01.08.2021 Aus-, Weiter- & Fortbildung
Mehr Handwerk geht nicht – Faszination Unfallchirurgie
Nachwuchskampagne Nur Mut!
Mehr Handwerk geht nicht – Faszination Unfallchirurgie
BERUF UND LEBEN ALS UNFALLCHIRURG:IN
Das orthopädische und unfallchirurgische Gebiet deckt die Operation und Rekonstruktion der Verletzungen des Bewegungsapparates ab. Als Arzt/Ärztin kümmert man sich um die gesamte endoprothetische Versorgung des Skelettsystems und die minimalinvasive Gelenkchirurgie.
Die konservativen Therapien von Frakturen sowie Verletzungen und Erkrankungen des muskoloskeletalen Systems werden ebenso abgedeckt. Wichtige Arbeitsbereiche sind die Notfallversorgung von Schwerverletzten und die Therapie von Sportverletzungen, aber auch vorbeugende Maßnahmen gehören zum unfallchirurgischen Arbeitsspektrum. Auf der Facharztqualifikation für Orthopädie und Unfallchirurgie bauen eine Vielzahl von Zusatzweiterbildungen für die klassischen Domänen der Orthopädie oder Unfallchirurgie auf.
Interview mit PD Dr. med. Benedikt Braun
Geschäftsführender Oberarzt und Sektionsleiter Unt. Extremität, Tübingen
Passion Chirurgie: Faszination Unfallchirurgie – was ist für Sie das Beste am Fach?
Benedikt Braun: Das Beste an der Unfallchirurgie ist für mich der irgendwie unmittelbare Charakter des Faches. Gerade in der Akuttraumatologie trifft man auf Patienten mit einem plötzlich eingetretenen Problem, z.B. Knochen gebrochen, und muss und kann es auch oftmals ganz akut helfen. Das ist wahnsinnig befriedigend, da man den Effekt seiner Arbeit sehr unmittelbar wahrnimmt. Es gibt ein Problem, man ergreift eine Lösung und sieht sehr direkt die Auswirkungen davon. Leider manchmal nicht immer ganz so wie geplant, aber auch diese Fälle sind dann wiederum eine Herausforderung das Problem zu lösen. Das ist für mich viel ansprechender als eine Therapie zu verschreiben und monatelang auf einen Effekt zu warten. Das wäre nichts für mich. Natürlich ist es nicht immer so schwarz-weiß und es gibt auch chronische Verläufe, bei denen man Patienten über eine lange Zeit und immer wieder betreuen muss, aber auch da besteht immer ein sehr direkter Draht zum Patienten und zur Verletzung.
Zusätzlich ist natürlich auch der OP eine einmalige Arbeitsumgebung. In der Unfallchirurgie decken wir fast den ganzen Körper ab, ebenso verschiedenste Verletzungen, teilweise anatomisch sehr anspruchsvolle Zugänge, das Handwerkliche, manchmal gröber, manchmal filigran. Da braucht es vor allem ein gutes Teamwork, viel Vorbereitung und in den richtigen Momenten höchste Konzentration und Präzision. Gleichzeitig lässt unser Fachgebiet aber auch Raum für planbarere Eingriffe. Mit Elektiveingriffen aus dem eher orthopädischen Spektrum unseres gemeinsamen Fachbereiches und gut organisierten Sprechstunden, kann man auch einen eher geregelten Tag bestreiten. Eigentlich ist für fast jeden etwas dabei und man kann seine individuellen Bedürfnisse ganz gut abdecken. Vielleicht nicht immer an jedem Ort und in jedem Krankenhaus, aber mit ein wenig Umsicht, kann man sich da etwas Schönes gestalten.
PC: Aus heutiger Perspektive: Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich im Studium mitgeben?
