01.05.2015 BDC|News
Bundeskongress Chirurgie 2015: Chirurgie in Not – Notfall Chirurgie
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
bei der Konzeption des diesjährigen Bundeskongresses Chirurgie stand für mich die Besinnung auf die Wurzeln unseres ärztlich-chirurgischen Handelns, das patientenorientierte Arzt-Patientenverhältnis mit seiner intimen Mystik, erneut im Vordergrund. Die Artikel im Themenschwerpunkt des vorliegenden Heftes sind ausgewählte in schriftliche Form gebrachte Vorträge vom Kongress.
Kein Kostenträger, kein Krankenhausträger, kein Pharma- bzw. medizinisches Industrieunternehmen, aber auch keine Verwaltungsdirektion, keine KV oder KBV, keine Kammer und kein Politiker hat je einen Patienten gesund gemacht. Vielmehr sind diese Strukturen Dienstleister – zum Teil sehr wichtige Dienstleister und Partner, die sich tiefen Respekt und Wertschätzung verdient haben – aber eben Dienstleister und Partner für unabhängige freiberuflich agierende Ärzte, die sich dem Wohl ihrer Patienten verpflichtet fühlen.
Es gilt die Gesundheitsökonomie und die Gesundheitspolitik – welche sich zunehmend verselbstständigen und im Berliner Elfenbeinturm den Blick für jede Realität verloren haben, die sich darauf verlegt haben, Mängel und Defizite immer umfangreicher zu verwalten, statt zu beseitigen, die mit immer neuen populistischen Aktionen und Gesetzgebungen die tatsächlichen Akteure im Gesundheitswesen zunehmend reglementieren und kriminalisieren – wieder auf den Boden der Realität zu bringen. Dazu ist es aber notwendig, dass wir Ärzte und Chirurgen zusammen mit unseren Partnern nicht mehr nur reagieren, sondern agieren, indikationsbezogen Sektoren einreißend und auf der Basis eines vertrauensvollen Arzt-Patientenverhältnisses definieren, was für unsere Patienten notwendig ist. Selbstverständlich müssen wir dabei auch ökonomische Gegebenheiten berücksichtigen.
Entscheidend wird sein, dass wir Fachkompetenzen sowie berufspolitische Erfahrungen aller Sektoren und Fachbereiche nutzen, bündeln und auf Augenhöhe diskutieren – um dann mit einer Stimme zu sprechen. Ein hehres Ziel, welches u. a. der Präsident der DGCH Prof. Rudolf Häring bereits im Jahr 1990 in seiner Eröffnungsansprache zum Chirurgenkongress aus der Sicht eines Klinikers wie folgt formulierte: „Einer „Atomisierung“ in Subspezialitäten muss jedoch Einhalt geboten werden. Spezialisierung um jeden Preis spaltet die Chirurgie im Partikularitäten. Versuche der völligen Abgrenzung und Isolierung und der Kampf um die „Ressourcen“ sind unerträglich, sie vergiften die Klinikatmosphäre und enden in Misstrauen und Intoleranz. Diese Kleinstaaterei kann sich in vieler Hinsicht nachteilig auf den kranken Menschen auswirken. Die Einheit der Chirurgie ginge verloren. Aber nur die Einigkeit nach innen macht uns stark gegen viele Anfechtungen und Angriffe von außen.“
Aus diesen Beweggründen habe ich das diesjährige Kongressthema gewählt: Notfälle in der Chirurgie. Kaum ein anderes Thema kann die Gemeinsamkeiten und die Vielfältigkeit der Chirurgie so gut widerspiegeln. Der Chirurg ist der Primärarzt bei Verletzungen und Schmerzen. Interdisziplinarität, spezielle Fachgebietskenntnisse und Teamwork mit gemeinsamen Handeln sind im Rahmen einer patientenorientierten chirurgischen Notfallversorgung unabdingbar. Der Kongress bietet Dank der Beteiligung der vielen Fach- und Berufsverbände mit zahlreichen Sitzungen, Kursen und Workshops einen praxisrelevanten Überblick über den aktuellen Stand der chirurgischen Notfallversorgung in Klinik und Praxis und zeigt Perspektiven auf.
Aber haben wir nicht auch einen Notfall Chirurgie? Das Umfeld der Chirurgie hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Die Schlagworte heißen Ökonomisierung, Hebung von Effizienzreserven, Kundenfreundlichkeit, Patientenströme, Morbiditäts- und Arbeitsverdichtung, Korruption, Hygienemängel, Ärztepfusch – um nur einige zu nennen. Die Erwartungen an Patientensicherheit, Arbeitsqualität und an die ärztliche Zuwendung steigen gerade in den chirurgischen Fächern erheblich an. Die Schere zwischen erwünschten Idealzustand und täglicher Realität geht immer weiter auseinander. Folgen sind Resignation, Aufgabe von Praxen bzw. Verkauf an MVZs, das Vergraben im OP-Saal, Unkollegialität und Überheblichkeit als vermeintlicher Selbstschutz bzw. als Ausdruck fachlichen und/oder menschlichen Unvermögens, letztendlich auch der viel beklagte Nachwuchsmangel. Wir stehen an einem Scheideweg.
