01.10.2024 Panorama
Das was bleibt – Was Max sich vor seinem Tod wünschte
Dieser Artikel stammt aus der Sächsischen Zeitung vom 23. Juli 2023. Er galt unter den Einsendungen für den BDC-Journalistenpreis 2023 als einer der Favoriten. Max Maniera hat am 19. Dezember 2023 den Kampf gegen sein irreparables Herzleiden verloren.
Max Maniera kam mit einem Herzfehler zur Welt. Unzählige Operationen und Katheter später ist klar: Max wird sterben. Ein Spendenaufruf soll helfen, seine letzten Wünsche zu erfüllen.
Sie sitzen um einen kleinen Tisch, als wäre alles ganz normal. Es gibt Kaffee und Kuchen, man schwatzt. Es sind diese kleinen Momente, diese unscheinbar normalen, die für Familie Maniera so wichtig sind. Sie sitzen zusammen auf den wenigen Quadratmetern, auf denen sich ihr Leben abspielt. Seit dem Moment, an dem klar war, dass Max schwer krank ist.
Im siebten Monat erfährt Jeannette Maniera, dass ihr Sohn nicht gesund zur Welt kommen wird. Es ist 2007, sie ist 30 Jahre alt. Nach einer Routineuntersuchung wird eine Feindiagnostik angeordnet. „Ich bin hingefahren und wusste, dass etwas nicht stimmt“, erinnert sie sich heute. Die Diagnose: Ihr Kind hat einen Herzfehler.
In der Fachsprache hat Max ein hypoplastisches Linksherzsyndrom. Ihm fehlt die linke Herzkammer, die in einem gesunden Körper für den Blutkreislauf zuständig ist. Es ist keine Vererbung, kein Gendefekt, einfach eine Laune der Natur, wird Jeannette Maniera damals gesagt. Für sie fallen „die Schotten runter“, sie weint, ist verzweifelt. Aber sie weiß: Ihr Kind soll leben.
Abb. 1: Max Maniera aus Dresden wurde mit einem irreparablen Herzfehler geboren. Der 16-Jährige hat noch viele Wünsche, die es zu erfüllen gilt.
Drei OPs im Herzzentrum Leipzig
Drei Operationen am Herzen sind in den ersten Kindheitsjahren notwendig, um Max’ Herz umzufunktionieren. Dabei werden Herz und Gefäße chirurgisch so umgestaltet, dass das „verbrauchte“ Blut aus dem Körper passiv direkt in die Lunge fließt und die funktionsfähige Herzkammer das „frische“ Blut in den Körper pumpt. Dabei spricht man von einem „Fontan-Kreislauf“. Die riesige Narbe zieht sich noch heute über seinen dünnen, zerbrechlichen Brustkorb. Seine Mutter verbringt Wochen und Monate mit ihm im Herzzentrum in Leipzig, bangt, hofft, hält seine kleine Hand. 2012, als Max fünf ist, sind die drei OPs überstanden.
Abb. 2: Das Leben der Familie Maniera aus Dresden dreht sich um Max (2. v.l.). Seine Mutter Jeannette (l.), seine neun Jahre ältere Schwester Annemarie und ihr Sohn Louis sind bei ihm, solange sein Herz noch schlägt.
Seitdem steht das Familienleben der Manieras kopf. Seine Schwester Annemarie, damals neun Jahre alt, wächst mit der Krankheit ihres Bruders auf. Heute ist sie 26 Jahre alt, hat selbst einen Sohn. Unerschütterlich stehen die beiden Frauen in diesem Leben, nehmen jeden Schicksalsschlag hin, bleiben trotz allem auf den Beinen. Und das Leben hat viel mit ihnen vor: Kurz nach Max’ dritter OP wird bei seiner Mutter Jeannette Maniera Krebs diagnostiziert. Dann verliert die Familie fast jährlich einen geliebten Menschen, zuletzt Max’ Oma im Jahr 2021. Wie viel kann ein Leben ertragen?
Max ist oft still. Meist sind seine Arme verschränkt, vor oder hinter dem Körper. Seine Finger umklammern seine Oberarme, die so dünn sind, dass seine Hände sie komplett umfassen können. Zeit seines Lebens hat er mit seinem Gewicht zu kämpfen. Viele Kinder mit einem chirurgisch hergestellten Fontan-Kreislauf erkranken an einem Eiweißverlustsyndrom. Dabei verliert der Körper große Mengen Eiweiße über den Darm oder die Bronchien. Es entsteht ein Eiweißmangel im Körper. Auch Max leidet an diesem Syndrom. Heute wiegt er 25,6 Kilogramm bei 1,47 Meter Körpergröße. Seine Lippen sind stets blau, fast so, als wäre er zu lange im Schwimmbecken gewesen. Das liegt an der Sauerstoffsättigung in seinem Blut, die zu niedrig ist.
Doch es gibt auch andere Jahre. Solche, in denen es Max gut geht. Als er sich von den drei Operationen am Herzen erholt hatte zum Beispiel. Ein fröhlicher Junge, motiviert und gut gelaunt. Er besucht die Kita, später die Schule, kann fast ein normales Leben führen. Auf Sportarten, die den Kreislauf hochtreiben, muss er verzichten. Das schwache Herz würde es nicht schaffen. Aber Max lebt.
