01.03.2021 Aus-, Weiter- & Fortbildung
Kontra Physician Assistant
![](https://www.bdc.de/wp-content/uploads/ebook/87299/OEBPS/images/p23-750x472.jpg)
1.Gibt es eine Kannibalisierung der Pflege durch Abwanderung zum Physician Assistant?
Ohne Zweifel ist der Beruf des Physician Assistant (PA) ein weiteres Tätigkeitsfeld, in das sich Pflegefachkräfte umorientieren können. Von Kannibalisierung würde ich nicht sprechen, da eine Pflegefachkaft, die sich zum Physician Assistant weiterbildet in ihrem Tätigkeitsalltag letztlich den Beruf wechselt.
Man kann jedoch argumentieren, dass es wichtiger für den Pflegeberuf wäre, das Berufsbild zu stärken, etwa durch die Durchsetzung von Personaluntergrenzen, um so dem strukturellen permanenten Personalengpass entgegenzuwirken oder auch einer besseren Bezahlung, die sich zumindest an dem Niveau anderer Facharbeiter orientieren muss.
Dies erscheint gesundheitspolitisch sinnvoller, als durch neue akademisierte Berufsbilder den Exodus aus dem Pflegeberuf zu befördern
2.Höhlt ein „Arzt light“ den ärztlichen Berufsstand aus?
Der Begriff „Arzt light“ zeigt durchaus die Richtung, in die das Projekt des Physician Assistant in Deutschland angelegt zu sein scheint.
Noch vor wenigen Jahren wurde im Rahmen der Diskussion über die Reform der Hochschulausbildung in Europa, beim sogenannten Bolognaprozess für Deutschland argumentiert, dass die Ausbildung in der Medizin durch eine Bachelor-/Master-Reform entscheidend an Tiefe verlieren würde und deshalb unbedingt am sechsjährigen Ausbildungsgang mit dem abschließenden Staatsexamen festzuhalten sei.
Nun wird mit dem Physician Assistant ein Beruf eingeführt, der nach dreijähriger Ausbildung große Teile der bisherigen Tätigkeiten, gerade junger ärztlicher Kollegen übernehmen soll.
Es wird suggeriert, dass praktische Tätigkeiten, von der Erhebung einer Anamnese über apparative Untersuchungen bis hin zur Dokumentation und Kommunikation mit den Patienten auch ohne sechsjähriges Medizinstudium bei fehlender Qualitätsveränderung erbracht werden können.
Zwar steht diese Tätigkeit immer unter dem Vorbehalt der Delegation und Beaufsichtigung durch einen Arzt; dies ist aber bei Weiterbildungsassistent/innen im Krankenhaus nicht anders, die zur Sicherstellung des Facharztstandards in ihrer Tätigkeit ebenfalls von vorgesetzten Ärzten supervidiert werden.
Gelingt es der Ärzteschaft nicht, hier zu begründen und abzugrenzen, welche Tätigkeit auch weiterhin dem Arzt vorbehalten sein muss, besteht die große Gefahr einer grundlegenden Veränderung des Arztberufes weg von der konkreten Tätigkeit in der Versorgung von PatientInnen hin zum Management und Supervision nachgeordneter nicht-ärztlicher Assistenzberufe.
3.Schafft ein weiteres Berufsbild zusätzlich unnötige Schnittstellen?
Als jemand, der den Physician Assistant in vielerlei Hinsicht für sehr problematisch hält, sehe ich jede zusätzliche Schnittstelle sowohl zum ärztlichen Dienst als auch zur Pflege als „unnötig“ an.
4.Findet eine Reduktion der Ausbildungsqualität für WeiterbildungsassistentInnen statt?
Betrachtet man die von den entsprechenden Hochschulen herausgegebenen Werbepublikationen zu den möglichen Tätigkeitsfeldern der von ihnen ausgebildeten Physician Assistants (zum Beispiel den einschlägigen Flyer der dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Karlsruhe 1), so stellt man fest, dass diese vor allem im stationären Sektor zu großen Teilen Tätigkeiten umfassen, die heute von ÄrztInnen in Weiterbildung ausgefüllt werden.
Ob man hier Dokumentationspflichten, das „Aufstellen“ und die „Durchführung“ von Behandlungsplänen oder auch die standardisierte Durchführung technischer Untersuchungen betrachtet. Bei all diesen Tätigkeitsfeldern konkurrieren ÄrztInnen in Weiterbildung mit dem neugeschaffenen preiswerteren Assistenzberuf.
