01.06.2024 Politik
Interview mit den Leitenden der Gemeinsamen Weiterbildungskommission Chirurgie
Das Interview führte Olivia Päßler.
PASSION CHIRURGIE (PC) Welche Auswirkungen wird die Krankenhausreform auf die fachärztliche und damit die chirurgische Weiterbildung haben?
Prof. Meyer (HJM) In den nächsten Jahren werden sich das Gebiet Chirurgie und seine Subspezialitäten mit erheblichen Herausforderungen auseinandersetzen müssen. Dies betrifft zum einen den weiter zu erwartenden Mangel an chirurgischen Fachkräften, zum anderen den dringend notwendigen Strukturwandel durch die angestrebte Krankenhausreform. Das erste Problem ergibt sich aus der fast in der gesamten westlichen Welt zu beobachtenden Abnahme der Attraktivität der beruflichen Tätigkeit im Gebiet Chirurgie. Diese Entwicklung resultiert unter anderem aus einer weiterhin bestehenden schwierigen Work-Life-Balance generell, teilweise noch vorhandener steiler Hierarchie, kaum vorhandenen eindeutig formulierten Curricula in der Weiterbildung und unzureichender Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. notwendiger Kinderbetreuung. Obwohl die Mehrzahl der Medizinstudierenden mittlerweile weiblich ist, ist der Anteil von Frauen, die sich um eine chirurgische Weiterbildung bewerben, nur gering. Auch das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) kann sich auf diese Situation noch weiter negativ auswirken. Bei geplanter flächendeckender Versorgungsgarantie soll durch Zentralisierung und Spezialisierung vor allem die Qualität der bisherigen medizinischen Versorgung verbessert werden. Daraus folgt, dass zukünftig nicht das gesamte Spektrum von Erkrankungen, also „alles“, in jedem Krankenhaus behandelt oder operiert werden darf. Ferner soll die Ambulantisierung mit sektorenübergreifender Versorgung deutlich ausgeweitet werden. Folglich können nicht mehr alle Weiterbildungsinhalte bzw. -kompetenzen im Gebiet Chirurgie an einer Klinik oder einem Ort erlangt werden. Auch unter dem Aspekt der geplanten Zuordnung von Leistungsgruppen in den verschiedenen Kliniken sind somit intersektorale Verbünde zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen absolut notwendig, auch wenn in den Kliniken unter Umständen vermehrt die Durchführung ambulanter Eingriffe vorgesehen ist. Um aber insgesamt eine qualitativ hochwertige chirurgische Weiterbildung garantieren zu können, müssen für die Weiterzubildenden lokale und regionale Verbundmodelle eingerichtet werden, um realistische und zeitentsprechende Rotationsmöglichkeiten anbieten zu können. Dafür sind auch rechtssichere, länger befristete Arbeitsverträge, Angleichung der Gehälter, auch bei Weiterbildung im ambulanten Sektor, sowie eindeutige Klärung der notwendigen Berufshaftpflicht unabdingbar, vor allem bei Wechseln zu unterschiedlichen Klinikträgern bzw. Praxen oder medizinischen Versorgungszentren. Bei nicht sicheren Rotationsmöglichkeiten bzw. Wechseln zu Krankenhäusern mit höherer Versorgungsstufe sind zudem Verlängerungen der Weiterbildungszeit möglich. Letztendlich bleibt aber abzuwarten, wie die Strukturreformen der Krankenhäuser wirklich umgesetzt werden können, da der jetzt vorliegende Referentenentwurf inhaltlich sicherlich selbst noch reformbedürftig ist.
PC Welche Forderungen haben Sie als Gemeinsame Weiterbildungskommission Chirurgie was die Weiterbildungspläne betrifft?
