20.01.2016 Hygiene
Krankenhausinfektionen – ein medizinisches, soziales und ökonomisches Problem
Jährlich werden in Deutschland 18 Millionen Patienten stationär im Krankenhaus behandelt. Mit ca. 900.000 Krankenhausinfektionen ist die nosokomiale Infektion (Krankenhausinfektion) die mit großem Abstand häufigste Infektionskrankheit in Deutschland und fordert die meisten Todesopfer – mehr als der Straßenverkehr. Diese Zahlen sind seit langer Zeit bekannt. Dennoch werden Krankenhausinfektionen nicht annähernd so intensiv bekämpft wie die meldepflichtigen Erkrankungen gemäß Infektionsschutzgesetz.
Das Bundesgesundheitsamt hat bereits 1976 die „Richtlinie zur Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankenhausinfektionen“ veröffentlicht, weil nicht zu übersehen war, dass zum damaligen Zeitpunkt ca. 500.000 Patienten von nosokomialen Infektionen betroffen waren. In der o. g. Richtlinie wurden Krankenhausinfektionen folgendermaßen definiert: „Eine Krankenhausinfektion ist jede durch Mikroorganismen hervorgerufene Infektion, die im kausalen Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt steht, unabhängig davon, ob Krankheitssymptome bestehen oder nicht. Eine epidemische Krankenhausinfektion liegt dann vor, wenn Infektionen mit einheitlichem Erregertyp in zeitlichem, örtlichem und kausalem Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt nicht nur vereinzelt auftreten.“
Die häufigsten Krankenhausinfektionen sind:
- Harnwegsinfektionen,
- Wundinfektionen,
- Atemwegsinfektionen,
- Sepsis.
Eine Harnwegsinfektion liegt vor, wenn mehr als 100.000 Mikroorganismen pro Milliliter Mittelstrahlurin nachgewiesen werden. Harnwegsinfektionen können folgende Symptome nach sich ziehen: Müdigkeit, Kopfschmerz, Rückenschmerzen, Fieberschübe, Beschwerden beim Wasserlassen, Lendenschmerzen und Blutungen. Als Komplikation kann das schwere Krankheitsbild der Urosepsis auftreten.
Wundinfektionen sind eitrige Wundheilungsstörungen und werden durch bakterielle Kontaminationen hervorgerufen. Grundsätzlich ist jede Wunde infektionsgefährdet. Keime werden entweder durch direkten Kontakt oder durch Tröpfchen, seltener aber auch durch Schmutzpartikel in die Wunde eingebracht, vermehren sich und verursachen die Infektion. Diese Erreger können ihren Weg über die Lymphbahnen fortsetzen. Hochvirulente Keime können die regionären Lymphknotengruppen überwinden und zu einer Allgemeininfektion (Sepsis) führen. Atemwegsinfektionen können als katarrhalische Infekte, Pharyngitis oder Pneumonie auftreten. Die Patienten klagen über Schmerzen im Bereich des Brustkorbs, Husten, Auswurf und Fieber.
Die Sepsis ist die gefährlichste Krankenhausinfektion. An ihr sterben heute noch 40 % aller Betroffenen. Schweres Krankheitsgefühl, wiederkehrende Fieberschübe bis 41 Celsius, Schüttelfrost, Zunahme der weißen Blutkörperchen und Blutdruckabfall zeichnen den Patienten.
Welche Mikroorganismen sind die Verursacher?
Die Erreger der Krankenhausinfektionen sind fast immer fakultativ-pathogene Mikroorganismen und gehören in der Mehrzahl zur physiologischen Flora des Menschen an verschiedenen Standorten.
Koagulase-negative Staphylokokken siedeln auf der Haut und im Nasen-Rachen-Raum des Menschen und sind dort als Standortflora unverzichtbar.
Streptokokken und der Pilz Candida albicans (Soor) finden sich im Rachenraum des Menschen.
Escherichia coli, Klebsiella spp, Enterobacter, Proteus, Pseudomonas aeruginosa, Enterokokken und die anaeroben Bacteroides-Arten finden sich im menschlichen Darmtrakt als Standortflora.
