20.04.2021 Fachübergreifend
BDC-Praxistest: Video-Sprechstunden in der Chirurgie
Vorwort „Die Online-Sprechstunde – Fortschritt oder Gimmick?“
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung in der Medizin einen weiteren Schub verliehen. Die Kontaktsperren belasten neben vielem anderen auch die Arzt-Patienten-Kommunikation. Dazu meiden viele Menschen Praxis oder Krankenhaus aber auch aus Angst sich zu infizieren. Online-Sprechstunden könnten dem entgegenwirken.
Doch das Thema existiert nicht erst seit der Virus-Vulkan in Wuhan ausgebrochen ist. Tatsächlich hatte der Deutsche Ärztetag bereits 2018 durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbots die Möglichkeit einer Online-Sprechstunde geschaffen. Und im Nachgang übernahmen auch die Landesärztekammern die Lockerung in ihre Berufsordnungen – allerdings mit der Einschränkung, dass die teilnehmenden Ärzte nur max. 20 Prozent der Patient:innen ausschließlich online behandeln dürfen.
Danach blieb es um die Online-Sprechstunde zunächst doch wieder sehr ruhig – zu groß war wohl die Skepsis auf Seiten der Betreiber und auch das Interesse auf Seiten der Empfänger. Doch durch die umfangreichen Einschränkungen der Pandemie ist das Thema wieder richtig aufgepoppt, denn die „Kontaktfreudigkeit“ aller Beteiligten hat nachgelassen. Und so wurde bereits zum 01. April 2020 die „20-Prozent-Beschränkung“ (befristet) aufgehoben. Seitdem dürfen außer Radiologen, Pathologen, Nuklearmedizinern und Laborärzten alle Arztgruppen unbegrenzt ihre Patient:innen online beraten.
Doch weiterhin bleibt das Echo zur Online-Sprechstunde geteilt. Einige Beteiligte sparen sich hoch erfreut lange Wege und Wartezeiten vor allem in spezialisierten Zentren und loben, dass online auch in Corona-Zeiten die Angehörigen am Arzt-Gespräch teilnehmen können. Das spiegelt auch die aktuelle Umfrage des Digitalverbandes Bitkom aus März 2020, in der zwei Drittel das Angebot von Online-Sprechstunden begrüßen. Die Kritiker fürchten dagegen eine weitere Entfremdung des Arzt-Patienten-Verhältnisses weg von der alten Basis des tiefen, persönlichen Vertrauens hin zu einer konsumatorischen Dienstleistung, die Fehldiagnosen oder Behandlungsfehler fördert.
Grund genug für uns das Thema von verschiedenen Standpunkten zu beleuchten.
Erhellende Lektüre wünschen
Prof. Dr. med. C. J. Krones und Prof. Dr. med. D. Vallböhmer
Wer hat in den letzten Monaten der COVID-Pandemie nicht mit dem Gedanken gespielt, seinen ambulanten Patienten eine Video-Sprechstunde anzubieten – und musste dann nach einer ersten Recherche unter dem Stichwort „Telemedizin“ feststellen, dass alles gar nicht so einfach ist, wie von den Protagonisten dieses Formats immer propagiert wird. Deswegen dieser Beitrag „Video-Sprechstunde“, der für den niedergelassen wie klinisch tätigen Chirurgen die rechtlichen Grundlagen, technische Umsetzung, ökonomische Aspekte sowie Praktikabilität und Akzeptanz im chirurgischen Alltag darstellen und bewerten soll.
Video-Sprechstunden als Teil der Telemedizin
Zunächst zu den Begrifflichkeiten. Wie von der Arbeitsgemeinschaft Telemedizin der Bundesärztekammer (BÄK) beschrieben, werden unter dem Begriff Telemedizin verschiedene ärztliche Versorgungskonzepte zusammengefasst, die alle den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass die medizinische Leistung einer Gesundheitsversorgung in den Bereichen Diagnostik und Therapie sowie ärztlicher Entscheidungsberatung über eine räumliche oder auch zeitliche Distanz erbracht wird [1]. Hierfür werden digitale Informations- und Kommunikationstechnologien verwendet, die zwei grundsätzlich unterschiedliche Anwendungsbereiche bieten.
Auf der einen Seite werden zunehmend Applikationen (APP) mit einer eigenen Funktionalität entwickelt, mit denen eine Indikations- und Diagnosestellung erfolgt, die automatisiert ausgewertet und in die Behandlung mit einbezogen wird. Das beste Beispiel hierfür ist die digitale Überwachung von Patienten mit Herzinsuffizienz, deren Nutzen mittlerweile in großen Studien evaluiert wurde (Fontane Studie), sodass die routinemäßige (digitale) Anwendung in Leitlinien empfohlen wird und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) diese Leistung in die Versorgung übernimmt [2, 3]. Entscheidend für diese Form der Telemedizin ist, dass die ärztliche Aufgabe der Bewertung von Patientendaten zum Teil automatisiert durch digitale Algorithmen ersetzt wird (Arztvorbehalt). Auf der anderen Seite stehen die telemedizinischen Sprechstunden (sog. Video-Sprechstunden), die zwar eine fundamentale Änderung der ärztlichen Arbeitsweise im Hinblick auf die Arzt-Patient Kommunikation nach sich ziehen, aber keine grundsätzliche Veränderung der medizinischen Beratung, Indikationsstellung und Behandlung beinhalten. Um diese Form der Telemedizin geht es im weiteren Beitrag.
