01.05.2018 Fachübergreifend
Sektorenübergreifende Versorgung – ein Dauerthema der Gesundheitspolitik
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Die Überwindung der gerade in Deutschland ausgesprochen undurchlässigen Sektorengrenze zwischen Krankenhäusern und Arztpraxen steht seit mehr als einem Jahrzehnt auf der politischen Agenda. War in früheren Jahren der Gedanke der Effizienzoptimierung führend, so hat sich der Fokus jetzt mehr auf die Sicherung der ärztlichen Versorgung in strukturschwachen Gebieten und auf die Notfallversorgung verlagert. So enthält der aktuelle Koalitionsvertrag den Auftrag, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten, die bis 2020 umfassende Vorschläge zur Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Versorgung vorlegen soll [1]. Im Folgenden werden der Status quo und die Positionen des BDC für den Bereich der Chirurgie dargestellt.
Belegarztwesen und Kooperationsverträge
Umfang und Fallzahlen der belegärztlichen Versorgung sind in den letzten Jahren rückläufig. Dies ist u. a. auf die Umwandlung von Beleg-Abteilungen in Hauptabteilungen und auf die erheblichen Erlös-Differenzen zwischen A-DRG und B-DRG zurückzuführen. Dabei ist die belegärztliche Versorgung grundsätzlich das klassische und bewährte System der geregelten intersektoralen Zusammenarbeit. Zur weiteren Stärkung dieses Systems bedarf es aber einer Öffnung und Reform der Rahmenbedingungen, wie dies im Beitrag von Dirk Farghal in dieser Ausgabe der Passion Chirurgie plastisch dargestellt wird.
In dieser Hinsicht ist auch die KBV aktiv dabei, dem Belegarztwesen neuen Schwung zu verleihen. Die Öffentlichkeitsarbeit der KBV verfolgt ähnliche Ziele und ein aktuelles Modellprojekt zur onkologisch-hämatologischen belegärztlichen Versorgung zeigt neue Möglichkeiten auf [2].
Aber auch von ärztlicher Seite wurden Belegarztverträge zu Gunsten von finanziell attraktiveren Kooperationsvereinbarungen aufgekündigt. Dabei kam es vereinzelt zu nicht nachvollziehbaren Honorarflüssen, die den Verdacht auf eine Zuweisung gegen Entgelt nahelegten. In Anbetracht des Antikorruptionsgesetzes sind diese zweifelhaften Koppelgeschäfte beendet worden, sodass es keinen Grund gibt, reelle und seriöse intersektorale Kooperationen nicht weiterzuführen. Da die gesetzlichen Regelungen der §§ 299 -300 StGB jedoch einen weiten Interpretationsspielraum lassen, befinden sich viele Kooperationsärzte zurzeit in einem juristischen Schwebezustand, der auch durch kompetente anwaltliche Beratung nicht aufgelöst werden kann. Es ist zu hoffen, dass durch eine wegweisende höchstrichterliche Rechtsprechung möglichst rasch Leitplanken für die Zulässigkeit von Honorar-Vereinbarungen ergeben werden.
Unabhängig davon ist die Motivation vonseiten der Krankenhäuser zum Abschluss von derartigen Kooperationsverträgen zu hinterfragen. Solange Mindestmengen und attraktive DRG-Erlöse für elektive Eingriffe die Anzahl von Endoprothesen-Operationen beeinflussen, wird dies negative Auswirkungen auf den Qualitäts-Wettbewerb und die Indikationsstellung haben. Stattdessen müssen aus Sicht des BDC die Vorteile für die Patientensicherheit und die Sicherstellung der Versorgung in strukturell schwachen Gebieten mehr in den Fokus solcher Kooperationen treten.
Ob die Vorstellung der KBV realistisch ist, unrentable Krankenhäuser in strukturschwachen Gebieten in Praxis-Kliniken und Facharzt-Zentren umzuwandeln, bleibt kritisch zu hinterfragen. Der Facharztmangel wird sich auch durch derartige Umfirmierungen nicht beseitigen lassen, sodass es auf mittlere Sicht unvermeidbar sein dürfte, die fachärztliche Versorgung – sei es ambulant, stationär oder auch intersektoral – zu zentralisieren.
