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Die distale Radiusfraktur gehört zu den häufigsten Verletzungen des Menschen. Sie hat zwei Altersgipfel der erste mit Beginn der Schulzeit um das sechste Lebensjahr und der zweite Altersgipfel findet sich um das 70. Lebensjahr. Ab dem 50. Lebensjahr zählt sie zu den typischen Indikationsfrakturen einer Osteoporose.

Im zweiten Altersgipfel sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Die Inzidenz reicht bei Männern von 79 bis 202/100.000 und bei Frauen von 309 bis 767/100.000 Einwohnern.

Die kindliche Radiusfraktur ist in der Regel eine unkomplizierte metaphysäre Stauchungsfraktur oder eine unkomplizierte Aitken 1 Fraktur, die sich gut konservativ durch Reposition und Ruhigstellung oder ggf. durch K-Draht-Osteosynthese behandeln lässt.

Sehr viele Patienten im Erwachsenenalter, die eine distale Radiusfraktur erleiden, werden heute operativ mit Plattenosteosynthese behandelt. So wurden in Deutschland im Jahr 2012 nahezu 84.000 Patienten wegen einer distalen Radiusfraktur stationär behandelt. Mit einer weiteren Steigerung der Inzidenz von Radiusfrakturen ist bei steigendem Lebensalter zu rechnen.

Während im letzten Jahrhundert die konservative Therapie oder die Therapie durch minimalinvasive Osteosyntheseverfahren mittels K-Drähten die häufigste gebrauchte Therapieform auch bei den Erwachsenen war, hat sich seit gut 15 Jahren die palmare Plattenosteosynthese mit winkelstabilen Implantaten als Standardverfahren durchgesetzt, was zu den vielen stationären Behandlungen führt.

Einteilung/Klassifizierung

Historisch werden die distalen Radiusfrakturen nach

  • der Form des Bruches als Extensionsfrakturen nach Colles oder
  • Flexionsfrakturen nach Smith eingeteilt.

Hinzu kommt eine Mitbeteiligung der Ulna und ob die Gelenkfläche betroffen ist oder nicht. Die heute übliche Klassifizierung sollte die AO-Klassifikation (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) sein (Tab. 1). Hier gibt es

  • die 23-A als extraartikuläre Fraktur,
  • die 23-B als teilweise artikulär und
  • die 23-C als komplett artikuläre Fraktur.

Tabelle 1 AO-Klassifikation der distalen Radiusfraktur

Auch die Mitbeteiligung der Ulna und die Heftigkeit der Zerstörung werden berücksichtigt. Weitere Klassifikationen der distalen Radiusfraktur sind beispielhaft die Barton-Klassifikation, Klassifikation nach Frykman, nach Melone, nach Mayo und nach Pechlaner. Ebenso entscheidend ist, ob es sich um eine offene oder geschlossene Fraktur handelt und ob Instabilitätskriterien vorliegen (Tab.2).

Tabelle 2 Radiologische Instabilitätskriterien

Parameter

Wert

radialer Höhenverlust

> 2 mm

Änderung der radialen Inklination

> 5°

Verlust der Palmarkippung

> 20°

artikuläre Stufe

> 1–2 mm

Inkongruenz im DRUG

> 1 mm

Zum weiteren Verständnis und der Therapieentscheidung wird mitunter das sogenannte Drei-Säulen-Modell nach Rikli und Reggazoni (1996) (Abb. 1) herangezogen. Es ist das Resultat biomechanischer Versuche und teilt das Handgelenk in drei Säulen ein:

Abb.1: Drei Säulen-Modell n. Rikli und Reggazoni (1996)

 

1.Die radiale Säule beinhaltet den Proc. Styloideus radii mit der Fossa scaphoidea,

2.die zentrale Säule läuft durch die Fossa lunata und die Facies articulari ulnae

3.und die ulnare Säule beinhaltet die distale Ulna mit dem ulnaren Bandkomplex.

Diagnostik

Symptomatik

Die Patienten klagen über Schmerzen und Funktionseinschränkungen im verletzten Handgelenk.

Fehlstellung

Es kommt zu einer typischen Fehlstellung des Handgelenkes bei den häufigen Extensionsfrakturen, der sogenannten Bajonett- oder Fourchette-Fehlstellung. Diese entsteht, wenn sich das distale Radiusfragment nach dorsal und speichenwärts verschiebt.

Unfallmechanismus

Welche Hauptfehlstellung resultiert ist abhängig von der Stellung der Hand beim Sturz auf das Handgelenk. Bei Extensionsstellung kommt es zur häufigen Extensionsfraktur (Colles) bei Flexionsstellung zur Flexionsfraktur (Smith).

