14.11.2016 BDC|News
BDC-Umfrage: Wirtschaftlichkeit und Kodierung in Praxis und Krankenhaus
Wer ist in deutschen Krankenhäusern und Praxen für die Ökonomie verantwortlich? Diese Frage beeinträchtigt den chirurgischen Alltag flächendeckend. Um belastbare Fakten zu schaffen und auch bezüglich wirtschaftlicher Themen unterstützen zu können, hat der Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC) Anfang des Jahres 2016 zur Teilnahme an der Umfrage „Wirtschaftlichkeit und Kodierung in Praxis und Krankenhaus“ aufgerufen.
Umfragedesign
Die Umfrage wurde online durchgeführt und per Newsletter an alle BDC-Mitglieder sowie auf BDC|Online und innerhalb sozialer Netzwerke wie Facebook kommuniziert. Somit war die Teilnahme nicht auf BDC-Mitglieder beschränkt. Der Erhebungszeitraum belief sich von Januar bis Mai 2016. Insgesamt wurden 1.172 Teilnehmer registriert, wovon 1.074 den Fragebogen (29 Fragen) vollständig beantworteten.
Strukturdaten
1.143 Umfrageteilnehmer machten Angaben zur ihrer aktuellen beruflichen Position: Niedergelassene Chirurgen waren mit 26,3 % vertreten, 25,1 % firmierten als Oberärzte, 19,1 % als Chefärzte und 13,9 % als leitende Oberärzte. Die Assistentenschaft zählte 15,6 %. Knapp drei Viertel der Befragten (73,7 %) konnten somit dem klinischen Bereich zugeordnet werden (Abb. 1a). Im Vergleich zur Ärztestatistik 2015 der Bundesärztekammer zu berufstätigen Chirurgen sind niedergelassene Chirurgen (BÄK, 33 %) in der Umfrage leicht unterrepräsentiert und klinisch tätige Chirurgen (BÄK, 60%) überrepräsentiert.
Bei der Frage nach den Krankenhausstrukturen sind in der Umfrage im Vergleich zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2014 Öffentliche Krankenhäuser unterrepräsentiert (Destatis, 30 %), gemeinnützige Träger nahezu identisch repräsentiert (Destatis, 35 %) und private Träger überrepräsentiert (Destatis, 35 %) (Abb. 1b).
Kodierung
Sowohl von niedergelassenen Chirurgen als auch von Angestellten im Krankenhaus wurde die Frage danach, ob sie in ihrem medizinischen Alltag kodieren, mehrheitlich mit „Ja“ beantwortet: Nur 16,21 % (n=137) der Ärzte im Krankenhaus und 5,02 % (n=14) der niedergelassenen Ärzte kodierten demnach nicht (Abb. 2a, b).
Die Frage nach Kodierassistenten bzw. Kodierfachkräften innerhalb der Abteilung bzw. Praxis wurde von 76,05 % der im Krankenhaus Tätigen bejaht (n=806) (Abb. 3).
Von Ärzten im niedergelassenen Bereich hingegen gaben im Vergleich nur 16,25 % an, Unterstützung von qualifiziertem Fachpersonal zu bekommen (n=277) (Abb. 4).
Schulung
Was Schulungsunterweisungen betrifft, gibt es laut der BDC-Umfrage sowohl in Praxis als auch in deutschen Krankenhäusern Nachholbedarf. 60,94 % (n=415) der Befragten aus dem Krankenhaussektor und 72,10 % (n=276,) der Niedergelassenen berichteten, nicht ausreichend geschult worden zu sein (Abb. 5, 6).
Ein sehr großer Unterschied zeigte sich bei der Beantwortung der Frage nach jährlichen Aktualisierungskursen über Neuigkeiten im DRG-Abrechnungssystem bzw. ICD-Codes/OPS-Prozeduren zwischen im Krankenhaus tätigen und niedergelassenen Chirurgen (Abb. 7, 8). So gaben 91,30 % (n=252) der Selbständigen an, dass keine diesbezüglichen Fortbildungen stattfinden (Abb. 8). Mit 50,37 % bejahte hingegen ca. die Hälfte der teilnehmenden Krankenhausärzte die Frage nach jährlich stattfindenden Refresher-Kursen (Abb. 7).
Priorität der Kodierung
Welche gefühlte Priorität dem Kodieren im beruflichen Alltag zukommt, wurde von Chirurgen im Krankenhaus laut den Ergebnissen ähnlich eingeschätzt wie von niedergelassenen Kollegen. Demnach gaben 50,15 % (n=339) der im Krankenhaus Tätigen an, die Kodierung hätte einen ähnlichen Stellenwert wie medizinische Aufgaben. 42,31 % (n=286) beschrieben hingegen eine vergleichbar niedrigere Priorität. 7,54 % (n=51) empfanden, dass Kodierung im Arbeitsalltag sogar wichtiger als medizinische Aufgaben seien. Bei niedergelassenen Chirurgen war dieser Wert noch höher: 10,43 % (n=29) stuften das Kodieren in der empfundenen Priorität höher ein als medizinische Aufgaben, 41,01 % (n=114) priorisierten die Aufgaben gleichwertig und 48,56 % (n=135) der Selbständigen stuften Kodierung in der Priorität niedriger ein (Abb. 9, 10).
