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Der zunehmende politische Druck fand seinen vorläufigen Höhepunkt in den Zwangsaustritten aus der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, dem sich nur wenige Standhafte widersetzten.1 Zu ihnen gehörte Prof. Dr. Herbert Wendt (1913-2005), der von 1963 bis 1980 Chefarzt der Chirurgie am Bezirkskrankenhaus Dessau, dem einst vom Flugzeugbauer und Unternehmer Hugo Junkers geförderten Stadtkrankenhaus, gewesen ist. In Kriegszeiten bei Lorenz Böhler geschult, wurde er Oberarzt und Habilitand bei Werner Lembcke an der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Akademie Magdeburg, die er 1963 als Professor zugunsten von Dessau verließ. Von seiner früheren Ausbildung her war Wendt auch Orthopäde. Als Allrounder und integre Persönlichkeit, die Vater und Sohn Böhler sowie Golo Mann zu ihren Freunden zählte, leitete er zwei Jahreskongresse der Medizinisch-Wissenschaftlichen Gesellschaft für Chirurgie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seinen Lebensabend verbrachte Prof. Wendt in Rostock und verstarb dort im 92. Lebensjahr.

Abb. 1: Herbert Wendt [Quelle: Wikipedia]

In Halle an der Saale gibt es neben der Chirurgischen Universitätsklinik seit 1887 das große katholische St. Elisabeth und St. Barbara-Krankenhaus. Die Chirurgie allein besaß schon früh über 100 Betten. Ihr Leiter war ab 1930 für mehrere Jahrzehnte Prof. Eberhard Cordes (1892-1979), ein Chirurg alter Schule mit einer bewegten wie umfassenden chirurgischen Vergangenheit, die vom Luisenhospital in Aachen (Marwedel) über das Augusta-Viktoria-Krankenhaus Berlin (Nordmann) bis zur Chirurgischen Universitätsklinik Kiel (Anschütz) reichte. Den Hauptteil seiner Ausbildung verbrachte Cordes jedoch bei Prof. Hermann Küttner (1870-1932) in Breslau, als dessen Schüler er gilt. An der Friedrich-Wilhelm-Universität habilitierte Cordes 1929. Ein Jahr später verließ er Breslau als Facharzt für Chirurgie, Urologie und Orthopädie. Eine solche Häufung von Facharztanerkennungen war seinerzeit nicht ungewöhnlich, wobei die Modalitäten der Ausbildung und die Prüfungen nicht mit denen von heute vergleichbar sind. Prof. Cordes, Humanist durch und durch, hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, sich als einer der Ersten auch mit der Neurochirurgie beschäftigt und u. a. über „Die Hirnbrüche und Hirnspalten“ gearbeitet. In Zeiten materieller und technischer Engpässe kam dem konfessionellen Haus und seinem Chef zugute, dass durch die enge Verbindung zu Schwester-Krankenhäusern in der BRD und zur Caritas moderne medizinische Geräte zur Verfügung standen.

Abb. 2: Eberhard Cordes [Quelle: Arch. St. Elisabeth-
St. Barbara Halle/S.]

Die Uebermuth-Schule in Leipzig entließ im Mai 1967 einen ihrer fähigsten Dozenten ins Muldental: Georg Zeumer (1922-2005). Der gebürtige Leipziger war nach dem Staatsexamen seiner Alma Mater treu geblieben und absolvierte unter den Professoren Sonntag, Wachs und vor allem Uebermuth seine chirurgische Ausbildung. Er spezialisierte sich auf dem Gebiet der Traumatologie und Handchirurgie, habilitierte 1964 über Sehnenrekonstruktion und wurde 1981, da war er schon lange in Grimma, zum Professor ernannt. Als Chef eines allgemeinen Versorgungskrankenhauses kam auch wieder die Viszeralchirurgie, die er voll beherrschte, zur Geltung. Dennoch konnte Zeumer in Grimma sein Herzensprojekt verwirklichen: 1972 erschien bei J. A. Barth in Leipzig das Buch „Praxis der Handchirurgie“, das drei Auflagen erlebte und neben Leni Büchters „Chirurgische Behandlung der verletzten und erkrankten Hand“ das zweite Lehrbuch zum Thema in der DDR war. Zeumer, der elegante Operateur und vorbildliche Lehrer, hätte unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen durchaus ein Ordinariat erhalten können.

Abb. 3: Krankenhaus St. Elisabeth u. St. Barbara Halle/S. 1928 ([Quelle: Arch. St. Elisabeth-St. Barbara Halle/S.]

