23.07.2020 BDC|News
Mit Arroganz und Ignoranz kann kein Nachwuchs akquiriert werden
Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen feiert in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen. Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer im Gespräch über Veränderungen in der Arbeitskultur und ihre Auswirkungen auf das Fach, über Effekte der Kommerzialisierung in der Medizin und wie Nachwuchskräfte gewonnen werden können.
Aus der Perspektive des Mediziners, aber auch der des Funktionärs, wo sehen Sie den stärksten Wandel in berufspolitischer Hinsicht?
Meyer: Den Gedanken an ein Arbeitszeitschutzgesetz in der Chirurgie gab es früher weitgehend nicht. Es war egal, ob man um 22 oder 24 Uhr nach Hause gekommen ist. Am nächsten Tag wurde weiter gearbeitet. Familie und Beruf waren auch damals von Bedeutung. Heute werden die Bereiche aber sehr viel intensiver eingefordert und es ist selbstverständlich sinnvoll, Arbeitszeitbeschränkungen vorzugeben. Zu meiner Zeit in der Weiterbildung oder auch als Oberarzt hat nur keiner darüber geredet.
Diese Einstellung der nachfolgenden Generationen ist auch gut, aber in der Realität eben mitunter schwer umzusetzen. Oft können die Vertreter der Generation Y oder Z ihre Eingriffe wegen der Arbeitszeitgesetze nicht im ausreichenden Umfang durchführen.
Ist das ein internationales Phänomen?
Meyer: Es ist ein internationales Phänomen. Wenn ich mit Kollegen aus Italien, aus England spreche bis hin nach Asien – bei der berühmten Arbeitsbereitwilligkeit der Asiaten – höre ich gleichlautende Schilderungen. Auch was die Feminisierung der Medizin betrifft, entwickeln sich die Zahlen ähnlich wie in Deutschland, wo 66 Prozent der Medizinstudierenden weiblich sind. Das sind Herausforderungen, die wir versuchen, bestmöglich zu regeln.
Wir haben jetzt knapp 400.000 Ärzte in der Bundesrepublik, von denen aber immer mehr in Teilzeit arbeiten möchten. Und das bewundere ich wieder an der jüngeren Generation: Sie sagt, hoppla, wir wollen ja, aber bitte auch zu unseren Bedingungen. Das hätte sich vor 50 Jahren keiner zu sagen getraut.
Wie wirkt sich die vielzitierte Ökonomisierung im Gesundheitswesen auf das Fach Chirurgie aus?
Meyer: Der Einfluss der Ökonomie ist generell sicherlich auch gut und notwendig in der Medizin. Aber nach meiner Definition gehört er abgekoppelt von der Kommerzialisierung. Nicht nur in einem Haus der Grund- und Regelversorgung, bei einem Maximalversorger oder einer Universitätsklinik hat die Einführung des DRG-Systems negative Effekte gezeigt, so dass sich manche Eingriffe finanziell gar nicht mehr lohnen. Und dann gibt es wiederum Eingriffe, die besonders attraktiv sind und entsprechend das Einkommen für das Krankenhaus sichern. Ich bin der festen Überzeugung, die Ökonomisierung darf nicht darin gipfeln, dass in den Krankenhäusern reizvollen, kostensparenden oder einkommenssteigernden Eingriffen der Vorzug gegeben wird. Das Vergütungssystem ist zu holzschnittartig und produziert so enorme Verwerfungen.
Wo sehen Sie die Trennlinie zwischen einer Kommerzialisierung und einer Ökonomisierung in der Medizin?
