01.03.2019 Personalia
Im Gedenken an Prof. h.c. Dr. med. Karl Hempel
Die biografischen Daten und der Werdegang unseres ehemaligen Chefs und chirurgischen Lehrers Karl Hempel gehen aus den Nachrufen von offizieller Seite hervor, und sie können schon lange, wie heute üblich, aus dem Internet erfahren werden.
Wir, die Schüler, ehemaligen Mitarbeiter und Freunde in seinen späten Jahren, halten es jedoch für mitteilenswert, einmal den Menschen Karl Hempel, wie wir ihn erlebt haben, zu skizzieren, wobei auf seine gesamte Persönlichkeit nur Schlaglichter fallen können.
Wenn wir früher oft am Ende einer Operation, wenn etwa beim Bauchdeckenverschluss die stressigsten Phasen vorüber waren, über Chirurgenpersönlichkeiten sprachen, meinte er hin und wieder, ein wirklich vernichtendes Urteil über einen Chirurgen sei, wenn man ihn eines Tages einmal im Nachhinein als „netten Menschen“ bezeichnete. Diese Beschreibung seines Charakters würde den Aufgaben, die sich einem Chirurgen stellen, in keiner Weise gerecht. Durchsetzungsfähigkeit, Hartnäckigkeit, Ausdauer, auch Ehrgeiz waren für ihn viel mehr ein Teil der Attribute, die eine respektable Chirurgenpersönlichkeit auszeichnen. Bereits diese wenigen genannten Seiten seines Bildes eines Chirurgen schlossen das einfache „Nett sein“, das Harmoniebedürftigkeit und insofern auch Schwäche suggeriert, fast aus. So war er selbst ein Kämpfer für seine Interessen, wobei er unter den Mitarbeitern seines eigenen Chefs einige später ebenfalls recht erfolgreiche Kollegen zu überholen wusste und die Nachfolge des Leiters der eigenen Abteilung 1969 antrat. Hierbei half ihm zuvorderst seine exzellente handwerkliche Begabung, wobei er sich nie scheute, sondern sich stolz zeigte preiszugeben, der Familie eines Handwerksmeisters aus Vorpommern zu entstammen. Für ihn war die einwandfreie Beherrschung des chirurgischen Handwerks immer die Basis und Grundvoraussetzung, sozusagen die „Existenzberechtigung“ eines Chirurgen. Deshalb war es ihm wichtig, sich persönlich von den diesbezüglichen Fähigkeiten seiner Mitarbeiter immer wieder zu überzeugen. Hempel verlangte in jeder Beziehung seinen Schülern sehr viel in der täglichen Arbeit ab, was später aus seiner Schule hervorgehende Ärzte in leitenden Positionen bleibend prägte. Die Weitergabe seiner chirurgischen Kunst in der Facharztausbildung von Mann zu Mann (oder Frau) zählten für ihn zum integralen Bestandteil der Aufgaben des Chefs einer chirurgischen Klinik. Er scheute sich dabei nicht, Kollegen in der Ausbildung sehr früh den Rat zu erteilen, ein anderes Fach zu erwählen, wenn er als sein/ihr handwerklicher Lehrer zu der Überzeugung gelangt war, der/die Kandidat/in werde es nie zu selbstständigen Bestleistungen am OP-Tisch bringen. Wen er dann jedoch in sein Team aufgenommen hatte, den schloss er in seine weitblickenden Zukunftsplanungen, auch im Rahmen seines Kampfeswillen um Ziele, ein. Je älter er wurde, galt dies immer mehr für eine ganze Chirurgengeneration, für die er berufspolitisch kämpfte und die sich hierdurch dermaßen überzeugen ließ, dass er den BDC als Präsident erstmals zu einer Mitgliederzahl von über 10.000 brachte.
Hempels Charakter mit Kampfeswillen und Ehrgeiz, aber auch Teamgeist, prädestinierten ihn ganz selbstverständlich auch zu einem erfolgreichen Sportler. So erntete er in den 1950er Jahren sportliche Erfolge mit der Handballmannschaft aus Hamburg Rahlstedt. Später widmete er sich dem Tennis, wobei das Wandsbeker Krankenhaus, dessen Ärztlicher Direktor er bereits 1965 geworden war, im Pavillon-System erbaut war (in einem dieser Häuser wohnte er mit seiner Familie) und auf dem großen Gelände eigene Tennisplätze aufwies, die den ursprünglichen Kern des späteren Tennisclub MTHC in Hamburg bildeten. Hier war er noch in den 1970ern Meister der Senioren (Der Club war inzwischen unter seiner Führung als Vereinspräsident umgezogen und deutlich vergrößert). Im hohen Alter widmete er sich dem Golf, natürlich ebenfalls mit bemerkenswert niedrigem Handicap.
