Der Appell, sich gemeinsam für die Chirurgie einzusetzen und das ganz besonders im Bundestagswahljahr, zog sich wie ein roter Faden durch den diesjährigen Bundeskongress Chirurgie in Nürnberg. Der Kongress wird seit 2011 durch den Berufsverband der Niedergelassenen Chirurgen e.V. (BNC), den Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC) und den Bundesverband Ambulantes Operieren e.V. (BOA) gemeinsam mit weiteren chirurgischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden veranstaltet.
Kooperation und gemeinsame Ziele großgeschrieben
„Die Kooperationen innerhalb der Chirurgie haben sich in den letzten Jahren sehr verändert. Wir gleichen uns an. Und die Forderungen gegenüber der Politik zeigen neben allen Unterschieden auch viele Gemeinsamkeiten“, betonte der Präsident des BDC und Generalsekretär der DGCH, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer bei der Eröffnung des Kongresses. Trotz der Unterschiede liegen laut Meyer drei Themen bei allen Chirurgen weit vorn: die Therapiefreiheit, die Freiberuflichkeit und weiterhin die Notfallaufnahmen. Aufgrund dieser gemeinsamen Interessen wurde bereits Anfang des Jahres in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und Fachgesellschaften ein umfangreiches Thesenpapier zur Bundestagswahl verfasst – „passend zum Lutherjahr“, bemerkte Meyer bei der Eröffnung in Nürnberg. Er fasste zusammen, dass nicht noch mehr Dirigismus notwendig wäre, sondern der freie und selbstbestimmte Arztberuf in allen Bereichen gestärkt und erhalten werden müsse. So kritisierten die ausrichtenden Berufsverbände, dass der für eine freiberufliche Tätigkeit erforderliche Handlungsspielraum immer weiter beschnitten worden sei. Das Ziel der Stärkung der freiberuflichen Chirurgen teilen sich alle beteiligten Verbände und deshalb war es auch zentraler Punkt des politischen Vormittags beim diesjährigen Bundeskongress.
Überleben der freiberuflichen Fachärzte nach der Bundestagswahl
Von Politikern und Institutionen werden freiberufliche Chirurgen kaum wahrgenommen, umso interessanter war es beim Politischen Vormittag, die Antworten einzelner Politiker auf die Frage nach der Zukunftsperspektive freiberuflicher Fachärzte zu hören. Die anwesenden Politiker aus SPD, CSU und FDP bekannten sich ganz klar zur ärztlichen Freiberuflichkeit. Doch ihre Lösungsansätze stimmen nur teilweise mit den Forderungen der Ärzteschaft überein. So rechtfertigte die SPD-Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich die Forderung nach einer Bürgerversicherung damit, dass die Politik endlich Lösungen für einkommensschwache Menschen anbieten müsse, die sich ihre Krankenversicherung nicht mehr leisten können: „Hier fehlen mir bislang konstruktive Lösungsvorschläge aus den Reihen der Ärzteschaft.“ Der CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seiderath bekräftigte die Haltung seiner Partei, mithilfe der Landarztquote den Nachwuchs auf’s Land locken zu wollen. Der FDP-Bundestagskandidat Prof. Andrew Ullmann wiederum versprach, die flächendeckende wohnortnahe Versorgung auch ohne derartige Regularien zu stärken und das Zwei-Säulen-Modell aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung nicht anzutasten, obwohl das FDP-Wahlprogramm für die Bundestagswahl noch nicht verabschiedet wurde. Echten Gegenwind gab es aus der Politik also nicht. Was sich nach der Bundestagswahl aber wirklich in der Gesundheitspolitik – und besonders für freiberufliche Chirurgen – ändern wird, steht noch in den Sternen. Umso wichtiger sei es, sich auch als einzelner im eigenen Wahlkreis bemerkbar zu machen, lautete der Appell der Verbandsvertreter an die Kongressteilnehmer.