Akzeptanz und Nutzung der Video-Sprechstunden
Die gegenwärtige Corona-Pandemie hat einen erheblichen Impuls zur Implementierung dieser online-Sprechstunden ausgelöst, auch wenn die Notwendigkeit einer solchen digitalen Neuorientierung im Gesundheitswesen schon lange vor der Pandemie erkannt und auch auf verschiedenen Ebenen initiiert wurde. Die Corona-Pandemie ist somit nicht Auslöser, sondern lediglich Treiber dieses grundlegenden Wandels der Arzt-Patient Kommunikation.
Verdeutlicht wird die zunehmende Bedeutung von Online-Sprechstunden durch verschiedene Förderprogramme, die Bund und Ländern seit 2015 für diesen telemedizinischen Bereich eingerichtet haben. Das Bundesland Hessen hat Mitte 2017 eine E-Health Initiative gestartet und stellte für telemedizinische Innovationsprojekte bis zu 6 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Ende 2019 wurde ein vom Land NRW mit 2 Millionen Euro gefördertes Programm zusammen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen vorgestellt, welches zum Ziel hatte, verschieden Aspekte der Telemedizin in der Fläche zu implementieren. Das größte Förderprogramm wurde 2015 vom Bund aufgelegt. In diesen Innovationsfond wurden zwischen 2016 und 2019 jedes Jahr 225 Millionen Euro zur Förderung neuer Versorgungsformen, also auch der Telemedizin, investiert. Der zuständige Ausschuss dieses Innovationsfonds, der beim G-BA und Leitung des Vorsitzenden Prof. Hecken angesiedelt ist, entscheidet hier anhand von Evaluationsberichten, welche Projekte realistisch in die Regelversorgung überführt und deshalb weiter gefördert werden [4].
Auch wenn die Tagespresse versucht, Online-Videosprechstunden schon zum Standard der medizinischen Kommunikation zu erheben, sind diese gegenwärtig weit davon entfernt, das traditionelle Arzt-Patient Gespräch in Präsenz der beiden Kommunikationspartner zu ersetzen. Auch in den kommenden Jahren ist eine flächendeckende Anwendung in der ärztlichen Kommunikation nicht zu erwarten. Verlässliche Zahlen zum anteilmäßigen Gebrauch dieses online-Mediums an den ambulanten Patientenkontakten liegen nicht vor und so sind es überwiegend Einzelberichte, welche die verschiedenen Möglichkeiten einer sinnvollen Nutzung aufzeigen. Die Akzeptanz von Seiten der Patienten scheint hier ein Generationsproblem zu sein und daraus ergibt sich die Frage nach Zugang und Kenntnis der notwendigen Hard- und Software. In einer Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gaben 50 Prozent der über 70-Jährigen an, kein Internet zu nutzen. Insofern ist die Skepsis vieler Versicherten bei der Digitalisierung des Arzt-Patienten-Kontaktes gut nachvollziehbar. Auf der anderen Seite zeigen zwei repräsentative Umfragen zur Digitalisierung und Technologisierung im Gesundheitswesen, dass es insgesamt eine hohe Bereitschaft zur Inanspruchnahme dieser Dienste gibt [5].
Die möglichen Vorteile der Online-Sprechstunden liegen für beide Seiten, Arzt wie Patient, auf der Hand. Diese sind:
- eine flexible Integration in den Praxis- und Klinikalltag mit Verkürzung von Wartezeiten der Patienten, damit ein effizientes Zeitmanagement im Rahmen des seit Mai 2019 geltenden Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG),
- einen besseren Zugang zu wohnortfernen Spezialisten und damit verbunden die Steigerung eines flächendeckenden medizinischen Angebotes,
- daraus resultierend eine bessere Nutzung der personellen ärztlichen Ressourcen,
- Zeit- und Kostenersparnis für den Patienten durch redundante Fahrten zum Arzt
- sowie unter den Bedingungen der gegenwärtigen Pandemie eine Reduktion der Patientenkontakte und damit eine Steigerung des Infektionsschutzes für Patienten sowie für ärztliches und nicht-ärztliches Personal.
Stand 2020 ist jedoch, dass entsprechend den Anforderungen der Bundesärztekammer telemedizinische Sprechstunden primär additiv zu den herkömmlichen Versorgungsmaßnahmen zu verstehen sind. Der Deutsche Ärztetag 2018 stellte mit Änderung der Musterberufsordnung fest, dass nach wie vor der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt der Goldstandard ist und bleibt. Unter dieser Maxime kann jetzt überlegt werden, in welchem Setting Online-Sprechstunden zum Einsatz kommen und medizinisch sinnvoll sind.
Quelle: Abrechnungsstatistik der KBV |
Fachbezogene Anwendung der Video-Sprechstunden
Es liegt auf der Hand, dass die oben beschriebenen Vorteile nicht für alle Fachdisziplinen gleiche Gültigkeit haben und auch innerhalb einer Fachdisziplin das Krankheitsbild über die Sinnhaftigkeit einer Nutzung von Online-Sprechstunden entscheidet.