Prof. Seifert (JS) Die Weiterbildung muss an die strukturellen Gegebenheiten der Kliniken- und Praxislandschaft in Deutschland angepasst werden. Diese befindet sich, wie jedermann weiß, gerade in einem erheblichen Umbruch. Das bedeutet konkret, dass die rechtlichen Bedingungen eines Arbeitsplatzwechsels für ein oder zwei Jahre vereinfacht werden müssen. Ich beziehe mich hier u. a. auf das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das dem bisher im Wege steht.
„Mehr Mobilität“ wird wohl das Stichwort zukünftiger Weiterbildung sein, um alle Inhalte der Weiterbildung abzudecken. Eine enorme Herausforderung für die Weiterbilder und Weiterzubildenden!
PC Welche Bedingungen/Anreize braucht es für diejenigen, die weiterbilden (könnten und wollen)?
Prof. Schmitz-Rixen (TSR) Die künftige Weiterbildung wird mit und ohne Reformen von der Zentralisierung von komplexen Leistungen und der Ambulantisierung von weniger komplexen Leistungen charakterisiert sein. In der Folge wird kein Krankenhaus mehr das gesamte Spektrum der Weiterbildung anbieten können. Die folgerichtige Struktur ist eine Verbundweiterbildung, deren Organisation in ärztlicher Hand bleiben muss. Hierzu müssen übergeordnete Strukturen gebildet werden, die unabhängig von den Trägern der Einrichtungen und transparent gegenüber den Weiterzubildenden agieren müssen. Idealerweise entscheiden die Weiterbilder in einem Verbund gemeinsam über Anstellungen und den jeweiligen Fortschritt und damit den Wechsel der Einrichtung. Die Finanzierung der Weiterbildung muss eindeutig und transparent geregelt sein, denn Weiterbildung bedeutet in der Regel Mehrausgaben; dies muss endlich sozialgesellschaftlich akzeptiert werden.
PC Welche Lösungen stellen Sie sich für die Finanzierung der chirurgischen Weiterbildung vor?
Dr. Kalbe (PK) Die Weiterbildung von Fachärztinnen und Fachärzten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss daher solidarisch finanziert werden. Zunächst einmal muss allgemein anerkannt werden, dass die Weiterbildung Geld kostet. Die bisherige Refinanzierung für die Kliniken über einen DRG-Anteil ist von der Höhe her unzureichend und ungerecht, weil diese Finanzmittel auch ausgeschüttet werden, wenn gar keine Weiterbildung durchgeführt wird. Zielführend wäre dagegen ein relevanter finanzieller Zuschlag auf die mit der Krankenhausreform einzuführende Vorhaltevergütung, den ausschließlich Kliniken erhalten, die fachärztliche Weiterbildung durchführen. Dies möglichst auch gestaffelt nach der Anzahl der Weiterbildungsstellen. Dazu muss der vorliegende Referentenentwurf dringend um den Aspekt der Weiterbildungsförderung ergänzt werden. Mittelfristig könnte ein steuerfinanzierter Weiterbildungsfonds eine Lösung darstellen.
Für die chirurgischen Praxen muss die finanzielle Unterstützung von Weiterbildungsstellen nach § 75a des SGB V dringend auch auf operativ tätige Praxen erweitert werden, weil weiterbildungsrelevante Operationen durch die Ambulantisierung immer mehr in diesen Sektor verlagert werden. In allen KV-Bereichen muss das Gebiet Chirurgie in den Kreis der förderungsfähigen Fächer aufgenommen werden.
PC Wer ist Ihrer Meinung nach in der Pflicht, die Strukturen und Regeln für die fachärztliche Weiterbildung im Blick zu haben und voranzutreiben?
JS In der Pflicht sind die Ärztekammern der Länder und die Bundesärztekammer. Sie sind die Institutionen, die u. a. die Qualität und die Inhalte der Weiter- und Fortbildung festlegen. Dies erfolgt durch die gewählten Vertreter:innen der Ärzteschaft. Wir müssen vermehrt darauf achten, dass sich hier nicht fremde Interessengruppen (Klinik-/Praxiskonzerne, Feuerwehr) oder das CEN (European Committee for Standardization: europäisches Normierungsinstitut)) einmischen. Die ärztliche Weiterbildung ist ein hohes Gut im Gesundheitswesen. Die Ärzteschaft sollte sich bewusst sein, dass hier Gefahr droht, die Hoheit darüber zu verlieren.