Besonders kritisch erscheint mir dies etwa bei der „Zielgruppen-adaptierten Kommunikation“, wie es im Flyer der DHBW heißt. Es ist sehr naheliegend, sich hierbei die Arzt-Patienten-Kommunikation vorzustellen, also auch die Durchführung von Visiten oder die Mitteilung von bildgebenden oder histologischen Untersuchungsergebnisse, die häufig von Patienten sehr angespannt oder ängstlich erwartet werden.
Gerade die Weiterbildung in Kommunikationstechniken ist eine der grundlegenden Schwächen der in Deutschland praktizierten Weiterbildung „on the job“. Hier adäquate Techniken zu entwickeln, um diese später souverän anwenden zu können setzt tägliches Training während der Weiterbildungszeit voraus. Darüber hinaus ist sie ein Grundpfeiler ärztlichen Handels jenseits technischer und chirurgischer Fähigkeiten.
Die Abgabe der Kommunikation mit PatientInnen und deren Angehörigen an die Physician Assistants ist deshalb ein schwerer Fehler.
In operativen Disziplinen ist der Einsatz von Physician Assistants im Hinblick auf die chirurgische Weiterbildung ebenfalls problematisch. Auch ein im OP für assistierende Tätigkeiten eingesetzter Physician Assistant muss in diesen Tätigkeiten zunächst ausgebildet werden und die einzelnen Operationen erlernen. Hier konkurriert er also unmittelbar mit einer ÄrztIn in Weiterbildung, um die knappen Weiterbildungsresourcen im OP.
Danach ist eine solche Assistenzkraft im OP sicher sehr wertvoll und der Antrieb die ärztlichen WeiterbildungsassistentInnen dann ebenfalls weiterzubilden nicht mehr so dringend, besonders auch wieder unter ökonomischen Gesichtspunkten
Da die ärztlichen Weiterbildungsstellen – wie unten unter 5. noch weiter ausgeführt werden wird – sich außerdem vermindern werden, werden diese Entwicklungen zu einer deutlichen Verschlechterung der Weiterbildungssituation der nächsten Generation von Fachärzten führen… und das von einem schon jetzt besorgniserregend niedrigem Ausgangsniveau aus.
5.Physician Assistants sind nur eine Billigversion für sparsame Krankenhausgeschäftsführer
Wie bereits ausgeführt, überschneiden sich die Tätigkeitsfelder von Physician Assistants mit denen von ÄrztInnen in Weiterbildung zu einem erheblichen Teil.
Gleichzeitig werden die Physician Assistants deutlich geringer vergütet als Ärzte nach den Tarifverträgen des Marburger Bunds, sodass hier für Krankenhausmanager ein erheblicher materieller Anreiz besteht, Stellen im ärztlichen Dienst durch Physician Assistants zu substituieren.
Vor diesem Hintergrund kommt das häufig bemühte Argument, dass durch Physician Assistants ÄrztInnen für die „wirklich“ ärztlichen Tätigkeiten entlastet würden, dem Werfen einer Nebelkerze gleich.
Bereits bei der Einführung von DokumentationsassistentInnen für die DRG-Codierung in vielen Häusern konnte man erfahren, wie ein neuer Assistenzberuf in die vorhandene Stellenstruktur eingepasst wird.
Es wird dafür mehr oder weniger präzise berechnet, wie groß der Zeitanteil der DRG-Codierung an der Arbeitszeit der Ärzte ist. Wenn man hier auf einen Wert von 10 bis 15 Prozent der Arbeitszeit für die Codierung kommt, so bedeutet dies, dass in einer Abteilung mit zehn ärztlichen Vollkräften eben dieser Prozentsatz der Stellen für Dokumentationskräfte umgewandelt wird – im gewählten Beispiel also eine bis anderthalb ÄrztInnen-Stelle mit der Begründung, dass die Kodiertätigkeit für die ÄrztInnen ja wegfällt.
