01.07.2010 Politik
Die Reform der Reform der… Betrachtungen aus „Süd-Schweden“
Gerade einmal 18 Monate ist es her, dass die große Honorarreform der vertragsärztlichen Vergütung in Kraft trat. Von der KBV mit viel Optimismus und als Erfolg eingeführt sollte sie dem niedergelassenen Arzt eine gerechtere Vergütung ermöglichen und den Ausweg aus dem Hamsterrad mit frei floatenden, sprich sinkenden Punktwerten aufzeigen. Das Resultat war eine gleichmacherische Vergütung mit einem bundeseinheitlichen Orientierungspunktwert (BOP) von 3,5 Cent. Als Verbesserung konnte dabei lediglich gelten, dass tatsächlich eine Eurovergütung erfolgte und der Arzt schon am Anfang des laufenden Quartals wusste, was er maximal honoriert bekommt.
Aufgrund vorbestender regional höchst unterschiedlicher Honorarverteilungsmaßstäbe führte die neue Kalkulation der Verteilung der Gesamtvergütungen zu massiven Geldumverteilungen in den einzelnen KVen und weiter herunter gebrochen auch auf die einzelnen Fachgruppen und Ärzte. Schleswig-Holstein geriet dabei ohne Zweifel auf die Verliererseite – es wurde bestraft für eine jahrelange (und eigentlich richtige) Politik der strikten Mengenbegrenzung. Nicht erst seit dieser Zeit besteht denn auch ein distanziertes bis aufmüpfiges Verhältnis zur KBV und hier besonders zu Dr. Köhler. Vorläufiger Höhepunkt dieser gegenseitigen Wertschätzung ist ein Zitat des großen Bundesvorsitzenden am Rande der letzten VV in Dresden, wo er drohte die KV Schleswig-Holstein nach Schweden abzugeben.
Gleichwohl hat die aus Sicht des nördlichsten Bundeslandes völlig verkorkste Honorarreform aber auch Positives hervorgebracht: Innerhalb der KVSH wurde durch eine beeindruckende Solidaritätsaktion aller Haus- und Fachärzte eine Verlustbegrenzung eingeführt durch Verzicht auf Honorargewinne. Das Resultat war denn auch tatsächlich, dass keine Fachgruppe zu Gewinnern wurde – es gab nur Verlierer, dies aber in unterschiedlichem Ausmaß. Das Bewusstsein, dass alle Arztgruppen zu den Verlierern der Reform zählten, schweißte die Schleswig-Holsteiner Kollegen noch mehr zusammen und führte zu intensiven Diskussionen über mögliche Auswege aus dem Dilemma.
Die jetzt ab Juli 2010 geltende Neuordnung der Vertragsärztlichen Versorgung (NVV) stellt einen solchen Ausweg aber sicher nicht dar. Die Gesamtvergütung bleibt in der Höhe natürlich unverändert und auch für die Zukunft ist ja gerade in Anbetracht der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise kaum mit mehr Geld im System zu rechnen. Die Neu- oder besser Wiedereinführung von qualitätsgebundenen Zusatzvolumina (QZV) aber schafft zumindest ein Stück mehr Gerechtigkeit innerhalb der Arztgruppen und eine Stabilisierung der frei fallenden Regelleistungsvolumina, die zuletzt für Chirurgen in SH bei 23 € lagen und damit kaum den Wert der Ordinationsziffer überstiegen.
Der Grund dafür waren sogenannte freie Leistungen, die unbegrenzt mit einem festen Punktwert vergütet wurden, dies aber aus der gedeckelten Gesamtvergütung heraus. Da es wie erwartet zu einem Run auf die freien Leistungen kam, musste das Resultat ein notwendigerweise schrumpfendes Regelleistungsvolumen sein. Und da im HVV geregelt war, dass Fachgruppentöpfe erst nach Abzug dieser extrabudgetären (aber intrahonorarvoluminären) Leistungen gebildet wurden, kam es zu einer weiteren Ungerechtigkeit: Die massive Ausweitung von freien Leistungen einer einzelnen Fachgruppe, z. B. bei der Akupunktur durch die Orthopäden, führte zu einem Absinken der RLV in allen Fachgruppen.
Diesem ist jetzt ein Riegel vorgeschoben. So werden für die zukünftige Honorarverteilung erst die Fachgruppentöpfe gebildet. Danach werden die QZV gebildet, wobei in SH darauf geachtet wurde, dass nicht alle 25 von der KBV identifizierten Leistungen berücksichtigt wurden. Vielmehr sollten ausschließlich an eine tatsächlich erworbene Qualität gebundene Leistungen berücksichtigt werden. Das heißt für uns Chirurgen die Wiedereinführung der alten gelben Budgets, also Röntgen, Sono, Duplex, Phlebologie und Psychosomatische Grundversorgung. Die Berechnung des arztindividuellen QZV erfolgt leistungsfallbezogen auf die abgerechnete Punktmenge des Vergleichsquartales 2008. Erst jetzt, nach Bildung der QZV in der Fachgruppe, wird nun das Regelleistungsvolumen gebildet. Die aktuellen Zahlen stehen noch aus und können nach Angaben der KV erst in der letzten Juni-Woche geliefert werden.
