01.06.2010 Aus- & Weiterbildung
Mehr Studienplätze heißt nicht mehr Ärzte: Interview
Interview mit Dr. Andreas Botzlar, 2. Vorsitzender des Marburger Bundes
BÄK INTERN: Herr Dr. Botzlar, der Weg zum Medizinstudium führt meistens über die Abiturnote. Gute Schulleistungen wurden lange Zeit mit der Begabung für den Arztberuf gleichgesetzt. Ist das noch zeitgemäß?
Dr. Andreas Botzlar: Die Abiturnote allein ist als Zugangskriterium zum Studium der Humanmedizin und damit für die Auswahl künftiger Ärztinnen und Ärzte sicher unzureichend. Allerdings fehlt bis heute der Nachweis, dass modifizierte Auswahlkriterien weniger Studienabbrecher oder eine höhere Neigung bewirken, nach erfolgreichem Examen in Deutschland kurativ tätig zu werden. Gleichwohl sind Bund und Länder aufgefordert, weitere geeignete und gerichtsfeste Auswahlkriterien zu entwickeln, die sich an der Sozialkompetenz und Motivation der Studienplatzbewerber für den Arztberuf orientieren. Die Fakultäten rufen wir auf, von ihren Gestaltungsspielräumen tatsächlich und nicht nur pro forma durch einen modifizierten Numerus clausus Gebrauch zu machen.
BÄK INTERN: Was halten Sie davon, mehr Studienplätze zu schaffen?
Botzlar: Die Regelstudienzeit für Humanmedizin beträgt sechs Jahre und drei Monate, die Mindestweiterbildungszeit in vielen Fächern fünf oder sechs Jahre. Eine vermehrte Zulassung von Studierenden zum Medizinstudium könnte sich also frühestens in sieben Jahren durch ein Mehr an Berufsanfängern und allerfrühestens in zwölf Jahren durch ein Mehr an Fachärzten auswirken.
Als kurzfristig wirksame Maßnahme wäre eine Aufstockung der Studienplatzzahlen also denkbar ungeeignet. Zudem wäre sie viel schwieriger zu erreichen, als vielfach angenommen: Schon jetzt werden von einigen Fakultäten Teilzulassungen zum vorklinischen Teil des Medizinstudiums vergeben, auch wenn klar ist, dass die Studierenden den klinischen Teil des Studiums an dieser Universität mangels Kapazität nicht werden absolvieren können. Um also die Anzahl der Studienplätze zu erhöhen, müsste entweder die Kapazitätsver ordnung, die das Verhältnis klinischer Betten zu Studienplätzen regelt, geändert, oder die Anzahl von Betten in Universitätskliniken erkennbar vermehrt werden. Diesen Trend kann ich in der deutschen Krankenhauslandschaft nicht erkennen. Viel wichtiger als eine Vermehrung von Studienplätzen ist es, die Attraktivität der Arbeitsplätze zu erhöhen – damit sich die Absolventen für eine kurative Tätigkeit entscheiden.
BÄK INTERN: Umfragen zufolge spielen drei Viertel der Medizinstudierenden mit dem Gedanken, nach dem Abschluss ins Ausland zu gehen. Eine Zeitlang Deutschland zu verlassen, ist an sich nicht ungewöhnlich bei jungen Leuten. Ist es übertrieben, gleich von Ärzteflucht zusprechen?
Botzlar: Taktisch motivierte Panikmache ist sicher ein Aspekt, wird der drohende Ärztemangel doch am lautesten von jenen beschworen, die sich aus leicht durchschaubaren Gründen ein Überangebot an arbeitswilligen Ärztinnen und Ärzten wünschen. Trotzdem ist der sehr ausgeprägte Wunsch, im Ausland zu arbeiten, bei Berufsanfängern, die gerade eine höchst anspruchsvolle Ausbildung hinter sich gebracht haben, ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Ausbildungsniveau und die anschließend vorgefundene Arbeitswirklichkeit nicht zueinander passen. Insofern stellen die Umfrageergebnisse einen dringenden Appell dar, neben der steten Verbesserung der Einkommenssituation vor allem auch die Arbeitsbedingungen der zukünftigen Kolleginnen und Kollegen an die Anforderungen einer modernen Gesellschaft, wie etwa eine ausgeglichene Work-Life-Balance, anzupassen.
BÄK INTERN: In vielen Krankenhäusern wäre ein regulärer Betrieb ohne Honorarärzte mittlerweile nicht mehr möglich. Was halten Sie von diesem Weg?
Botzlar: Für bestimmte Szenarien ist das Honorararzt-System durchaus eine passende Lösung. Für Ärztinnen und Ärzte schafft es – in der Regel nach Abschluss der eigenen Weiterbildung – die Möglichkeit, außerhalb fixierter Hierarchien zeitlich und örtlich maximal flexibel tätig zu sein. Krankenhäuser werden in die Lage versetzt, kurzfristig und unerwartet aufgetretene Lücken in der ärztlichen Personaldecke zu schließen. Wie jede Reserve so ist aber auch diese nicht zum Dauergebrauch bestimmt. Der finanziell sehr aufwendige Einsatz von Honorarärzten kann nicht den flächendeckenden und regelhaft geplanten Normalfall darstellen, da sich mit einer Vielzahl von Springern weder eine belastbare Organisationsstruktur der jeweiligen Klinik noch eine geregelte Weiterbildung aufrechterhalten lässt.
Quelle: BÄK Intern, der Informationsdienst der Bundesärztekammer
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