01.11.2018 Sonstige
Editorial: Ein Fach für Feinmechaniker
Die Neurochirurgie ist ein junges Fach der Chirurgie. 1949 erhielt Wilhelm Tönnis den ersten Lehrstuhl für Neurochirurgie an der Universität zu Köln, und in der Folge etablierte sich die Neurochirurgie als eigenständiges Fach an den deutschen Universitäten. Tönnis war der große Pionier der Neurochirurgie in Deutschland. Aus seiner Schule wurden die meisten deutschen Ordinariate besetzt. Seither ist das Fach stetig gewachsen. Heute zählt man mehr als 1.600 Mitglieder in der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie, die von Tönnis im Jahre 1950 gegründet wurde. Die Neurochirurgie ist ein komplexes Fach. Sie umfasst alle operativ zu behandelnden Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems und dies im Kindes- und Erwachsenenalter. Der Neurochirurg von heute ist Tumorchirurg, Schädelbasischirurg, Gefäßchirurg, Traumachirurg, Stereotaktiker und funktioneller Chirurg, Wirbelsäulenchirurg, Peripherer-Nerv-Chirurg oder auch pädiatrischer Neurochirurg. Das Fach bietet ein reiches Spektrum für Spezialisierungen.
Wie alle anderen chirurgischen Fächer begeistert die Neurochirurgie, man könnte sagen, von ihr geht eine besondere Faszination aus. Operationen am Gehirn sind meist sehr aufwendig und Millimeter können über lebenslange Schäden beim Patienten entscheiden. Wesentliche Funktionen des Körpers, wie Bewegung, Sprache, Sehen, Gefühlsempfindung oder auch Kognition und Emotion können geschädigt werden. Ganz besonderes Fingerspitzengefühl ist also gefragt – was durch Neuerungen in der Medizintechnik immer besser unterstützt wird.
Die Entwicklung der Neurochirurgie in Deutschland wurde wesentlich durch die Behandlung von Verletzungen bei militärischen Konflikten beeinflusst und vorangebracht. Chirurgen waren gewissermaßen gezwungen, in das Gehirn vorzudringen – was bis dato als Tabu galt. Bereits Ernst von Bergmann beschäftigte sich als erster Deutscher systematisch mit der Chirurgie des Gehirns. Er teilte seine Erfahrungen in der „Lehre von Kopfverletzungen“ mit. Seine Erkenntnisse zur Tumorchirurgie wurden allerdings skeptisch betrachtet [1].
Mindestens genauso wichtig wie der Blick in die Geschichte ist die Perspektive für die Zukunft. Die Neurochirurgie ist ein attraktives Fach für den chirurgischen Nachwuchs, und die Behandlung der Patienten wird stetig verbessert und sicherer. Ein Überblick über das spannende Fach der Neurochirurgie wird in dieser Ausgabe PASSION CHIRURGIE – für Chirurginnen und Chirurgen aller Fachbereiche und aller Erfahrungsstufen – gegeben. Daneben werden wie immer u. a. aktuelle berufspolitische Themen in der Ausgabe aufgegriffen. In der Rubrik Panorama erzählt Umeswaran Arunagirinathan seinen ganz besonderen Weg zum Herzchirurgen, einem ebenso faszinierenden chirurgischen Fachbereich wie die Neurochirurgie.
[1] Collmann H. Eisenberg U: Kurze Geschichte der Neurochirurgie in Deutschland. https://www.dgnc.de/gesellschaft/ueber-uns/geschichte-history/ (20.09.2018).
Schackert G: Neurochirurgie: Ein Fach für Feinmechaniker. Passion Chirurgie. 2018 November; 8(11): Artikel 01.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Gabriele Schackert
KlinikdirektorinKlinik und Poliklinik für NeurochirurgieUniversitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität DresdenFetscherstraße 7401307Dresden kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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