen würden. Warum schaffen es kleine Häuser für wesentlich weniger PJler teilweise täglich Studentenunterricht zu organisieren und eine Uniklinik nicht?
Für diesen Artikel habe ich meine Mit-PJler nach ihren schönsten und schlimmsten Erlebnissen im Chirurgie-Tertial gefragt und die erste Antwort, die ich bekam, war: „Bester Moment: Ende des Chirurgie-Tertials. Schlimmster Moment: Anfang des Chirurgie-Tertials“ und im Nachsatz: „Ist aber wirklich so: Das Lernen begann in der Sekunde, als ich aus diesem Tertial weg war“. Dies ließ mich erst einmal schlucken. Müssen wir uns über den Nachwuchsmangel wundern? Senkt deshalb das Chirurgie-Tertial die Arztmotivation am meisten? (Abb. 1)
Abb. 2: Warum würde man nicht ChirurgIn werden wollten?
Ich schätze, fast jeder Student hat von einem Arzt schon einmal den Satz gehört „Seid ihr sicher, dass ihr wirklich noch Ärzte werden wollt? Macht doch lieber etwas anderes. Arzt ist heutzutage kein schöner Beruf mehr.“ oder „Ich kann mich kaum noch an eine Woche erinnern, in der ich unter 60 Stunden gearbeitet habe.“ Fehlt es uns vielleicht auch an Vorbildern? Müssen wir erst glückliche Klinikärzte „produzieren“, bevor wir PJler „glücklich“ machen können? Sind es nicht gerade die schönen Momente, die uns motivieren? So sagte eine chirurgische Altassistentin, die meine inoffizielle Mentorin war, zu mir: „Einem muss klar sein, dass man als Chirurgin viel arbeitet, aber auch wenn ich nach dem Dienst todmüde ins Bett falle, kann ich mir keinen schöneren Beruf vorstellen.“ Dieser Satz hat mich wahnsinnig motiviert. Jedoch fielen solche Sätze viel zu selten, sondern eher Sätze wie: „Ich bin froh, wenn ich alle Patienten wieder lebend von der Station herunterbekomme.“
Abb. 3: Das „Kernproblem“
Leider habe ich in meinem chirurgischen Tertial eher die negative Kehrseite der Chirurgie vermittelt bekommen (Abb. 2). Wie schaffen wir es, dass dem chirurgischen Nachwuchs die vielen positiven Seiten der Chirurgie (Abb. 5) vermittelt werden? Wieso funktioniert das in einigen Kliniken so gut und warum vor allem in Unikliniken so schlecht? Auf der Seite PJ-Ranking belegt die beste Uniklinik den 98. Platz für das Chirurgie-Tertial; unter den zehn am schlechtesten bewerteten Kliniken sind vier Unikliniken [2].
Meiner Meinung nach muss man zuerst die Situation der Klinikärzte verbessern, bevor diese dann die Situation der PJler verbessern können, denn wie soll man Motivation und Freunde an der Arbeit übertragen, wenn man sie selber nicht spürt? (Abb. 3)
Abb. 4: Auswertung der Bewertungen der TOP 10 Krankenhäuser für das chirurgische PJ-Tertial bei www.pj-ranking.de
Darüber hinaus ist es wichtig, dass man sich klinikintern Gedanken macht und ein richtiges Konzept hat, wie man durch ein spannendes chirurgisches Tertial ggf. neue Chirurgen gewinnen kann. Für die Frage nach dem „Wie?“ habe ich die Bewertungen auf www.pj-ranking.de für die zehn best-bewerteten chirurgischen Häuser ausgewertet und in Abbildung 4 dargestellt. Mit diesen „Forderungen“ kann ich mich sehr gut identifizieren. Die Umsetzung fordert jedoch auch, dass die betreuenden Ärzte Zeit zur Supervision haben. Man will als PJler nämlich auch nicht daran schuld sein, dass der Assistenzarzt noch eine Überstunde mehr macht, nur weil er mit einem die Patienten und offenen Fragen durchgesprochen hat. Womit wir wieder beim Kernproblem (Abb. 3) angelangen.
Abb. 5: Warum will ich trotzdem Chirurgin werden?
Mir fällt es schwer, eine umsetzbare Lösungsstrategie zu formulieren. Ich denke jedoch, dass es ein guter Start wäre, wenn sich jede chirurgische Klinik ein umsetzbares (!) PJler-Konzept erarbeitet, das die in Abbildung 4 geforderten Punkte integriert, um künftigen Generationen von Studenten die vielen positiven Aspekte der Chirurgie (Abb. 5) zu vermitteln.
Die Situation der Klinikärzte und vor allem eine bessere Besetzung (lediglich 18 % der Klinikärzte schätzen die Personaldecke in ihrer Abteilung als gut oder sehr gut besetzt ein [3]) sollte jedoch an anderer Stelle nochmals kritisch diskutiert und verbessert werden. Denn zufriedene Ärzte sind nicht nur der Schlüssel zum Erfolg für ein spannendes PJ, sondern auch für eine optimale Patientenversorgung.
Abb. 6: Ausschnitte aus unserer PJler-WhatsApp-Gruppe
Aufgrund des demografischen Wandels sind immer mehr ältere, chronisch kranke oder multimorbide Patienten stationär sowie in Hausarztpraxen zu versorgen. Des Weiteren herrscht aus denselben Gründen ein Fachkräftemangel im ärztlichen sowie im nicht-ärztlichen stationären und ambulanten Bereich. Dieser führt zu Problemen bei der Besetzung von Stellen, dies zeigt sich im stationären Bereich besonders in den operativen Fächern.