Notfallaufnahmen und Bereitschaftsdienst
Die zunehmende Inanspruchnahme der Notaufnahmen der Krankenhäuser auch durch Patienten ohne medizinisch definierten Notfall und auch während der Öffnungszeiten der Arztpraxen muss zweifellos kanalisiert werden. Der Koalitionsvertrag sieht dazu gemeinsame Notfallleitstellen und „integrierte Notfallzentren“ vor. Die KBV, die DKG und der Marburger Bund haben jüngst Lösungsvorschläge unterbreitet, die sich auch weitgehend mit den Empfehlungen des Sachverständigenrats der Bundesregierung [3] decken. Die Finanzierung einer solchen Lösung ist jedoch vollkommen offen.
Für die Notfallversorgung gilt der gleiche Grundsatz wie für die übrige fachärztliche Versorgung, nämlich dass in der Zukunft nicht alle Leistungen an jedem Ort gewährleistet werden können. Die Konzentration auf bestimmte Krankenhäuser mit kooperativen Notaufnahmen, in denen auch niedergelassene Ärzte tätig sind, ist hier zielführend. Eine Steuerung der überbordenden Patientenwünsche nach möglichst sofortiger und kompletter Lösung ihrer Gesundheitsprobleme erfordert aus ärztlicher Perspektive die Einführung von spürbaren Zuzahlungen. Da dies zurzeit politisch nicht durchsetzbar ist, müssen andere Wege gesucht werden, einerseits im Vorfeld eine Steuerung in die geeignete Ebene der Versorgung zu gewährleisten und andererseits die Versorgung von echten Notfällen auch betriebswirtschaftlich auskömmlich zu finanzieren.
In Schleswig-Holstein haben sich gemeinsam betriebene Portalpraxen an bestimmten Krankenhäusern bewährt. Das Konzept soll jetzt, auch mit Billigung der Landes-KV, auf die üblichen Sprechstundenzeiten ausgeweitet werden [4].
Chirurgische Grundversorgung
Die Sicherung einer ambulanten chirurgischen Grundversorgung muss wieder in den Fokus der Gesundheitspolitik treten. Der Trend zur Spezialisierung auch in den chirurgischen Praxen darf nicht dazu führen, dass es Versorgungsmängel für die klassischen Probleme der alltäglichen Praxis wie Wundversorgungen, Abszess-Spaltungen und Erstbehandlungen von Distorsionen und Frakturen gibt. Ein erster Schritt ist die KBV-Forderung nach einer Aufhebung der Budgets für alle Grundleistungen im ambulanten Bereich. Ähnlich wie für die Notfallversorgung muss jedoch für alle chirurgischen Grundleistungen wieder eine betriebswirtschaftliche Refinanzierung gewährleistet sein. Dies umso mehr, da mit der zu erwartenden Schließung von Krankenhäusern in strukturschwachen Gebieten die chirurgischen Praxen in vorderste Front für die Grundversorgung rücken. Dies wird sich aller Voraussicht nach nur über regionale Sonderverträge regeln lassen. Der BDC steht dafür als Verhandlungspartner zur Verfügung.
Ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV)
Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung fristet weiterhin ein Nischendasein und wird sich voraussichtlich auch kaum zu einem versorgungsrelevanten Umfang entwickeln lassen. Der intersektorale Ansatz ist vielversprechend, war jedoch von Anfang an nicht auf die Menge, sondern auf seltene Erkrankungen und auf Erkrankungen mit besonderem Krankheitsverlauf beschränkt. Das Genehmigungsverfahren und die Bedingungen für die ASV sind äußerst komplex und bürokratisch, so, dass manche intersektorale Interessengemeinschaft schon allein deswegen zurückschrecken dürfte. Nachdem jetzt die Beobachtungsphase der ASV vorüber ist, gilt es die Bedingungen noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und zu klären, ob die ASV nicht auch für die Schließung von regionalen Versorgungslücken geöffnet werden könnte.
