26.06.2018 Entwicklungshilfe
Internationale Rotkreuz-Bewegung: Chirurgisches Arbeiten in der Katastrophenhilfe
Chirurgische Prinzipientreue im Kontext begrenzter Ressourcen – Geht das?
Wussten Sie, dass es in inzwischen 191 Ländern der Welt eine nationale Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaft gibt? Damit ist die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung die größte humanitäre Organisation der Welt. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist die Nationale Gesellschaft des Roten Kreuzes der Bundesrepublik Deutschland und Bestandteil der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung.
Die Bewegung ist keine alleinstehende Organisation. Das Rote Kreuz im Sinne eines einheitlichen Gebildes gibt es in der Form gar nicht. Das Rote Kreuz ist vielmehr die Summe seiner Bestandteile, ein Zusammenspiel der drei Komponenten:
- Internationale Föderation als Dachverband aller Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (www.ifrc.org),
- Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und
- den 191 nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, von denen eine auch das DRK ist (www.drk.de).
Jede Organisation hat ihre eigene rechtliche Identität und Rolle, wobei sich alle den sieben Grundsätzen der Bewegung verschrieben haben:
- Menschlichkeit
- Unparteilichkeit
- Neutralität
- Unabhängigkeit
- Freiwilligkeit
- Einheit
- Universalität
Jede Organisation der Bewegung ist dazu verpflichtet, diese Grundsätze zu respektieren und zu bewahren.
Das IKRK ist darum bemüht, das Leben und die Würde der Betroffenen bewaffneter Konflikte und anderer Situationen von Gewalt weltweit zu schützen. Bei bewaffneten Konflikten leitet das IKRK die internationalen Hilfsaktionen der Bewegung.
Die Föderation als koordinierender Zusammenschluss aller Nationalgesellschaften leitet die Einsätze bei Naturkatastrophen, Gesundheitskrisen und bei der Unterstützung von Flüchtlingen. Die jeweilige nationale Gesellschaft fungiert stets auxilliär zu staatlichen Behörden, hat aber substanzielle Autonomie. Kommt es zu einem Schadensereignis, das die Kapazitäten des betroffenen Staates oder der Nationalgesellschaft deutlich übersteigt, kann über die Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung rasch internationale Hilfe angefordert werden. Im Rahmen dieser Aufteilung leistet das DRK Hilfe in mehr als 50 Ländern in Afrika, Asien, Nahost und Lateinamerika.
Welche Einsatzmöglichkeiten ergeben sich daraus für Chirurginnen und Chirurgen?
Die Variabilität ist tatsächlich sehr kontextspezifisch: Kommen in den Konfliktgebieten mehr die Behandlungsprinzipien der Kriegschirurgie zum Tragen (z. B. offene Wundbehandlung, großzügiges Debridement, Damage-Control-Surgery, etc.) so ist während eines konventionellen Katastropheneinsatzes durch den Kollaps der bestehenden medizinischen Infrastruktur mit einer Vielzahl auch elektiver Eingriffe zu rechnen. Der häufigste Eingriff war und ist allerdings die Sectio.
Ist wie derzeit etwa in Bangladesch das regionale Gesundheitssystem mit der Zuwanderung von über 700.000 Flüchtlingen aus Myanmar auch mittelfristig definitiv überfordert, muss die regionale medizinische Grund- und Regelversorgung auch über einen langen Zeitraum durch internationale Kräfte gewährleistet werden.
Das dargestellte Spektrum zeigt, welches Dilemma sich offenbaren kann: Insbesondere jüngere Chirurginnen und Chirurgen durchlaufen in Deutschland eine exzellente Ausbildung insbesondere der laparaskopischen Therapieverfahren. Auf diese Technologie wird aber aus hygienischen und logistischen Gründen im Einsatz bewusst verzichtet und rein konventionelle Techniken angewendet.
Abb. 1: Erdbebenhilfe Nepal 2015; Blick auf die Mobile Klinik vom Roten Kreuz von Singati
Abb. 2: Erdbebenhilfe Nepal 2015; Blick in den OP-Bereich der mobilen Klinik in Singati
Welche Fähigkeiten gilt es sich daher vorab anzueignen?
Insbesondere die Durchführung einer Sectio sollte idealerweise beherrscht werden. Weiter sollten auch Allgemeinchirurgen mit der Anlage eines Fixateur externe (ohne BV) und der konservativen Frakturbehandlung vertraut sein. Von Unfallchirurgen/Orthopäden muss gelegentlich auch eine Appendektomie oder diagnostische Laparatomie durchgeführt werden. Der Triage der Patienten vor Ort kommt deshalb eine zentrale Rolle zu, korreliert sie letztlich unmittelbar mit dem fachlichen Spektrum und Können der eingesetzten Chirurginnen und Chirurgen und deren Teams.
Weiter unterliegt die Indikationsstellung jedoch nicht etwa wie in Deutschland rein medizinischen Kriterien, sondern auch noch den Einsatzkriterien wie zum Beispiel Sicherheit, Personal- und Materialverfügbarkeit oder Tageszeit. Das heißt, ähnlich wie im Flugzeug, hat nicht der Arzt das letzte Wort, sondern der örtliche Einsatzsatzleiter oder Teamleader. Das ist auch für routinierte Chirurgen eine oftmals sehr gewöhnungsbedürftige Erfahrung.
Die Verkehrssprache während des Einsatzes ist üblicherweise Englisch. Es kann jedoch sein, dass bis zu sechs verschiedene Nationen an einem OP-Tisch versammelt sind. Das ist vor allem für die Follow-up-Dokumentation eine Herausforderung. Insofern obliegen dem Chirurgen auch die stete Kontrolle und auch das Training zum Beispiel des einheimischen Personals. Das Prinzip „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ ist insbesondere auch z. B. beim Sterilisationsprozess sehr evident.