Einen festen Platz haben sich Online-Formate in den psychotherapeutischen Sprechstunden inklusive der neuropsychologischen Therapie erobert, wobei ein großer Teil dieser Behandlungen zunächst in einem Face-to-Face Setting begonnen und dann online fortgesetzt wird [6, 7]. Auch in der Pneumologie wird den Online-Sprechstunden ein großes Potential attestiert, da bei steigender Prävalenz der häufigen Erkrankungen COPD, Asthma bronchiale und Schlafapnoe eine flächendeckende Versorgung gerade im ländlichen Bereich zunehmend schwieriger wird. Sinnvoll ist die Nutzung der Videosprechstunden im Verbund mehrerer Ärzte verschiedener Disziplinen. Ein Beispiel hierfür ist ein vom Innovationsfond gefördertes Projekt im Bereich der Teledermatologie. Hier wird in der ländlichen Region Mecklenburg-Vorpommern der Aufbau eines Netzwerkes evaluiert, der die Behandlung von Patienten mit dermatologischen Erkrankungen in einer koordinierten Versorgungskette zwischen erstbetreuenden Hausarzt, Dermatologen und Krankenhaus durch telemedizinische Konsile sicherstellen soll.
Was folgt aus diesen Beispielen für die Umsetzung von Online-Sprechstunden in der Chirurgie? Auf der eine Seite des Spektrums stehen alle Krankheitsbilder, die zwingend eine körperliche Untersuchung und Befunderhebung zur Diagnosefindung erfordern und daher nicht geeignet für dieses Kommunikationsmedium sind. Das gilt sicherlich für das akute Abdomen, bei dem die klinische Untersuchung führend für die Diagnosestellung ist. Schwierig erscheint auch, in der Orthopädie und Unfallchirurgie Bewegungsausmaße verschiedener Gelenke online zu untersuchen, um den Erfolg einer Operation sicher beurteilen zu können. Aber ist die postoperative Beurteilung einer Wunde über ein Online-Medium möglich? Hier wird es unter den Chirurgen schon geteilte Meinungen geben und die angebotene Bildqualität über das Internet wird einen wesentlichen Faktor darstellen. Sinnvoll dagegen erscheint der Einsatz bei allen chirurgischen Erkrankungen, die multiple Arztkontakte beinhalten und bei denen, nach einem persönlichen Erstkontakt mit Festlegung eines Behandlungskonzeptes, die Befundkontrollen im weiteren Verlauf der Behandlung online durchgeführt werden. So ist es in der chirurgischen Onkologie problemlos möglich, im Verlauf eines multimodalen Therapiekonzeptes einschließlich der Tumornachsorge, den Patienten zu festgesetzten Terminen über das Online-Medium an die behandlungsführende Klinik zu binden. Die wenigen Beispiele zeigen, dass sich die Chirurgie ihr fachbezogenes Anwendungsgebiet von Online-Sprechstunden erst noch erobern muss und sich erst durch die Nutzung dieses Mediums die wirklichen Limitationen herauskristallisieren werden.
Rechtliche Grundlagen und Datenschutz der Video-Sprechstunden
Ein Beschluss der Bundesärztekammer (BÄK) und eine Gesetzesinitiative des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) mit den bestehenden gesetzlichen Grundlagen im Sozialgesetzbuch (SGB V) schaffen gegenwärtig die notwendigen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Implementierung von telemedizinischen Sprechstunden.
Auf dem 121. Deutschen Ärztetag 2018 in Erfurt wurde von den Delegierten nach kontroverser Diskussion, dann aber mit großer Mehrheit eine Änderung der Musterberufsordnung (MBO-Ä) beschlossen und das bisher geltende berufsrechtliche Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen aufgehoben. Demnach sollen eine Beratung und Behandlung über verschiedene Kommunikationsmedien zukünftig auch ohne persönlichen Erstkontakt erlaubt sein, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt gewahrt wird und der Patient über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über diese Medien aufgeklärt wurde (MBO-Ä § 7, Abs. 4) [8]. Detaillierte Hinweise und Erläuterungen sowie ein Fragekatalog zur Änderung der Musterberufsordnung finden sich in den Bekanntmachungen der BÄK (Stand 03/2019) [9, 10]. Da die Regelungen der MBO-Ä in den Berufsordnungen der einzelnen Bundesländer umgesetzt werden müssen, muss jeder Arzt die Voraussetzungen der Zulässigkeit der ausschließlichen Fernbehandlung in seinem Bundesland prüfen.
Nach einem ersten Referentenentwurf im Mai 2019 trat bereits am 19. November 2019 das ‚Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation‘ (Digitales Versorgungsgesetz, DGV) in Kraft (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019, Teil I Nr.49) [11]. Dieses Gesetzespaket umfasst drei Schwerpunkte: Neben der verpflichtenden Einführung eines sicheren digitalen Netzwerkes im Gesundheitsbereich sowie dem möglichen Gebrauch von Gesundheits-Apps auf Rezept soll der Ausbau und Zugang zu Videosprechstunden im klinischen Alltag als eine ergänzendes Medium in der Arzt-Patient Kommunikation vorangetrieben werden.
Für Vertragsärzte ist des Weiteren die Videosprechstunde als telemedizinisches Verfahren gesetzlich geregelt in §§ 365, 368 SGB V. Hierzu hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit dem GKV-Spitzenverband eine Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur Videosprechstunde geschlossen, die als Anlage 31b dem BMV-Ä beiliegt. Ebenso haben diese Parteien eine Vereinbarung über telemedizinische Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung geschlossen, die dem BMV-Ä als Anlage 31 beigefügt ist. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat auf ihrer Homepage Informationen zu Anforderungen, Vergütung und Organisation der Video-Sprechstunde zur Verfügung gestellt [12].
