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Bundesgesundheitsminister Lauterbach spricht von einer Revolution, wenn es um die Krankenhausreform geht. Zweifelsohne haben die jüngsten Reformvorschläge das Potenzial, die deutsche Versorgungslandschaft radikal zu verändern. So äußerte auf dem diesjährigen Hauptstadtkongress Herr Prof. Dr. Christian Karagiannidis (Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin [DGIIN]) als Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung, man rechne mit einer Bettenreduktion von rund dreißig Prozent im Zuge der Krankenhausreform. Gleichzeitig proklamiert das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf seiner Website das Ziel einer besseren Behandlungsqualität bei weniger Bürokratie sowie dem Erhalt eines lückenlosen Netzes von Krankenhäusern in ganz Deutschland.

Wichtiger Motor für die komplexen Neuerungen ist – mit Blick auf den stationären Bereich – die vergleichsweise hohe Krankenhausdichte in Deutschland in Verbindung mit besonderen Leistungshäufigkeiten in bestimmten (lukrativen) Teilbereichen. Die Leistungsinduktion resultiert im Wesentlichen aus dem DRG-System und entspricht damit dem damaligen politischen Willen bei Einführung der DRGs. Dabei wurde in Deutschland im internationalen Vergleich ein extremer Weg gewählt, indem das DRG-System nahezu zur alleinigen Einkommensquelle im Bereich der Betriebsmittel erhoben wurde. Damit unterliegt aktuell fast die gesamte Leistungserbringung an deutschen Krankenhäusern den Anreizen einer Fallzahlsteigerung. Weitere Treiber einer notwendigen Reform unserer medizinischen Versorgung sind der jetzt schon bestehende Personalmangel, der sich durch die Babyboomer noch verstärken wird, sowie ein immenser Investitionsstau, fehlender Inflationsausgleich und steigende Betriebs- und Personalkosten. Dem soll mit einer neuen Systematik mit Vorhaltepauschalen und vermehrter Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Bereich begegnet werden.

Auch im Bereich der Notfälle besteht eine reformbedürftige Struktur, wie die hohe Inanspruchnahme von Rettungsdiensten und Notfallmedizin für banale Fälle beweist. Auch hier leistet sich Deutschland ein System des nahezu unbegrenzten Zugangs. Im niedergelassenen Bereich schließlich besteht freie Arztwahl, ebenfalls ohne durchgängige Steuerungsinstrumente. Bestehende Strukturen werden ungesteuert geflutet.

Während auf Ebene der Bundesländer und Kommunen in der Vergangenheit schlichtweg die rechtliche Handhabe wie auch der politische Wille fehlten, einschneidende strukturelle Veränderungen vorzunehmen, hat der Bundesgesundheitsminister nunmehr ein ganzes Bündel von Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, die neben einer Verbesserung der Versorgungsqualität vor allem einen effizienteren Einsatz des immer knapper werdenden Fachpersonals zum Ziel hat. Dazu gehört auch der aktuelle Referentenentwurf des BMG vom Juni 2024 für eine Reform der Notfallversorgung. Dessen Ziel ist die sachgerechte Steuerung von Patienten in die jeweils angemessene Versorgungsebene bei einer allgemeinen Reduktion ärztlicher Leistungen.

Dazu haben BDC und DGCH gemeinsam Stellung genommen:

Grundsätzlich wird das Ziel, eine Entlastung der Notaufnahmen der Krankenhäuser und des Rettungsdienstes zu erreichen, ausdrücklich unterstützt. Denn unbestritten sind effektive Rahmenbedingungen für die Notfallversorgung in Deutschland eine wichtige Voraussetzung dafür, Menschen eine optimale Behandlung in der für die Dringlichkeit des subjektiv stets unaufschiebbaren Gesundheitsproblems geeigneten Struktur zu bieten. Entsprechend stehen im Zentrum des vorliegenden Referentenentwurfs eine Vernetzung der Versorgungsbereiche sowie die Steuerung der hilfesuchenden Patientinnen und Patienten in die richtige Versorgungsebene, wenn möglich schon vor der Vorstellung in einem der sogenannten „Integrierten Notfallzentren“ (INZ). Dabei muss berücksichtigt werden, dass die personellen Ressourcen, auch im vertragsärztlichen Bereich, begrenzt sind und schon jetzt nicht ausreichen, um alle Wünsche einer ständig verfügbaren ärztlichen Versorgung über Notfälle hinaus zu gewährleisten.