Finanzierung
Infolge der vom Gesetzgeber initiierten und propagierten Ökonomisierung des deutschen Gesundheitswesens ist es eine Illusion zu glauben, dass sich Verbesserungen der intersektoralen Zusammenarbeit ohne finanzielle Anreize umsetzen lassen würden. Die Abkoppelung der Personalkostenentwicklung von der DRG-Systematik laut Koalitionsvertrag dürfte einen ersten Schritt darstellen, der allerdings in gleicher Weise auch für die Arztpraxen gelten müsste.
Mit der Unterstützung des BDC läuft zurzeit ein von Stephan Dittrich maßgeblich geförderter Modell-Versuch zu sogenannten Hybrid-DRGs in Thüringen [5], der aber leider nur von einer großen bundesweiten Krankenkasse mitgetragen wird. Die plakative Forderung der DKG nach einem Honorar von 130 Euro für jeden Krankhaus-Notfall kann in gleicher Weise auch für die niedergelassenen Chirurgen übernommen werden: Die ungeplante Versorgung von Notfällen erfordert im Krankenhaus ebenso wie in der Praxis die Vorhaltung von strukturellen und personellen Reserven. Bei einer auskömmlichen Finanzierung wäre dies durchaus auch für die chirurgischen Praxen attraktiv. Zurzeit jedoch bringen Notfälle nur die Terminsprechstunden durcheinander und halten von geplanten Elektiv-Eingriffen ab. Krankenhäuser und chirurgische Praxen sitzen bei diesem Problem durchaus im gleichen Boot. Der BDC bietet sich als kompetenter Ansprechpartner für mögliche Strukturverträge mit den Krankenkassen an.
Kommunikation
Kooperation erfordert vor allem eine optimale Kommunikation. Leider klappt dies immer noch nicht in allen Bereichen, zumal das Entlassmanagement noch nicht an allen Krankenhäusern umgesetzt wurde. Der Austausch von relevanten Gesundheitsdaten über eine gemeinsame elektronische Patientenakte könnte eine Lösung dieses Problems darstellen. Dieser wichtige Anteil der im Aufbau befindlichen Telematik-Infrastruktur sollte daher möglichst rasch und sektorenübergreifend einheitlich realisiert werden. Es muss unbedingt vermieden werden, dass durch unterschiedliche Formate und Strukturen neue Schnittstellenprobleme entstehen. Der BDC stützt daher die Forderung des KBV nach einer einheitlichen Patientenakte [6] und unterstützt seine Mitglieder bei der Einführung der Telematik-Infrastruktur.
Literatur
[1] Deutsche Bundesregierung: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD https://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/koalitionsvertrag-inhaltsverzeichnis.html, zuletzt zugegriffen 18.3.2018
[2] KBV: Sektorenübergreifende Versorgung aus einer Hand für Krebspatienten http://www.kbv.de/html/2018_32837.php, zuletzt zugegriffen 18.3.2018
[3] Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Werkstattgespräch 7. September 2017, Berlin http://www.svr-gesundheit.de/fileadmin/user_upload/2017-09-08_Notfall_Webseite.pdf, zuletzt zugegriffen 18.3.2018
[4] Deutsches Ärzteblatt: Schleswig-Holstein will Notfallversorgung mit Bundesratsinitiative verbessern. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/91676/Schleswig-Holstein-will-Notfallversorgung-mit-Bundesratsinitiative-verbessern, zuletzt zugegriffen 18.3.2018
[5] Dittrich, S.: Sektorenverbindende Versorgung- Realität und Erwartung. Passion Chirurgie 10/2016 https://www.bdc.de/sektorenverbindende-versorgung-realitaet-und-erwartung/, zuletzt zugegriffen 18.3.2018
[6] KBV: KBV fordert einheitliche elektronische Patientenakte http://www.kbv.de/html/1150_33228.php, zuletzt zugegriffen 18.3.2018
Autor des Artikels
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Dr. med. Peter Kalbe
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