BB: Ehrlicherweise nicht viel. Ich habe gerne studiert und meine Studienzeit in Aachen auch sehr genossen. Meine Frau kennengelernt, gute Freunde gefunden. Zeit im Ausland verbracht. Zwar nicht sofort gewusst, welche Fachrichtung ich später einschlagen wollte, dadurch aber auch manche Fächer kennengelernt und gesehen, was diese ausmachen und was „etwas für einen sein könnte“. Ganz ehrlich, so richtig viel mitgeben würde ich mir also nicht. Vielleicht nur: „Mach‘s ruhig nochmal so und mach dir weniger einen Kopf darüber, was später kommt. Es wird schon passen!“
PC: Hand aufs Herz: Wie gelingt die Balance zwischen Beruf und Familie?
BB: Da lege ich gerne die Hand aufs Herz und störe mich daher erstmal an der Formulierung. Ich sehe es absolut nicht als Balance. Leben und Beruf müssen zusammenpassen. Ich fände es sehr unbefriedigend und wehre mich auch gegen die Vorstellung, dass das eine das andere ausschließt, wie es der Begriff Balance ja unweigerlich impliziert. Für die allermeiste Zeit, manchmal flucht man ja schon mal, mache ich meinen Beruf sehr gerne und nehme auch die anderen Tätigkeiten, die mit meiner Arbeit assoziiert sind, sei es für den Berufsverband, für Fachgesellschaften und Berufsvereinigungen oder für die Forschung, mit großer Freude wahr. Das ist ganz explizit ein Teil meines Lebens. Eben kein Brotberuf – das wäre nichts für mich. Dass man in diesem Rahmen nicht immer ganz pünktlich zu Hause ist, oder auch mal ein Wochenende am Schreibtisch verbringt, ist mir vor diesem Hintergrund letztlich egal, vielmehr noch mache ich das gerne, wenn es einem Zweck dient, dem ich mich gerne verschreibe und ich freue mich, dass ich eine Frau habe, die diese Einstellung mit mir teilt und auch entsprechend lebt. Genauso genießen wir aber Zeit, die nichts mit der Arbeit zu tun hat, gehen leidenschaftlich gerne wandern und bergsteigen, verreisen gern (was sich auch sehr gut mit Fachkongressen verbinden lässt) und neuerdings mache ich auch wieder sehr gerne Musik. Ich habe mir gerade eine wunderbare Barockflöte gekauft, mit der ich jetzt versuche alte Musik zu spielen. Das erfordert, je nachdem, was ich gerade übe, tatsächlich die meiste Geduld und Toleranz meiner Frau. Aber für mich gehört das alles zusammen und ich würde nie einzelne Teile davon gegeneinander aufwiegen.
Letztlich ist das aber alles individuell und das ist das Schöne an der Medizin und der Unfallchirurgie im Speziellen. Platz die eigenen Ansprüche zu verwirklichen, gibt es. Manchmal ändern sich auch die Ansprüche und das ist dann auch okay. Es muss ja nicht jeder forschen, oder für Gesellschaften nebenher etwas machen. In dem Fachgebiet ist viel Platz.
PC: Wenn Sie auf Ihre chirurgische Laufbahn schauen: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
BB: Die Frage finde ich immer etwas schwierig. Wenn man zu hoch greift, erscheint man unangenehm überheblich, und tiefstapeln ist ja auch irgendwie unehrlich. Wenn mich die letzten Jahre etwas gelehrt haben, dann, dass es immer nicht ganz so kommt, wie man denkt. Mit einer guten Ausbildung ist man aber glücklicherweise für vieles gewappnet und durch einen starken Rückhalt in der Familie und im Freundeskreis kann man sich an eigentlich alle Veränderungen ganz gut anpassen. Und wenn mal etwas nicht passt, muss man sich einfach nochmal umschauen… Ich schätze mich daher glücklich der Zukunft, wie auch immer sie aussehen mag, eher entspannt entgegensehen zu können. Vielleicht ist das ja auch ein Effekt der unfallchirurgischen Ausbildung. Man muss sich auch auf vieles, oftmals unvermittelt einstellen und lernt gut damit umzugehen…
Aber wenn ich jetzt wirklich darauf antworten müsste, wo ich mich in zehn Jahren sehe, dann bezüglich meiner Familie und Freunde gerne in exakt der gleichen Situation. Klinisch gesprochen, kann ich mir schon gut vorstellen in einer leitenden Position tätig zu sein und mir ein gutes Team in einer entsprechenden Abteilung aufzubauen. Zumindest im Moment fände ich das eine spannende Herausforderung.