PC Wie wollen Sie gewährleisten, dass die klinische Forschung weiterhin ein integraler Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit an den Kliniken bleibt?
HJM Bevor man sich mit dieser Frage beschäftigt, muss angemerkt werden, dass es weiterhin keine allgemein anerkannte, exakte Definition für klinische Forschung vorliegt. Am ehesten kann man sich an der vor vielen Jahren vorgeschlagenen Differenzierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft orientieren, die zwischen Grundlagen-, der eigentlichen krankheits- und der patientenorientierten Forschung unterscheidet. Ein Zusammenspiel aller drei Forschungsrichtungen wäre ideal, jedoch liegt das eigentliche Problem in dem weiter bestehenden Spagat zwischen Grundlagenforschung und Krankenversorgung. Dieses wird zudem verstärkt durch weitere Herausforderungen, wie spezielle methodische Kenntnisse, die überschaubare Anzahl klinischer Forschungseinrichtungen und Physician Scientists, oftmals ungenügender finanzieller Förderung sowie Überlastung der Ärztinnen und Ärzte bei gleichzeitiger klinischer Tätigkeit: Es findet sich in kaum einem offiziellen Stellenplan eine entsprechende Personalbemessung für die klinische Forschung! Solche Aktivitäten während der Weiterbildung werden zudem bisher nicht von allen Landesärztekammern mit einem entsprechenden Zeitraum anerkannt. Der kürzlich im Kabinett beschlossene Entwurf des Medizinforschungsgesetzes (MFG) trägt dabei auch nicht zur Verbesserung der derzeitigen Situation bei und wird sogar teilweise als „reines Gesetz für die Pharmaindustrie“ bezeichnet. Die akademische Forschung oder die sogenannten Non-Non-Studien, zum Beispiel Untersuchungen zu unterschiedlichen Nahttechniken in der Chirurgie, werden im Vergleich von Studien zu Arzneimitteln und Medizinprodukten gar nicht angeführt.
Eine angemessene Forschungskultur ist jedoch nicht nur für die wissenschaftliche und praktische Weiterentwicklung der Chirurgie notwendig, sondern auch für eine Steigerung der Attraktivität dieses Gebiets generell; somit könnten sich solche Aktivitäten gegebenenfalls positiv auf die Akquise und Förderung der nachkommenden Medizinergeneration auswirken. In fast allen Versorgungsstufen der Krankenhäuser und besonders natürlich in den Universitätskliniken könnten dann vermehrt verschiedenste klinische Studien, gegebenenfalls auch in Kooperation mit der Grundlagenforschung, unter Umständen realisiert werden. Eine Garantie für die Umsetzung eines solchen Konzepts zu geben, ist derzeit aber schwierig bzw. kaum möglich.
PC Welche weiteren Hürden neben den finanziellen müssen im Bereich der Niederlassung überwunden werden?
PK Für die niedergelassenen Chirurginnen und Chirurgen muss es attraktiver werden, sich in der chirurgischen Weiterbildung zu engagieren. Dazu gehört neben der finanziellen Förderung vor allem eine Entbürokratisierung des Antrags auf eine Weiterbildungsbefugnis bei der zuständigen Ärztekammer. Bei allem Verständnis für die Anforderungen an die Qualität der Weiterbildung sollten die Voraussetzungen für die Befugnis mit Augenmaß festgelegt werden. So dürfte es in chirurgischen Praxen etwa kaum möglich sein, einem Weiterbildungsassistenten dauerhaft ein eigenes Zimmer zur Verfügung zu stellen.
