AWMF veröffentlicht Empfehlungen zur Zusammenarbeit
Mit der neuen „Null-Euro-Ärzte“-Datenbank reitet das Recherchezentrum Correctiv auf der nächsten Welle Interessenkonflikte von Ärzten. Weniger schlagzeilenträchtig, aber dafür fundiert müht sich dagegen die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) mit dem Thema ab. Sie hat kürzlich ihre Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten aktualisiert.
Klare Regeln seien bei der Entwicklung von Leitlinien, der Ausrichtung von Fachkongressen und Studien notwendig, heißt es auf einer Pressekonferenz der Arbeitsgemeinschaft. In den Empfehlungen beschreibt die AWMF, wie mit Interessen umzugehen ist, die potenziell geeignet seien, die eigene Urteilskraft und Unabhängigkeit zu beeinflussen. Eine wichtige Gegenmaßnahme ist, dass Fachgesellschaften ebenso wie die Industrie Kooperationen offenlegen. Dafür hat die AWMF ein strukturiertes Vorgehen entwickelt. Ein einheitliches Deklarationsformat zur Dokumentation von Sekundärinteressen bei Studien, Leitlinien und Kongressen soll verlässliche Transparenz schaffen.
Interessen offen legen, bewerten und Konsequenzen ziehen
Prof. Claudia Spies, Vorsitzende der AWMF-Kommission Leitlinien, sagt aber auch auf der Pressekonferenz: „Transparenz allein reicht nicht, es bedarf des nächsten Schrittes.“ Damit meint sie, die Interessen von Kollegen bewerten zu lassen und daraus Konsequenzen abzuleiten. Bei der Erstellung von Leitlinien können mögliche Konsequenzen sein, keine Leitungsfunktion zu übernehmen oder nicht mit abzustimmen.
AWMF-Vize-Präsident Prof. Wilfried Wagner erwartet nicht, dass die Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft in den nächsten fünf Jahren eins-zu-eins umgesetzt werden. Die Implementierung sei eine langsame Arbeit, die nicht im Hauruck-Verfahren gelinge. Der Mediziner ist aber davon überzeugt, dass allein die Existenz des Papiers zu Reflexionen in den Fachgesellschaften führen werde. Er hofft außerdem, damit weitere Player zu beeinflussen.
Wohlige Innovationen
Einen Tag vor der Pressekonferenz findet das zweite Berliner Forum der AWMF zum Thema Kooperation von forschenden Unternehmen und wissenschaftlicher Medizin statt. Bevor die Teilnehmer eine Konsultationsfassung zum Umgang mit Interessenskonflikten erarbeiten, beleuchten am Vormittag mehrere Vorträge das Thema. Den Anfang macht PD Dr. Anne Lücke vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) aus der Perspektive des Fördermittel-Managements mit einem Plädoyer für eine offene Innovationskultur und Innovationsnetzwerke. Bei klinischen Studien sieht sie Deutschland gut aufgestellt, Nachholbedarf gebe es jedoch in der präklinischen Entwicklung. Angesichts der komplexen Herausforderung der individualisierten Medizin sei eine frühzeitige Zusammenarbeit von Akademie und Industrie erforderlich. Als Beispiel für Innovationnetzwerke nennt die DLR-Vertreterin beispielsweise die Förderinitiative „Forschungscampus“ des Bundesforschungsministeriums. Diese unterstützt Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die partnerschaftlich und längerfristig an einem gemeinsamen Forschungsthema arbeiten wollen.
Prof. David Klemperer, Hochschule Regensburg, sieht solche Partnerschaften allerdings auch kritisch, es bestünden Interessenkonflikte, weil Gewinnerwartung des Unternehmens und Patientennutzen nicht immer deckungsgleich seien, merkt er nach Lückes Vortrag an. Zudem seien Begriffe wie Innovation oder individualisierte Medizin kritisch zu reflektieren: „Hier wird mit Begriffen Wohlbefinden geschaffen“, sagt der Mediziner, der außerordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ist.
