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Die Gallengangatresie (syn. Biliäre Atresie/engl. Biliary Atresia [BA]) ist eine seltene obstruktive Cholangiopathie der Neugeborenenperiode unklarer Ätiologie (Abb. 1), die innerhalb kürzester Zeit zu einer fortschreitenden Leberfibrose sowie -zirrhose führt. Trotz einer Inzidenz von knapp 1:19.000 in Deutschland, mit ca. 35 bis 40 neuen Diagnosen pro Jahr, macht die BA global immer noch die häufigste Ursache für eine Lebertransplantation im Kindesalter aus. Auch wenn basierend auf diesen Zahlen die Lebertransplantation unausweichlich erscheint, gilt der Anspruch möglichst vielen betroffenen Kindern diese zu ersparen oder die Transplantation zumindest hinauszuzögern. Dies gelingt in der Regel nur, wenn eine frühzeitige Diagnose gestellt wird. Diese sollte möglichst innerhalb der ersten 30 Lebenstage erfolgen und die Kasai-Portoenterostomie (KPE) in einem Zentrum mit der notwendigen Expertise durchgeführt werden. Bei der KPE wird die fibrotische Narbenplatte auf der Leberpforte scharf reseziert, mit der Hoffnung das darunter noch zahlreiche Gallenwegskanälchen offen liegen, über die eine biliäre Drainage erzielt werden kann. Der Eingriff, der nach Morio Kasai benannt wurde – einem in Sendai tätigen japanischen Chirurgen – wurde Ende der 50er-Jahren erstbeschrieben und hat für das ehemals unkorrigierbare Krankheitsbild der BA eine wichtige Option geschaffen. Über die letzten Jahrzehnte ist dieser Eingriff trotz zahlreicher beschriebener Modifikationen, einschließlich der minimalinvasiven Chirurgie, weitestgehend unverändert geblieben. Für knapp 30 % der Kinder kann dieser Eingriff ein langzeitiges Überleben mit der eigenen Leber bedeuten, doch bleibt für den Großteil der Kinder bei der Konstellation aus Cholestase, portaler Hypertension und Zirrhose letztlich nur die Option eines neuen Organs. Durch die Kombination aus der Kasai-Portoenterostomie und der Lebertransplantation erreichen wir in Deutschland ein Gesamtüberleben von knapp unter 90 %, womit wir im westeuropäischen und globalen Vergleich, nicht zuletzt aufgrund der Organknappheit und der damit einhergehenden Einschränkung des Transplantationspools, das Schlusslicht abbilden. Auch die deutschen Ergebnisse bezüglich des Überlebens mit Eigenleber nach Kasai-Portoenterostomie („successful Kasai“) zeigen im Vergleich zu den Daten aus Großbritannien, Frankreich und Japan noch deutliches Entwicklungspotenzial. Doch wo liegt das Problem in der Versorgung?

Zahl der behandelnden Kliniken

In mehreren europäischen Nationen wurde die Behandlung der Gallengangatresie zentralisiert. In den Niederlanden mit knapp 17,5 Millionen Einwohnern darf lediglich eine Klinik BA-Kinder behandeln, in Polen mit über 37 Millionen Einwohnern ist es wiederum eine Klinik, in Großbritannien mit über 67 Millionen Einwohnern sind es drei und in Deutschland mit knapp 82 Millionen Einwohnern waren es Anfang der 2000er-Jahre noch 29 Kliniken. Eine wiederholt durchgeführte Umfrage zeigte, dass es zwischen 2010 und 2014 weiterhin 21 behandelnde Kliniken für die Gallengangatresie in Deutschland gab, von denen die große Mehrheit weniger als eine Kasai-Portoenterostomie pro Jahr durchführte (Abb. 2). Im direkten Vergleich liegt in Großbritannien das Fünf-Jahres-Überleben mit Eigenleber bei 46 % und das Fünf-Jahres-Gesamtüberleben bei 90 %, während in Deutschland das Zwei-Jahres-Überleben mit Eigenleber bei knapp 30 % liegt und das Zwei-Jahres-Gesamtüberleben bei 88 %. In Finnland konnte das Zwei-Jahres-Überleben mit Eigenleber nach Kasai-Operation nach Zentralisation der Gallengangatresie-Versorgung von 38 % auf 78 % gesteigert werden. Mittlerweile wissen wir auch, dass nicht nur die Ergebnisse der Kasai-Portoenterostomie von der Expertise des Zentrums abhängig sind, sondern auch die Transplantationen davon beeinflusst werden. Eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe aus der Kinderklinik in Bergamo konnte nämlich zeigen, dass eine Lebertransplantation nach einer Kasai-Operation aus einem Zentrum mit weniger als fünf Operationen pro Jahr, mit deutlich mehr Komplikationen assoziiert ist.