Teilweise unklar und zukünftig rechtlich eindeutig zu regeln ist auch noch die Abrechenbarkeit von Tätigkeiten der Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten gegenüber den verschiedenen Kostenträgern. Wir müssen uns dazu wahrscheinlich vom Dogma des Facharztstatus verabschieden und auf qualitativ einwandfreie Leistungen nach dem Facharztstandard abheben.
PC Welche gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflussen die fachärztliche Weiterbildung und welche Forderungen bzw. Lösungsansätze haben Sie hier?
TSR Das Arbeitsverhalten – und das meine ich ganz neutral – der Generation in Weiterbildung hat sich geändert. Ihre Ansprüche an die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wozu auch die Elternzeit gehört, bedingen Flexibilität und Ausfallzeiten in der Weiterbildung. Wir müssen diese Bedürfnisse akzeptieren und akkommodieren. Auch in der Chirurgie sind angepasste Dienstpläne und Teilarbeitszeitverträge ohne Qualitätsverlust in der Klinik und in der Weiterbildung möglich. Der Träger kann sich mit arbeitsfreundlichen und ausreichenden Kita-Plätzen und Einkaufsmöglichkeiten als familienfreundliche Einrichtung profilieren. Auch können wir das Bedürfnis nach einer strukturierten Weiterbildung durch Pläne und ein Feedback-System ohne großen Aufwand erfüllen. Lücken in der Patientenversorgung könnten durch einen Pool von Senior Consultants ausgeglichen werden. Weiterzubildende dürfen nicht länger als preiswerte Arbeitskräfte, sondern müssen als Investition in die Zukunft betrachtet werden. Dies muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen werden.
Die Gemeinsame Weiterbildungskommission Chirurgie (WBK) setzt sich aus Expertinnen und Experten des Berufsverbands der Deutschen Chirurgie (BDC), der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), des Berufsverbands der niedergelassenen Chirurgen und Chirurginnen (BNC) sowie allen chirurgisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften zusammen.
Die WBK setzt sich auf allen Ebenen und in der Zusammenarbeit mit den Landesärztekammern und der Bundesärztekammer für eine qualitativ hochwertige Weiterbildung zum Chirurgen und zur Chirurgin ein. Dabei vertritt sie sowohl die Interessen des chirurgischen Nachwuchses als auch die der Weiterbilder. Die Kommission möchte mit ihrer Arbeit dazu beitragen, eine optimale chirurgische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Die WBK tagte im März 1972 zum ersten Mal und führt seither ein- bis zweimal jährlich Sitzungen durch. Federführend sind der Berufsverband der Deutschen Chirurgie (BDC) und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH). Darüber hinaus sind alle wiss
Gesundheitspolitik
Päßler O: Interview mit den Leitenden der Gemeinsamen Weiterbildungskommission Chirurgie. Passion Chirurgie. 2024 Juni; 14(06/II): Artikel Passion Chirurgie. 2024 Juni; 14(06/II): Artikel 05_02.
Autoren des Artikels
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer
Präsident des Berufsverband der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC)Referat Presse- & Öffentlichkeitsarbeit/WeiterbildungskommissionLuisenstr. 58/5910117Berlin kontaktierenProf. Dr. med. Julia Seifert
Präsidiumsmitglied im BDCStellv. Leiterin Deutsche Akademie für Fort- und Weiterbildung des BDCABS-Expertin und Hygienebeauftragte ÄrztinVorsitzende Interdisziplinäre Sektion Krankenhaus- und Praxishygiene der DGKHKlinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Unfallkrankenhaus Berlin kontaktierenUniv.-Prof. Dr. med. Thomas Schmitz-Rixen
GeneralsekretärDeutsche Gesellschaft für Chirurgie e.V. (DGCH)Luisenstraße 58/5910117Berlin kontaktierenDr. med. Peter Kalbe
Vizepräsident des BDCGelenkzentrum SchaumburgStükenstraße 331737Rinteln kontaktierenOlivia Päßler
Presse- & ÖffentlichkeitsarbeitBerufsverband der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC)Luisenstraße 58/5910117Berlin kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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