Zeumers um 17 Jahre jüngerer Nachfolger Doz. Klaus Schauer (1939-2021) hatte ebenfalls die Leipziger Schule durchlaufen, nun unter Albrecht Gläser und Werner Kothe, war dann einige Jahre nach der Habilitation ans Kreiskrankenhaus Grimma gegangen (1988). Wie sein Vorgänger Zeumer (und zahlreiche andere Chefs) sorgte er sich um die Weiterbildung des Nachwuchses, drang auf Literaturstudium, wobei auch „Der Chirurg“ aus der BRD zur Verfügung stand, und ermöglichte Assistenten den Besuch der alle zwei Jahre in der Kongresshalle am Berliner Alexanderplatz stattfindenden Chirurgenkongresse. Der Autor ist mehrfach Zeuge dieser Tagungen gewesen, die der Gesellschaft für Chirurgie der DDR und ihren Protagonisten internationales Ansehen verschafften. Denn sie kamen alle: die Brunner, Nissen, Zenker, Stelzner, Tönnis, Trede, Linder, Hollender, Reifferscheid, Bauer, Böhler, Denck, Eiseman und viele andere. Die Begegnungen mit solchen Koryphäen wurden zu einem bleibenden Erlebnis. Oft stellte es für die Chefärzte in den kleinen Häusern der Provinz ein Problem dar, einen Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin zum Kongress freizustellen. In der Regel aber wollten sie sich nicht nachsagen lassen, der Weiterbildung der Kollegen im Wege zu stehen.

Privatdozent Dr. Klaus Schauer ging 2004 in den Ruhestand. Er hatte in Grimma den Krankenhausneubau begleitet und Spezialgebiete gefördert. Noch bis zum 78. Lebensjahr ärztlich aktiv, wurde Klaus Schauer Opfer der Corona-Erkrankung.

Ergänzend zu den Ausführungen über Chemnitz und Zwickau in Teil 2 sind hier die Chirurgen Gottfried Lindemann (1931-2012) und Gerd Kuhlgatz (1923-2005) zu erwähnen. Der Sebnitzer Lindemann hat nach dem Studium in Leipzig seine Laufbahn unter Prof. Unger im damaligen Karl-Marx-Stadt2 begonnen, alle Fährnisse während des „sozialistischen Gesundheitswesens“ überstanden und ist als Chefarzt der Gefäßchirurgie 1996 in den Ruhestand verabschiedet worden. Dr. Lindemann widmete sich früh dem Spezialgebiet der Gefäßchirurgie, hospitierte an einer Prager Fachklinik und hat in Karl-Marx-Stadt eine selbständige Abteilung aufgebaut. Zweimal ist er auch leitender Arzt des Klinikums gewesen: 1977 und 1990. Dr. Lindemann engagierte sich ab 1990 in der neu gegründeten Sächsischen Landesärztekammer und in der Sächsischen Chirurgenvereinigung, zu deren Vorsitzenden er 1995 gewählt wurde. Die Ausgestaltung und Präsidentschaft der 6. Jahrestagung dieser Gesellschaft 1996 sah Lindemann als Höhepunkt seines Chirurgenlebens an. Im Juli 2002 ist Dr. Gottfried Lindemann nach langer schwerer Krankheit in Chemnitz verstorben.

Abb. 4: Georg Zeumer [Quelle: Arch. Verf.]

Professor Dr. Gerd Kuhlgatz (1923-2005) ist einer der Nachfolger von Heinrich Braun (s. Teil 2) in Zwickau gewesen. Im Krieg hatte er den rechten Unterschenkel verloren und sich dann trotzdem für die Chirurgie entschieden. Über Lüneburg, Gotha und Greifswald kam er an die Chirurgische Universitätsklinik Rostock (Karitzky, Schmitt), wo er 1957 habilitierte und 1962 Professor wurde. Seine Tendenz ging zunächst in Richtung Thorax- und Kardiochirurgie. Kuhlgatz hat viel publiziert, auf Kongressen gesprochen und stand auf den Berufungslisten mehrerer Universitäten bzw. medizinischen Akademien. Ein Ordinariat blieb ihm jedoch – wie auch anderen DDR-Chirurgen – aufgrund seiner konsequenten Weigerung, der Staatspartei beizutreten, versagt. So übernahm Prof. Kuhlgatz 1964 die traditionsreiche Chirurgische Klinik des Heinrich-Braun-Krankenhauses in Zwickau, organisierte diese neu, widmete sich wieder der Viszeralchirurgie, schuf Spezialabteilungen und führte die Herzschrittmacher-Implantation und die Bypass-Operation ein. Kuhlgatz war ein bekannter Mann in der DDR-Chirurgie, nicht zuletzt als Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Chirurgie der DDR und als Redaktionsmitglied des „Zentralblatt für Chirurgie“. Ein tragischer Arbeitsunfall mit schweren Schäden der Augen zwang ihn, erst 53 Jahre alt, zur Aufgabe der chirurgischen und Leitungstätigkeit. Mit der Wissenschaft und seinen Mitarbeitern, die ihn, bei aller Strenge, ob seiner klaren Sachlichkeit und Verlässlichkeit sehr schätzten, blieb er weiterhin verbunden.