Abb. 1: Phänotypische Erscheinungsbilder der Gallengangatresie sowie Theorien zu ihrem Hintergrund (Claus Petersen & Mark Davenport. Aetiology of biliary atresia: what is actually known? Orphanet Journal of Rare Diseases 2013; 8:128)

Vernetzung der Kliniken

In Frankreich wurde 2001 eine Beobachtungsstelle für die Gallengangatresie-Versorgung geschaffen. Obwohl das Behandlungssystem dezentralisiert verblieb, wurden Zusammenarbeiten zwischen den Zentren gefördert. Im Jahre 2005 folgte im nächsten Schritt eine Art Zertifizierung der Zentren zu Referenz-, Kompetenz- und weitere Zentren. Dokumentiert werden die französischen Versorgungsergebnisse in dem wohl detailliertesten Register für die Gallengangatresie in Europa, das die gesamte Versorgung der Kinder von der Erstvorstellung bis hin zur Kasai-Portoenterostomie und Lebertransplantation sowie der Nachsorge beinhaltet.

Die Vernetzung der französischen Zentren führte auch zu Anpassungen institutioneller Behandlungsprotokolle und im Resultat konnte über die Jahre dargestellt werden, dass sich die großen Unterschiede zwischen den Zentren mit hohen und niedrigen Patientenzahlen langsam anglichen. Trotz dieses erfolgreichen Konzeptes zeigten sich weiterhin bessere Kasai-Ergebnisse in Zentren mit hohen Patientenzahlen, während die Überlebensraten mit Eigenleber im Vergleich zum britischen System schlechter waren. Einen Austausch oder sogar eine Bewertung von Outcome-Daten der Kasai-Portoenterostomie gibt es in Deutschland nicht. Bei den präsentierten Zahlen zu Kasai-Ergebnissen sowie auch der Transplantationszahlen berufen wir uns auf publizierte Daten im Rahmen wissenschaftlicher Projekte mit Zentrumsbefragungen. Ein deutsches Register, wie es in Frankreich angewandt wird, existierte bisher nicht. Somit ist die Objektivität der Behandlungsqualität retrospektiv betrachtet nicht sehr belastbar.

Zentralisation in Deutschland

Während zahlreiche Versicherungsträger und Versorgungsstrukturen eine generelle Vorgabe zur Zentralisation der Gallengangatresie auf wenige Kliniken in Deutschland erschweren, gibt es immer mehr Bewegungen, in den Fachgesellschaften, Behandlungsempfehlungen vorzugeben. Diese Empfehlungen beruhen auf Kriterien, die einzelne Zentren erfüllen müssen, um als Gallengangatresie-Zentrum zertifiziert zu werden. Diese Kriterien wurden durch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) und die Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung e.V. (GPGE) vorgegeben und beinhalten eine kinderchirurgische Expertise in der hepatobiliären Chirurgie (mit mehr als fünf Kasai-Operationen im Jahr), Expertise in der pädiatrischen Hepatologie und das Vorhandensein eines pädiatrischen Lebertransplantationsprogramms (fünf bis zehn Lebertransplantationen im Jahr) sowie Erfahrung in der histopathologischen Begutachtung pädiatrischer Lebererkrankungen.

Abb. 2: Versorgungsverteilung von 160 behandelten BA Kindern in Deutschland, zwischen 2010 und 2014, auf 21 Kliniken (Madadi-Sanjani et al. Zentralization of Biliary Atresia: Has Germany learned its lessons? Eur J Pediatr Surg 2022; 32:233-239)

Die DGKCH rief 2021 deshalb alle Leiter kinderchirurgischer Einrichtungen dazu auf, sich Partner in diesen empfohlenen Zentren zur Zusammenarbeit zu suchen und mit diesen konkrete Behandlungsschritte abzustimmen.

Aktuell erfüllen sechs Zentren bzw. Kooperationsverbünde diese Vorgaben, wobei Qualitätskontrollen wichtig sind, um zukünftig eine Re-Zertifizierung dieser Zentren vorzunehmen.