Hempel war überdies auch eine umfassend gebildete Persönlichkeit. Er war nicht nur in der fachspezifischen Literatur so belesen, dass er ohne die heute üblichen Hilfestellungen der digitalen Welt und elektronischen Medien spielend ausgekommen ist. Er war immer auf dem aktuellen Stand der für seine tägliche Arbeit am Patienten relevanten Wissenschaft und konnte wie ein medizinisches Lexikon zitieren. Bei kritischer Bewertung der Literatur maß er die Qualität des Gelesenen immer am nachhaltigen Benefit für unsere Patienten. In diesem Zusammenhang bemerkte er oft, „dass der liebe Gott die einwandfreie Diagnose und die daraus sich im Sinne des Patienteninteresses ergebende Indikation immer vor die schönste Operation gestellt habe“. Zusätzlich zur fachspezifischen las er jedoch auch die Weltliteratur, und zwar mit steigendem Alter auch in der Originalsprache, was ihn nicht davor zurückschrecken ließ, sich daranzumachen, in seinen großen Fremdsprachenschatz noch Russisch und Polnisch aufzunehmen. Es gehörte freilich zu seiner authentischen Selbstsicherheit, Sprachen als soziales Medium wahrzunehmen und zwanglos zu benutzen, sodass ihn der eine oder andere Fehler in der Aussprache nicht zurückhielt, offen und frei in jeder Sprache zu kommunizieren. Hierbei hatte er großen Erfolg und Anklang bei internationalen Kontakten, die unserem Team durch Neuigkeiten, die er von seinen Reisen mitbrachte, immer neue Anregungen und „Input“ brachten. Manchmal brachte er auch nur „Tricks“ für den chirurgischen Alltag mit und bemerkte: „Ein Chirurg lernt ein Leben lang neue Tricks; und wenn er alle beherrscht, tritt er ab!“
Weitere wesentliche und mitreißende Facetten der Persönlichkeit Hempels waren sein Humor, seine Fähigkeit Wichtiges vom Unwichtigen zu unterscheiden und die grundsätzlich positive Lebenseinstellung, übrigens bei erstaunlicher materieller Anspruchslosigkeit. Alles Eigenschaften, die wahrscheinlich eine gute Voraussetzung für das Erreichen seines hohen Lebensalters gewesen sind. So konnte er sich manches Mal über sich selbst, aber auch über uns und andere Kollegen köstlich amüsieren und bemerken, welch „verrückte Typen“ durch unseren Beruf magisch angezogen werden. Hierbei zielte er auf die verborgenen, ganz unterschiedlichen Quellen des Antriebs, aus dem wir unsere Kraft schöpfen und ohne den die Hochleistungen, die uns abverlangt werden, nicht denkbar sind. So beobachtete er beispielsweise scharfsinnig die eine oder andere Eitelkeit. Eines seiner mit Augenzwinkern in diesem Kontext vorgebrachten Bonmots war die Story eines selbstgefälligen Kollegen, der seinen Nachfahren aufgab: „Und vergesst nicht zu erwähnen, dass ich so bescheiden war!“
Mit zunehmendem Alter wurde Hempel immer weicher und weiser, jedoch keinesfalls undifferenzierter. Er erahnte schon früh in den 80ern die Bedrohungen unserer Zunft durch überbordende Bürokratie und juristisches Kreuzfeuer. Besorgniserregend empfand er die später deutlich werdenden zunehmenden Tendenzen der Ökonomisierung der Medizin. Auch in diesen Fragen blieb er für viele, die zu ihm Kontakt behielten, ein hervorragender und erfahrener, immer hilfsbereiter Ratgeber, der vor allem – und das ist wohl die Weisheit des Alters – Probleme mit Augenmaß betrachtete und begleitend zu seinem erfahrenen Rat so einordnete, dass man ihn nach einem Besuch in der Regel deutlich erleichtert verlassen konnte.
Wir verlieren in ihm einen großen Lehrer und Freund, dem wir für sein Vorbild, so manchen Rat und die positive Energie danken, die er aufgrund seines Wesens ausstrahlte, und die uns zu manchen Hochleistungen zu beflügeln imstande war. Wir drücken besonders seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn, seiner Tochter und Enkeln unser Mitgefühl aus.
Im Namen der Schüler und Freunde
Dr. med. Peter Breuer
www.breuer-gefaesschirurgie.de
Autor des Artikels
Dr. med. Peter Breuer
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