01.08.2022 Politik
Deutscher Ärztetag: 6.000 neue Medizinstudienplätze und mehr Kindeswohl in Pandemiebekämpfung
Um den steigenden ärztlichen Versorgungsbedarf in einer „Gesellschaft des langen Lebens“ zu decken, richtete der 126. Deutsche Ärztetag 2022 in Bremen an die Bundesländer den Appell, kurzfristig mindestens 6.000 neue staatlich finanzierte Medizinstudienplätze zu schaffen. Auch demografisch bestehe dringender Handlungsbedarf: Die Ärzteschaft stehe vor einer enormen Ruhestandswelle, denn etwa 20 Prozent der Ärztinnen und Ärzte schieden in den kommenden Jahren altersbedingt aus dem Berufsleben aus. Der Deutsche Ärztetag hält die Einführung valider Berechnungen für die patienten- und aufgabengerechte ärztliche Personalausstattung für dringend geboten. Daher beauftragte er die Bundesärztekammer damit, ein von ihr weiterentwickeltes Personalbemessungsinstrument noch zu verfeinern und den Nutzern zur Verfügung zu stellen.
Eine zweite zentrale Forderung war, den Umgang mit Kindern und Jugendlichen in künftigen Pandemiesituationen deutlich höher zu gewichten. Pandemiebedingte Schließungen von Kitas und Schulen solle man künftig nur noch in extremen Situationen in Erwägung ziehen. Bund und Länder hätten bei Maßnahmen der Pandemiebekämpfung das Wohl von Kindern und Jugendlichen umfassend zu berücksichtigen. Für die Entwicklung konkreter Maßnahmen sei ein Expertenrat einzurichten.
Weitere wichtige Forderungen des 126. Deutschen Ärztetages:
Krankenhauslandschaft – grundlegend reformieren
Bund und Länder sollten sich künftig gemeinsam der Krankenhausfinanzierung und -planung annehmen. Die Planungsbereiche müssten auch die dem jeweiligen Bundesland angrenzenden Krankenhäuser berücksichtigen. Die Länder müssten ihrer Verpflichtung zur Finanzierung der Investitionskosten in vollem Umfang nachkommen. Auf Bundesebene sei eine grundlegende Reform des Vergütungssystems erforderlich, die sich vor allem an den tatsächlich erbrachten Leistungen, dem tatsächlichem Personalbedarf, der Personalentwicklung, Flächendeckung und den Vorhalteleistungen ausrichten soll.
GOÄ – jetzt umsetzen
Bundesärztekammer, PKV-Verband und Beihilfe haben Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf dem Ärztetag einen Vorschlag für eine überarbeitete GOÄ übergeben. Die Delegierten forderten ihn auf, sie bis zum 31.12.2022 in Kraft zu setzen. Im anderen Fall soll die Bundesärztekammer über die rechtskonforme Möglichkeit der Anwendung besonderer Honorarvereinbarungen mit höheren Steigerungsfaktoren als dem 2,3-fachen Regelsteigerungssatz informieren.
Digitale Gesundheitsanwendungen – nutzenfokussiert einführen
In den Fokus der Digitalisierung des Gesundheitswesens müssten Anwendungen rücken, die einen konkreten, messbaren Nutzen in der medizinischen Versorgung haben. Dazu zähle vor allem der Notfalldatensatz auf der elektronischen Gesundheitskarte. Um die Potenziale einer vernetzten Medizin zu nutzen, seien enorme Investitionen in den digitalen Ausbau der Praxen erforderlich. Dazu bedürfe es eines Praxiszukunftsgesetzes. Für den Ausbau des ambulanten Sektors zur Vernetzung mit anderen Versorgungsbereichen seien Finanzhilfen von Bund und Ländern dringend geboten.
Klimaneutralität – Investitionshilfen einfordern
Die Delegierten forderten von Politik und Krankenkassen auch, Gesundheitseinrichtungen ausreichend Geld für die Erreichung der Klimaschutzziele bis 2030 zur Verfügung zu stellen. Die Transformation in Kliniken und Praxen erfordere erhebliche Anstrengungen. Die notwendigen Mittel seien nicht allein aus den Betriebsmitteln zu bewältigen.
Kommerzialisierung – Druck mit Gegenmaßnahmen kontern
Mit einem Maßnahmenkatalog möchte die Ärzteschaft gegen den Kommerzialisierungsdruck in der ambulanten und stationären Versorgung vorgehen. Eine der Forderungen besteht darin, die Gründung von Medizinischen Versorgungszentren durch Krankenhäuser an einen fachlichen, räumlichen und regionalen Bezug zu deren Versorgungsauftrag zu koppeln. Auch solle der Gesetzgeber den fortschreitenden Aufkauf des ambulanten medizinischen Sektors durch Private Equity und börsennotierte Aktienunternehmen stoppen.