Folgende Anpassungen der Gesetzesplanung haben BDC und DGCH schriftlich gegenüber dem BMG gefordert:

1. Notruf/Akutfallvermittlung: Kooperation Akutleitstelle und Rettungsleitstelle

Die bisherigen Aufgaben der Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) im Bereich der Akutfallvermittlung nehmen gemäß dem vorliegenden Referentenentwurf zukünftig sogenannte „Akutleitstellen“ der KVen wahr.

Die angestrebte bundesweit einheitliche Vernetzung mit den Rettungsleitstellen, die perspektivisch idealerweise zu einer integrierten Leitstelle („Gesundheitsleitsystem“) für alle Belange der Notfallversorgung führt, wird begrüßt. Denn durch eine bedarfsgerechte Steuerung können sowohl die Notaufnahmen der Krankenhäuser als auch die Rettungsdienste entlastet werden. Gemäß vorliegendem Gesetzentwurf ist auf Antrag eines Trägers einer Rettungsleitstelle die zuständige KV zur Kooperation verpflichtet. Eine Umsetzung kann aber nur gelingen, wenn umgekehrt auch die Rettungsleitstellen gesetzlich zur Kooperation in einem solchen Gesundheitsleitsystem verpflichtet werden, das nur dann bundesweit flächendeckend installiert werden könnte. Daher muss vonseiten der Bundesländer eine solche gesetzliche Kooperationsverpflichtung für die Rettungsleitstellen auf den Weg gebracht werden. Dies sollte normativ unbedingt in der jeweiligen Landesgesetzgebung verankert werden.

2. Inhalt und Umfang der vertragsärztlichen Sicherstellung zur Entlastung des Notdienstes: Telemedizinische und aufsuchende Versorgung 24/7

Zur Sicherstellung einer medizinisch notwendigen Akutversorgung von Patientinnen und Patienten werden die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, sich an den Integrierten Notfallzentren zu beteiligen sowie durchgängig (24/7) eine telemedizinische und eine aufsuchende Versorgung bereitzustellen.

BDC und DGCH lehnen eine Erweiterung des Sicherstellungsauftrags in Bezug auf die aufsuchende Versorgung 24/7 ab. Eine durchgängige aufsuchende Versorgung für Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Mobilität ist derzeit und mittelfristig – auch unter Zuhilfenahme telemedizinischer Maßnahmen und teilweiser Delegation auf nichtärztliches Personal – vor dem Hintergrund von Ärzte- und Fachkräftemangel nicht umsetzbar, auch wenn es Argumente gibt, die dafürsprechen. Zudem fordern die Verbände, die Beteiligung der Notdienstpraxen an den Integrierten Notfallzentren auf die bisherigen Zeitvorgaben des Notdienstes zu beschränken, es sei denn, das INZ trifft eine abweichende Vereinbarung, In vielen Bereichen haben sich bereits gut funktionierende sektorenverbindende Notfallstrukturen etabliert, die ihre zeitliche Aufgabenverteilung dem regional unterschiedlichen Patientenaufkommen angepasst haben. Diese sollten unbedingt erhalten bleiben. Mit einem zusätzlichen aufsuchenden Notfalldienst zusätzlich zur jetzt schon vorhandenen Möglichkeit des dringlichen Hausbesuchs zu den üblichen Sprechstundenzeiten würde eine Doppelstruktur mit erheblichem Missbrauchspotenzial aufgebaut.

Kritisiert wurde zudem, dass auch in diesem Gesetzesentwurf wiederum Personalkalkulationen und Lösungsansätze zur Vermeidung der Sozialversicherungspflicht bei Einsatz von Poolärztinnen und -ärzten fehlen.