Die Perspektive wäre aus meiner Sicht, wenn sich die Chirurgen, egal ob in Klinik, Universität oder Ambulanz, darauf besinnen würden, dass es einen Patienten gibt, der sich mit seinem Leiden in ihre Obhut begibt und sie berufen sind mit dem Ziel der Heilung, Linderung oder Bewahrung vor Sekundärschäden, den Kern des Leidens zu diagnostizieren, konservative und operative Behandlungsmöglichkeiten im Sinne des Patienten abzuwägen sowie eine adäquate chirurgische Therapie bis zur Genesung durchzuführen bzw. zu gewährleisten und sich nicht nur auf die operative Prozedur zu reduzieren bzw. reduzieren zu lassen. Diese Berufung setzt jedoch ärztliche, nicht unbedingt ökonomische, Freiberuflichkeit und Therapiefreiheit eng verbunden mit der fachlichen sowie ärztlich geprägten ökonomischen Definition wer-was-wo-wie behandelt voraus. Dies bedarf eines gewaltigen sektorenübergreifenden Arbeitsaufwandes in Kliniken, Praxen, Universitäten, Fachgesellschaften und Berufsverbänden sowie einer gemeinsamen Sprache, um die Identität und ärztliche Freiheit des Chirurgen gegen alle ökonomischen, juristischen und politischen Einflüsse zu verteidigen.
Packen wir es an! Es ist vielleicht unsere letzte Chance, die Chirurgie in ihrer Schönheit, Gemeinsam- und Vielfältigkeit, Komplexität und spezifischen Individualität zu bewahren und die Zukunft zu meistern.
Es würde mich freuen, wenn ich mit dem Bundeskongress Chirurgie in Nürnberg unter dem Motto „Gemeinsam Stark“ einen Fingerzeig in diese Richtung geben konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stephan Dittrich
Autor des Artikels
Dr. med. Stephan Dittrich
Praxis für medizinische Gutachten und BeratungNeue Str. 108525Plauen-Kauschwitz kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
18.11.2017 Akademie aktuell
BDC|Webinar: S3-Leitlinie: Ösophaguskarzinom
Seit September gibt es das neue Fortbildungsangebot des BDC exklusiv und kostenfrei für Mitglieder. Beim nächsten Webinar am 23. November 2017 wird Prof. Dr. med.Wolfgang Schörder alles rund um die S3-Leitlinie: Ösophaguskarzinom erläutern und steht live für Fragen im Chat zur Verfügung.
14.11.2017 BDC|News
Passion Chirurgie: Chirurgen im Einsatz
Liebe Chirurginnen und Chirurgen, als Chirurgen sind wir in Klinik oder Praxis tagtäglich im Einsatz. Viele von uns leisten ihren Beitrag zur chirurgischen Versorgung zeitweise oder sogar fortwährend unter verschärften Bedingungen: in Kriegsgebieten, bei Katastropheneinsätzen oder in Entwicklungsländern. Die aktuelle Ausgabe der PASSION CHIRURGIE greift diese besonderen Rahmenbedingungen in Beiträgen und Berichten auf und bietet einen tieferen Einblick in die Tätigkeiten von Kolleginnen und Kollegen, die in Krisengebieten tätig sind.
10.11.2017 BDC|News
Service-Tipp: Einkaufen im BDC|Shop
Nicht nur BDC-Mitglieder können im Onlineshop der BDC Service GmbH chirurgische Stellenanzeigen aufgeben. Sondern es gibt auch ein breites Angebot von Weiterbildungsbüchern und Jahreslizenzen für die E-Learning-Plattform [eCME-Center] bis hin zu BDC-Krawatten und BDC-Lauftrikots.
10.11.2017 Pressemitteilungen
Aktuelle Ausschreibung: Journalistenpreis der Deutschen Chirurgen 2018
Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC) vergibt erneut den „Journalistenpreis der Deutschen Chirurgen“. Noch bis zum 15. Dezember 2017 können Beiträge für den mit 1.500 Euro dotierten Preis eingereicht werden. Mit diesem Preis werden jährlich journalistische Arbeiten aus den Bereichen Print, Rundfunk und Online-Medien ausgezeichnet, in denen chirurgische Themen aus Ärzte- und/oder Patientensicht differenziert und faktenbasierend dargestellt werden.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.