Mit der Novellierung der ärztlichen Berufsordnung und der Lockerung des Verbots der ausschließlichen Fernbehandlung durch den Deutschen Ärztetag 2018 werden aus juristischer Sicht zwei Fragen aufgeworfen, die gegenwärtig noch nicht abschließend beantwortet sind. Dies sind zum einen die rechtswirksame Qualitätssicherung der ärztlichen Beratung und Behandlung und zum anderen die Datensicherheit und Datenschutz der ärztlich erhobenen Informationen. Die Komplexität nimmt ohne Frage zu. Wie vom Deutschen Ärztetag festgestellt und von Rechtsexperten bestätigt, gilt die physische Präsenz des Arztes weiter hin als Goldstandard der ärztlichen Beratung und Behandlung. Bei der ausschließlichen Fernbehandlung ist jedoch die Einhaltung dieses fachlichen Standards nicht gewährleistet, zumal ein „Fernbehandlungs-Standard“ noch nicht definiert wurde. Daher ist fraglich, ob im Schadensfall einer fehlerhaften Beratung oder einem Befunderhebungsfehler dieses online-Medium juristischen Bestand hat. Von Seiten der Juristen wird zudem darauf hingewiesen, dass die Inanspruchnahme einer Video-Sprechstunde keine stillschweigende Vereinbarung einer Abweichung vom Standard impliziere und daher Zivilgerichte solchen privatautonomen Vereinbarungen Im Sinne des Patientenschutzes engen Grenzen ziehen würden. Dies bedeutet, dass der behandelnde Arzt für einen Schaden haftbar gemacht werden kann, den der Patient in einer persönlichen Behandlung oder Beratung nicht erlitten hätte [13].
Die wichtigste juristische Implikation dieser bestehenden Rechtsunsicherheit betrifft die Aufklärung zur Operation. Aufgrund der BGH-Rechtsprechung zur wirksamen Aufklärung per Telefon dürfte aus juristischer Sicht eine Fernaufklärung allerdings nur in medizinisch einfach gelagerten Fällen als zulässig anzusehen sein, wenn der Patient sich mit der fernmündlichen Aufklärung einverstanden erklärt hat, der Arzt die Möglichkeit hatte, auf individuelle Belangte des Patienten einzugehen und Fragen zu beantworten und er sich davon überzeugt hat, dass der Patient die Aufklärung verstanden hat. Bei komplizierten Eingriffen bzw. Behandlungen mit erheblichen Risiken ist eine fernmündliche Aufklärung nach der geltenden Rechtslage regelmäßig unzureichend. Aus den genannten Gründen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt von einer ausschließlich fernmündlichen, also telemedizinischen OP-Aufklärung abzuraten, eine erste dokumentierte Aufklärung in der online-Sprechstunde im Rahmen der Stufenaufklärung, wenn also eine weitere Aufklärung dann im persönlichen Gespräch noch erfolgt, aber statthaft. Dies gilt insbesondere für komplexe chirurgische Eingriffe, die eine klinisch relevante Morbidität und Mortalität haben.
Hinsichtlich des Datenschutzes ist der Arzt, der telemedizinische Verfahren einsetzt, grundsätzlich Verantwortlicher i. S. d. Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO). Bei Einsatz eines Webportals oder Ähnlichem besteht ggf. eine gemeinsame Verantwortlichkeit nach Art. 26 DS-GVO mit dem Plattformbetreiber. Dies bedeutet, dass der Arzt jedenfalls innerhalb seiner Praxis die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Datensicherheit und zum Datenschutz zu ergreifen hat. Für die Anwendung der Telematik-Infrastruktur regeln die §§ 306, 307 SGB V die Verantwortlichkeiten des Vertragsarztes. Bei Einsatz solch neuer Technologien muss auch stets geprüft werden, ob der Arzt vor deren Anwendung eine Datenschutzfolgenabschätzung nach Art. 35 DS-GVO durchführen muss. Ist dies der Fall, ist der Arzt auch zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten verpflichtet.
Technische Voraussetzungen und Durchführung der Video-Sprechstunde
Um einen ordnungsgemäßen Ablauf einer Online-Sprechstunde gewährleisten zu können, müssen bestimmte Grundvoraussetzungen geschaffen werden. Diese haben einerseits zum Ziel, durch funktionelle Technik eine störungsfreie und angenehme Kommunikation zu ermöglichen. Andererseits sind bestimmte strukturelle, bauliche und digitale Bedingungen notwendig, um den juristischen Voraussetzungen im Umgang mit sensiblen und persönlichen Patientendaten zu genügen und um durch die korrekte Dokumentation die Abrechenbarkeit mit den Krankenkassen zu ermöglichen.
Der Patient selbst muss lediglich dafür Sorge tragen, dass er ein internetfähiges Endgerät sowie eine stabile Internetverbindung zur Verfügung hat. Dies kann ein Tablet, ein Smartphone, ein Laptop oder ein PC darstellen, die selbstverständlich mit einer funktionstüchtigen Kamera, einem Mikrofon sowie Lautsprechern ausgestattet sein müssen. Obwohl die meisten zertifizierten Videodienstanbieter auch einen Login auf Ihrer Webpage über einen Zugangscode anbieten, wird der Kontakt am einfachsten über einen Link hergestellt. Dieser wird digital versandt, so dass der Patient zudem noch auf eine E-Mail-Adresse Zugriff haben muss.