Bei zahlreichen Infektionskrankheiten konnte die Krankheit eingedämmt werden, indem die „Keimstreuer“ isoliert wurden. Dieses erfolgreich erprobte Instrument der Isolierung muss bei Krankenhausinfektionen erfolglos bleiben. Grundsätzlich ist der Mensch – Patient und medizinisches Personal – Infektionsquelle. Aus diesem Grund sind krankenhauserworbene Infektionen wesentlich schwerer zu bekämpfen als die klassischen Infektionskrankheiten. Die Hauptrolle bei exogenen infektiösen Krankenhausinfektionen spielt also der Mensch als Infektionsquelle. Durch Ausscheidung der Erreger, vorwiegend durch die Körperöffnungen Nase, Mund und Anus, werden die o. g. Mikroorganismen im Krankenhaus verteilt und erreichen den Patienten. Als weitere Infektionsquellen müssen natürlich auch Lebensmittel, Wasser, Luft und Erde angesehen werden. Bei der überwiegenden Mehrzahl aller Krankenhauspatienten sind Teile der natürlichen, körpereigenen Abwehr außer Kraft gesetzt:
Staphylokokkus aureus allerdings gehört nicht zur physiologischen Flora des Menschen. Er ist sehr oft Verursacher von „chirurgischen Infektionen“ und einer der häufigsten Verursacher von Krankenhausinfektionen. Ebenfalls ist er für eine große Zahl von Lebensmittelinfektionen und -intoxikationen verantwortlich. Eine postoperative Wundinfektion nach einem aseptischen Eingriff, verursacht durch S. aureus, gehört immer zu den Infektionen, die durch sachgerechte Hygiene vermeidbar sind.
Gelegentlich wird behauptet, dass S. aureus ein Hautkeim sei. Diese Aussage ist falsch, wird allerdings nur von Autoren, die in Mikrobiologie und Hygiene nur unzureichend bewandert sind, getroffen. Er siedelt vorübergehend im Nasen-Rachen-Raum, deshalb werden Screening-Untersuchungen zuerst dort durchgeführt.
Auf der Haut findet sich S. aureus lediglich als transiente, also als Anflugflora, die durch Haut- und Händedesinfektion beseitigt wird und nur durch Rekontamination wieder auftaucht.
70 % aller Patienten die im Krankenhaus einen Harnwegsinfekt erleiden, sind zuvor katheterisiert worden. Der Blasenkatheter stellt eine direkte Verbindung von der Außenwelt zur Blase dar. Sämtliche Schutzmechanismen sind ausgeschaltet. Auf dem Weg des Katheters können sämtliche Mikroorganismen in die Blase eintreten.
Jeder operierte Patient hat eine geschlossene oder offene Wunde. Die Schutzbarriere Haut ist vom Skalpell des Arztes durchtrennt worden, die Mikroorganismen finden ungehinderten Zugang zum Körperinneren, dem idealen Milieu für Mikroorganismen. Auch die durch Naht verschlossene Wunde ist erst dann vor Mikroorganismen sicher, wenn der letzte Faden oder die letzte Klammer entfernt ist.
Beatmungspatienten haben ihre körpereigenen, natürlichen Abwehrmechanismen durch den für die Beatmung notwendigen Tubus verloren. Der Tubus stellt eine direkte Verbindung von der Außenwelt in die Tiefe der Lunge dar und bahnt somit den nosokomialen Infektionserregern den Weg für die Pneumonie. Der „filternde“ Nasen-Rachen-Raum ist hierbei völlig ausgeschaltet.
Die häufigste Ursache für Bakteriämie und Sepsis ist die Verwendung von Kathetern, die über eine periphere Vene (Armvene) oder einen zentralen Zugang (z. B. Vena subclavia, Vena jugularis) ins Körperinnere führen. Auch hier ist der Schutzmechanismus der Haut außer Kraft gesetzt, weil ein „Schlauch“ direkt in die Blutbahn gelegt wurde. Dieser Weg eröffnet Bakterien in geradezu idealer Weise den Weg in das Innere des Körpers.
Die Hauptgefahrenquellen sind also alle invasiven Maßnahmen. Dort, wo die körpereigene Abwehr durch Blasenkatheter, OP-Instrumente, Tubus, Venenkatheter oder Endoskop außer Kraft gesetzt wird und der direkte Zugang in das Körperinnere geschaffen wird, findet sich auch die Eintrittspforte für Bakterien und Viren. Gern wird von device-assoziierten Infektionen gesprochen.
Was kosten Krankenhausinfektionen?
Die Infektionsraten in bundesdeutschen Krankenhäusern liegen zwischen 4 und 5 %. Dies bedeutet, dass von den derzeit ca.18 Millionen Krankenhauspatienten etwa 900.000 während des Krankenhausaufenthaltes eine Infektion erleiden. Krankenhausinfektionen erfordern durchschnittlich zehn Tage zusätzlichen Krankenhausaufenthalt. Dies bedeutet, dass Krankenkassen und Krankenhäuser und damit die Versicherten pro Jahr Kosten in Milliardenhöhe für nosokomiale Infektionen aufbringen müssen.