Engagement ist gefragt – „Das eigene Schicksal in die Hand nehmen“
Jeder einzelne sei gefragt, sich zu engagieren. Das betonte BDC-Vizepräsident Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg auch bei der Verleihung der Wolfgang Müller-Osten Medaille für besonderes Engagement im BDC und rief dazu auf, „das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen“. Die Ehrenmedaille wird vom Berufsverband an Persönlichkeiten verliehen, die sich außerhalb der offiziellen Mandate im Besonderen für die Belange der Chirurginnen und Chirurgen verdient gemacht haben. So wie Dr. med. Manfred Giensch, der stets dem Motto folgte „Nur die Chirurgie unter einem Dach ist sinnvoll“ und durch seinen persönlichen Einsatz wesentlich zur Annäherung des BNC mit dem BDC beigetragen hat. Ohne ihn würde es den gemeinsamen Bundeskongress Chirurgie wahrscheinlich nicht geben und die Gräben zwischen niedergelassen Chirurgen und Chirurgen aus dem stationären Bereich wären wahrscheinlich noch sehr tief. Auch Dr. med. Werner Boxberg bekam im Namen des BDC-Vorstands die Wolfgang Müller-Osten Medaille verliehen. Seiner ehrenamtlichen Arbeit ist es mit zu verdanken, dass gemeinsam mit den Partnern der gesetzlichen Unfallversicherung Clearingstellen eingerichtet werden konnten, die wesentlich zur Befriedung von Konflikten bei der Abrechnung beitragen. Boxberg bedankte sich sehr für die Ehrenmedaille und fügte provokant hinzu „Ich drohe schon mal, ich mache so weiter wie bisher!“ – Und genau darauf freut sich der BDC.
Gesundheitspolitik in den Medien: Der Journalistenpreis der Deutschen Chirurgen
Um politisches Gehör zu finden, gehört es auch dazu, mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Aus diesem Grund, also um die Berichterstattung gesundheitspolitischer Themen hervorzuheben und zu fördern, verleiht der BDC jedes Jahr den Journalistenpreis der Deutschen Chirurgen. In Nürnberg wurde der Preis an Kristina Gnirke, Isabell Hülsen und Martin U. Müller für den Beitrag „Ein krankes Haus“ (DER SPIEGEL, 51/2016) verliehen. „Die Folgen der zunehmenden Ökonomisierung unseres Gesundheitssystems werden in dem Artikel anhand eines Beispiels nachvollziehbar und allgemein verständlich aufgezeigt. Der immer weiter steigende Druck, der auf Ärzten und Pflegepersonal in deutschen Kliniken lastet, wird für den Leser sehr deutlich“, so Meyer. „Daher hat sich die Jury einstimmig für diesen Beitrag entschieden.“
Sitzungen über Endoprothetik bis hin zur Gesundheitspolitik
Insgesamt nutzten wieder viele Chirurginnen und Chirurgen den Kongress zur Fortbildung und um sich gesundheitspolitisch auf den neuesten Stand zu bringen: Schwerpunkte in diesem Jahr waren die Bereiche Viszeral-, Hand-, Venen- sowie proktologische Chirurgie. Die unteren Extremitäten standen im Bereich der Unfallchirurgie im Vordergrund – dabei vor allem die neuen Standards der Endoprothetik im Hüft- und Kniegelenksbereich sowie neue Verfahren von Bandplastiken im Bereich des Kniegelenks. Auch das Thema multiresistente Keime wurde von Hygienespezialisten, aber auch von Veterinärmedizinern aus unterschiedlichen Standpunkten beim Kongress beleuchtet – diese Sitzungen waren besonders gut besucht, da dabei auch die Rolle der Zusatzqualifikation „Hygienebeauftragter Arzt“ im niedergelassenen Sektor besprochen wurde.
Gesundheitspolitische Debatten wurden in vielen Sitzungen zu unterschiedlichen Themen wie Portalpraxen, Zweitmeinungen sowie Terminservicestellen geführt. Bei den Sitzungen kristallisierte sich immer wieder heraus, dass gemeinsames Engagement und vor allem gemeinsame Lösungsansätze gefragt sind. Vor allem bei der Gestaltung sektorenübergreifender Versorgung seien Chirurginnen und Chirurgen gefragt, Modelle zu initiieren und nicht auf politische Lösungsansätze zu warten.
„Wir müssen verletzen, um zu heilen“
„Die Chirurgie ist eine besondere Branche in der Medizin mit besonderen Eigenschaften“, sagte Prof. Dr. med. Tim Pohlemann, Präsident der DGCH, bei der Eröffnungsveranstaltung. „Denn wir müssen verletzen, um zu heilen“. Chirurginnen und Chirurgen müssten ihre besonderen Eigenschaften erkennen, sich gemeinsam engagieren, um dieses spezielle Arbeitsumfeld gestalten zu können und auch gemeinsam zur Bundestagswahl Gehör zu finden, betonte auch Pohlemann. Der rote Faden des Bundeskongresses, gemeinschaftlich für die Chirurgie einzustehen, wurde im Laufe der Veranstaltung ergänzt: um die Aufforderung, sich trotz aller Widrigkeiten, Raum zu schaffen, um sich zu engagieren und mit Ideen diesen einzigartigen Beruf zu gestalten – auch mit Unterstützung der Berufsverbände.