PC: In schwierigen Zeiten – was oder wer hat Sie motiviert dranzubleiben?
BB: Die wichtigste Stütze ist tatsächlich meine Frau. Sie ist nicht nur in den schwierigen Zeiten mein wichtigster Motivator, sondern auch in den guten, wovon es glücklicherweise viel mehr gibt. Wir versuchen, uns eigentlich in allen Belangen aktiv zu unterstützen und binden uns gegenseitig in die großen und kleinen Entscheidungen ein. Privat sowieso, aber auch beruflich. So ist meine Frau auch sehr versiert in der Unfallchirurgie, obwohl sie eigentlich Gynäkologin ist. Aber auch meine weitere Familie und meine engsten Freunde sind mir in diesem Belang sehr wichtig. Das ist für mich ein Umfeld, mit dem ich über alles sprechen kann und wo ich einen ehrlichen Rat bekomme – ob er mir immer direkt gefällt oder nicht.
PC: Gab es ein entscheidendes Erlebnis, das Sie motiviert hat?
BB: Nicht wirklich. Es sind eher immer die vielen kleinen Dinge, die in der Summe ein ständiger Motivator waren. Aber das eine einschneidende Erlebnis, von dem viele immer sprechen, gab es bei mir bisher noch nicht. Ist aber auch okay, der ganze Weg bisher hat mir viel Freude bereitet und viele kleine Dinge motivieren mich immer wieder.
PC: Wie wichtig war für Sie ein Netzwerk und welches Netzwerk war hilfreich?
BB: Auch wenn ich diesen Begriff nicht so gerne mag, weil er immer so ein wenig nach Karrierist klingt, gibt es natürlich „Netzwerke“, die für mich sehr wichtig waren. Über meine Familie und Freunde habe ich ja schon gesprochen. Aber auch beruflich gibt es da einige, die mir einfallen würden. Zum einen sind das die Kollegen, die einem ganz unmittelbar in der Klinik helfen, in der Ausbildung allgemein oder auch bei schwierigen OPs und Fällen. Da sind meine bisherigen beiden Chefs (Professor Pohlemann und Professor Histing), die mir extrem dabei geholfen haben, mich beruflich so entwickeln zu können, und die mir auch weiterhin wahnsinnig dabei helfen mich weiterzuentwickeln. Dafür bin ich extrem dankbar. Darüber hinaus sind es bei mir natürlich auch der BDC und die Arbeit mit dem Perspektivforum der DGCH, über die ich an vielen Stellen die Möglichkeit habe, aktiv an der chirurgischen Ausbildung etwas mitzugestalten. Und zu guter Letzt die AO, eine Unfallchirurgen Vereinigung, über die ich neben viel Forschungsunterstützung auch die Möglichkeit habe, Entwicklungsprozesse auf unserem Fachgebiet in einem internationalen Team mitzugestalten. Das bringt neben vielen interessanten Kontakten verstreut über den Globus auch tolle Möglichkeiten, für die ich wahnsinnig dankbar bin. Und da läuft auch alles zusammen. Solche Möglichkeiten bekommt man nur mit viel Unterstützung und der zeitliche Aufwand für diese Tätigkeiten und die damit verbundenen Reisen gehen nur mit dem nötigen Rückhalt – alleine schafft man das alles nicht. Ein Netzwerk zum Netzwerk quasi ist also extrem wichtig für mich und ich hoffe, die betroffenen Personen wissen auch, wie dankbar ich Ihnen dafür bin.
Für das Fach Chirurgie begeistern, ganzheitlich informieren und unterstützen – das ist die Mission der Nachwuchskampagne „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“ des BDC. In der neu aufgelegten Interviewreihe wollen wir die Facetten der Chirurgie transparent machen und zeigen, wie junge Chirurgen und Chirurginnen ihren Beruf leben.
Braun B: Nachwuchskampagne NurMut! Mehr Handwerk geht nicht – Faszination Unfallchirurgie. Passion Chirurgie. 2021 Juli/August; 11(07/08): Artikel 04_02.
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