08.09.2021 BDC|News
Bundestagswahl 2021 – Wie möchte die Politik das Gesundheitswesen verändern?
Bundestagswahl 2021 – Wie möchte die Politik das Gesundheitswesen verändern?
BDC-Einschätzung der Wahlprüfsteine 2021
Sind Sie noch unentschlossen? Oder wissen Sie schon, für wen Sie sich am 26. September 2021 entscheiden werden?
Eine – insbesondere auch für den Gesundheitsbereich – außergewöhnliche Legislaturperiode geht zu Ende. Sie startete mit einem dynamischen Gesundheitsminister, der nicht nur seine Mitarbeiter im Ministerium, sondern die gesamte Gesundheitsbranche mit einer unvergleichlichen Anzahl an Gesetzen in Atem hielt und wurde dann überschattet von den allgegenwärtigen und andauernden Auswirkungen der Corona-Pandemie. Spätestens im Zuge der Bundestagswahlen wird es dringend Zeit, sich wieder dem gesamten Spektrum der anstehenden Fragen zu widmen. Denn trotz des Gesetzeskonvoluts der aktuellen Legislaturperiode sind noch Punkte offengeblieben.
Der BDC hat anlässlich der Bundestagswahl alle derzeit im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien um eine kurze Stellungnahme zu ausgewählten gesundheitspolitischen Fragen gebeten, die im Folgenden eingeordnet werden sollen. Die Antworten im Einzelnen finden Sie auf den nachfolgenden Seiten dieser Ausgabe. Nicht geantwortet haben, auch auf mehrmaliges Nachfragen, FDP und Linke, so dass sich auch die folgenden Ausführungen auf die Antworten von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90 Die Grünen und AfD beziehen.
Freiberuflichkeit
Prägend für die ärztliche Tätigkeit und die Qualität der Gesundheitsversorgung wird sicherlich der Stellenwert sein, welcher der ärztlichen Freiberuflichkeit als Wert auch in Zukunft beigemessen wird. Daher haben wir die Frage danach auch als BDC-Wahlprüfstein formuliert. Tatsächlich positionieren sich alle Parteien eindeutig für die Freiberuflichkeit. Dabei stellen CDU/CSU noch einmal explizit die ärztliche Therapiefreiheit und Unabhängigkeit als Kern eines freiheitlichen Gesundheitswesens heraus. Die Grünen geben kurz und bündig an, dass diese für Ihre Partei nicht zur Disposition stünde, und die AfD geht spezifisch auf die Trägerschaft von Medizinischen Versorgungszentren ein, welche weiterhin, innerhalb von Personengesellschaften, ausschließlich ärztlicher Leitung unterstehen müssen, um die fachlich unabhängige Tätigkeit auch weiterhin zu ermöglichen. Die SPD führt noch etwas weiter aus dazu, wie der Grundsatz der Freiberuflichkeit durch Rahmenbedingungen unterstützt und bewahrt werden solle und kündigt an, Anreize für gewinnorientierte Entscheidungen zu Gunsten eines sektorenübergreifenden Qualitätswettbewerbs („Pay für Performance“ [P4P]) abbauen zu wollen.
Aus BDC-Sicht ist vordergründig nichts gegen P4P einzuwenden. Jedoch mangelt es auch international an Erfolgsbeispielen für die nachhaltige Einführung solcher Systeme. In der Umsetzung sind diese meist zu komplex und mit zu vielen Fehlanreizen behaftet. Darüber hinaus mangelt es an überzeugenden Qualitätsparametern.
Bürgerversicherung und Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)
Mit Ausnahme der SPD befürworten alle Parteien den Fortbestand von sowohl gesetzlicher als auch privater Krankenversicherung. Die SPD strebt weiterhin eine Bürgerversicherung unter Abschaffung der GOÄ an. Die AfD führt aus, dass es wichtig sei, auch bei den Versicherungsmodellen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zukünftig mehr Pluralität zuzulassen, beispielsweise für Hausarztmodelle, oder auch, um Leistungen aus dem individuellen Versicherungsportfolio auszuschließen. Insbesondere letzteres lehnt der BDC ab, da dem Basisversicherungsschutz in Deutschland ein zentraler Stellenwert im Rahmen der Daseinsvorsorge zukommt. Die Grünen konkretisieren, dass sie ein integriertes Krankenversicherungssystem als spezifische Form der „Bürger*innenversicherung“ anstreben. In einem solchen System aus gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen beteiligen sich alle Versicherten gleichermaßen an der solidarischen Finanzierung des Gesundheitswesens. CDU/CSU äußern als einzige explizit, dass sie den konsentierten Entwurf der GOÄ nach der Bundestagswahl prüfen und als Rechtsverordnung einbringen werden. Die Würdigung dieses aufwändig erstellten und mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung konsentierten Entwurfs ist aus Sicht des BDC begrüßenswert. Die AfD will sich in Zukunft für einen Inflationsausgleich einsetzen und dafür, die ärztliche gegenüber der technischen Leistung aufzuwerten. Die Grünen wollen den jahrelangen Stillstand bei der Anpassung der GOÄ auch zukünftig nicht mehr hinnehmen und verweisen auf die hohe Bedeutung einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation der einzelnen Gebührenordnungspositionen sowie den Vorschlag der Honorarkommission, die GOÄ auf gesetzlicher Grundlage zwischen Bundesärztekammer und PKV-Verband zu verhandeln. Aus Sicht des BDC handelt es sich dabei um sachgerechte Vorschläge.