Wirtschaftlichkeit
Auch bei der Frage nach der Motivation zum „Up-Coding“ antworteten beide Gruppen ähnlich. So verneinten 60,77 % (n=412) der im Krankenhaus angestellten Chirurgen und 67,15 % (n=186) der Niedergelassenen, dass sie diese Motivation verspüren würden. Im Vergleich beantworteten 39,23 % (n=266) aus dem Krankenhaus-Umfeld und 32,85 % (n=91) aus den Praxen die Frage hingegen mit „Ja“ (Abb. 11, 12a).
Zudem gaben 10,2 % der Niedergelassenen an, dass sie Prämienanreize von dritter
Seite für spezielle Kodierungen erhalten (Abb. 12b).
Bei der Frage, ob aufgrund ökonomischer Aspekte medizinische Entscheidungen zum Nachteil des Patienten getroffen würden (z. B. Liegezeiten, Therapieregime etc.), ergaben sich signifikante Unterschiede (p≤0,05) zwischen den einzelnen Dienststellungen im Krankenhaus. Insgesamt wurde die Frage von 36,95 % der Umfrageteilnehmer aus dem Krankenhaus-Sektor mit „Ja“ beantwortet. Dabei waren allerdings „nur“ 25,74 % der Chefärzte dieser Meinung, wobei im Vergleich 51,5 % der Assistenzärzte entstehende Nachteile für Patienten sahen (Abb. 13, Tab. 1).
Bei knapp 20 % der befragten Krankenhauschirurgen hatte das ökonomische Ergebnis der eigenen Abteilung direkte Auswirkungen auf das persönliche Einkommen (Abb. 14). Auch beschrieben fast zwei Drittel der in Kliniken tätigen Operateure spürbaren wirtschaftlichen Druck im medizinischen Alltag (Abb. 14). Dabei zeigten sich signifikante Unterschiede (p≤0,05) der Beantwortung in Abhängigkeit von der Dienststellung. Beide Fragen wurden häufiger bejahend beantwortet, je höher der Befragte hierarchisch im Krankenhaus angesiedelt ist.
Fazit
Der Interessenskonflikt zwischen Medizin und Ökonomie ist vielerorts spürbar. Das zeigt die hohe Umfragebeteiligung. Knapp drei Viertel der Teilnehmer kamen aus Kliniken. Das entspricht in Kenntnis der Tatsache, dass im Bundesdurchschnitt ca. ein Drittel aller Chirurgen in Praxen tätig ist, einem leichten Übergewicht der Krankenhausvertreter in vorliegender Studie.
- Das Kodieren hat sowohl im niedergelassenen als auch im stationären Alltag Einzug gehalten.
- Auf die Unterstützung von Kodierassistenten können fast ausschließlich Krankenhausärzte zurückgreifen.
- Die aktuelle Umfrage weist auf einen deutlichen primären DRG-Schulungsbedarf hin.
- Auffrischungskurse absolvieren hingegen fast die Hälfte der im stationären Bereich angestellten Chirurgen im Vergleich zu weniger als 10 % der Selbständigen.
- Der hohe Stellenwert der Ökonomie ist der Majorität der deutschen Operateure mittlerweile sektorenübergreifend bewusst.
- Als Folge geben ein Drittel aller Chirurgen Motivationen zum „Up-Coding“ zu.
- Das wirtschaftliche Ergebnis hat heutzutage nicht nur bei Selbständigen Einfluss auf das eigene Einkommen. Auch die schneidende Zunft der Krankenhäuser sieht sich dem ökonomischen Druck ausgesetzt. Das bedeutet für den modernen chirurgischen Chefarzt: Willkommen als Unternehmer im Krankenhaus!
Tonus C. / Dittmar R. BDC-Umfrage: Wirtschaftlichkeit und Kodierung in Praxis und Krankenhaus. Passion Chirurgie. 2016 November, 6(11): Artikel 02_01.
Autoren des Artikels
Prof. Dr. med. Carolin Tonus
1. Vorsitzende BDC|Landesverband HamburgChefärztin der Allgemein- und ViszeralchirurgieAsklepios Klinik St. GeorgLohmühlenstraße 520099Hamburg kontaktierenDr. rer. pol. Ronny Dittmar
ehem. Geschäftsführer des BDCWeitere Artikel zum Thema
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