Zusätzlich müssen die Verluste durch Fehlzeiten am Arbeitsplatz und dauerhafte Invalidität eingerechnet werden. Ohne Frage ist unsere Gesellschaft sehr ökonomisch orientiert. Jedoch müssen alle im Gesundheitswesen Tätigen über die Zahl von 900.000 Krankenhausinfektionen und über ca. 30 – 40.000 verstorbene Patienten mit der Todesursache bzw. Mittodesursache Krankenhausinfektion zutiefst betroffen sein. Die soziale Komponente der Krankenhausinfektionen wird häufig falsch eingeschätzt oder nicht berücksichtigt. Wenn z. B. Mutter oder Vater durch eine nosokomiale Infektion weitere 8 bis14 Tage – im Extremfall bis zu mehreren Monaten – länger im Krankenhaus bleiben muss, so ist dies für die Familie und besonders für die Kinder ein herber Verlust.
Wie können Krankenhausinfektionen verhindert werden?
Nach dem heutigen Kenntnisstand muss davon ausgegangen werden, dass Krankenhausinfektionen nicht ausgerottet werden können. Dies ist darin begründet, dass nicht alle nosokomialen Infektionen durch ärztliche Eingriffe, pflegerische Maßnahmen und Mängel in der Desinfektion sowie Sterilisation hervorgerufen werden. Wenn nur die Hälfte – ca. 450.000 – aller Krankenhausinfektionen verhindert werden können, bewahrt man 450.000 Patienten vor einer außerordentlich unangenehmen und oft folgenschweren Infektion und ca.15.000 Patienten vor dem vorzeitigen Tode bewahrt.
Krankenhausinfektionen können jedoch nur durch qualifiziertes Fachpersonal und ausgeprägtes Hygienebewusstsein bei allen Krankenhausmitarbeitern vermindert werden. Dazu benötigt jede Klinik mindestens einen Arzt/Ärztin für Hygiene und eine oder mehrere Hygienefachkräfte. Jede Fachdisziplin muss über einen geschulten Hygienebeauftragten Arzt verfügen. Jede Klinik muss eine gemäß den Richtlinien der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention zusammengesetzte Hygienekommission einsetzen. In jeder Klinik müssen aussagekräftige Infektionsstatistiken geführt werden.
Diese Maßnahmen sind seit 2011 durch den §23 des Infektionsschutzgesetzes und in den Krankenhaushygieneverordnungen der Länder festgeschrieben. Der Arzt für Hygiene ist Konsiliararzt für alle Fachdisziplinen, berät diese in allen Fragestellungen der Hygiene und erarbeitet mit der jeweiligen Fachdisziplin medizinische und pflegerische Handlungsweisen aus Sicht der Hygiene.
Zur erfolgreichen Bekämpfung von nosokomialen Infektionen gehören auch die sachgerechte Planung baulicher Maßnahmen und die Beachtung der Regeln der Desinfektion und Sterilisation.
Die Aufsichtsbehörde (zuständiges Gesundheitsamt) muss sich regelmäßig davon überzeugen, dass die Leiter der Kliniken mit geeignetem Personal (Arzt für Hygiene, Hygienefachkraft) optimale Klinikhygiene sicherstellen und die vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Nosokomiale Infektionen sind meldepflichtig, wenn sie nicht nur vereinzelt auftreten. Diese Forderung wird den Krankenhausinfektionen jedoch nicht gerecht.
Jede nosokomiale Sepsis sowie jeder Todesfall, der im ursächlichen oder vermutlich ursächlichen Zusammenhang mit einer nosokomialen Infektion steht, muss zukünftig meldepflichtig und in den § 6 des Infektionsschutzgesetzes aufgenommen werden.
Ebenfalls fehlt der „Tod durch nosokomiale Infektion“ in der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes.