Optimierung an der Sektorengrenze, zukünftige Krankenhauslandschaft und Versorgung auf dem Land
Die CDU strebt die Kooperation von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten an und will dafür Potenziale der Digitalisierung einschließlich der Telemedizin nutzen. Konkrete Aussagen zur zukünftigen Krankenhauslandschaft werden umschifft und lediglich Kommunen als Unterstützer bei der Umsetzung von quartiersbezogenen, sektorenübergreifenden Konzepten genannt. Hingegen legen SPD und die Grünen explizite Pläne dar zur Umwandlung kleinerer Krankenhäuser in sektorenübergreifende Zentren für eine wohnortnahe Basisversorgung. Die SPD führt am dezidiertesten zur Weiterentwicklung der Versorgungslandschaft aus, mit regionalen Basiszentren, überregionalen Spezial- sowie Unikliniken und sektoren- und berufsübergreifender Versorgung anhand von integrierten Patientenpfaden für komplexe Krankheitsbilder. Die Grünen stellen eine Reform der Investitionsfinanzierung für Krankenhäuser in Aussicht. Dabei soll der Bund mitfinanzieren und dafür Mitbestimmungsrechte erhalten, z. B. bei der Krankenhausplanung.
Aus Sicht des BDC bleibt die CDU bei den Ausführungen zur sektorenübergreifenden Versorgung am ehesten unklar. Als Beispiel für eine gelungene sektorenübergreifende Vernetzung wird dementsprechend auch das Ersteinschätzungsverfahren bei ambulanten Notfallleistungen angeführt. Hier handelt es sich jedoch eher um eine sektorenübergreifende Perspektive im Management, bzw. in der Zuweisung von Patienten zur Versorgungsebene, nicht aber um Ansätze für eine sektorenübergreifende Versorgung. Ob dies als Vor- oder Nachteil gewertet wird, liegt sicherlich im Auge des Betrachters. Der BDC befürwortet grundsätzlich maßvolle Umstrukturierungen einschließlich Zentrenbildung.
Digitalisierung
Alle Parteien unterstreichen den besonderen Stellenwert der Digitalisierung im Gesundheitswesen. CDU/CSU und die Grünen heben dabei die Bedeutung der elektronischen Patientenakte hervor, CDU/CSU und SPD deren Nutzen für die sektorenübergreifende Versorgung. Während CDU/CSU mehrfach den Stellenwert von Digitalen Gesundheitsanwendungen („Gesundheits-Apps“, „Digas“) betont, ist die AfD diesbezüglich kritisch und fordert randomisiert-kontrollierte Studien zum Wirksamkeitsnachweis ein. Der BDC sieht die allzu niedrigschwellige Einführung von „Digas“, welche Patient:innen unbegrenzt und auch direkt von ihren Krankenkassen erhalten können, kritisch.
Katastrophenschutz/Pandemiebewältigung
Einigkeit besteht darin, dass der öffentliche Gesundheitsdienst aufgewertet werden soll. Die SPD plant zusätzlich, die Vernetzung sowohl mit dem Katastrophenschutz als auch mit Einrichtungen der ärztlichen Regelversorgung zu stärken. Die Grünen fordern mehr Kooperation der vorhandenen Strukturen sowie Koordination auf europäischer Ebene, sowohl im Bereich von Notfallkapazitäten als auch in der Produktion von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Alles in allem sinnvolle, wenn auch noch sehr grundlegende Konzepte.
Zusammenfassung
Die unterschiedlichen Positionen hinsichtlich der Bürgerversicherung bestehen fort. Die Grünen haben dazu einen interessanten Kompromissvorschlag eines Nebeneinanders von GKV und PKV innerhalb einer Bürger*innenversicherung entwickelt, der inhaltlich aber erst bewertet werden kann, wenn konkrete Details dazu vorgelegt werden. Die CDU nimmt als einzige Partei Bezug auf den konsentierten Vorschlag für eine neue GOÄ. Alle Parteien bekennen sich zur ärztlichen Freiberuflichkeit. Innovationspotenzial auf dem Weg zur sektorenübergreifenden Versorgung einschließlich der Umwandlung von Strukturen zu einem gestuften Versorgungssystem sehen insbesondere SPD und Grüne. Die SPD avisiert mit der Einführung eines sektorenübergreifenden Vergütungssystems und der Ergänzung der Vergütung durch P4P besonders umfassende Reformen. Die Parteien eint der Anspruch, die Digitalisierung fördern und den öffentlichen Gesundheitsdienst aufwerten zu wollen.
Der BDC hat anlässlich der Bundestagswahl im September 2021 alle derzeit im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien um eine kurze Stellungnahme zu ausgewählten gesundheitspolitischen Fragen gebeten. Die Reihenfolge richtet sich nach den Ergebnissen der Bundestagswahl 2017.
Die Fragen lauteten für alle Parteien:
- Wie stehen Sie zur Einführung einer Bürgerversicherung?
- An welchen Stellen würden Sie die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) weiterentwickeln?
- Wo sehen Sie die freiberufliche Ärzteschaft in Zukunft?
- Welche Optimierungen an der Grenze der ambulanten zur stationären Versorgung halten Sie für erforderlich?
- Wo sehen Sie weiteren Umstrukturierungsbedarf in der Krankenhauslandschaft?
- Wie wollen Sie die ärztliche Versorgung auf dem Land verbessern?
- Worauf legen Sie bei der weiteren Digitalisierung im Gesundheitswesen besonders wert?
- Was muss sich im Gesundheitswesen unbedingt ändern, um für weitere Pandemien besser gerüstet zu sein
Bundestagswahl 2021 – Wie möchte die Politik das Gesundheitswesen verändern? Passion Chirurgie. 2021 August; 11(07/08): Artikel 05_01.
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