3. Integrierte Notfallzentren – zentrale Ersteinschätzungsstelle

Integrierte Notfallzentren (INZ) werden gemäß dem Gesetzesentwurf als sektorenübergreifende Notfallversorgungsstrukturen eingerichtet. Sie bestehen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung im oder am Krankenhausstandort und einer gemeinsamen zentralen Ersteinschätzungsstelle (ZES). Zugelassene Krankenhäuser und Vertragsärzte arbeiten darin verbindlich zusammen mit dem Ziel einer bedarfsgerechten ambulanten Erstversorgung. Die fachliche Leitung und Verantwortung für die ZES obliegt dem Krankenhaus, sofern in einer Kooperationsvereinbarung nichts Abweichendes geregelt ist. Damit ist der Kritik der Krankenhäuser gegenüber dem ursprünglichen Eckpunktepapier der Notfallreform nachgekommen worden.

DGCH und BDC begrüßen dabei die Beauftragung des GB-A zur Entwicklung eines rechtssicheren Ersteinschätzungsinstruments für die INZ. Nur wenn dadurch eine rechtssichere Fallübergabe von der ZES an die Kooperationspraxen ohne Arztkontakt im INZ möglich wird, kann die knappe Ressource Arzt in den Notaufnahmen eingespart werden und eine echte Entlastung resultieren. Dazu gehört auch die verpflichtende digitale Fallübergabe in einem interoperablen Datenformat, nicht nur innerhalb des INZ, sondern mittelfristig auch an die Kooperationspraxen über die Telematik-Infrastruktur.

4. Kooperationspraxen

Notdienstpraxen in den Integrierten Notfallzentren haben gemäß dem vorliegenden Entwurf während der sprechstundenfreien Zeiten zeitlich begrenzt eine vertragsärztliche Notfallversorgung zu gewährleisten.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden verpflichtet, darüber hinaus für die Versorgung von Akutfällen während der Sprechstundenzeiten (außerhalb der Öffnungszeiten der Notdienstpraxis), sogenannte „Kooperationspraxen“ einschließlich digitaler Fallübergabe einzubinden. Dies würde ermöglichen, Notfälle in die beteiligten Praxen einzusteuern, die gemäß der Ersteinschätzung keine Behandlung in den Krankenhausstrukturen benötigen. Dies wird aus der Sicht der Chirurgie befürwortet, zumal aus Häufigkeitsuntersuchungen bekannt ist, dass bis zu 50 Prozent der in den Krankenhausnotaufnahmen behandelten Fälle Unfallverletzte sind, von denen eine große Anzahl auch fachlich kompetent in chirurgischen Unfallpraxen versorgt werden könnten. Eine enge Kooperation zwischen dem Intersektoralen Notfallzentrum und einer chirurgischen Kooperationspraxis kann somit für leichtere Unfallverletzungen einen Arztkontakt im INZ ersparen und dadurch eine echte Entlastung der Krankenhausnotaufnahmen bewirken, ohne die Patientensicherheit zu gefährden. Zumindest die bundesweit 2.744 niedergelassenen Durchgangsärztinnen und -ärzte (Stand 2022) in ca. 2.000 Durchgangsarztpraxen stehen den Arbeitsunfallverletzten (nach SGB VII) ohnehin während der festgelegten unfallärztlichen Bereitschaftszeit zur Verfügung und könnten in diese Versorgung einbezogen werden.

Da diese Art der Akutversorgung mit zusätzlichem Aufwand und veränderten Prozessen in den Praxen verbunden ist, sehen BDC und DGCH es für notwendig an, einen verbindlichen Auftrag an die Selbstverwaltung zu richten, diese Strukturen in Form einer Vorhaltepauschale und einer zusätzlichen fallbezogenen Vergütung zu fördern.

5. Weitere Kritikpunkte

Zur Anpassung an die Neuregelung der Erreichbarkeit ist ein Übergangszeitraum von sechs Monaten geplant. Diese Übergangsfrist soll es den Kassenärztlichen Vereinigungen ermöglichen, das für die vorgeschriebenen Erreichbarkeitszeiten gegebenenfalls erforderliche zusätzliche Personal zu rekrutieren. Dieser Zeitraum erscheint bei der jetzigen Situation auf dem Arbeitsmarkt und der zusätzlich notwendigen Ausbildung als extrem ambitioniert. Wir halten einen Übergangszeitraum von 12 Monaten für eine realistische Größe und damit für erforderlich.

