12.07.2021 Politik
Offener Brief des Deutschen Ärztinnenbundes zum Mutterschutzgesetz
Der BDC unterstützt den offenen Brief des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. zur Umsetzung des Mutterschutzgesetzes im Gesundheitswesen und veröffentlicht diesen im Original.
Verteiler: Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, Christine Lambrecht Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil Bundesminister für Gesundheit, Jens Spahn
Sehr geehrte/r ….,
das Ziel des am 01. Januar 2018 in Kraft getretenen novellierten Mutterschutzgesetzes sollte die diskriminierungsfreie Teilhabe von schwangeren Frauen an ihrem Arbeitsplatz sein. Ein Bundesausschuss Mutterschutz sollte die novellierte Gesetzgebung evaluieren und basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen anhand sicherheitstechnischer und arbeitsmedizinischer Regeln optimieren. Mehr als drei Jahre nach Einführung des Gesetzes ist die Realität verheerend. Es behindert schwangere Ärztinnen, aber auch andere Beschäftigte im Gesundheitswesen, übermäßig in ihrer Berufsausübung – und mindert so ihre Karrierechancen. Die zugesagte Optimierung ist bis heute unterblieben.
Juristische Formulierungen im Gesetzestext sind nicht eindeutig und daher weit auslegbar. Selbst bei sehr gut dargelegter Gefährdungsbeurteilung, gewissenhafter Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und Einhaltung strenger Schutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber ist meistens eine Weiterbeschäftigung nicht möglich, weil die beaufsichtigenden Behörden Restrisiken nie als gänzlich ausgeschlossen ansehen. Pauschal dürfen Schwangere in der Patientenversorgung nicht operativ oder interventionell tätig sein, teilweise dürfen gar keine patientennahen Tätigkeiten mehr ausgeführt werden – aus Angst vor juristischen Konsequenzen und ungeklärten Haftungsfragen. Die Folge: Ärztinnen bekommen Tätigkeiten zugewiesen, die nicht weiterbildungsrelevant sind – Briefeschreiben beispielsweise – oder erhalten ein Beschäftigungsverbot. So fallen sie beruflich zurück. Für manche beginnt der Karriereknick schon im Studium, weil die Teilnahme an bestimmten Kursen nicht gestattet wird.
Problematisch bewerten wir außerdem, dass die beaufsichtigenden Behörden im Umgang mit der Bewertung von Gefährdungsbeurteilungen in unterschiedlichen Regionen ganz unterschiedlich entscheiden. Dies ist in einem systemrelevanten Berufsfeld nicht hinnehmbar.
Eine aktuelle bundesweite Umfrage des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) unter Studentinnen und Ärztinnen erbrachte besorgniserregende Ergebnisse: So zeigte sich, dass 43% der Befragten Bedenken hatten, ihre Schwangerschaft dem Arbeitgeber zu melden. Bei den Medizinstudentinnen waren es sogar 53%. 17% der Befragten wurden nach Bekanntgabe der Schwangerschaft mit einem Beschäftigungsverbot belegt. Nur 7% konnten unverändert weiterarbeiten. Die große Mehrheit, 63%, erfuhr deutliche Einschränkungen und durfte nur bis zu 50% ihrer vorherigen Aufgaben ausüben. Bei den Medizinstudentinnen waren die Nachteile noch eklatanter: Nur 2% der Schwangeren konnten uneingeschränkt weiterstudieren. Insgesamt fühlten sich 43% der Befragten durch die Umgestaltung ihres Aufgabenbereichs in ihrer Karriere behindert.
Wegen der drohenden Verzögerungen entscheiden sich viele Schwangeren dafür, so lange wie möglich die Schwangerschaft nicht zu melden. In dieser Zeit verlagert sich aber auch die Haftungsfrage ins Private: eine zusätzliche psychische Belastung der werdenden Mutter.