Meyer: Wir sehen ganz klare Veränderungen in der Krankenhauslandschaft. Seit Jahren konstatieren wir eine Zunahme der privatwirtschaftlichen Krankenhausträger im Vergleich zu den gemeinnützigen und den kommunalen. Und bei privaten Krankenhausträgern haben wir in der Vergangenheit teilweise deutliche Maßnahmen zur Kostenreduktion gesehen. Zuerst wurde die Kostensäule Pflege ausgedünnt, dann ist man zur Kostensäule Ärzte übergegangen. Ein Beispiel hierfür ist auch der sogenannte Physician Assistant als Arztersatz, den ich klar ablehne, als Unterstützung für den Arzt im Sinne einer Delegation habe ich nichts dagegen. Bei einigen privatwirtschaftlichen Trägern ist die Problematik erkannt worden. Ein Punkt trifft allerdings eindeutig zu: Die Zahl der Mitarbeiter, die ich noch zu meiner Zeit hatte, sind heute bei weitem nicht mehr möglich.
Schauen wir in die Zukunft, Herr Prof. Meyer. Über Jahrhunderte hat sich an der Art und Weise wie am Menschen operiert worden ist wenig geändert. Dann war sicherlich ein großer Meilenstein die minimalinvasive Chirurgie und heute sprechen wir von der robotergestützten Chirurgie. Wie wird sich das Fach Chirurgie dadurch verändern?
Meyer: Es hat sich seit den 80er Jahren sehr viel verändert. Als wir in der MHH die ersten Entfernungen der Gallenblase minimalinvasiv durchgeführt haben, hat mein damaliger Chef gesagt: Das ist furchtbar. Das ist kein Operieren, das ist ein – in bayerisch – Gezutzel. Das lag aber vor allem daran, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht die geeigneten Instrumentarien zur Verfügung standen, die’s heute gibt.
Wir sollten allerdings auch Entwicklungen im Blick haben wie diese: Mittlerweile bieten die amerikanischen Kollegen Kurse an: How to do it in open surgery? Die junge Generation hat zum Teil gar nicht mehr gelernt, offen zu operieren. Durch technische Verbesserungen ist in der Vergrößerung bei minimalinvasiven Eingriffen alles ganz wunderbar zu sehen. Aber es geht auch das Gefühl, das Haptische verloren, das meiner Meinung nach auch sehr wichtig ist, wenn im Zweifelsfall ein Patient dann doch offen operiert werden muss.
Gegen robotergestützte Chirurgie, die heute in aller Munde ist, ist nichts einzuwenden, aber es muss immer noch ein Mensch dahinterstehen, der das Ganze kontrolliert, der auch vorgibt, wo wird der Clip gesetzt, was wird durchgeschnitten. Insgesamt ist es natürlich angenehmer, wenn man vor einer Konsole sitzt und das ganze Operationsfeld vergrößert vor sich sieht und auch die Instrumente besser bewegen kann. Fazit ist aber auch: Wir können heute noch nicht eindeutig belegen, dass die roboterassistierte Chirurgie bessere Ergebnisse aufweist als eine gut durchgeführte minimalinvasive Chirurgie.
Zur Zukunft gehört auch der Nachwuchs. Hat die Chirurgie ein Imageproblem? Studien belegen, dass angehende Mediziner, gerade im PJ, sich vom chirurgischen Fach abwenden. Ist das so und was könnte man dagegen tun?
Meyer: Das ist ein Problem, welches nicht neu ist. Die Zahlen schwanken, je nach Umfrage. Ich halte es für illusorisch, in der Chirurgie auf ein hierarchisches Gefüge völlig verzichten zu können. Einer muss das Ruder in der Hand halten und sagen: Hier geht’s lang. Meiner Meinung nach ist das der Erfahrenste, der den Eingriff sicher beherrscht. Den in Weiterbildung befindlichen Kollegen müssen die Erfahrenden also helfen und ihm die nächsten Schritte vorgeben. Wir müssen die jungen Leute vielmehr begeistern. Das heißt, es liegt an uns, die jungen Leute zu motivieren. Nur so können wir den Nachwuchs für das facettenreiche Gebiet Chirurgie begeistern. Denn mit Arroganz und Ignoranz kann mit Sicherheit kein Nachwuchs gewonnen werden.
Autor des Artikels
Ingrid Mühlnikel
Presse- & ÖffentlichkeitsarbeitBerufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.Luisenstraße 58/5910117Berlin kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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