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Frage:

Ein niedergelassener Chirurg fragt an, ob die postalische Übersendung eines Arztbriefs nach von ihm durchgeführter Koloskopie an den überweisenden Arzt ausreichend ist oder ob er die Patienten unmittelbar persönlich therapeutisch aufklären muss.

 

Antwort:

Dem Arzt, der zur Durchführung einer Koloskopie hinzugezogen wird, kommt gemäß § 630c Abs. 2 S. 1 BGB die Pflicht zur therapeutischen Aufklärung (auch Sicherungsaufklärung genannt) zu. Ziel der therapeutischen Aufklärung ist, den Erfolg der medizinischen Behandlung sicherzustellen.

Das OLG Karlsruhe hat mit Urteil vom 11.03.2020 hierzu im Zusammenhang mit der von einem auf Überweisung tätig gewordenen Arzt vorgenommenen Koloskopie und der damit verbundenen Probeentnahme und Abtragung einer polypoiden Veränderung wie folgt entschieden (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 11. März 2020 – 7 U 10/19 –, juris):

Der Patient hat einen Anspruch auf Unterrichtung über die im Rahmen einer ärztlichen Behandlung erhobenen Befunde und Prognosen. Das gilt in besonderem Maße, wenn ihn erst die zutreffende Information in die Lage versetzt, eine medizinisch gebotene Behandlung durchführen zu lassen (Therapeutische Aufklärung/Sicherungsaufklärung). Es ist ein (schwerer) ärztlicher Behandlungsfehler, wenn der Patient über einen bedrohlichen Befund, der Anlass zu umgehenden und umfassenden ärztlichen Maßnahmen gibt, nicht informiert und ihm die erforderliche ärztliche Beratung versagt wird (vgl. Rn. 15).

Der Arzt hatte der Patientin in dem Nachgespräch anhand der gefertigten Bilder genau erläutert, was für eine Auffälligkeit bestanden habe und dass er diese mit einer Zange abgetragen habe sowie dass der Befundbericht noch um die Histologie ergänzt werde und der Bericht in 7 bis 10 Tagen bei dem Hausarzt mit der kompletten Histologie eintreffen werde. Ferner hatte er der Patientin im Hinblick auf die von ihm festgestellte und abgetragene polypöse Struktur im Analkanal mitgeteilt, dass man abwarten müsse, was die histologische Untersuchung ergebe (vgl. Rn. 18).

Das OLG Karlsruhe sah hierin eine in dem unmittelbar nach der Behandlung möglichen Umfang hinreichende therapeutische Aufklärung, da der Arzt zu diesem Zeitpunkt nicht zu einer weitergehenden therapeutischen Aufklärung verpflichtet war. Daran änderte der Umstand nichts, dass er nach seinen Angaben bereits bei der Untersuchung den Verdacht auf eine Präkanzerose des Analkanals hatte. Denn der Befund war nach seinen nachvollziehbaren Angaben auch für ihn nicht eindeutig, sondern es kam auf die Histologie an, was er der Patientin erläutert hatte. Auch der Sachverständige stellte fest, dass man zu dem Zeitpunkt der Abtragung der Läsion noch keine näheren Angaben zu deren Qualität machen konnte (vgl. Rn. 20).

Ferner war der Patientin auch hinreichend die Bedeutung und Schwere eines möglichen pathologischen Befundes und damit die Bedeutung der histologischen Untersuchung bekannt, da der Arzt ihr gesagt hatte, sie solle sich nicht so viele Gedanken machen und wenn sich ein bösartiger oder auffälliger Befund ergeben würde, werde er sich selbst telefonisch melden. Schon danach war ihr aus Sicht des OLG bekannt, dass auch die konkrete Möglichkeit eines bösartigen Befundes bestand. Der Arzt hat ferner bei seiner Anhörung vor dem Senat überzeugend vorgetragen, er sage den Patienten bei der Aufklärung, dass Polypen, wenn sie vorhanden sein sollten, entfernt würden, weil diese eine Vorstufe des Darmtumors sein könnten (vgl. Rn. 21).