Die Anforderungen an die technischen Verfahren zur Durchführung von Videosprechstunden in der vertragsärztlichen Versorgung, insbesondere Einzelheiten hinsichtlich Qualität und Sicherheit sowie die Anforderungen an die technische Umsetzung werden in der Anlage 31 b des Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) geregelt [14]. Die Zugangsbedingungen im technischen Bereich auf der Seite der Praxen/Krankenhäuser entsprechen in etwa den Voraussetzungen auf Patientenseite. Allerdings empfiehlt sich, im Hinblick auf Professionalität und Außendarstellung einen gewissen Grad an Ton- und Bildqualität zu gewährleisten. Dies wird am ehesten durch ein fest installiertes Kamera- und Videosystem garantiert; von einer Videosprechstunde über ein Smartphone auf ärztlicher Seite wird dringend abgeraten. Mit diesen Vorrausetzungen braucht es dann lediglich noch eine stabile Internetverbindung.
Grundsätzlich gilt, dass eine Videosprechstunde nur unter den Rahmenbedingungen eines reellen Arzt-Patientengespräch stattfinden sollte. Daher wird empfohlen, einen entsprechend ausgestatteten Raum zu schaffen, der neben stabilen technischen Voraussetzungen auch einen störungsfreien und vertraulichen Verlauf des Arzt-Patientengesprächs sichert. Ebenso wie bei einem Präsenzkontakt eines Patienten darf das Gespräch keinen unbeteiligten Personen zugänglich sein. Der digitale Einblick in das persönliche Büro des Arztes ist der erste Eindruck des Patienten von seinem behandelnden Arzt.
Vor der Durchführung der Sprechstunde muss der Patient seine Einwilligung erklären, dies kann in Abhängigkeit des verwendeten Anbieters über das System oder direkt über den Arzt selbst erfolgen. Für den Fall, dass der Patient zuvor noch nicht in der Praxis oder Klinik vorstellig war, müssen seine Stammdaten (Bezeichnung der Krankenkasse, Name und Vorname, Geburtsdatum, Versichertenart, Postleitzahl des Wohnorts, Krankenversichertennummer) digital erfasst werden. Hierzu kann der Patient seine Versichertenkarte in die Kamera halten, so dass seine Identität geprüft werden kann. Insgesamt darf eine Sprechstunde nicht anonym ablaufen, der Klarname des Patienten (Identität) muss für den Arzt erkenntlich sein. Zu Beginn der Sprechstunde der Videosprechstunde hat auf beiden Seiten eine Vorstellung aller im Raum befindlichen Personen zu erfolgen. Im Anschluss an das Sprechstundengespräch ist eine korrekte Dokumentation der Diagnosen und Leistungen selbstverständlich, um einen nachvollziehbaren medizinischen Verlauf und eine möglichst vollständige Abrechnung zu gewährleisten.
Kommerzielle Anbieter von Video-Sprechstunden
Die Zahl der kommerziellen Anbieter ist groß und unter der COVID-Pandemie noch größer geworden. Viele bieten ihre Dienste zudem für Einsteiger kostenfrei an. Bei der Wahl des Videodienstanbieters ist darauf zu achten, dass dieser bei der KBV in Bezug auf die technische Sicherheit und den Datenschutz zertifiziert ist. Der Videodienstleister muss zwingend gewährleisten, dass die Video-Sprechstunde während der ganzen Übertragung Ende-zu-Ende verschlüsselt ist und die Übertragung über eine Peer-To-Peer-Verbindung (d. h. ohne Nutzung eines zentralen Servers) stattfindet. Die genauen Voraussetzungen hierfür sind in der Anlage 31b zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) geregelt, die voraussichtlich im ersten Quartal 2021 in einer neuen Fassung erscheint. Auch wenn die KBV selbst nicht die Zertifizierungsinstanz der verschiedenen Anbieter darstellt, bietet Sie auf Ihrer Homepage eine Liste der zertifizierten Anbieter an. Vergleichbare Listen sind ebenfalls auf den Webseiten der meisten Kassenärztlichen Vereinigungen zu finden. Auf der Liste der KBV sind zum aktuellen Zeitpunkt 44 zertifizierte Anbieter aufgeführt (Stand 19.10.2020) [12]. Aufgrund der großen Anzahl und unterschiedlichen Leistungen lohnt sich ein Vergleich der Konditionen. Die Anbieter unterscheiden sich in der vertraglichen Laufzeit und Kündigungsfristen sowie vielfältigen technischen Details wie der Möglichkeit des Dokumentenaustauschs über die Plattform oder der Anzahl der möglichen Gesprächsteilnehmer. Die Kosten liegen gegenwärtig zwischen 39 und 139 Euro monatlich, je nach Anbieter und Leistungsumfang. Zudem offerieren manche Anbieter die Möglichkeit einer Einzelgesprächsabrechnung, die zwischen 1,99 Euro und 3,99 Euro pro Gespräch angeboten wird.