Wir fordern das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche (BMFSFJ) sowie alle weiteren mitwirkenden Bundesministerien und den nach § 30 MuSchG gebildeten Ausschuss für Mutterschutz auf, endlich Taten folgen zu lassen. Der Ausschuss für Mutterschutz muss die erforderlichen Regeln und Handlungshilfen für die Praxis zügig konkretisieren. Die zuständigen Bundesministerien sowie die Arbeitsschutzbehörden müssen ihrer Verantwortung für die Umsetzung gerecht werden.
Wir fordern außerdem, dass erforderliche Schutzmaßnahmen ergriffen werden, um die Arbeitsbedingungen gesundheitlich sicher zu gestalten und so eine Weiterbeschäftigung der Schwangeren zu ermöglichen. Grundlage ist die vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsplätze im ärztlichen Bereich, insbesondere in den Kliniken, sowie die individuelle Risikobewertung für Schwangere. Die Maßnahmen müssen für jeden Arbeitsplatz vorliegen und nicht erst bei der Bekanntgabe einer Schwangerschaft umgesetzt werden. Die Weiterbeschäftigung schwangerer Ärztinnen und anderer Frauen aus den Gesundheitsberufen muss gemäß dem Ziel des novellierten Mutterschutzgesetzes gewährleistet werden. Die Aus- und Weiterbildung muss durch sinnvolle Maßnahmen oder alternative Arbeitsplätze gesichert werden. Pauschalisierte Beschäftigungsverbote müssen vermieden werden.
Die Ausarbeitung eines offiziellen, bundeseinheitlichen Leitfadens für alle medizinischen Fachbereiche, orientierend an Beispielen von Kliniken guter Praxis (best praxis) ist notwendig, um die Aus- und Weiterbildung nicht zu unterbrechen. Hierbei darf selbstverständlich weder die Einhaltung strenger Maßnahmen zum Schutz des werdenden Lebens noch das Selbstbestimmungsrecht der zukünftigen Mutter vernachlässigt werden.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Dr. med. Christiane Groß
Präsidentin
gez. PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser
Vizepräsidentin
Weitere Artikel zum Thema
17.10.2017 Politik
Medizinklimaindex erreicht Höchststand: Ärzte sind optimistisch
Ärzte, Zahnärzte und Psychologische Psychotherapeuten in Deutschland beurteilen ihre wirtschaftliche Lage und Zukunft optimistischer denn je. Mit einem Gesamtwert von +7,4 liegt der Medizinklimaindex (MKI) für Herbst 2017 auf dem bislang höchsten gemessenen Stand seit Beginn der Ermittlung des MKI im Jahr 2006. Der Index wird halbjährlich von der Gesellschaft für Gesundheitsmarktanalyse im Auftrag der Stiftung Gesundheit erhoben.
12.10.2017 Politik
Bereitschaftsdienst und Notfallversorgung: KBV kündigt Paradigmenwechsel an
Der Patient ist kein Notfall, aber er braucht eine ärztliche Behandlung. Und: Die Praxen sind geschlossen. Wohin soll er sich wenden? Die Antwort: An den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Wer nicht weiß, wo er die richtige Hilfe findet, wählt die bundesweite Bereitschaftsdienstnummer 116117.
10.10.2017 Krankenhaus
Orientierungswert für Krankenhäuser 2014 beträgt 1,44 %
Das Statistische Bundesamt (Destatis) veröffentlicht gemäß den Vorgaben des Krankenhausentgeltgesetzes den sogenannten Orientierungswert für Krankenhäuser. Er gibt die durchschnittliche jährliche prozentuale Veränderung der Krankenhauskosten wieder, die ausschließlich auf Preis- oder Verdienständerungen zurückzuführen ist.
04.10.2017 Krankenhaus
Entlassrezept ab 1. Oktober 2017 im Krankenhaus
Ab 1. Oktober 2017 können Klinikärzte ihren Patienten bei deren Entlassung aus dem Krankenhaus ein Rezept über benötigte Arzneimittel zur Einlösung in öffentlichen Apotheken ausstellen und mitgeben. Damit wird eine Regelung des Versorgungsstärkungsgesetzes aus dem Jahr 2015 umgesetzt.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.