Register für die Gallengangatresie-Behandlung

Auch wenn es bisher in Deutschland keine systematischen Strukturen zur Qualitätskontrolle gibt, gewinnen Register immer mehr an Wichtigkeit, um genau diese durchzuführen. Dies ist nicht nur notwendig, um Daten zwischen Kliniken zu vergleichen, sondern auch um klinikinterne Verläufe und Veränderungen nachvollziehen zu können. Einen wichtigen Schritt gehen wir diesbezüglich mit dem EBAR, dem europäischen Register für Gallengangatresie. Diese Initiative der Europäischen Referenznetzwerke für seltene Lebererkrankungen (ERN RARE-LIVER) soll nicht nur zu einer besseren europäischen Vernetzung der deutschen Zentren führen, sondern ist auch als Qualitätskontrolle der deutschen Zentren im Rahmen der Zentralisations-Initiative gedacht. Die sechs deutschen Gallengangatresie-Zentren haben sich verpflichtet, ihre Ergebnis- und Nachsorge-Daten zur Kasai-Portoenterostomie in dieses Register einzupflegen. Eine erste Qualitätskontrolle ist jedoch aufgrund des Verlaufes der Gallengangatresie und der Notwendigkeit der zumindest Zwei-Jahres-Follow-up-Daten für die Auswertung erst in drei bis fünf Jahren möglich.

Europäisches Referenznetzwerk für seltene Lebererkrankungen (ERN RARE-LIVER)

Nicht zuletzt aufgrund des Registers ist die Beteiligung an den Aktivitäten des ERN RARE-LIVER Netzwerkes wichtig. Dieses Expertennetzwerk vereint der Anspruch, die Versorgung seltener Lebererkrankungen und somit auch der Gallengangatresie langfristig zu verbessern. Zusätzlich zu den Registeraktivitäten gibt es regelmäßige Fortbildungen, Austauschprogramme zwischen den Zentren und die Möglichkeiten, an wissenschaftlichen Projekten teilzunehmen. Diese wissenschaftlichen Projekte beinhalten zum Beispiel auch das Thema der adjuvanten Therapie nach Kasai-Portoenterostomie, wobei in der Studie zum Effekt von Inhibitoren des ilealen Gallesäuretransporters (IBAT) schon zahlreiche deutsche Leberzentren teilnehmen. Eingebettet in dieses Netzwerk, findet jährlich in Hamburg die Conference on Pediatric Liver Diseases (CPLD) statt, in dessen Rahmen neben der Gallengangatresie auch Entwicklungen in der Versorgung weiterer pädiatrischer Lebererkrankungen diskutiert werden und neben einer internationalen wissenschaftlichen Faculty vor allem deutsche Pädiater zur Teilnahme eingeladen sind.

Abb. 3: Die Autoren mit der in Niedersachsen etablierten Stuhlfarbenkarte nach der Veröffentlichung des G-BA-Beschlusses, diese in das gelbe Vorsorgeheft zu integrieren ( s. a. „Leber-Check für Babys“ als App für Android und Apple)

Zusammenfassung

Auch wenn wir uns sicher sind, dass eine Zentralisierung in Deutschland unausweichlich ist, um unsere Versorgungsergebnisse der Gallengangatresie in Zukunft zu verbessern und diese insbesondere anderen europäischen Nationen anzupassen, werden wir valide Versorgungsdaten erst in den nächsten Jahren gewinnen. Die Bereitschaft in der deutschen pädiatrischen sowie kinderchirurgischen Gesellschaft, die Versorgung auf eine limitierte Anzahl von Zentren zu beschränken, ist jedoch bereits ein wichtiges Zeichen und eine Anerkennung der aktuellen Problematik. Mit den zahlreichen Ansätzen zur Behandlungsverbesserung, der Überarbeitung der AWMF Leitlinien zur neonatalen Cholestase, der neulich in das Gelbe Vorsorgeheft eingefügten Stuhlfarbskala zur Früherkennung der Gallengangatresie (Abb. 3), der Zentralisation, dem EBAR Register sowie der multizentrischen Studien zur adjuvanten Therapie nach Kasai-Portoenterostomie erleben wir aktuell eine beeindruckende Bewegung, von der wir sicher sind, dass sie unsere Versorgung nachhaltig verbessern wird.

Korrespondierender Autor:

PD Dr. med. Omid Madadi-Sanjani

Klinik für Viszerale Transplantationschirurgie

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Martinistr. 52

20251 Hamburg

[email protected]

Prof. Dr. med Claus J. Petersen

Kinderchirurg im Ruhestand

Chirurgie

Madadi-Sanjani O, Petersen C: Zentralisation der Gallengangatresie in Deutschland – Eine Initiative der DGKCH. Passion Chirurgie. 2024 Oktober; 14(10): Artikel 03_01.

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