Abrechnung von Video-Sprechstunden
Das Bemühen, Online-Sprechstunden unbürokratisch attraktiv zu machen, ist unübersehbar. Die KBV und der GKV-Spitzenverband einigten sich aufgrund der Corona-Pandemie über zahlreiche Sonderreglungen in der ambulanten Versorgung. Hierzu gehören auch die Videosprechstunden, die hinsichtlich Fallzahl und Leistungsmenge weiter unbegrenzt in der ambulanten Versorgung angeboten werden können. Diese Sonderregelungen wurden zuletzt im Dezember 2020 für weitere drei Monate verlängert und gelten nun zunächst mindestens bis zum 31. März 2021. Video-Sprechstunde müssen jedoch zunächst bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) anzeigt werden, die im Rahmen der Corona-Pandemie in der Regel ein unbürokratisches Verfahren zur Anmeldung anbieten [15]. Die Verfahren hier sind regional unterschiedlich und können über die zuständige KV erfragt werden, eine gute Übersicht bietet hier die KBV auf ihrer Homepage.
Die Abrechnung der Videosprechstunde über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) ist seit dem 01. April 2017 möglich und wird über die übliche Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale vergütet [16]. Zusätzlich kann ein Technikzuschlag GOP 01450 (40 Punkte/4,45 Euro) abgerechnet werden, dieser ist auf maximal 1899 Punkte (205,52 Euro) gedeckelt. Im Rahmen der Anschubfinanzierung können Arztpraxen ebenso die GOP 01451 (92 Punkte/10,23 Euro) ansetzen, wenn die Praxis mindestens 15 Sprechstunden im Quartal durchführt. Diese Ziffer ist auf 50 Videosprechstunden pro Quartal begrenzt und gilt seit dem 01.10.2019 für zwei Jahre. Weiterhin existiert bis zum 30.09.2021 befristet die GOP 01444 (10 Punkte/1,11 Euro). Diese soll dem zusätzlichen Aufwand des Praxispersonals für die Authentifizierung neuer Patienten Rechnung tragen, wenn die persönlichen Stammdaten aufgrund der virtuellen Vorstellung des Patienten nicht über die elektronische Gesundheitskarte automatisiert erfasst werden können. Insgesamt wird die Pauschale neben den möglichen Zuschlägen in voller Höhe gezahlt, wenn im selben Quartal noch ein weiterer persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat. Wird der Patient in dem Quartal nicht mehr persönlich vorstellig, ist wie zum Beispiel in der Chirurgie ein Abschlag von 25 Prozent vorzunehmen. In der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) liegt, insbesondere in der momentanen Pandemiephase, eine vergleichbare Situation vor. Hier sind allerdings nur die Ziffern 01450 und 01444 zusätzlich abrechenbar. Ob diese Möglichkeit der Abrechnung in Zukunft bestehen bleibt, ist abzuwarten.
Fazit
Es besteht kein Zweifel. Telemedizinische Angebote mit Schwerpunkt der Video-Sprechstunden werden in absehbarer Zukunft fester Bestandteil in der Kommunikation Arzt-Patient sein und diese auch nachhaltig verändern. Dabei ist auch klar, dass nicht alle Bereiche des persönlichen Kontaktes in der Chirurgie für dieses Medium zugängig sind. Gegenwärtig ist die Nachfrage zur Nutzung der online-Sprechstunden von Arzt- und von Patienten-Seite noch überschaubar, auch wenn die aktuelle Pandemie die Bereitschaft deutlich erhöht hat. Hardware und Software zur Implementierung einer solchen Online-Sprechstunde sind auch für nicht IT-affine Chirurgen gut umzusetzen. Am Wichtigsten erscheint, die hohen Auflagen des Datenschutzes zu kennen und bei Praktizierung zu beachten. Die KBV hat alle Vorrausetzungen zur Abrechnung dieser ärztlichen Leistung geschaffen. Deshalb – alle Chirurg:innen, die das Zeitmanagement ihres klinischen Alltags optimieren möchten, sollten diese Möglichkeit nutzen und den Einstieg in diese neue Medium wagen.
Literatur
[1] https://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/telematiktelemedizin/telemedizin/
[2] Koehler F, et al.. Efficacy of telemedical interventional management in patients with heart failure (TIM-HF2): a randomised, controlled, parallel-group, unmasked trial. Lancet 2018, https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)31880-4
[3] Gemeinsamer Bundesausschuss, Pressemitteilung und Beschluss von 17. Dezember 2020, www.g-ba.de
[4] Deutsches Ärzteblatt 2018, Jg.115, Heft 15, Seite A684 ff.
[5] Deutsches Ärzteblatt 2019, Jg. 116, Heft 9, Seite 420 ff; Zitat 3 und 4.
[6] Eichenberg C, Hübner L. Psychoanalyse via Internet: Ein Überblick zum aktuellen Stand der Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen. Psychotherapeut 2018, 63(4): 283-90. DOI: 10.1007/s00278-0180294-0
[7] Eichenberg C. Trendwende in der Online-Psychotherapie. DÄB 06/2020, Seite 255 ff.
[8] https://www.bundesaerztekammer.de/recht/berufsrecht/muster-berufsordnung-aerzte/muster-berufsordnung/
[9] https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Recht/HinweiseErlaeuterungenFernbehandlung.pdf
[10] https://www.bundesaerztekammer.de/recht/publikationen/fragenkatalog/
[11] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/digitale-versorgung-gesetz.html
[12] https://www.kbv.de/html/videosprechstunde.php
[13] Katzenmeier C, DÄB 2019, Jg.116 Heft 15, Seite A728
[14] www.kbv.de: Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zur Videosprechstunde gemäß § 291g Absatz 4 SGB V vom 21. Oktober 2016 in der Fassung vom 27. Juli 2020 / Anlage 31b zum Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä)
[15] Verfahren zur Anzeige der Videosprechstunde bei der KV (Stand: 06.04.2020) https://www.kbv.de/media/sp/Anzeige_Videosprechstunde-KV.pdf; Kassenärztliche Bundesvereinigung 2020
[16] Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM), Stand: 1. Quartal 2021, KBV; Kassenärztliche Bundesvereinigung, Berlin 2021
Schröder W, Urbanski A: BDC-Praxistest: Video-Sprechstunden in der Chirurgie. Passion Chirurgie. 2021 Mai; 11(05): Artikel 05_01.