Abb. 5: Titelblatt „Praxis der Handchirurgie“ v. G. Zeumer [Quelle: Arch. Verf.]

Ins Vogtland führt nun der Weg zu Professor Dr. Georg-Michael Fleischer (1941-2022), von 1986 bis 2006 Chefarzt am Bezirkskrankenhaus Plauen. Bis dahin hatte der Berliner chirurgisch viel gesehen: das Kreiskrankenhaus in Wittenberge (F. W. Pötter) als Assistent und als Chefarzt, dazwischen die Chirurgische Klinik der Medizinischen Akademie Magdeburg (Heinrich), wo er 1985 habilitierte und Dozent wurde. Nach der friedlichen Revolution erfolgte die Umhabilitation an der Universität Leipzig – durch seine Position in Plauen war Fleischer Sachse geworden! Leipzig ernannte ihn dann 1998 auch zum Professor. Der Vollblutchirurg besaß die Teilgebietsanerkennungen für Viszeralchirurgie und Gefäßchirurgie, war standespolitisch aktiv und frönte der Geschichte der Seefahrt, was Ausdruck in mehreren Büchern fand.

Abb. 6: Gerd Kuhlgatz [Quelle: Arch. Verf.]

Vieles wäre noch zu berichten, Namen von Chirurgen zu nennen, welche die Provinz zu ihrem Arbeits- und Lebensmittelpunkt machten, immer bestrebt um eine bestmögliche chirurgische Versorgung: Im Norden gingen Chefarzt Dr. Pietsch von Rostock nach Wismar und Prof. Woziwodski von Magdeburg über Pritzwalk nach Schwerin, aus Meißen und Berlin-Buch kam Dozent Wilfrid Klaus Seifart nach Brandenburg/Havel (Nachfolger von L. Krafft, s. Teil 1), im Süden kamen Prof. Busse von Jena kurz nach Eisenach (und dann nach Nordhorn) und Prof. Schramm von Jena nach Gera, aus Jena ging auch Wolfgang Sellenthin als Chef nach Großenhain in Sachsen, die Professoren Paschold und Reichel aus Erfurt wurden Chefärzte in Arnstadt und Nordhausen und aus Dresden kamen Prof. Burkhardt nach Meißen und Dozent Herwig nach Suhl.3

Abb. 7: Heinrich-Braun-Krankenhaus Zwickau [Quelle: Wikimedia]

Abb. 8: Gottfried Lindemann [Quelle: Arch. Verf.]

Abb. 9: Georg-Michael Fleischer [Quelle: Arch. Verf.]

Abb. 10: Titelblatt „Schiffchirurgen“ von G.-M. Fleischer [Quelle: Kaden-Verlag Mannheim]

Der Vorsitzende der letzten Tagung der Gesellschaft für Chirurgie der DDR vor ihrer Auflösung, Prof. Richard Reding (*1932) aus Rostock, führte in einem Resümee u. a. aus: „Es müssten noch viele genannt werden, die sich bleibende Verdienste in der Chirurgie erworben haben, besonders die Kollegen in den kleineren chirurgischen Einrichtungen, die, oft bis zur Selbstaufgabe, sich stets um hohe ärztliche Leistungen bemühten“. [1]

Literatur

[1]   Kiene, S., Reding, R. u. W. Senst (Hrsg.): Getrennte Wege – ungeteilte Chirurgie. Beiträge zur Chirurgie in der DDR. Augsburg 2009, S. 84

1  In dieser Zeit verbannte die Partei-und Staatsführung der DDR den Begriff „Deutschland“ aus dem Sprachgebrauch; der Text der DDR-Nationalhymne durfte nicht mehr gesungen werden.

2  von 1953 bis 1990 so genannt, Hauptstadt des gleichnamigen Bezirkes; eine Anwesenheit des Philosophen Karl Marx in dieser Stadt ist nicht belegt.

3  Es handelt sich bei den beschriebenen Chirurgen ausschließlich um historische Personen.

Dr. med. habil. Volker Klimpel

Grazer Straße 3

01279 Dresden

Panorama

Klimpel V: In der Provinz — Chirurgen in der DDR (Teil 3). Passion Chirurgie. 2024 Juli/August; 14(07/08): Artikel 09.

Den ersten und zweiten Teil
„Chirurgie in der DDR“ lesen Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter
der Rubrik Wissen | Panorama.

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