Durch die Einführung der QZV wird es zu einer Stabilisierung der RLV kommen, nach vorsichtiger Schätzung wird eine Aufwertung um etwa 10 Prozent erwartet. Gleichzeitig werden die Kollegen, die technisch hochwertige und qualitätsgebundene Leistungen erbringen wieder etwas besser gestellt, was ein Stück weit mehr Gerechtigkeit bringt.
Das ist dann aber auch schon alles. Auch dieses System wird nur für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren eine gewisse Stabilität garantieren – spätestens dann wird der Hamsterradeffekt erneut zum Tragen kommen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Zeit genutzt werden kann, um einen definitiven und belastbaren Ausweg aus der Honorarmisere zu finden.
Nach meiner festen Überzeugung geht dies nur mit einem vollständigen Systemwechsel – weg vom Sachleistungsprinzip und hin zur Kostenerstattung. Die demografische Entwicklung und der medizinische Fortschritt lassen keinen anderen Weg zu. Das Bewusstsein dafür muss in intensiven Diskussionen innerhalb der gesamten Gesellschaft – nicht nur innerärztlich! – hergestellt werden. Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass der Bundesbürger die Sachzwänge versteht – so wie er es ja auch bei der Rente verstanden hat. Wenn man dann durch Erstellen einer Honorarliquidation den Bürger so individuell an der Finanzierung des Gesundheitssystems beteiligt, dann wird das Bewusstsein für die Kostenentwicklung weiter geschärft. Natürlich kann ein solches Modell nur mit einem sozialen Ausgleich für die Schwachen unserer Gesellschaft funktionieren. Und funktionieren tut es – man gehe nur in angrenzende Länder.
In Schleswig-Holstein soll mit Unterstützung der Kassen und des Ministeriums noch in diesem Jahr in einem KV-Bezirk die Kostenerstattung modellhaft erprobt werden. Auch wenn aktuell auf dem Dresdner Ärztetag gerade dieses Modell wieder von den Delegierten abgeschmettert wurde, so gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass steter Tropfen doch den Stein aushöhlt. Selbst KBV-Köhler schreibt neuerdings das Unwort Kostenerstattung auf seine Fahnen!
Autor des Artikels
Dr. med. Ralf W. Schmitz
Vorsitzender Landesverband BDC|Schleswig-HolsteinMVZ Chirurgie KielSchönberger Str. 1124148Kiel kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
17.04.2018 Krankenhaus
Arztassistenten: Die Rolle des Physician Assistant im Krankenhaus
In den vergangenen Jahren müssen sich Ärzte im Krankenhaus neben der Patientenbetreuung zunehmend auch um administrative und bürokratische Tätigkeiten kümmern. Diese verschlingen häufig mehrere Stunden pro Tag – Kapazitäten, die in der Patientenversorgen fehlen.
13.04.2018 Politik
KBV fordert schrittweise Entbudgetierung ärztlicher Leistungen
Einem unbegrenzten Bedarf der Patienten an ärztlichen Leistungen kann aus Sicht der KBV keine budgetierte Vergütung der Ärzte gegenüber stehen. Vor allem, wenn die Politik gleichzeitig mehr Arbeitszeit fordert. Das machte der Vorstand der KBV vor Journalisten deutlich und präsentierte ein Konzept für einen schrittweisen Ausstieg aus dem Budget.
11.04.2018 Aus- & Weiterbildung
Rentenwelle und Nachwuchsprobleme: Bald gehen uns die Chirurgen aus
Bis 2020 erreichen etwa 11 000 Chirurginnen und Chirurgen das Rentenalter, das betrifft etwa die Hälfte aller niedergelassenen und fast jeden dritten stationär tätigen Chirurgen. Eine Analyse des Wirtschaftsprüfers PricewaterhouseCoopers zeigt, dass 2030 fast jeder vierte chirurgische Arbeitsplatz unbesetzt sein wird – bei stetig steigenden Operationszahlen in Deutschland und fehlendem Nachwuchs.
10.04.2018 Krankenhaus
Chirurgen und Pflegerat fordern steuerfinanziertes Sofortprogramm für Pflege
Immer häufiger müssen Operationssäle leer stehen und Intensivbetten gesperrt werden, weil in den Kliniken das Fachpersonal fehlt. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) und der Deutsche Pflegerat e.V. (DPR) fordern daher in einer gemeinsamen Stellungnahme ein steuerfinanziertes Sofortprogramm zur Schaffung von 50.000 Planstellen für Pflegepersonal, eine bessere Vergütung und eine Umsetzung von Personalschlüsseln, die Schweregrade bei der Versorgung flexibel berücksichtigen. Über die aktuelle Situation und den notwendigen Änderungsbedarf informieren Experten auf einer Pressekonferenz anlässlich des 135. Chirurgenkongresses in Berlin.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.