Angesichts der Tatsache, dass die Tätigkeitsbeschreibung für den Physician Assistant, wie zum Beispiel in dem bereits erwähnten Flyer der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, zu über der Hälfte Arbeitsfelder erwähnt, die ohne Zweifel heutige Tätigkeiten von StationsärztInnen darstellen, ist es aus Sicht von Krankenhausmanagern naheliegend, dann auch einen möglichst großen Anteil der ärztlichen Stellen durch billigere Physician Assistants zu ersetzen.
Eine Netto-Entlastung in Bezug auf die ärztliche Arbeitszeit findet durch solche Berechnungen also nicht statt!
Während im Falle der ungeliebten DRG-Codierung wenigstens eine Entlastung von einer nicht als genuin ärztlich empfundenen Tätigkeit erzielt wird, erfolgt bei der flächendeckenden Einführung von Physician Assistants eine massive Umverteilung bisher unbezweifelt ärztlicher Tätigkeiten zu den wirtschaftlich preiswerteren Vertretern eines neuen Assistenzberufes, mit möglicherweise katastrophalen Folgen für die ärztlichen Stellenpläne.
Es besteht aus meiner Sicht kein Zweifel, dass eine solche Entwicklung die Patientenversorgung verschlechtert und langfristig einen strukturellen Ärztemangel erzeugen wird.
Literatur
[1] https://www.karlsruhe.dhbw.de/fileadmin/user_upload/documents/downloads/Flyer/DHBW-Flyer-Physician-Assistant.pdf Württemberg Kar 76133 K
Veelken J: Kontra Physician Assistant. Passion Chirurgie. 2021 März; 11(03): Artikel 03_04.
Autor des Artikels
![Profilbild von Julian Veelken](https://www.bdc.de/wp-content/uploads/avatars/30884/6053df736b901-bpfull.png)
Julian Veelken
Facharzt für Neurochirurgie und Spezielle SchmerztherapieMedizinisches Versorgungszentrum, Berlin-HellersdorfSprecher Fraktion GesundheitÄrztekammer Berlin kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
01.09.2022 Medizinstudium
Nachwuchs: Heute PJ – Morgen Chirurgie?!
Der Nachwuchsmangel in der Chirurgie ist präsent wie nie zuvor. In vielen Kliniken – besonders in ländlichen Gebieten – fehlt es an qualifizierten Ärztinnen und Ärzten, die eine chirurgische Ausbildung anstreben. Trotz zunehmender Anzahl Absolvent:innen des Medizinstudiums entscheiden sich viele gegen eine chirurgische Ausbildung, insbesondere während der letzten Studienjahre. Während sich bei Beginn des Medizinstudiums ca. 30 % vorstellen könnten, Chirurg:in zu werden, ist dies nur bei ca. 18 % der PJ-Studierenden der Fall.
01.09.2022 BDC|News
Akademie Aktuell: Passion Chirurgie im Gespräch mit dem Moderator:innen-Team von Surgeon Talk
Im Juni startete Surgeon Talk, ein neues Format der BDC|Akademie. Surgeon Talk ist ein etwa halbstündiger chirurgischer Podcast, der zunächst alle zwei Wochen als Interview mit wechselnden Gesprächspartner:innen und Beiträgen zu aktuellen Themen der Chirurgie veröffentlicht wird. Passion Chirurgie hat das Moderator:innen-Team des Podcasts zu einem Interview eingeladen.
01.09.2022 CME-Artikel
CME-Artikel: Subtrochantäre Femurfrakturen: eine operative Herausforderung?
Subtrochantäre Femurfrakturen gehören zu den hüftgelenknahen Frakturen und liegen definitionsgemäß in einem Bereich von bis zu fünf Zentimeter unterhalb des Trochanter minor. Die operative Behandlung subtrochantärer Femurfrakturen stellt nach wie vor eine Herausforderung dar, weil dieser Frakturtyp einige Besonderheiten aufweist, welche maßgeblich auf die Anatomie und ortsständige Biomechanik zurückzuführen sind. Ziel dieses Beitrages ist es, diese Besonderheiten darzustellen und nachfolgend bei der Planung und Durchführung der operativen Behandlung berücksichtigen zu können, um Komplikationen zu vermeiden.
30.08.2022 Akademie aktuell
Start in den BDC-Fortbildungsherbst
Der Herbst steht vor der Tür! Und mit ihm der Start vieler qualitativ hochwertiger Online- oder Präsenzfortbildungen der BDC-Akademie mit vielen Themen rund um die Chirurgie im September.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.