Des Weiteren urteilte das OLG, dass auch nach Erhalt der Histologie der Arzt nicht gegen seine therapeutische Aufklärungsplicht verstoßen hat, indem er den Arztbericht mit den vom Pathologen mitgeteilten Ergebnissen nur per Post an die überweisende Hausärztin übersandte:

Der hinzugezogene Arzt ist grundsätzlich gehalten, den behandelnden Arzt in einem Arztbrief über das Ergebnis des Überweisungsauftrages zu unterrichten. Diese Pflicht gehört zu den Schutzpflichten gegenüber dem Patienten, die eine solche Unterrichtung des die Behandlung führenden Arztes über die von ihm aus der Hand gegebene Behandlungsphase umfassen und die der hinzugezogene Arzt dem Patienten aufgrund der übernommenen Behandlungsaufgabe vertraglich wie deliktisch schuldet. Im Übrigen gehört sie als Bestandteil der gegenseitigen Informationspflicht auch zu den Berufspflichten des Arztes (vgl. Rn. 23).

Der Arzt musste nach Meinung des OLG die Patientin nicht persönlich telefonisch informieren oder wiedereinbestellen, sondern es genügte die Information ihrer Hausärztin. Das OLG verwies aber darauf, dass bei hochpathologischen Befunden oder Befunden, die weitere zeitkritische Behandlungsschritte erfordern, bei denen eine rasche Reaktion geboten ist, dies anders sei, weshalb dann auch eine persönliche Information des Patienten geboten sein kann. Erhält der behandelnde Arzt einen Arztbericht, in dem für die Weiterberatung und -behandlung des Patienten neue und bedeutsame Untersuchungsergebnisse enthalten sind, die eine alsbaldige Vorstellung des Patienten bei dem Arzt unumgänglich machen, so hat er den Patienten auch dann unter kurzer Mitteilung des neuen Sachverhalts einzubestellen, wenn er ihm aus anderen Gründen die Wahrnehmung eines Arzttermins angeraten hatte. Auch eine entgegenstehende Übung entbindet den Arzt jedenfalls dann nicht von einer Pflicht zu besonderer Benachrichtigung seines Patienten, wenn dessen alsbaldige Vorstellung bei ihm aufgrund eines neuen Sachverhalts nötig wird und die Gefahr besteht, der Patient werde – weil ihm die neue Sachlage unbekannt ist – die Bedeutung des Arzttermins unterschätzen (vgl. Rn. 29).

Eine solche Konstellation lag im entschiedenen Fall jedoch nicht vor. Ferner war das Gericht davon überzeugt, dass die Patientin die Frage des Arztes, ob sie eine Kopie des Befundberichts erhalten wollte, verneinte. Adressat der Mitteilung war unter diesen Umständen vereinbarungsgemäß nicht die Patientin, sondern ihre Hausärztin.

Auch aus dem Umstand, dass die Hausärztin auf ihrer ärztlichen Überweisung mit der Diagnose/Verdachtsdiagnose „Stuhlgang-Entleerungsstörungen“ auch das Kästchen „Mit-/Weiterbehandlung“ angekreuzt hat, folgt nach Ansicht des OLG nichts anderes. Es mag aus Sicht des Gerichts zwar sein, dass in diesem Fall – anders, als wenn die Überweisung ausschließlich zu einer konkret benannten Diagnosemaßnahme vorgenommen wird – die gesamte diagnostische und therapeutische Tätigkeit dem weiterbehandelnden Vertragsarzt übertragen wird. Der Arzt durfte jedoch nach den Darlegungen des Sachverständigen sich auf die Übermittlung des Befundes und der Therapieempfehlung an die Hausärztin begnügen und musste nicht selbst die Weiterbehandlung der Patientin übernehmen. Er durfte bei objektiver Betrachtung davon ausgehen, dass die weitere ärztliche Versorgung der Patientin im Hinblick auf seinen Arztbrief an die Hausärztin hinreichend sichergestellt war. Zudem war im Übrigen eine Weiterbehandlung bei ihm selbst wegen der auf dem Überweisungsschein angegebenen „Stuhlgang-Entleerungsstörungen“ ersichtlich nicht geboten. Weitere Kontrolluntersuchungen waren vielmehr wegen der bei der Untersuchung entfernten polypoiden Veränderung und der sich aus dem diesbezüglichen Befundbericht ergebenden AIN III erforderlich (vgl. Rn. 36).