Notfallversorgung – sektorübergreifendes Gesamtkonzept erstellen
Der Gesetzgeber soll ein schlüssiges Gesamtkonzept für die sektorenübergreifende Kooperation in der Akut- und Notfallversorgung vorlegen. Die isolierte Einführung einer zusätzlichen verpflichtenden, standardisierten Ersteinschätzung, wie im Entwurf zum GKV-GVWG vorgesehen, lehnten die Delegierten ab. Eine solche Ersteinschätzung könne das Vertrauen der Patienten „massiv erschüttern“. In der Notaufnahme eines Krankenhauses müssten Patienten ärztliche Hilfe erhalten und keine Abweisung nur wegen eines Software-Algorithmus.
Zusätzliche Themen und Forderungen hat die Bundesärztekammer in zwei Pressemitteilungen vom 27. Mai und 29. Mai zusammengefasst.
Zitate zum Deutschen Ärztetag
Bundesärztekammer-Vorstandsmitglied Dr. Susanne Johna zur Personalbemessung:
„Wir brauchen einen echten Paradigmenwechsel: Der Erlös darf nicht den Bedarf bestimmen – vielmehr muss der Bedarf durch die Aufgaben bestimmt werden.“
Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, zur GOÄneu:
„Wir fordern den Bundesgesundheitsminister auf, diesen Konsens der Beteiligten umzusetzen. Der gemeinsam von Ärzteschaft sowie PKV und Beihilfe entwickelte Vorschlag garantiert eine rasche Integration zukünftiger medizinischer Innovationen und stärkt die ‚sprechende Medizin‘.“
Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister, nachdem er die GOÄneu in Buchform erhalten hat:
„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das der richtige Weg ist.“ Aber: „Ich werde die neue GOÄ vorurteilsfrei prüfen.“
Die Delegierten zur Verteilung der ärztlichen Arbeitszeit:
„Auf Dokumentationsaufgaben und Arztbriefe wird deutlich mehr Arbeitszeit verwendet als auf den direkten Patientenkontakt.“
Die Delegierten zu den Auswirkungen der Klimakrise:
„Eine besondere Herausforderung stellt die Behandlung multimorbider und hochbetagter Patientinnen und Patienten im Rahmen von Hitzewellen dar.“
Wannenwetsch H: Deutscher Ärztetag: 6.000 neue Medizinstudienplätze und mehr Kindeswohl in Pandemiebekämpfung. Passion Chirurgie. 2022 Juli/August; 12(07/08): Artikel 05_03.
Autor des Artikels
Holger Wannenwetsch
Presse- und ÖffentlichkeitsarbeitBerufsverband der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC) kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
29.12.2017 Politik
Handchirurgen fordern besondere Umsicht beim Feuerwerk
Jedes Jahr an Silvester kommt es zu zahlreichen Unfällen mit Feuerwerkskörpern, nicht zuletzt durch selbst hergestellte oder manipulierte Böller. Bei Verletzungen sind meist die Hände betroffen, oftmals schwer. Deshalb rufen die Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie (DGH) und die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) zum verantwortungsvollen Umgang mit Feuerwerkskörpern auf.
27.12.2017 Politik
Neue EU-Verordnung zur Bewertung von Medizinprodukten
Am 25. Mai ist die neue Medizinprodukte-Verordnung der EU in Kraft getreten. In drei Jahren muss die sogenannte Medical Device Regulation (MDR) verpflichtend umgesetzt werden. Strengere Vorschriften sollen mehr Sicherheit für die Patienten bringen. Für die Hersteller von Medizinprodukten bringt die Verordnung zahlreiche Veränderungen mit sich. Die AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) e. V. ist an dem „Nationalen Arbeitskreis zur Implementierung“ (NAKI) beteiligt, den das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ins Leben gerufen hat, um ein Konzept für die Übergangszeit und für die Umsetzung der Verordnung zu erarbeiten. Aktuelles Ziel von AWMF und BMG ist unter anderem die Festlegung von Bewertungskriterien auch für „alte Medizinprodukte“.
21.12.2017 Politik
Dabrock: Patient muss Souverän seiner Daten bleiben
Wie Big Data im Gesundheitswesen unter Wahrung von Persönlichkeitsinteressen sinnvoll genutzt werden kann, erklärt der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates in der aktuellen Ausgabe von „KBV Klartext“
20.12.2017 Aus- & Weiterbildung
Studienplatzvergabe teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar
Die bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften über das Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen an staatlichen Hochschulen sind, soweit sie die Zulassung zum Studium der Humanmedizin betreffen, teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden. Die beanstandeten bundesgesetzlichen Rahmenvorschriften und gesetzlichen Regelungen der Länder über die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin verletzen den grundrechtlichen Anspruch der Studienplatzbewerberinnen und -bewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot. Außerdem verfehlen die landesgesetzlichen Bestimmungen zum Auswahlverfahren der Hochschulen teilweise die Anforderungen, die sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes ergeben. Eine Neuregelung ist bis zum 31. Dezember 2019 zu treffen.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.