Save the Date
Im nächsten Jahr wird der Bundeskongress Chirurgie wieder gemeinsam vom BNC, BDC und BOA veranstaltet werden: vom 23. bis 25. Februar 2018 in Nürnberg.
In der April-Ausgabe der PASSION CHIRURGIE finden Sie unseren neusten CME-Artikel. Mitglieder des BDC können den entsprechenden Kurs kostenlos im eCME-Center buchen.
Seit September 2017 gibt es die BDC|Webinare (www.bdc-webinare.de). Bisher wurden auf der Plattform insgesamt 26 Leitlinien von Experten erfolgreich vorgestellt und besprochen. Jeden Monat wird von einem 45-minütigem Webinar eine chirurgisch relevante Leitlinie in ihren Grundzügen vorgestellt.
Seit September 2017 gibt es die BDC|Webinare (www.bdc-webinare.de). Bisher wurden auf der Plattform insgesamt 25 Leitlinien von Experten erfolgreich vorgestellt und besprochen. Jeden Monat wird von einem 45-minütigem Webinar eine chirurgisch relevante Leitlinie in ihren Grundzügen vorgestellt. Anschließend kann mit dem Referenten und anderen Teilnehmern via Chat diskutiert werden, selbstverständlich kostenfrei für alle BDC-Mitglieder. Und jede Teilnahme wird in der Regel mit zwei CME-Punkten zertifiziert.
„Wer ist schon gerne krank? Und wer geht schon gern zum Arzt?“ Das Buch „Arztgespräche richtig führen – So mache ich mich verständlich“ widmet sich dem vielschichtigen Thema der Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Dieser wichtige Bestandteil der Arzt-Patienten-Beziehung hat nach wie vor eine aktuelle Relevanz in der öffentlichen Diskussion, wie unter anderem dem Artikel in der „ZEIT“ vom November 2017 [1] oder auch den Veröffentlichungen verschiedener Gesundheitsdienstleister (z. B. [2]) zu entnehmen ist. Das Buch von Diplom-Psychologin und Sachbuchautorin Kirsten Khaschei möchte dabei als Ratgeber für Patientinnen und Patienten dienen und wendet sich damit primär an medizinische Laien.
Auch wenn die Beteiligung an der Wahl zum EU-Parlament enttäuschend gering war, besteht doch kein Zweifel, dass „Brüssel“ – als Kürzel für die Politik der Europäischen Union – immer mehr Einfluss auf unser tägliches Leben haben wird. Dies gilt auch für den Gesundheitssektor. So regeln die 27 EU-Staaten nicht nur die Bedingungen für die freie Ausübung des ärztlichen Berufes im europäischen Raum, sondern immer mehr auch die Freizügigkeit der Patienten, sich in jedem EU-Staat behandeln zu lassen („free movement“). Dies obwohl gerade die Gesundheitssysteme der einzelnen EU-Staaten sich teilweise extrem unterscheiden.
Oftmals wird gerade die fortschreitende medizinische Technik als „Apparatemedizin“ abgekanzelt und dadurch der Eindruck erweckt, die humanitäre Seite des ärztlichen Handelns würde keine Rolle mehr spielen. Der Patient wäre vielmehr ein Spielball des Fortschrittes, benutzt zur Amortisation neuer Geräte und nicht mehr der Kernbereich des ärztlichen Handelns, wo das Lindern von Leiden im Vordergrund stünde. Auch von juristischer Seite her wird dieses Thema zwar weniger emotional, gleichwohl kontrovers diskutiert. So ist die Frage, wie man mit dem Patienten am Ende seines Lebens umgehen darf und muss, vielfach auch Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Beispielsweise ist daran zu denken, wie man als Arzt mit einer vorliegenden Patientenerklärung umgeht. Ist diese rechtlich eher unbedeutend oder vielmehr zwingend bindend?
Voraussetzung kompetenter Chirurgie ist vor allem die kompetente Diagnostik und Analyse. Auf der Suche nach der Therapie des fehlenden Chirurgennachwuches wird gerne an den Ursachen vorbei diagnostiziert. Obwohl die Zukunft der deutschen Chirurgie stets in unseren Händen lag, kam es zu Entwicklungen, die die Zukunftsfähigkeit dieses Faches in Frage stellten.
Die Tatsache, dass „Der Chirurg BDC“, nach seinen Mitteilungen vom September und November 2008 nun bereits ein weiteres Mal die Weiterbildung zum Hauptthema macht, zeigt die Aktualität des Problems. Die Verantwortlichen des Berufsverbandes sind sich des drohenden Chirurgenmangels bewusst und gehen das Problem offensiv an.