01.06.2024 Politik
Berufspolitik Aktuell: Lauterbach und die Mär von der „doppelten Facharztschiene“
![](https://www.bdc.de/wp-content/uploads/2024/05/iStock-1375287155_klein.jpg)
Endlich lässt der Wolf das Schafsfell fallen! Seit 30 Jahren prangert der jetzige Gesundheitsminister das in seinen Augen Grundübel des deutschen Gesundheitssystems an: die in seiner Ideologie überflüssige sogenannte „doppelte Facharztschiene“. Schon damals, noch als Bundestagsneuling, hat er diese These mit Billigung seiner Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf allen denkbaren Podien der Republik vertreten, was ihm den Spitznamen Karlchen Überall eingebracht hat. Ich selbst hatte mehrfach das zweifelhafte Vergnügen, mehr oder weniger höflich seine Argumente zu kontern. Immerhin wurde es um diesen vergifteten Begriff zwischenzeitlich ruhiger. Am Ende ist auch der Versuch gescheitert, mit einer geplanten Einführung eines hausärztlichen Primärarztmodells die Fachärzte zu reinen Auftragnehmern zu degradieren. Aber aufgeschoben ist eben nicht aufgehoben.
Jetzt spricht Prof. Lauterbach wieder ganz offen über die von ihm so sehnlich gewünschte Eliminierung der freiberuflichen Fachärzte in eigenen Praxen. Laut Regierungsentwurf sollen die Krankenhäuser breit für die ambulante fachärztliche Versorgung geöffnet werden. Dabei übersieht der Minister, der zwar Arzt ist, aber abgesehen von ein paar publikumswirksamen Corona-Impfungen nicht in der realen Versorgung tätig war, dass es hierzulande überhaupt keine doppelte Facharztschiene gibt. Die Aufgaben der Klinikärzte sind absolut nicht vergleichbar mit denen in der ambulanten Praxis. Jede und jeder leistet in seinem Gebiet Großartiges, aber eben auch Verschiedenes. Während im Krankenhaus sehr viel intensiver und vor allem invasiver am einzelnen Patienten gearbeitet wird, decken die Niedergelassenen nahezu 90% aller Behandlungsfälle ab und betreuen ihre Patienten vor allem langfristig, teilweise lebenslang. Schon die schiere Menge an Patienten würde jede Klinik ins Chaos stürzen, jedenfalls mit der zur Verfügung stehenden Personaldecke. Nochmal: es soll keinen Wettbewerb um die Frage geben, wer die bessere Medizin abliefert. Die fachärztliche Versorgung in Deutschland ist miteinander und komplementär zu verstehen. Jeder Zug würde auf der Stelle entgleisen, würde man von dem Schienenpaar eine entfernen.
Noch ein weiterer Punkt verdient Aufmerksamkeit: Die Pläne des Gesundheitsministers sehen vor, die ambulante fachärztliche Medizin an die unter den Bedingungen der Krankenhausreform dem Untergang geweihten kleineren Krankenhäuser anzusiedeln, um diesen trotz allem ein Überleben zu sichern. Dagegen wird sich niemand aussprechen wollen, wenn denn weiterhin eine wohnortnahe Versorgung gewährleistet werden soll. Aber wie soll das gehen. Eine Praxis hat einen Flächenbedarf von durchschnittlich 180 qm, schon drei oder vier Disziplinen bräuchten ein neues Ärztehaus. Das lässt sich alles irgendwie realisieren, wenn die entsprechenden Finanzen zur Hand sind. Die könnten dann aus einem „Enteignungsfond“ kommen, denn die ambulanten Facharztpraxen, die ja offenbar zur Disposition gestellt werden, haben einen durchschnittlichen Verkehrswert von 300–500 TSD Euro. Sind die Praxen aufgrund des angedachten Strukturwandels plötzlich unverkäuflich, verschwindet ein deutlicher Milliardenbetrag im Nirwana und die Altersversorgung sehr vieler Fachärzte löst sich in Luft auf. Übrigens verliert auch der Staat die Steuereinnahmen aus Praxisverkäufen.
Es dürfte unstrittig sein, dass wir wesentlich mehr Ansätze einer sektorübergreifenden Versorgung brauchen. Das kann aber nicht erreicht werden, indem ein Sektor eliminiert wird. Am Ende braucht es vor allem die Ärztinnen und Ärzte, die die neuen Aufgaben im Interesse ihrer Patienten stemmen. Da wäre es schon hilfreich, deren Sachverstand einmal nachzufragen. Das geschieht aber ganz bewusst nicht
Rüggeberg JA: Lauterbach und die Mär von der „doppelten Facharztschiene“. Passion Chirurgie. 2024 Juni; 14(06): Artikel 05_03.
Autor des Artikels
![Profilbild von Rüggeberg](https://www.bdc.de/wp-content/uploads/avatars/23/1684319223-bpfull.jpg)
Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg
Vizepräsident des BDCReferat Presse- & Öffentlichkeitsarbeit/Zuständigkeit PASSION CHIRURGIEPraxisverbund Chirurgie/Orthopädie/Unfallchirurgie Dres. Rüggeberg, Grellmann, HenkeZermatter Str. 21/2328325Bremen kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
01.10.2011 BDC|News
Honorar- und belegärztliche Tätigkeit des niedergelassenen Chirurgen – Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des BDC
Die Arbeitswelt für die Chirurginnen und Chirurgen hat sich in
01.10.2011 Politik
Von der Leistung zum Erlös – Das Fitnessprogramm für einen oft übersehenen Elefanten
Bundesrechnungshof, GKV-Spitzenverband und Presse berichten von Falschabrechnung der Krankenhäuser und
01.04.2011 Panorama
Gesundheitswesen jetzt ganzheitlich planen
Vor dem Hintergrund der schon bald für alle spürbaren dramatischen Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf unser Solidarsystem mit dem Gesundheitswesen, in dem von immer weniger jungen Mitbürgern immer mehr ältere Mitbürger versorgt werden müssen, ist es erforderlich, alle Leistungsbereiche als Einheit zu sehen und gemeinsam zu planen.
01.04.2011 Panorama
Erziehung bei der Rente belohnen!
In Relation zu seiner Bevölkerung hat Deutschland weniger Kinder als jedes andere Land der Erde. Wirtschaftliche Stagnation und Rentenkrise sind nur zwei der problematischen Folgen dieser Entwicklung. Zu den Ursachen der demographischen Krise gehört aber sicherlich das umlagefinanzierte System der Rentenversicherung selbst. Dieses System hat die demographische Krise, unter der es nun leidet, selbst mit hervorgerufen.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.