Fünf Jahre lang war alles halbwegs normal. Max hat mit 13 Jahren einen Wachstumsschub. Der führt dazu, dass seine Wirbelsäule sich erheblich nach rechts verschiebt. Er entwickelt eine Skoliose, eine Verkrümmung der Wirbelsäule. Max sollen Titanstäbe entlang der Wirbelsäule eingesetzt werden, vom Hals bis hinunter zur Hüfte. Die OP ist kompliziert. Ein Team des Herzzentrums muss sich um seine Herzfunktion kümmern, während ein anderes an seinem Rücken operiert. Das passiert im Mai 2022. Zwei Titanstäbe, elf Schrauben, ein Modul werden eingesetzt – das kann Max bis heute aufzählen. Danach muss der damals 14-Jährige vieles neu lernen. Er lebt damit, so wie er mit vielen Umständen lebt.
Dann muss er erneut ins Herzzentrum, ein Herzkatheter muss gelegt werden. Das sind biegsame Schläuche, die sicherstellen, dass das Blut im Herz weiterfließt. Sie verstopfen immer wieder, das Blut fließt kaum noch hindurch. Mit einem sogenannten Stent sollen die Herzgefäße offengehalten werden. Doch auch dieser verstopft. Wieder ein Herzkatheter. Inzwischen wurden dem Jugendlichen insgesamt 21 Herzkatheter gelegt.
„Sein Körper wollte die Situation nicht akzeptieren“, sagt seine Mutter. Er entwickelt eine hochgradige Herzinsuffizienz, die Funktion des Herzens ist gestört. Die Sauerstoffsättigung im Blut sinkt kontinuierlich. Der Jugendliche braucht Sauerstoff, es muss etwas passieren.
Sie sprechen mit einer Kardiologin. Die sagt, es gibt nur zwei Optionen: Medikamente oder eine Herztransplantation. Sie entscheiden sich für Letzteres. „Es war ein ganz kleiner Strohhalm“, sagt seine Mutter. Zwei Monate verbringt sie mit Max im Herzzentrum für Untersuchungen. Zwei Ärzteteams in Leipzig und Berlin beschäftigen sich mit der Herztransplantation. Ihre endgültige Antwort: Nein. Max ist zu schwach, er würde das nicht überleben.
Mit diesen Nachrichten fährt die Familie nach Hause. „Alles drehte sich nur darum, dass Max vielleicht bald sterben wird“, sagt seine Mutter. Ein Palliativteam aus Dresden steht ihnen zur Seite. Im Juli 2022 hat der Junge wieder Wassereinlagerungen, keine Medikamente helfen.
Im November 2022 geben die Ärzte auf. „Erfüllen Sie ihm so schnell wie möglich seine Wünsche“, sagen Mediziner zu Jeannette Maniera, die ihr Leben gerade in Scherben liegen sieht. Ihr Kind wird sterben.
Seither waren sie mit dem jungen Fußballfan im Stadion in Barcelona. Fast jeder Bundesliga-Verein hat Max ein Trikot und liebe Worte zukommen lassen. Er ist Porsche gefahren. Er will so gern den Rapper Capital Bra kennenlernen. Wünsche, die für einen Erwachsenen vielleicht seltsam klingen, die ein 16-Jähriger aber eben hat. Und so schön es ist, wenn sich die Wünsche erfüllen, Max hat sich entschieden. Der 16-Jährige will, sollte das Herz noch einmal aufgeben, keine lebenserhaltenden Maßnahmen, keine Schläuche, kein Leiden mehr. „Es ist schwer, aber ich fühle mich nicht schlecht damit. Er will gehen“, sagt seine Mutter. „Er hat all das schneller akzeptiert als wir. Das bewundern wir sehr.“ Und deshalb soll Max auch ein Mitspracherecht haben, wenn es um seinen Tod geht.
Warum Max seine Beerdigung plant
In der Lebensphase, in der Gleichaltrige bewusst anfangen zu leben, beschäftigt Max sich mit seinem Tod. Das Ehepaar Adriana und Benjamin Wolf aus Dresden wird auf die Geschichte aufmerksam, die beiden sprechen mit der Familie und Max über seine Geschichte. Hier kommt das Projekt „Das was bleibt“ ins Spiel. Drei Dresdner Bestatter haben sich zusammengetan, um Menschen zu unterstützen, die aus eigener Kraft eine würdige Beerdigung nicht bewältigen können. Das Ehepaar Wolf hat diese gemeinnützige Initiative mit ihrem Freund Oliver Schwenke ins Leben gerufen. Über die Beteiligten von „Das was bleibt“ ist eine Spendenaktion entstanden, um Max die Bestattung zu ermöglichen, die er sich wünscht. Dafür hat der 16-Jährige klare Vorstellungen. Die Trauerfeier soll im Chinesischen Pavillon stattfinden. So gern hätte Max China in seinem Leben mal gesehen. Er hat die Musik und die Rede für die Trauerfeier bereits abgesprochen. Die Gäste sollen allesamt in Fußballtrikots kommen. Für seine Mutter ist es kaum zu ertragen, ihr Kind gehen zu lassen. Sie weiß nicht, wann es so weit sein wird. Jahre, Monate, Tage könne es dauern – sie hat alles schon gehört. Inzwischen versagen seine Organe Schritt für Schritt. Sie wird ihm bis zum letzten Tag zur Seite stehen. „Für mich stand immer fest: Ich kämpfe, solange Max es schafft.“
Juliane Just
Redakteurin
Stadtredaktion Dresden
DDV Sachsen GmbH
Sächsische Zeitung
Panorama
Just J: „Das was bleibt“ – was Max sich
vor seinem Tod wünschte: Passion Chirurgie.
2024 Oktober; 14(10): Artikel 09.
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