AUS DER KLINIK
Interview mit DR. MED. MAXIMILIAN ANHEIER 1. Das vorher wenig bespielte Spielfeld des Online-Kontaktes hat durch die Pandemie einen großen Schub erhalten. Ich sehe das nur positiv, weil so ein einfacher und schneller Kontakt zu Patienten möglich ist.
2. Ich glaube nicht, dass sich die Arzt-Patienten-Beziehung verändern wird. Und falls doch, dann eher zum guten, weil durch die Digitalisierung ein schneller und persönlicher Kontakt herzustellen ist. Sicher gibt es auch Dinge, die nicht in den digitalen Bereich gehören. Zum einen die Dinge, die digital schlicht nicht machbar sind, wie eine eingehende klinische Untersuchung aber sicher auch die Besprechung eines Befundes mit deutlichen Konsequenzen für den Patienten wie beispielsweise das Überbringen einer Krebs-Diagnose. Aber ist hier das erste Gespräch persönlich und nicht digital geführt, so können Folgegespräch dann ggf. auch digital erfolgen. 3. Echter Fortschritt! Ich hoffe, dass auch nach der Pandemie weiter Online-Sprechstunden angeboten werden. Man kann online viele Fragen beantworten, Befunde und Bilder demonstrieren, ggf. sogar Wunden betrachten. Und falls es am Ende in der Online-Begutachtung unklar bleibt, so kann der Patient ja dann immer noch persönlich in die Klinik kommen. |
AUS DER KLINIK
Interview mit PROF. DR. MED. WOLFGANG SCHRÖDER, FACS, FEBS 1. Ich kann hier nur über erste Erfahrungen berichten, die aber durchgehend positiv sind. Wir nutzen Video-Sprechstunden im UK Köln in unserem hochspezialisierten Zentrum für Ösophagus- und Magenchirurgie, das onkologische Patient:innen aus ganz Deutschland zugewiesen bekommt. Wir haben die Sprechstunden in Kooperation mit dem Zentrum für integrierte Onkologie (CIO) nach der ersten Pandemie-Welle eingerichtet. Was vorher schon lange in der Planung war, wurde jetzt in der Not zügig umgesetzt. Aber nur durch die Video-Sprechstunde war es möglich, den vielen Patienten weiterhin den Kontakt zu unserem Zentrum zu ermöglichen. Als weiterer, großer Vorteil erwies sich auch, dass online alle Angehörige teilnehmen konnten, denen sonst aufgrund der Kontaktverbote der Zugang zum Sprechzimmer verwehrt geblieben wäre. Außerdem freuen sich wirklich viele Patienten und Angehörige, dass ihnen die langen Anfahrtswege erspart bleiben. Am Ende der Online-Sprechstunde rechnen wir für alle Patienten die nicht-gefahrenen Kilometer zusammen. Gerade für onkologische Patient:innen, die überregional versorgt werden, in ein multimodales Therapiekonzept eingebunden sind und sich an verschiedenen Eckpunkten der Therapie immer wieder vorstellen müssen, ist dieses online-Medium doch eine große Erleichterung. Bei uns wird diese innovative Variante der Arzt-Patienten-Kommunikation gut angenommen. 2. Viele paramedizinische Berufe ohne direkten Patientenkontakt verbreiten das Credo, dass die Arzt-Patienten-Beziehung wegen der unaufhaltsamen Spezialisierung in der Medizin von einer Service-orientierten Leistung lebt, die der/die beratende und behandelnde Arzt/Ärztin unter ökonomischen Gesichtspunkten zu erbringen hat. In diesem Konzept hat die zunehmende Digitalisierung die alleinige Aufgabe, die Effizienz der Leistungserbringer zu steigern. Das mag für Teilbereiche der Medizin zutreffen, aber die meisten Patienten haben eine abweichende Vorstellung von der Beziehung zu ihrem/r Arzt/Ärztin. Digitale Kontaktformen bleiben von Patientenseite willkommen, aber nur solange der eigentliche Ur-Kern der Arzt-Patienten-Beziehung unangetastet bleibt. Dieser Kern ist das grundlegende, häufig unausgesprochene Vertrauen in eine kompetente und emphatische Behandlung. Ist diese Basis gelegt, läuft Kommunikation auch digital. 3. Online-Sprechstunden sind grundsätzlich nur ein weiteres Tool, das gegenwärtig auch lediglich einen sehr kleinen Teil der Arzt-Patienten-Kommunikation bedient. Doch der Trend in diese Richtung ist in der Digitalwelle nicht mehr umzukehren. Wir erwarten, dass dieses Medium noch größere Teile der Arzt-Patienten-Kommunikation erobern wird. Zu offensichtlich sind die Vorteile in einer digitalisierten Welt, die in vielen Bereichen doch schon ausschließlich digital kommuniziert. Die Akzeptanz ist gegenwärtig noch stark vom Patientenalter abhängig und so wird wohl erst eine spätere Generation die Online-Sprechstunde als ihr zentrales Medium der Arzt-Patienten-Kommunikation besetzen. Aber so wird es kommen. |
AUS DER NIEDERLASSUNG
