Der informierte Patient: Ein mediales Schlagwort, das öffentlichwirksam in Politik, Gesundheitswesen und Medien transportiert wird, um sowohl auf die Konsequenzen gesellschaftlicher Veränderungen aufmerksam zu machen als auch um Patienten in ihrer Rolle zu stärken, gesundheitspolitische Maßnahmen zu legitimieren und Patienten zu formen. Unter dem Begriff des informierten Patienten wird die Vorstellung verstanden, dass der Patient in Arzt-Patientenbeziehungen bei Gesundheitsfragen heute informierter auftritt als in der Vergangenheit. Die Veränderung der Patientenrolle wird in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften darauf zurückgeführt, dass die Gesellschaft sich von einer Industriegesellschaft zu einer Informationsgesellschaft verändert hat, was durch einen Wertewandel und durch den technologischen Fortschritt begleitet wird und sich beim Patienten in der Zunahme des Informationsbedarfes und des Mitspracherechts niederschlägt. Beides führe zur Veränderung der Patientenrolle von einem uninformierten, abhängigen, passiven, paternalistischen Akteur hin zu einem informierten, autonomen, aktiven, partizipativen Partner im Arzt-Patienten-Verhältnis.
Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage inwieweit der informierte Patient im Krankenhaus tatsächlich Wirklichkeit geworden ist und welche Rolle dabei das Internet als Mittel für die Informationssuche im Arzt-Patientenverhältnis spielt. Die Frage ist bedeutsam, weil vielfach diskutiert wird, dass die Bedeutung der Ärzte für Patienten in der Informationsgesellschaft abnimmt, weil der sogenannte informierte Patient sich zunehmend stärker in die Arzt-Patientenbeziehung einbringt und damit eine vormals paternalistisches Verhältnis zu einer partizipativen Beziehung entwickelt.
Die Frage ist im Rahmen einer Patientenbefragung in einem Magdeburger-Klinikum untersucht worden, um unter anderem herauszuarbeiten, wie gut und worüber sich Patienten vor ihrem Krankenhausaufenthalt informieren, wer das Internet im Krankenhaus für Gesundheitsinformationen nutzt und wer es in die Arzt-Patientenbeziehung mit einbringt.
Methodische Herangehensweise
Die Patientenbefragung fand im April und im Mail 2015 in vier verschiedenen Abteilungen eines Magdeburger Krankenhauses statt. Befragt wurden Patienten in der Gynäkologie, Orthopädie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und die Unfallchirurgie. Die Wahl von unterschiedlichen Abteilungen war von dem Interesse geprägt, zu untersuchen wie stark der Informiertheitsgrad der Patienten in den ausgewählten Abteilungen ist und welchen Einfluss dies auf die Arzt-Patientenbeziehung hat. Insgesamt sind für die Studie 103 Patienten befragt worden, davon waren 41 Prozent aufgrund eines Not- oder Unfalls im Krankenhaus.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Befragung weisen darauf hin, dass der Informiertheitsgrad eines Patienten stark davon abhängt, ob dieser einen geplanten oder ungeplanten Eingriff im Krankenhaus vornehmen lässt. Aus Abbildung 1 lässt sich ablesen, dass 61 Prozent der Patienten mit einem ungeplanten Krankenhausaufenthalt (Unfall bzw. Notfall) gar nicht informiert sind. Im Vergleich dazu geben 97 Prozent der Patienten, die wegen eines geplanten Eingriffs im Krankenhaus behandelt werden, an, informiert zu sein. An diesem Beispiel zeigt sich, dass der informierte Patient im Krankenhaus partiell ein Wunschbild bleibt. Denn der Informationsstand des Patienten ist stark davon abhängig, unter welchen Umständen dieser im Krankenhaus aufgenommen worden ist.
Bei der Untersuchung der Frage, wo sich Patienten im Vorfeld ihres geplanten Eingriffes informieren, spielen Haus- und Fachärzte weiterhin eine dominierende Rolle. Trotz der unterschiedlichen Informationsquellen (Internet, Freunde, Verwandte, Literatur) verlieren die Haus- und Fachärzte nicht an Bedeutung für die Patienten. Die Kompetenzen und Einschätzungen der Ärzte sind weiterhin gefragt und der Patient bleibt in der Folge von Wissensstand und Informationen des Arztes abhängig.