Knochengeführte, transkutan ausgeleitete, osseointegrierte Implantate als Kraftträger für die Exoprothetik zur Rehabilitation nach Gliedmaßenenamputation (TOPS) haben in den vergangenen 20 Jahren weltweit Eingang in die klinische Versorgung gefunden. In Deutschland wurden dabei Erfahrungen mit dem sogenannten Endo-Exo-Prothesensystem (EEP) lediglich an einigen wenigen Zentren gesammelt.
Wer kennt das nicht aus dem Alltag? Täglich wird man neben den medizinischen Herausforderungen mit den wirtschaftlichen Zwängen in der Gesundheitswirtschaft konfrontiert. Gerade im Krankenhaus hat sich in den letzten Jahren der ökonomische Druck enorm zugespitzt und bei Stellenbesetzungen wird regelhaft zusätzlich nach medizinökonomischen Kompetenzen gefragt. Nicht jeder hat aber auch Zeit und Valenzen ein mehrjähriges Studium oder eine längere Ausbildung zu absolvieren, um in diesen Themen gerüstet zu sein.
Langsam nimmt die neue ärztliche Approbationsordnung (ÄApprO) Gestalt an. Auf einen Arbeitsentwurf von Anfang 2020 folgte nunmehr, ein Jahr später, der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums, der zahlreiche sinnvolle Weiterentwicklungen beinhaltet, aber auch weiterhin Stoff für kontroverse Diskussionen liefert. Einige ausgewählte Aspekte im Überblick:
Im Schwerpunkt zum Thema Assistenzberufe im chirurgischen Alltag wird die Diskussion um den potentiellen neuen Ausbildungsberuf des Chirurgieassistenten aufgegriffen und von vielen Seiten beleuchtet. Es werden die aktuelle Situation und die demografischen, als auch die politischen Grundlagen skizziert. Umfrageergebnisse zeichnen ein Stimmungsbild unter den Chirurgen und den bereits tätigen Chirurgieassistenten. Über Erfahrungen mit nicht-ärztlichem Assistenzpersonal in der Gefäß- und Unfallchirurgie wird ebenso berichtet wie über den Stand des rechtlichen Status quo.
Zusätzlich bietet diese Ausgabe einen Ausblick auf die Bundestagswahl. Passion Chirurgie hat für Sie die Wahlprogramme der Parteien mit besonderem Augenmerk auf medizinische und medizin-politsche Aspekte analysiert. Alle Details gibt es in dieser Ausgabe im Artikel Wahlprüfsteine 2013. Wir hoffen, dass wir damit einen wichtigen Beitrag zu Ihrer Recherche und Entscheidungsfindung leisten können.
Wir freuen uns, Ihnen in der Juliausgabe der Passion Chirurgie die zweite Sonderausgabe der Safety Clips zu präsentieren, in dem praxisnah die unterschiedlichsten Ursachen von Behandlungsfehlern beschrieben werden, oft verdeutlicht durch Statistiken zu Schadenhäufigkeiten. Immer geht es auch um Strategien zur aktiven Fehlervermeidung. Kritische Ereignisse in der Patientenversorgung werden beschrieben, analysiert und bewertet, ergänzt durch juristische Stellungnahmen und praktische Hinweise zur Risikobewältigung.
unabhängig vom Schwerpunkt der letzten Ausgaben der Passion Chirurgie , waren die beunruhigenden demographischen und wirtschaftsstrukturellen Entwicklungen in unserer Gesellschaft bereits häufiger Thema unserer Publikationen. Ob Weiterbildung, Nachwuchs, oder ambulante Versorgung – alles muss im Lichte des politischen und ökonomischen Umfeldes betrachtet werden.
In dieser Ausgabe widmen wir uns direkt den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen im Medizinsystem Deutschland, wie es für uns Chirurginnen und Chirurgen relevant ist. Unter dem Titel Monetarisierung des Patienten diskutieren unser Präsident und weitere Autoren über die Schnittstelle Ökonomie-Chirurgie auf verschiedensten Ebenen – vom Blick auf das Fachgebietsbranding über die Grenzen der wirtschaftlichen Analyse des Patienten bis hin zur Betrachtung der Zukunft des gesamten Gesundheitssystems.
In dieser Ausgabe der Passion Chirurgie mit dem Titel “Notfallmedizin – Fachkompetenz vs. Facharzt” geht es um die Rolle der Notfallmedizin im modernen chirurgischen Berufsleben. Notfälle begleiten uns ein berufliches Leben lang, nicht nur in der Notaufnahme, sondern auch auf der Station oder in der Praxis. Die Behandlung von Notfallpatienten ist Kernkompetenz chirurgischer Tätigkeit – trotz Spezialisierung sowie strukturellem und medizinischem Fortschritt.
Unsere Autoren gehen im Detail auf die Situation der Notfallmedizin in Deutschland ein und plädieren im Ergebnis für mehr Fachkompetenz, aber klar gegen eine neue Facharztqualifikation für Notfallmedizin. Die Notfallkompetenz muss weiterhin in den großen medizinischen Fachgebieten erhalten bleiben, darüber sind wir uns mit den Berufsverbänden der Internisten, Anästhesisten und vielen weiteren Gebieten einig.