01.08.2023 Politik
Krankenhausreform 2023: Wirklich eine Revolution oder nur dringend notwendige Strukturveränderungen?
Es ist geschafft: Nach monatelangen Diskussionen in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Krankenhausreform 2023 haben sich am 10. Juli 2023 die Gesundheitsminister der Länder, der Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach sowie die Fraktionen der Ampel-Koalition in Berlin mehrheitlich auf die Eckpunkte für diese Reform verständigt. Trotz einiger Kompromisse in dem 15-seitigen Eckpunktepapier, so der prinzipiellen Absage an eine zukünftige Level-Einteilung der Krankenhäuser, sprach Lauterbach erneut wie auch beim Krankenhausgipfel „Spezial“ der deutschen Krankenhausgesellschaft am folgenden Tag von einer „Revolution“ beziehungsweise einem „sehr großartigen Ergebnis“. Die entscheidenden Punkte der Reform, nämlich Entökonomisierung bei Gewährleistung der Versorgungssicherheit, Steigerung der Behandlungsqualität und Entbürokratisierung, könnten nun konkret in einen Gesetzentwurf durch die gemeinsame Bund-Länder-Gruppe unter Mitarbeit von vier Bundesländern über die Sommermonate eingearbeitet werden.
Die bisherigen Fallpauschalen sollen zu 60 % durch Vorhaltevergütungen für bestimmte Leistungen, die vom Krankenhaus angeboten werden, ersetzt werden. Ob sich dadurch wirklich eine Reduktion des ökonomischen Drucks und damit eine Entbürokratisierung erreichen lässt, muss fraglich erscheinen. Generell soll das Erlösvolumen der somatischen Krankenhäuser nicht grundsätzlich erhöht werden, wobei auch für Pädiatrie, Geburtshilfe, Stroke Unit, spezielle Traumatologie, Intensivmedizin und Notfallversorgung zusätzliche Zuschläge vorgesehen sind. Grundlage zur Finanzierung durch die Krankenkassen sollen die im mehrstufigen Ablauf noch genau zu definierenden Leistungsgruppen sein. Orientieren will man sich dabei am NRW-Modell, ergänzt um fünf Gruppen: Infektiologie, Notfallmedizin, spezielle Traumatologie und spezielle Kinder- und Jugendmedizin bzw. -chirurgie. Die Leistungsgruppen, relevant für das Finanzierungssystem, bilden medizinische Leistungen mit bundeseinheitlichen Qualitätskriterien bei Zuordnung von OPS- und ICD-Codes ab.
Auch wenn Bund und Länder bei den Zuordnungen der Versorgungsstufen der Krankenhäuser als Level-Einordnungen keine Einigkeit erzielt haben, wird das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die geplante Transparenzoffensive zur Darstellung der Qualität in den Krankenhäusern mit eigenem Gesetz angehen, wobei sehr wohl eine Level-Zuordnung vorgesehen ist. Bemerkenswert ist, dass die bisher als Level Ii bezeichneten Krankenhäuser jetzt sektorenübergreifende Versorger genannt werden. Eine pflegerische Leitung ist hier möglich, fachliche medizinische Entscheidungen werden nach wie vor ausschließlich ärztlich verantwortet. Diesen Häusern soll eine entscheidende Rolle in der sektorenübergreifenden Gesundheitsversorgung zukommen. Neben allgemeiner stationärer Behandlung sollen unter anderem ambulante-, belegärztliche oder Leistungen des AOP-Katalogs beziehungsweise der Pflege möglich sein. Verwirrend ist der derzeitige Finanzierungsmix, so durch individuelle Tagessätze oder Hybrid-DRGs, die erst zum 1. Januar 2024 durch das BMG eingeführt werden sollen. Entscheidend abzulehnen ist der Plan, das Level-Ii-Krankenhäuser einen wesentlichen Bestandteil der ärztlichen und pflegerischen Aus- und Weiterbildung darstellen sollen. Hier ist sicherlich der Einbezug von Krankenhäusern aller Versorgungsstufen dringend zu fordern, um auch die Vermittlung von Kenntnissen in der Notfall- und Intensivmedizin sowie in vielen anderen Leistungsbereichen mit hoher Komplexität zu gewährleisten.
Viele Fragen, gerade auch hinsichtlich der Ambulantisierung, sind insgesamt trotz Zustimmung zum Eckpunktepapier noch offen, wobei sich alle Beteiligten einig sind, dass ein Scheitern der Reformpläne keine Option sein kann.
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer
Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC)
Luisenstr. 58/59
10117 Berlin
Gesundheitspolitik
Meyer HJ: Krankenhausreform 2023: Wirklich eine Revolution oder nur dringend notwendige Strukturveränderungen? Passion Chirurgie. 2023 Juli/August; 13(07/08): Artikel 05_02.
Mehr aktuelle Nachrichten finden Sie auf BDC|Online unter der Rubrik Politik.
Weitere Artikel zum Thema
01.04.2011 Panorama
Radioaktive Stoffe machen krank
Bei einem nuklearen Unfall – zum Beispiel bei einer Kernschmelze im Reaktor oder im Abklingbecken für abgebrannte Elemente – werden radioaktive Stoffe, „Radionuklide“, freigesetzt. Im Folgenden listen wir die bei Atomunfällen am häufigsten in die Biosphäre gelangenden Radionuklide auf und stellen ihre Auswirkungen für die Gesundheit dar.
01.01.2011 BDC|Umfragen
Chirurgie am Limit
Nach einem Jahr intensiver Auswertungsarbeit können wir heute erste zusammenfassende Ergebnisse der vom BDC in Auftrag gegebenen Kosten-Struktur-Analyse chirurgischer Praxen vorlegen. An dieser Stelle möchte ich allen Teilnehmern danken, die sich der zugegeben erheblichen Mühe im Ausfüllen unserer Fragebögen unterzogen haben. Ohne deren aktive Mithilfe wären wir nicht in der Lage, heute hoch repräsentative und nicht anzweifelbare Daten herauszugeben, die für die zukünftige Bewertung chirurgischer Leistungen unverzichtbar sind.
01.07.2010 Politik
Kostenerstattung reloaded: Rösler und Ärzte offensiv
Geht es um Transparenz – oder um Geld und Systemwechsel?
01.07.2010 Politik
Die Reform der Reform der… Betrachtungen aus „Süd-Schweden“
Gerade einmal 18 Monate ist es her, dass die große
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.