Alternative Informationsquellen werden dagegen deutlich weniger von Patienten genutzt. Die Verwendung des Internets als niedrigschwelliges Informationsangebot bleibt deutlich hinter dem Informationsangebot der Haus- und Fachärzte. Das Internet bietet im Vergleich zu den übrigen erfragten Informationsquellen, wie den Verwandten, Freunden sowie den Printangeboten ein Informationsangebot, das aufgrund seines niedrigschwelligen Charakters jederzeit und von jedem Ort aus genutzt werden kann, um Informationen jeglicher Art abzurufen. Damit ist es ein wichtiges Mittel für Patienten, um sich zu informieren.
Insbesondere Patienten, die aufgrund eines ungeplanten Eingriffs im Krankenhaus sind, haben über das Internet Zugang zu gesundheitsbezogenen Informationen und nutzen wohl deshalb deutlich häufiger das Internet während ihres Krankenhausaufenthalts für das Recherchieren von gesundheitsbezogenen Informationen als Patienten mit einem geplanten Eingriff. Patienten mit einem ungeplanten Eingriff bewältigen auf diese Weise ihr Informationsdefizit und werden im Laufe ihres Krankenhausaufenthalts zu einem informierten Patienten, sodass sich der medizinische Informationsbedarf dem Patienten mit einem geplanten Eingriff angleicht. Darüber hinaus zeigt sich, dass sowohl Patienten mit als auch Patienten ohne geplanten Eingriff gleichauf zufrieden sind mit den Informationen der Ärzte.
Interessanterweise zeigt die Befragung, dass sowohl Patienten aufgrund eines geplanten als auch aufgrund eines ungeplanten Eingriffs Ärzte nicht mit Informationen aus dem Internet konfrontieren. Vielmehr bleibt der informierte Patient in der Beratung gegenüber Ärzten passiv und legt seine Kenntnisse nicht offen dar.
Geht man der Frage nach, welche Merkmale Patienten aufweisen, die Ärzte mit Informationen aus dem Internet konfrontieren, ist festzustellen, dass es insbesondere junge, gebildete und internetaffine Menschen sind, die im Ärztegespräch internetbasierte Informationen miteinbringen. Dabei machen Patienten die Erfahrung, dass ihre Ärzte meist interessiert auf die Informationen der Patienten eingehen.
Fazit
Der informierte Patient bleibt im Krankenhaus, wenn es sich um einen ungeplanten Eingriff handelt, ein Wunschbild. Doch das Internet ermöglicht Patienten einen schnellen Zugang zu gesundheitsbezogenen Information, sodass der Informationsbedarf zeitnah bewältigt werden kann. Damit unterstützt die Recherche im Internet die Behandlung der Patienten und steht nicht in Konkurrenz zu den Ärzten als Informationsquelle.
Patienten, die aufgrund eines geplanten Eingriffs im Krankenhaus behandelt werden, erhalten ihre Informationen insbesondere von Ärzten. Ärzte werden folglich auch weiterhin die dominierende Rolle hinsichtlich der Patienteninformation spielen und ihre Kompetenzen und Einschätzungen werden maßgeblich die Behandlungen der Patienten beeinflussen.
Die Befragungsergebnisse zeigen jedoch auch, dass Patienten, die das Internet nutzen, mehrheitlich nicht ihre Informationen in das Arzt-Patienten-Gespräch mit einbringen. Bisher ist es ein kleiner Anteil, der zunehmend offensiver das Gespräch mit Ärzten sucht und eigene Informationen einbringt. Insbesondere junge und besser gebildete Patienten suchen das Gespräch und erwarten eine partizipatives, dialogorientiertes Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Ärzte gehen laut der Umfrage jetzt schon sehr proaktiv mit Patienteninformationen um.
Trotzdem wird man davon ausgehen müssen, dass es den informierten Patienten auch in Zukunft nicht geben wird, obwohl der Begriff in Politik und im Gesundheitswesen weite Verbreitung genießt. Es wird immer Patienten geben, die aufgrund eines Notfalls bzw. Unfalls im Krankenhaus behandelt werden und deshalb Informationsdefizite aufweisen. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass Bildungsniveau und Internetkompetenz gesellschaftlich ungleich verteilt sind, sodass der informierte Patient ebenfalls einen Teil der Patienten ausmacht und eben nicht die Mehrheit stellen wird.
Deshalb braucht es weiterhin verlässliche, vertrauensvolle Ärzte, die den Patienten Informationsquellen nennen und Informationen zur Verfügung stellen, damit eine gemeinsame Verständigung über das Krankheitsbild im Rahmen einer partizipativen, dialogorientierten Arzt-Patientenbeziehung erfolgen kann.
Dieser Artikel ist ebenfalls erschienen in Management & Krankenhaus, Ausgabe 4/2016.