01.04.2017 Orthopädie/Unfallchirurgie
Zur Bedeutung der Berufspolitik in Orthopädie und Unfallchirurgie
In der Vertretung des Faches Orthopädie und Unfallchirurgie sind neben den wissenschaftlichen Fachgesellschaften die Berufsverbände mit ihren jeweiligen Interessenlagen von Bedeutung. Während die wissenschaftlichen Fachgesellschaften die Weiterentwicklung des Gebietes und die Darstellung der Leistungsfähigkeit auf nationaler und internationaler Ebene im Fokus haben, kommt den Berufsverbänden die Rolle der Vertretung der im Gesundheitswesen Tätigen zum Wohle der von ihnen versorgten Patientinnen und Patienten zu. Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen unterhält hierzu mannigfaltige Strukturen. Das höchste Gremium zur Unterstützung des Vorstandes stellt das Präsidium/Erweiterte Präsidium dar. Hier erfolgt der Austausch zwischen den Fachvertretern sämtlicher chirurgischer Disziplinen. Es handelt sich bei dem Erweiterten Präsidium somit um die einzige Struktur in der Berufspolitik, in der die Fachvertreter der gesamten chirurgischen Disziplinen den Austausch pflegen können und die spezifischen Probleme der einzelnen Fachgebiete zur Sprache kommen können. Hervorgegangen aus der Arbeit des Erweiterten Präsidiums ist die Gemeinsame BG-Kommission, in der sich neben den Repräsentanten der Deutschen Gesellschaft für Unfallversicherung die niedergelassenen Durchgangsärzte, Vertreter der berufsgenossenschaftlichen Heilanstalten und des Verbandes leitender Orthopäden und Unfallchirurgen Deutschlands e. V. zur Weiterentwicklung des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens an mindestens zwei Terminen pro Jahr treffen. Wie überall nehmen auch hier Fragen der Qualitätssicherung einen zunehmenden Raum ein. Die Steuerung dieser Verfahren erfolgt in konsentierter Weise und legt Zeugnis ab über die Kooperationswilligkeit aller Beteiligten in dieser Kommission.
Der Verband leitender Orthopäden und Unfallchirurgen Deutschlands e. V. (VLOU) ist entstanden aus der im Nachgang zur Novellierung der Weiterbildungsordnung und der damit erfolgten Schaffung des gemeinsamen Gebietes Orthopädie und Unfallchirurgie notwendigen und auch zeitnah durchgeführten Fusion des Verbandes leitender Orthopäden und des Verbandes leitender Unfallchirurgen. Der VLOU besteht aus neun Regionalverbänden (VLOU Bayern e. V., VLOU Hamburg/Schleswig-Holstein e. V., VLOU Hessen e. V., VLOU Mitte-West e. V., VLOU Nord e. V., VLOU Nordost e. V., VLOU Sachsen e. V., VLOU Süd-West e. V., VLOU Thüringen e. V.). Die Regionalverbände bieten den Vorteil, dass die dortigen Mandatsträger unmittelbaren Zugang zu den wesentlichen Organen der Ärzteschaft (Ärztekammer) und den entsprechend des föderalistischen Prinzips zuständigen politischen Gruppierungen haben. Die Regionalverbände veranstalten eigenständig zweimal pro Jahr Sitzungen für ihre Mitglieder, in denen die berufspolitischen Belange und die strategische Ausrichtung in unserem Fach von Bedeutung sind.
Der übergeordnete Verband leitender Orthopäden und Unfallchirurgen Deutschlands e. V. richtet den bundesweiten VLOU-Workshop aus. Dieser zunächst von VLO und VLU gemeinsam veranstaltete Workshop geht ursprünglich auf die Initiative des VLO zurück und diente während der in Frankfurt durchgeführten Veranstaltung als Forum der gemeinsamen Sacharbeit und des vertieften Kennenlernens. Am 20. und 21. Januar 2017 fand der nunmehr 16. Workshop wiederum in Frankfurt statt. Die Planung sieht eine alternierende Ausrichtung in Berlin und Frankfurt in der Zukunft vor.
Das VLOU-Forum ist mittlerweile fester Bestandteil der Jahrestagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen in Baden-Baden und wird sich in diesem Jahr am 28. April 2017 mit aktuellen berufspolitischen Themen beschäftigen.
Der wesentliche Fokus der Berufspolitik in Orthopädie und Unfallchirurgie in der Zukunft wird sich – aus Sicht der schneidenden Fächer – mit der inakzeptablen Verordnung zu den Arbeitszeiten beschäftigen müssen. Hier ist dringender Handlungsbedarf geboten. Eine sinnvoll strukturierte Weiterbildung ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen, die ursprünglich nicht für die Medizin konzipiert worden sind, schlechterdings unmöglich. Die sich jetzt schon abzeichnende Verschiebung der Weiterbildungsinteressen der Medizinstudenten droht mit einer Unterversorgung von Ärzten in schneidenden Fächern einherzugehen. Dies ist u. a. eine Funktion der Auswahlkriterien für das Medizinstudium, denn die hier geforderten und geförderten Interessenlagen sind nicht zwingend deckungsgleich mit den Anforderungen der operativen Medizin. Trotz mannigfaltiger Bekenntnisse zu einer notwendigen Überarbeitung des Ansatzes, Medizinstudenten im Wesentlichen nach der Abiturnote auszusuchen, wird in Deutschland ähnlich wie in Großbritannien das Auswahlverfahren mehr und mehr an die Universitäten verlagert, da die von den Abiturienten mittlerweile erreichten Durchschnittsnoten als alleiniges Kriterium zur sinnvollen Auswahl nicht geeignet erscheinen. Trotz mannigfaltiger Bekenntnisse und Willensäußerungen aus Politik und verfasster Ärzteschaft ist hier keinesfalls zu erkennen, dass eine Berücksichtigung der besonderen Interessenlage der operativen Fächer ins Auge gefasst worden ist.