Begleitverletzungen

Bei der Untersuchung muss auf die typischen Begleitverletzungen geachtet, bzw. nach diesen geforscht werden, da sie die Therapie erheblich beeinflussen.

Assoziierte Verletzungen können sein:

1.karpale Instabilität durch Ruptur des scapholunären Bandes (SL-Band) oder Ruptur des lunotriquetralen Bandapparates

2.Instabilität des distalen Radioulnargelenkes (DRUG). Hier ist die dislozierte Fraktur des Proc. styloideus ulnae hinweisend auf eine TFCC-Läsion

3.auch die Galeazzi-Frakur als Sonderform mit Luxation des Ulnakopfes und Zerreißung der Membrana interossea sollte nicht übersehen werden

4.letztlich sollte auch die begleitende Scaphoidfraktur nicht übersehen werden

Bildgebende Diagnostik

Röntgen

Mit zwei Röntgenaufnahmen des Handgelenkes in zwei Standardebenen, anterior-posterior und seitlich, erhält man in den meisten Fällen alle notwendigen Informationen über die vorliegende Radiusfraktur.

Computertomografie

Eine CT ist immer dann sinnvoll und auch notwendig, wenn es sich um komplexe auch die Gelenkfläche betreffende Frakturen handelt. Hierdurch ist die präoperative Planung besser durchführbar, die Wahl des Zuganges kann festgelegt werden. Im Falle einer Scaphoidfraktur oder auch nur des Verdachts darauf ist eine Dünnschicht-CT zur sicheren Abklärung erforderlich.

Magnetresonanztomografie

Die MRT ist keine Standarddiagnostik der distalen Radiusfraktur, kann aber zur Beurteilung ligamentärer Verletzungen manchmal hilfreich sein.

Arthroskopie

Die Arthroskopie kann als zusätzliche Darstellung intraartikulärer Fragmente in der Therapie genutzt werden. Sie stellt jedoch kein Standardverfahren dar und ist sicher eher speziellen Zentren vorbehalten. In der Routineversorgung spielt sie z. Zt. keine Rolle.

Therapie

Ziel der Behandlung sollte die schmerzfreie volle Funktion des Handgelenkes sein. Auch die Funktionalität der Hand sollte voll erhalten bleiben oder wieder hergestellt werden.

Therapieentscheidung – Welche Therapie wird nun wann verwendet?

Grundsätzlich unterscheidet sich eine konservative von einer operativen Therapie. Die Leitlinie der AWMF gibt hierzu ein Schema nach der AO-Klassifikation vor. Allerdings kann diese nicht als wirkliche Therapieempfehlung gelten, da noch andere wesentliche Faktoren eine Rolle spielen. Neben den knöchernen Verletzungsmustern müssen ebenso die Begleitverletzungen insbesondere die ligamentären Begleitverletzungen aber auch die Weichteilsituation, Alter des Patienten, Knochenverhältnisse und auch der Wunsch des Patienten berücksichtigt werden.

Konservative Therapie

Die konservative Therapie besteht aus der Reposition und der Anlage einer dorsoradialen Unterarmgipsschiene. Nach Abschwellen oder nach nicht mehr zu befürchtender Schwellneigung kann eine zirkuläre Gipsanlage erfolgen. Die Stellung der Hand bzw. des Handgelenkes erfolgt in Funktionsstellung also ca. 20° Dorsalkippung. Die Fingergrundgelenke bleiben frei, ebenso sollte der Ellenbogen frei beugbar sein. Die Dauer der Ruhigstellung richtet sich nach Alter des Patienten und der Knochenqualität und liegt zwischen vier bis sechs Wochen.

Die Reposition erfolgt in ausreichender Analgesie entweder durch Dauerzug im Aushang (Abb. 2 und 3) oder durch Zug und Gegenzug über ein Hypomochlion. Die Art der Reposition hat keinen Einfluß auf das Ergebnis. Wichtig ist, dass sich die Fraktur in reponierter Stellung verhakt und durch den Gipsverband halten lässt.


Abb. 2, 3: Aushang im Mädchenfänger

Indikationen zur konservativen Therapie sind stabile extraartikuläre Frakturen und nicht oder gering dislozierte intraartikuläre Frakturen. Kontraindikationen gegen eine operative Therapie sind ebenfalls eine Indikation für konservativ. (Tab. 3)

Tabelle 3 Indikationen zur konservativen Therapie der distalen Radiusfraktur

etablierte Indikationen

• stabile extraartikuläre Fraktur

• nicht/gering dislozierte intraartikuläre Fraktur

• lokale/allgemeine Kontraindikationen gegen eine OP

relative Indikationen

• primär reponier- und retinierbare Frakturen mit Instabilitätskriterien (Tab. [2])

• Ablehnung der vorgeschlagenen operativen Therapie durch den Patienten.