Offenlegung ja, Bewertung nein
Die Position der Bundesärztekammer (BÄK) bringt deren Hauptgeschäftsführer Tobias Nowoczyn auf folgende Formel: „Interessen sind da, sind nichts schlechtes, damit müssen wir umgehen.“ Für einen sinnvollen Umgang sieht er neutrale Fortbildungsinhalte, angemessenes Sponsoring sowie Offenlegung von Interessenkonflikten als wesentlich an. Zu letzterem verweist er auf die Fortbildungsordnung der BÄK. Danach müssen alle Akteure einer Fortbildungsveranstaltung – Veranstalter, wissenschaftliche Leitung und Referenten – ihre Interessenkonflikte in Form einer Selbstauskunft gegenüber der jeweiligen Kammer und den Teilnehmern offen legen. Damit sollen die Veranstaltungsteilnehmer befähigt werden, die Inhalte kritisch zu reflektieren. Nowoczyn stellt ausdrücklich klar: „Den zweiten Schritt, die Interessen zu bewerten – das machen wir im Kontext Fortbildung und Interessenkonflikte ausdrücklich nicht“. Schließlich würden bei den Ärztekammern bis zu 400.000 Fortbildungen im Jahr zertifiziert „und ein Interessekonflikt gehört zur beruflichen Biografie fast aller möglichen Referenten“, argumentiert der BÄK-Vertreter mit Verweis auf „Bürokratiemonster“.
Er kündigt stattdessen einen bundeseinheitlichen Fragebogen zu Interessenkonflikten an, der vermutlich Ende des Jahres vorliegen soll. Auch wolle man mit den Landesärztekammern das Thema Sponsoring weiter behandeln – welche Höhe ist angemessen, wie kann man sanktionieren, Fragen wie diese sollen diskutiert werden. Bezüglich der Neutralität von Fortbildungsinhalten will die BÄK noch stärker für evidente und fachlich unabhängige Informationen sensibilisieren. Eine Checkliste für das Thema Neutralität werde erarbeitet. Das Problem, dass Veranstaltungen der Industrie cme-Punkte erhalten, „weil sie in irgendwelchen Institutionen stattfinden“, gibt Claudia Spies Nowoczyn noch mit auf den Weg. Der BÄK-Vertreter räumt ein, dass es Fälle gebe, „wo wir durchaus mehr machen müssen“.
Aktives Management statt moralischer Entrüstung
Nachholbedarf gibt es möglicherweise auch beim prinzipiellen Verständnis des Themas. Nowoczyn beginnt seinen Vortrag, in dem er zwei Lager holzschnittartig gegenüberstellt: die dem Kapital verpflichtete Industrie und der dem Patienten und Allgemeinwohl verpflichtete Arzt. Eine Betrachtung, die behaglich einige Realitäten der ärztlichen Tätigkeit ausblendet. Wesentlich realistischer formuliert es einen Tag später AWMF-Vize-Präsident Wilfried Wagner auf der Pressekonferenz: „Wir sind nicht so blauäugig zu glauben, dass der Patient die einzige Treibfeder unseres Handeln ist.“ Auch Thomas Müller vom Gemeinsamen Bundesausschuss, der nach dem BÄK-Vertreter referiert, bezweifelt, ob Ärzte ausschließliche Hüter des Allgemeinwohls seien. „Es würde der Ärzteschaft guttun, das zu hinterfragen“, empfiehlt der Leiter der Abteilung Arzneimittel. Er stellt die Bedeutung von Informationen für gute Entscheidungen in der Medizin heraus. Anstelle moralischer Entrüstung spricht er sich für ein aktives Management von Zielkonflikten aus. Das ist mühsam, mit einem Blick in die „Null-Euro-Ärzte“-Datenbank ist es nicht getan.