Berufspolitisch von großer Bedeutung wird der sich abzeichnende und in Zukunft verschärfende Wandel in der Altersstruktur unserer Patienten sein. Hier droht eine Rationierung, deren Ausgestaltung durch politische Gremien die Ärzteschaft nicht hinnehmen darf. Es gilt grundsätzlich das Prinzip, dass nur Ärzte Medizin verstehen und zum Wohle der ihnen anvertrauten Patienten umsetzen können. Jeder Eingriff der Politik in dieses Hoheitsrecht der Ärzteschaft ist mit Nachdruck abzulehnen.
Trotz einer in allen Kliniken evidenten Unterfinanzierung der Notaufnahmen werden gerade im Bereich von Orthopädie und Unfallchirurgie Strukturen vorgehalten, deren Ziel die sichere Versorgung von Unfallverletzten und Schwerunfallverletzten in Deutschland ist. Die Forderung nach Bereitstellung entsprechender Mittel für leistungsfähige Notaufnahmen muss mit aller Deutlichkeit erhoben werden, um diese Strukturen nicht wegbrechen zu lassen und die Versorgung sicherzustellen. Dies gilt auch im Hinblick auf Massenanfälle von Unfallverletzten wie in Paris, Nizza oder auch Berlin. Hier fehlt ein klares Bekenntnis der Politik und der Kostenträger, die Bereitstellung der Ressourcen an 365 Tagen im Jahr entsprechend zu honorieren.
Die wichtige Rolle der wissenschaftlichen Fachgesellschaften bedarf im Bereich der Berufspolitik einer starken Partnerschaft mit den in Orthopädie und Unfallchirurgie erfolgreich tätigen Organisationen wie BDC, BVU und VLOU. Die besonderen Interessenlagen der niedergelassenen Ärzte, die operativ tätig sind, muss ebenfalls in diesen Strukturen Berücksichtigung finden, um die Stabilität der Versorgung trotz des altersbedingten Ausscheidens von niedergelassenen aber auch Krankenhauschirurgen in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht zu einer gefährlichen Versorgungslücke werden zu lassen. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC) hat bereits 2012 eine Mitteilung unter dem Titel „112 – und niemand hilft“ verfasst und auf den drohenden massiven Personalmangel im Gesundheitswesen hingewiesen. Unter der Annahme, dass nur das derzeitige Versorgungsniveau aufrechterhalten wird, bleiben nach dieser Studie im Jahre 2020 (somit in weniger als drei Jahren) rund 33.000 Arztvollzeitstellen unbesetzt, 2030 sind bereits 76.000 Vollzeitstellen vakant. Dies entspricht im Bundesdurchschnitt 23,7 % der Stellen. Insgesamt fehlen somit zum Jahre 2030 laut Studie 109.000 Ärzte. Ein ähnliches Bild findet sich im Pflegebereich. Nach der o. g. Studie werden im Jahre 2020 212.000, im Jahre 2030 328.000 Pflegekräfte fehlen. Im Fokus der Politik stehen lediglich Maßnahmen, welche die angeblich kostentreibende Nachfrage nach ärztlichen oder pflegerischen Leistungen reduzieren soll. Eine Unterstützung der im Gesundheitswesen Tätigen ist vonseiten der Politik nicht zu erkennen. Die heute in Deutschland nachgefragte Qualität wird aufgrund des sich abzeichnenden katastrophalen Personalmangels nicht zu halten sein. Eine weitere Reduzierung von Betten etwa im Bereich von Orthopädie und Unfallchirurgie würde diese Situation in fataler Weise verschärfen und den Versorgungsnotstand in naher Zukunft als wahrscheinlich erscheinen lassen. Nur der Schulterschluss der wissenschaftlichen Fachgesellschaften mit den erfolgreich berufspolitisch tätigen Organisationen wird es erreichen, der schneidenden Medizin im Dialog mit den politischen Entscheidungsträgern Gewicht zu verschaffen. In dieser Richtung müssen die Aktivitäten gebündelt werden, um unser Fach nicht der Attraktivität zu berauben und die Versorgung der Patienten sicherzustellen.
Pennig D. Zur Bedeutung der Berufspolitik in Orthopädie und Unfallchirurgie. Passion Chirurgie. 2017 April, 7(04): Artikel 05_01.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Dietmar Pennig
Generalsekretär der DGOUKlinik für Unfallchirurgie/Orthopädie, Hand- und WiederherstellungschirurgieSt. Vinzenz-HospitalMerheimer Str. 221-22350733Köln kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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