Im Dt. Ärztebl. 86, Heft 25/26, 26. Juni 1989, also vor 26 Jahren war, zu lesen:
„Bis zum Jahr 2000 wird die Altersgruppe der über 60jährigen um 2,2 Millionen zunehmen, die der über 85jährigen um 450.000, wo hingegen bei den 15-20jährigen mit einem Rückgang um 750.000 zu rechnen ist. Dies bedeutet: Der Anteil der über 60jährigen an der Bevölkerung und damit der präsumtiven Krankenhausbenutzer wird von derzeit 20,5 % bis zum Jahr 2000 auf 25 % steigen“.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft erklärte in der Pressemitteilung vom 28. Juni 1989:
„Die Infektionsraten älterer Patienten (65-74 Jahre) liegen mit 7,2 % bzw. 7,6 % überdurchschnittlich hoch; bei über 75-jährigen Patienten sind sie mit 8,7 % bzw. 9,4 % signifikant hoch.“
„In Zukunft werden sich zwischen den einzelnen Altersgruppen aber auch strukturelle Änderungen ergeben. So prognostiziert das Zentralinstitut der Kassenärzte, dass die Zahl der Fälle bei den unter 25jährigen um 19,2 % (absolut 560.000) abnimmt. Hingegen wächst die Zahl der Krankenhausfälle der 35-45jährigen um 28,2 % (240.000). Progressiv steigt auch die Zahl der Fälle bei den 55-65jährigen, und zwar um 14,7 % (280.000 Fälle). Bis zur Jahrtausendwende wird bei den 65-75jährigen eine Zunahme um 23,3 % (240.000 Fälle) prognostiziert.“ (Dt. Ärztebl. 86, Heft 25/26, 26. Juni 1989).
Die deutsche Krankenhausgesellschaft vertrat bis 2011 die Auffassung, dass der Arzt für Hygiene und die Hygienefachkraft verzichtbar seien und auf dem 15. Deutschen Krankenhaustag (1989) äußerte ein Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung Bedenken gegen die Arbeit der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention. Diese Auffassungen waren aufgrund der bekannten Situation und der o .g. Zukunftsaussichten schon damals gänzlich unverständlich.
Das Bundesgesundheitsamt hatte im Juni 1989 die Vertreter der Spitzenverbände der Krankenkassen zu einem Informationsgespräch zur Krankenhaushygiene eingeladen. Hier wurde deutlich, dass es den Krankenkassen nicht darum geht, durch verbesserte Krankenhaushygiene Geld einzusparen, sondern dass die Qualität der medizinischen Versorgung für die Versicherten optimiert wird. Die Krankenkassen haben gegenüber ihren Versicherten eine Fürsorgepflicht. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Angewandte Krankenhaushygiene kann auch nach dem neuesten Stand der Wissenschaft nicht jede nosokomiale Infektion verhindern. Schwangerschaftsvorsorge, Krebsvorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen können nicht jegliches Gesundheitsrisiko oder Manifestationen einer Krankheit ausschließen. Alle genannten Präventivmaßnahmen minimieren jedoch das Risiko zu erkranken. Zu diesen Präventivmaßnahmen gehört auch die Krankenhaushygiene. Welcher Arzt, ärztliche Direktor, Betreiber oder Leiter eines Krankenhauses kann aus finanziellen Gründen auf Maßnahmen verzichten, die die Gesundheit der ihm anvertrauten Patienten sichern, zusätzliche Krankheiten verhüten oder gar Leben retten? Krankenhausinfektionen schaden allen. Der Patient erleidet neben seinem Grundleiden – z. B. einem Leistenbruch – die Komplikation einer Wundinfektion in Form eines Abszesses. Der Verbrennungspatient, dem Flüssigkeit über die Vene gegeben werden muss, erleidet eine Bakteriämie oder gar Sepsis. Beide Infektionsformen sind bei jungen sowie älteren Patienten zu finden. Für den jungen und alten Patienten wird die Aufenthaltszeit, die mit Schmerzen und Beeinträchtigung unterschiedlicher Stärke verbunden ist, verlängert. Für beide können die Komplikationen einen tödlichen Ausgang nehmen.
Die Krankenhäuser müssen den verlängerten Krankenhausaufenthalt bezahlen, bei Verlegung in eine teurere Klinik mit besserer Ausrüstung z. B. einer Intensivstation. Diese Kosten wiederum müssen von der Solidargemeinschaft der Versicherten übernommen werden. Der Arzt für Hygiene, die Hygienefachkraft, der Hygienebeauftragte Arzt sowie die Hygienekommission sind seit 2011 fester Bestandteil jeder Klinik. Der Sachverstand dieser Fachleute hilft, die Patienten vor einer zusätzlichen Infektion, die von einem leichten Infekt bis zur tödlichen Sepsis reichen kann, zu schützen.
Jedoch fehlt häufig noch bei vielen Mitarbeitern das nötige Hygienebewusstsein, sonst würde man die wichtigen 30 Sekunde der Haut- oder Händedesinfektion nicht als Belastung, sondern als integralen Bestandteil des medizinischen Handelns ansehen.
Zastrow K.-D. Krankenhausinfektionen – ein medizinisches, soziales und ökonomisches Problem. Passion Chirurgie. 2016 Januar, 6(01): Artikel 02_02.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Zastrow
Chefarzt des Hygiene-Instituts der REGIOMED-Kliniken Bayern/ Thüringen kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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