24.06.2020 BDC|News
Meist sind es nicht die heroischen Taten
Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen feiert in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen. Prof. Michael Schäffer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie am Marienhospital Stuttgart, Landesverbandsvorsitzender von BDC|Baden-Württemberg und Sprecher der Landesverbände im Präsidium des BDC über die Faszination Chirurg zu sein, bedeutende Chirurgen-Persönlichkeiten und warum Work-Life-Balance heute kein Widerspruch mehr in diesem Beruf ist.
Chirurgie ist anders, anders als die übrigen Fächer der Medizin. Als historisches Erbe der Bader und Steinschneider umgibt die schneidende Zunft bis heute das Image des rustikalen Problemlösers, in keinem Fall ist der Anspruch intellektuell – zumindest aus Sicht der Nicht-Chirurgen. Selbst manch moderner Chirurg kokettiert bei Gelegenheit mit dieser Sichtweise, Understatement hebt den Betroffenen vermeintlich auf ein höheres Niveau sozial-emotionaler Kompetenz – mit dem Selbstbild des ‚einfachen’ Chirurgen ( oder ‚einfach strukturierten’ Chirurgen) lässt es sich oft einfacher argumentieren. Diese Finte gehört zum Selbstverständnis des Chirurgen.
Chirurgie ist unmittelbarer in seiner heilenden Wirkung als konservative Fächer. Für Patienten sind die Erfahrungen mit Chirurgen ‚einschneidend’, in Ausprägung, Wirkung und Ergebnis häufig konkreter fassbar. Im Guten wie im Schlechten. Eine gelungene Operation beseitigt im besten Fall sofort und nachhaltig die Beschwerden und Leiden, rettet gar Leben durch die Hand des Operateurs. Patient und Chirurg sind gleichermaßen glücklich über den Erfolg. Umgekehrt ist eine misslungene oder nicht erfolgreiche Operation meist als solches auch rasch erkennbar und für alle Beteiligten transparent. Hiermit muss der Chirurg umgehen, kritisch selbstreflektierend, ignorierend oder verdrängend. In Praxen oder Kliniken mit mehr als einem Chirurgen muss er sich der Kritik der Kollegen stellen – die Indikations- und Röntgenbesprechung legt den Erfolg schonungslos offen.
Auch im Kontakt mit den Patienten gilt es, negative Ergebnisse zu kommunizieren. Die Übergänge zwischen Operationen, deren Ergebnisse nicht der Erwartung entsprechen, gerechtfertigt oder nicht, und fehlerhaften Operationen sind manchmal fließend. Diese Kommunikation ist schwierig, für den Chirurgen im Einzelfall herausfordernd und belastend. Zeit für ein klärendes Gespräch, ehrliche Hinwendung und erkennbare Empathie sind dabei Schlüsselelemente einer vertrauensvollen Arzt-Patient-Beziehung. Sie helfen dem Patienten, entlasten den Chirurgen und reduzieren nebenbei medikollegiale Konflikte erheblich. Der chirurgische Ansatz der medizinischen Problemlösung ist meist klar und geradlinig, ziel- und lösungsorientiert. Je einfacher und direkter das Ziel erreicht werden kann, desto besser. Eine osteosynthetisch versorgte hüftnahe Fraktur, ein kurativ reseziertes Kolonkarzinom oder eine Appendektomie bei einer nekrotisierenden Appendizitis sind für Patienten segensreich, chirurgisch heute standardisiert und mit sehr geringer Morbidität durchzuführen. Im Ergebnis ist dies für Chirurgen und Patienten gleichermaßen befriedigend und vertrauensbildend.
Meist sind es nicht die heroischen Taten weniger ausgewählter Fälle, die den Alltag prägen und damit Quell der fortwährenden Motivation für die Behandlung der Patienten sind. Gewöhnliche, dadurch aber nicht minder wichtige, kleine Entscheidungen und Dinge charakterisieren den medizinischen Alltag eines Chirurgen. Umgekehrt lebt die Chirurgie in ihrer Faszination aber auch von besonderen Taten. Auch historisch betrachtet. Zu den auch unter medizinischen Laien berühmtesten und schillerndsten Ärzten der letzten 150 Jahre gehören zweifelsfrei Prof. Ernst Ferdinand Sauerbruch (1875 – 1951) und Prof. Christiaan Barnard (1922 – 2001). Erste Operationen am offenen Brustkorb und die erste Herztransplantation am Menschen sind aufgrund ihres grenzüberschreitenden, weil entmystifizierenden Charakters besonders dafür geeignet gewesen, in Fachkreisen und in der breiten Öffentlichkeit für eine nachhaltige Aufmerksamkeit zu sorgen. Der Brustkorb mit Herz und Lunge galt von jeher als das Zentrum des Lebens, dem Herzen wohnt bis heute eine mystische Strahlkraft inne. Auch der Sitz der Seele wurde lange auf das Herz projiziert. Natürlich hatten Lebensstil und Persönlichkeit der beiden genannten Chirurgen einen großen Anteil an ihrem bis heute währenden Bekanntheitsgrad, dies schmälert aber nicht ihre medizinischen Leistungen. Heroische Taten sind meist nicht nur von glamourösem Licht sondern auch von viel Schatten begleitet. Patienten und nahe Mitarbeiter profitieren daher nicht immer von der Kompetenz und dem Schein ihrer Protagonisten. Ein tragisches Schicksal, das schon immer in der Menschheitsgeschichte mit der Berühmtheit von Forschern, Entdeckern, Wissenschaftlern oder Feldherren verknüpft war. In jedem Fall aber trugen die Leistungen dieser Chirurgen zur Strahlkraft der Chirurgie auf zukünftige Chirurgengenerationen bei.