Relative Indikationen zur konservativen Therapie sind reponier- und retinierbare Frakturen mit Instabilitätskriterien und der Patientenwunsch (Abb. 4).

Abb. 4: Instabile Radiusfraktur mit anatomischer Reposition

Operative Therapie

Als operative Therapieverfahren kommen in Frage die Kirschner-Draht-Osteosynthese, Schraubenosteosynthese, Fixateur externe auch in Kombination mit anderen Verfahren und heute als Goldstandard die winkelstabile palmare Plattenosteosynthese. (Abb. 5)

Abb. 5: Instabile Radiusfraktur mit palmarer winkelstabiler Plattenosteosynthese

Indikationen für eine operative Therapie sind die üblichen absoluten Indikationen wie OP-pflichtige Begleitverletzungen, offene Frakturen und irreponible Frakturen.

Relative Indikationen sind beidseitige Frakturen, Mehrfachverletzungen, Mehretagenverletzungen der oberen Extremität, ausdrücklicher Patientenwunsch. (Tab.4)

Tabelle 4 Indikationen zur operativen Therapie der distalen Radiusfraktur

absolute OP-Indikationen

• offene Fraktur

• instabile Fraktur (hierzu zählen alle Trümmerfrakturen und dislozierten Flexionsfrakturen)

• dislozierte intraartikuläre Fraktur

• irreponible Fraktur

• sekundär dislozierte Fraktur

• begleitende Nervenverletzung

• begleitende Gefäßverletzung

• Durchblutungsstörungen nach Reposition

• komplexe Begleitverletzungen der Handwurzel und des Handgelenks

relative OP-Indikationen

• beidseitige Frakturen

• Mehretagenverletzung der oberen Extremität

• operationspflichtige lokale Zusatzverletzungen

• Mehrfachverletzungen

• ausdrücklicher Patientenwunsch, etwa aufgrund spezieller beruflicher oder funktioneller Anforderungen

Notfallversorgung distaler Radiusfrakturen

Handelt es sich um eine nicht oder nur gering verschobene Fraktur reicht die Ruhigstellung in der dorsoradialen Gipsschiene aus.

Bei dislozierten Frakturen erfolgt die Reposition in ausreichender Analgesierung. Im eigenen Vorgehen hat sich die Bruchspaltanästhesie als sehr gut erwiesen. Etwaige Meinungen, dass hier aus einer geschlossenen eine offene Fraktur gemacht wird; ist nicht hinreichend belegt. Auch ein vermehrtes Aufkommen an Infektionen durch Bruchspaltanästhesie in korrekter Technik angewendet ist nicht belegt.

Nach Reposition erfolgen die Anlage der dorsoradialen Gipsschiene und die Röntgenkontrolle.

Im eigenen Vorgehen heißt es auch: Einen Repositionsversuch hat jede Radiusfraktur verdient! Selbst wenn eine Indikation zur operativen Therapie besteht ist es durchaus sinnvoll groteske Fehlstellungen zu beseitigen. Dadurch können fehlstellungsbedingte Weichteilschäden vermieden und die Schmerzen reduziert werden.

Diskussion

Nach Einführung der winkelstabilen palmaren Plattenosteosynthese und den Berichten über eine hohe Zahl schlechter Ergebnisse der Behandlung von Radiusfrakturen durch die bis dahin üblichen Methoden der konservativen Therapie und/oder Kirschner-Draht-Osteosynthesen, ist die Zahl der Plattenosteosynthesen deutlich gestiegen.

Es bleibt die Frage, ob sich durch die vermehrte Anwendung winkelstabiler Plattensysteme das Outcome der Patienten wirklich verbessert hat. Abgesehen von kindlichen Radiusfrakturen, die keinem wesentlichen Therapiewandel unterzogen wurden, bleibt also zu klären, ob die Patienten des zweiten Häufigkeitsgipfels, Patienten älter als 60 Jahre, von der vermehrten winkelstabilen Plattenosteosynthese profitieren.

In diesem Patientengut sind nach neueren Studien zumindest Zweifel angebracht, dass eine dislozierte intraartikuläre distale Radiusfraktur immer einer operativen Therapie mittels winkelstabiler palmarer Plattenosteosynthese bedarf.