Hinsichtlich der rein postalischen Übersendung des Arztbriefs an die Hausärztin vertritt das OLG die Meinung, dass der Arzt nicht verpflichtet war, einen anderen Informationsweg, etwa die Übermittlung per Telefax, zu wählen oder den Zugang bei der Hausärztin zu überprüfen. Der Arztbrief ist aus Sicht des Gerichts ein gängiges Mittel zur gebotenen Aufrechterhaltung des Informationsflusses zwischen den an der Behandlung beteiligten Ärzten. Normaler Weise darf der Absender darauf vertrauen, dass sein Arztbrief beim Empfänger ankommt. Es kann ihm nicht zugemutet werden, sich bei jedem Arztbrief zu vergewissern, dass dieser erfolgreich übermittelt wurde. Nur dann, wenn dem Arzt aus vorherigen Fällen z. B. bekannt ist, dass es bei einer Praxis Probleme bei der Postzustellung gibt, kann es eine derartige Pflicht geben. Alternativ sollte der Behandler dann auf eine andere Kommunikationsmethode wie etwa Fax umstellen. Hinreichende Anhaltspunkte für derartige Probleme lagen im entschiedenen Fall aber nicht vor (vgl. Rn. 38).

Allerdings gilt nach Auffassung des OLG in dringenden Fällen, dass der Absender überprüfen muss, ob die Information beim Empfänger angekommen ist, z. B. bei hochpathologischen Befunden oder Befunden, die weitere, zeitkritische Behandlungsschritte erforderlich machen (vgl. Rn. 39). Wie oben dargestellt, war eine solche Konstellation im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Somit konnte sich der hinzugezogene Arzt, nachdem er den Informationsfluss im gebotenen Umfang aufrechterhalten hatte, darauf verlassen, dass die Hausärztin der Patientin seinen Arztbrief mit dem Befund lesen und ihrerseits die vorgeschlagenen Untersuchungen in dem von ihm empfohlenen Zeitraum veranlassen würde.

Folglich lässt sich nach Auffassung des Verfassers abschließend festhalten, dass eine Informationspflicht des hinzugezogenen Arztes unmittelbar den Patienten gegenüber dann besteht, wenn dies aus medizinischen Gründen im Hinblick auf eine besondere Gefährlichkeit des Befundes bzw. Eilbedürftigkeit einer Behandlung erforderlich ist. Ferner, wenn mit den Patienten vereinbart wird, dass sie eine Kopie des Arztbriefs, eine telefonische oder sonstige unmittelbare Benachrichtigung erhalten. Unter diesen Umständen könnte dann ein Verstoß gegen die therapeutische Aufklärungspflicht des hinzugezogenen Arztes in Betracht kommen. Zudem ist die postalische Übersendung des Arztbriefs an den überweisenden Arzt ausreichend, wenn keine hinreichenden An

Chirurgie+

Heberer J: F+A: Übersendung eines Arztbriefes nach Koloskopie ausreichend oder persönliche Aufklärung nötig. 2024 Mai; 14(05): Artikel 04_09.

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Dr. jur. Jörg Heberer

Justitiar des BDC, Rechtsanwalt und Fachanwalt für MedizinrechtRechtsanwaltskanzlei Dr. Heberer & Kollegen kontaktieren

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