Ein besonderer Geist wohnt auch heute noch der Chirurgie und der Arbeit des Chirurgen inne. Bürokratische Notwendigkeiten, ökonomische Zwänge und arbeitsrechtliche Vorgaben bilden für viele Chirurgen keine Stütze sondern ein einengendes Korsett. Eine vermeintliche Sicherheit gegenüber Kostenträgern, prozessierenden Patienten oder im Übermaß fordernden Vorgesetzten hat ihren Preis. Freiheit und Sicherheit müssen sich die Waage halten. Jeglicher Zugewinn an Sicherheit durch immer neue Regeln und Vorgaben beschneiden die Freiheit im Gestalten und Handeln. Nicht immer zum Nachteil für Chirurgen und ihre Patienten, aber manchmal. Freiheitliches Denken und Arbeiten, sich selbst und seinen Patienten moralisch und ethisch verpflichtet ist Anspruch und Ansporn gleichermaßen. Ärztliches Handeln zum Wohle der Patienten, das Führen von Mitarbeitern und Berücksichtigung wirtschaftlicher Ressourcen sind die Ecksteine chirurgischer Tätigkeit. In den Grenzen des heute Möglichen muss daher jeder Chirurg versuchen, für sich und seine Patienten die Faszination Chirurgie zu bewahren. Eine moderne Work-Life-Balance ist dabei kein Widerspruch zum Streben nach einer Interpretation des Faches Chirurgie in seiner ursprünglichen Bedeutung. Die Begeisterung für die Chirurgie, die oft durch beherztes und umsichtiges Handeln, im Kleinen wie im Großen, Besonderes bewirken kann, gilt es zu entfachen und zu bewahren. Heilen und Lindern unmittelbar durch die Hand des Arztes – ein spezielles Privileg des Chirurgen.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Michael Schäffer
Vorsitzender Landesverband BDC|Baden-WürttembergSprecher der Landesverbände im PräsidiumÄrztlicher Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie am Marienhospital StuttgartWeitere Artikel zum Thema
02.03.2020 BDC|News
Februarausgabe: Sektorenübergreifende Versorgung in Passion Chirurgie
In der Februarausgabe dreht sich alles um „Sektorenübergreifende Versorgung“. Wir beschäftigen uns mit dem Referentenentwurf zur Reform der Notfallversorgung, der ein neues System der integrierten Notfallversorgung mit einer telefonischen Lotsenfunktion und integrierten Notfallzentren an Krankenhäusern vorschlägt.
01.03.2020 BDC|News
Rechtsbeistand für BDC-Mitglieder
Nachdem im April 1960 der Berufsverband gegründet war, beschloss acht Jahre später der geschäftsführende Vorstand in Hamburg in seiner Sitzung am 10.02.1968 die Schaffung eines Justitiariats und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit dem Justitiar, Prof. Dr. med. h.c. W. Weißauer. Professor Weißauer erklärte sich damals bereit, für die Beratung in grundsätzlichen rechtlichen Fragen, die mit der Berufspolitik zusammenhängen, zur Verfügung zu stehen und zwar in folgenden juristischen Bereichen: Arztrecht, Straf-, Zivil-, Verfassungs- und öffentliches Recht. 1968 hatte der BDC 1.433 Mitglieder, sein Kassenstand betrug 50.158,61 DM.
01.03.2020 BDC|News
60 Jahre BDC – eine Zeitreise
Die Gründung des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen e.V. erfolgte auf der 77. Tagung der DGCH am 23. April 1960 im Deutschen Museum in München mit der Wahl von Prof. Kilian als ersten Vorsitzenden. Er hatte die Notwendigkeit einer berufspolitischen Vertretung neben der damals rein wissenschaftlichen Orientierung der DGCH erkannt und formulierte: „Die schwere Katastrophe, welche Deutschland am Ende des Zweiten Weltkrieges getroffen hat, stellte alle medizinischen Organisationen vor gewaltige Schwierigkeiten und große Aufgaben. Auf den wissenschaftlichen Kongressen wurden die einschlägigen Themen abgehandelt, zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch über die beruflichen Belange und auch die Not des Einzelnen kam es nicht. Es wurde immer wieder ein empfindlicher Mangel hinsichtlich der Vertretung chirurgischer Interessen in den entscheidenden Gremien großer ärztlicher Organisationen, wie auch den Regierungen, bemerkbar.
01.03.2020 BDC|News
BDC-Chronik
1960 23. April 1960: Gründung des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.