Die Gruppe um Diaz-Garcia RJ. (2011) hat in einer Übersichtsarbeit (21 Studien mit 2.093 Patienten) geschlussfolgert, dass „die verfügbaren Informationen nahelegen, dass bei Patienten über 60 Jahren trotz schlechterer radiologischer Resultate, sich die funktionellen Ergebnisse der nichtoperativen Therapie nicht von denjenigen einer operativen Therapie unterscheiden“.

Die Gruppe um Arora R (2011) hat in einer randomisierten Studie die winkelstabile Plattenosteosynthese mit einer Gipsbehandlung verglichen. Eingeschlossen waren 73 Patienten, mittleres Alter 77 Jahre, Anteil intraartikulärer Frakturen 70 %. Nach drei Monaten gab es noch leichte Vorteile für die operative Gruppe bei den Ergebnissen nach sechs und 12 Monaten konnten im DASH-Score keine signifikanten Unterschiede mehr nachgewiesen werden.

Die von Bartl und Stengel inaugurierte ORCHID-Studie (2014) zeigte, dass trotz besserer Bewegungsausmaße und besserer radiologischer Ergebnisse nach drei Monaten kein Vorteil in der Selbsteinschätzung der Lebensqualität oder der Hand- und Armfunktion vorlag.

Bei einer zu erwartenden Steigerung der Radiusfrakturen gerade bei Patienten jenseits des 65. Lebensjahres, die sich aus der demografischen Entwicklung ergibt, sollte der konservativen Therapie der Radiusfraktur auch bei Dislokation und artikulärer Beteiligung wieder mehr Beachtung geschenkt werden.

Das Argument, dass nach winkelstabiler Plattenosteosynthese eine funktionelle Behandlung erfolgen kann, wird häufig durch die schlechte Knochenqualität des älteren Patienten nicht wirklich angewendet. Auch hier werden häufig längere Ruhigstellungen im Gipsverband trotz Plattenosteosynthese verordnet.

Sollte sich also die Radiusfraktur des älteren Patienten reponieren und retinieren lassen, so kann durchaus über eine konservative Therapie nachgedacht werden, auch bei intraartikulären und dislozierten Frakturen. Hält die Reposition 14 Tage kann die Fraktur auch weiter konservativ behandelt werden.

Fazit

Die distale Radiusfraktur als häufigste Fraktur des Menschen hat einen erheblichen Therapiewandel hinter sich. Es zeigt sich jedoch, dass zumindest bei der Therapie der älteren Patienten dieser Therapiewandel eventuell überdacht werden sollte.

Die Expertise in der konservativen Therapie sollte wieder gestärkt werden und ein Versuch der konservativen Therapie erscheint zumindest beim älteren Patienten trotz Dislokation und Gelenkbeteiligung gerechtfertigt. Allerdings darf die konservative Therapie dabei nicht überfordert werden.

Die palmare winkelstabile Plattenosteosynthese bleibt bis zum Beweis des Gegenteils der Goldstandard in der Therapie der distalen Radiusfraktur.

Literatur

[1] Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (www.awmf.org/leitlinien.html)

[2] Arora R., Lutz M., Demi C., Krappinger D., Haug L., Gabi M: A prospective randomized trial comparing nonoperative treatment with volar locking plate fixation for displaced and unstable distal radius fractures in patients sixty-five years of age and older. J Bone Joint Surg Am 2011; 93: 2146-53.

[3] Bartl C., Stengel D., Bruckner T., Gebhard F. und die ORCHID Studiengruppe: Therapie der dislozierten intraartikulären Radiusfraktur des älteren Patienten, Dt. Ärzteblatt / Jg 111/ Heft 46 /14. November 2014

[4] Diaz-Garcia RJ., Roda T., Shauver MJ., Chung KC.: A sytematic review of outcomes and complications of treating unstable distal radius fractures in the elderly. J Hand Surg Am 2011; 36; 824-35 e2.

[5] Rikli D., Reggazoni R.: Fractures of the distal end of the radius: open reduction, internal fixation and early functional after treatment: J Bone Joint Surg 1996; 78-B: 588 – 592.

[6] Wichelhaus A., Gradl G., Mittlmeier T.: Die distale Radiusfraktur, Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 7 / 2012/ 251-271

Müller C. Die Radiusfraktur. Passion Chirurgie. 2017 April, 7(04): Artikel 03_02.

Autor des Artikels

Profilbild von Christian Müller

Dr. med. Christian Müller

Klinik f. Orthopädie, Unfall-, Hand- u. WiederherstellungschirurgieSana Klinikum LichtenbergFanningerstr. 3210365Berlin kontaktieren

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