Die Notfallversorgung ohne die präklinische Versorgung durch den Rettungsdienst bundesweit zu organisieren, halten wir aus medizinischer und logistischer Sicht für eine vertane Chance. Auch ließen sich hier durch Effektivitätssteigerungen gewaltige Ressourcen (das Gesamtvolumen der präklinischen Rettung beträgt in Deutschland mehr als 8,3 Milliarden €) umwidmen oder einsparen. Erweiterte Kompetenzen der Notfallsanitäter wären hier nur ein Aspekt.

Die Notfallmedizin differenziert im Erwachsenenalter selbstverständlich zwischen Chirurgie und Innerer Medizin. Im gleichen Maße ist Notfallmedizin im Kindes- und Jugendalter auch nicht ausschließlich Innere Medizin – also Pädiatrie –, da es sich auch im Kindes- und Jugendalter größtenteils um chirurgische Notfälle handelt. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen haben einen Anspruch auf eine adäquate Behandlung. Dazu gibt es Fachärztinnen und -ärzte für Kinder- und Jugendchirurgie. Sofern im Referentenentwurf im Zusammenhang mit Kindern und/oder Jugendlichen eine Fachrichtung genannt wird, ist ausschließlich von der Pädiatrie respektive der Kinder- und Jugendmedizin die Rede. Die DGKCH weist mit Nachdruck darauf hin, dass Notfallzentren für Kinder und Jugendliche zur Gewährleistung einer adäquaten Versorgung nicht nur eine Fachärztin- bzw. einen -arzt für Kinder- und Jugendmedizin benötigen, sondern auch eine Fachärztin bzw. einen -arzt für Kinder- und Jugendchirurgie. Die DGKCH empfiehlt daher, den Referentenentwurf in diesem Sinne zu ergänzen und an den entsprechenden Stellen von konservativer und operativer Kinder- und Jugendmedizin zu sprechen. Die DGKCH begrüßt ausdrücklich den vorgesehenen Aufbau von Integrierten Notfallzentren für Kinder und Jugendliche, weist aber darauf hin, dass die Einschränkung, wonach diese Zentren an geeigneten Standorten etabliert werden können, sich in der praktischen Umsetzung als äußerst problematisch erweisen könnte. Überdies begrüßt die DGKCH die Implementierung zeitgemäßer telemedizinischer Strukturen in der Notfallversorgung ausdrücklich.

Kritisiert wird auch, dass der Aufklärung der Patientinnen und Patienten durch entsprechende Informationskampagnen und eine Gesundheitserziehung im Gesetzentwurf nichts Konkretes gewidmet ist. Die Effizienz der Notfallversorgung hängt jedoch ganz wesentlich auch vom Umgang der Betroffenen mit dem System ab.

Fazit

Grundsätzlich ist das Ziel einer verbesserten Patientensteuerung in die richtige Versorgungsebene zu begrüßen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und den damit einhergehenden Arzt- und Patientenzahlen sowie der sinkenden Arzt-Zeit, die bei gleicher Anzahl tätiger Kolleg:innen perspektivisch noch zur Verfügung stehen wird. Allerdings nur insoweit, als dass echte Qualitätsverbesserungen resultieren und die Gesetze nicht als reine Einsparinstrumente genutzt werden und daraus eine Wartelistenmedizin und eine Unterversorgung der Bevölkerung resultieren.

In Bezug auf das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung fehlen z. B. Regelungen zur auskömmlichen Finanzierung der Behandlung in den Kooperationspraxen sowie in den neu einzurichtenden INZ. Insbesondere hinsichtlich der Krankenhausreform fehlen sachgerechte Auswirkungsanalysen und die vorgegebenen Zeitpläne sind unrealistisch. Dies führt dann immer wieder – trotz bester Absichten – zu zweifelhaften Ergebnissen, wie wir es jüngst bei der Einführung der Hybrid-DRG oder der Veröffentlichung des Bundes-Klinik-Atlasses (BKA) erfahren mussten.

Burgdorf F, Meyer HJ, Kalbe P, Schmitz-Rixen T: Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung. Passion Chirurgie. 2024 Juli/August; 14(07/08): Artikel 05_04.

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