Welche Trainingsmöglichkeiten bestehen seitens der entsendenden Organisation?
Eine gemeinsame Arbeitsmatrix ist insbesondere in einem schwierigen Kontext unabdingbar. Insofern bietet das DRK den Einführungskurs „IMAPCT“ an, in dem die Grundprinzipien der humanitären Hilfe wie auch der Ablauforganisation innerhalb der Rotkreuz-Bewegung dargestellt werden. Gesundheitliche und fachliche Aspekte werden in dem Aufbaukurs „Health-Emergency Response Unit“ beleuchtet. Beide Kurse sind innerhalb der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung standardisiert und werden regelmäßig von nationalen Gesellschaften wie dem DRK angeboten. Das IKRK bietet in Ergänzung dazu das „War-Surgery-Seminar“ an, bei dem im Kollegenkreis die Herangehensweisen an komplexe Kriegs-Verletzungsmuster diskutiert werden.
Die Einsatzdauer sollte grundsätzlich vier Wochen nicht unterschreiten. Normalerweise dauern diese inklusive Briefing und Reise ca. sechs Wochen. Wenn es der Einsatzkontext erlaubt können Einsätze auch auf mehrere Monate ausgeweitet werden.
Liegen die Grundvoraussetzungen, der Facharzt-Titel sowie die Tropentauglichkeitsprüfung/G 35 als Ausdruck einer robusten Gesundheit vor, kann eine Freistellung beim Arbeitgeber angefragt werden. Das heißt, sämtliche Kranken- und Rentenversicherungen laufen ohne Einschränkungen weiter und das DRK erstattet dem Arbeitgeber die Personalkosten. Eine Zuzahlung von Wochenend- oder Nachtzuzahlung entfällt allerdings. Auch für niedergelassene oder freischaffende Chirurgen ist ein Einsatz prinzipiell möglich. Das Honorar wird dann mit der Personal-Abteilung individuell vereinbart.
Der Vorteil einer großen Organisation liegt im professionellen Einsatzmanagement, der insgesamt guten Vernetzung und großen Erfahrungsbandbreite. Das ist insbesondere im entlegenen Katastrophenkontext ein erheblicher Bonusfaktor. Eine suffiziente Versorgung, zum Beispiel in einem chirurgischen Feldhospital, steht und fällt mit der Logistik. Des Weiteren gewährleistet das Arbeiten unter dem Schirm der jeweiligen Rotkreuz- oder Rothalbmond-Gesellschaft eine Rechtssicherheit, die man sonst als medizinische Einsatzkraft so nicht hat. Denn haben sich früher Staaten kaum für irgendwelche medizinischen Akkreditierungsprozesse interessiert, so bedarf die Arbeit von Ärzten und Chirurgen selbst im Katastrophengebiet mittlerweile der Genehmigung der regionalen Gesundheitsbehörden. Ein bloßes Touristen-Visum reicht da mitnichten.
Abb. 3: Erdbebenhilfe Nepal 2015: Das regionale Straßenbild weist gravierende Schäden an der regionalen Infrakstruktur auf.
Abb. 4: Erdbebenhilfe Nepal 2015: Administrative Belange sind auch während eines Einsatzes im Katastrophengebiet nicht zu unterschätzen.
Wo liegen die Vorteile einer solchen Tätigkeit?
Es ist vor allem der progrediente fachliche, aber auch persönliche Erkenntnisgewinn, der das Arbeiten in einem solchen Kontext sehr bereichernd machen. Auch der Motivationsgrad der Mitarbeitenden ist oftmals sehr bemerkenswert. Voraussetzung dazu ist die Bereitschaft, sich auch auf andere Kulturen einzulassen. Trotzdem bedarf es einer erheblichen Gelassenheit und zuweilen auch Bescheidenheit, denn zwischen den eigenen Vorstellungen was machbar wäre und dem, was letztlich umgesetzt werden kann, ist oftmals ein erhebliches Delta. Insofern darf die Eingangs gestellte Frage, ob die chirurgische Prinzipientreue auch unter Feldbedingungen gelingt, dahin gehend beantwortet werden, dass die Arbeit vor Ort meist einen durchaus hohen positiven Impact für die notleidende Bevölkerung hat. Trotzdem müssen oftmals auch erhebliche Abstriche gemacht werden, insbesondere wenn es um die Belange der Neuro- oder Thoraxchirurgie geht. Hier bleiben oftmals nur noch supportive Maßnahmen, da Verlegungen in geeignete Einrichtungen schlicht nicht möglich sind.
Deutsches Rotes Kreuz (DRK)Das DRK hat aktuell einen erheblichen Bedarf an Allgemein- und Unfallchirurgen für internationale Projekte und hat dazu eine spezifische Kontakt-Stelle eingerichtet. Erfüllen Sie die Voraussetzungen und möchten sich in den Nothilfe-Einheiten des DRK engagieren? Informieren Sie sich hier, registrieren Sie sich und bewerben sich für die Grundlehrgänge (https://www.drk.de/hilfe-weltweit/wann-wir-helfen/was-machen-wir-in-der-nothilfe/werden-sie-eru-delegierte/). Registrieren Sie sich unter https://drkhrnet.drk.de. Kontakt: |
Schad J: Internationale Rotkreuz-Bewegung: Chirurgisches Arbeiten in der Katastrophenhilfe. Passion Chirurgie. 2018 Juli, 8(07): Artikel 03_04.
Autor des Artikels
Dr. med. Johannes Schad
Facharzt für ChirurgieZusatzqualifikation Notfallmedizinseit 2009 regelmäßig für das DRK im Auslandseinsatz in Krisen- und Konfliktregionen kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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