Interview mit DR. HANS-JÜRGEN BECKMANN 1. Die aktuellen Zahlen der KV Westfalen Lippe verdeutlichen, dass viele, alte Argumente gegen die Durchführung von Videosprechstunden mit Beginn der Corona Pandemie nicht mehr zu halten sind. Der Gesetzgeber hatte bereits 2019 die Möglichkeit geschaffen, Videosprechstunden abzurechnen und das zu durchaus akzeptablen Honoraren. Trotzdem wurden im vierten Quartal 2019 im gesamten Versorgungsgebiet nur insgesamt 320 Videosprechstunden zur Abrechnung gebracht. Mit Beginn der Corona Pandemie stiegen die Nutzerzahlen aber exponentiell an, sodass zum Ende des zweiten Quartals 2020 bereits 100.000 Video-Sprechstunden an die KV gemeldet wurden. Ein ähnliches Bild bietet das Bundesgebiet mit mehr als 1,2 Millionen Videosprechstunden für den gleichen Zeitraum. Obgleich wir in Bünde schon seit 2015 in verschiedensten Szenarien Vorteile und Zugewinn durch Videosprechstunden erprobt, evaluiert und publiziert haben, konnte erst das einschneidende Ereignis der Pandemie die Kollegen:innen von der einfachen und sinnstiftenden Anwendbarkeit zu überzeugen. 2. Die Arzt-Patienten-Beziehung wird sich genauso ändern, wie unsere normale Kommunikation sich bereits geändert hat. Im Aufenthaltsraum meiner Praxis versenden die Mitarbeiter in der Pause eher Nachrichten über das Handy statt miteinander zu reden. Das ist eine nachhaltige Verhaltensänderung. In den letzten Jahren habe ich im Rahmen von Präsentationen viele Diskussionen mit Gegnern von Videosprechstunden geführt. Diese Diskussionen waren oft dann beendet, wenn ich darauf hinwies, dass man z. B. mit Kindern im Ausland auch per Skype oder Whats-App kommuniziere und vertrauliche familiäre Informationen über die Internet-Kanäle teile, die in ihrer hinsichtlich Datensicherheit mit ärztlichen Videosprechstunde überhaupt nicht zu vergleichen sind. 3. Aus meiner Sicht stellt die Videosprechstunde erst den Anfang einer neuen Arzt-Patienten-Beziehung und damit auch einer komplett neuen Form der Patientenuntersuchung und -beurteilung ist. Bereits in unserem ersten Videoprogramm, elVi®, hatten wir Schnittstellen programmiert, die etwa die Fernableitung von EKGs oder die Übertragung von Temperatur und Sauerstoffspannung im Blut möglich machen. Die Zeit war aber 2015 dafür noch nicht reif. Patient:innen und Ärzt:innen mussten sich erst an den Umgang mit der Videosprechstunde selbst gewöhnen. Meiner Meinung nach ist es aber überhaupt keine Frage mehr, dass diese Zusatzfunktionen zukünftig an die Videosprechstunde angedockt werden. Und auch wegen Corona, können doch viele potentiell riskante Besuche in überfüllten Praxen und Krankenhäusern durch die Videosprechstunde vermieden werden. Das Unternehmen Teleclinic etwa bietet bereits 14 verschiedene Selbsttests für zu Hause an, deren Ergebnisse dann per Videosprechstunde mit den Ärzten der Teleclinic besprochen werden können. Der Schritt zur sensorbasierten Messung und Übertragung von Körperdaten ist dann nur noch logisch. Erst vor kurzem las ich über sog. „Biopads“, deren technischer Reifegrad mittlerweile die Messung verschiedener Blutwerte durch die Haut zulässt. Warum soll man diese Messwerte gerade bei bekannten Patient:innen nicht per Videosprechstunde erörtern? Und ein letztes von noch vielen möglichen Beispielen: Mit Beginn der Corona Pandemie wurde im März 2020 das „Virtuelle Krankenhaus NRW“ eröffnet, um kleineren Krankenhäusern die Möglichkeit zu geben, schwere Verläufe der Virusinfektion mit den Universitätskliniken Aachen, Münster und Essen per Videoschaltung zu diskutieren. Mehr als 2.000 videogestützten Konsile dieser Art wurden seitdem abgehalten. Schneller und unmittelbarer kann es doch nicht gehen! Ich bin ganz davon überzeugt, dass wir uns auf weitere Digitalisierung bei Diagnose und Patientenbesprechungen einstellen müssen, und das ist auch nicht negativ. Gerade die junge Generation möchte für ein fünfminütiges Gespräch nicht mehr weite Wege zurückzulegen und viel Zeit zu opfern, wenn sie auf der anderen Seite Bankgeschäfte und Besprechungen mit Anwälten oder Steuerberatern online erledigen kann. Die Videosprechstunde und Digitalisierung stellen einen echten Fortschritt. Man sollte es einfach einmal ausprobieren. |
Autoren des Artikels
Prof. Dr. med. Wolfgang Schröder
Mitglied im erweiterten Vorstand des BDCLeiter der BDC|AkademieLeiter Zentrum für Speiseröhren- und MagenchirurgieHELIOS Universitätsklinikum Wuppertal kontaktierenDr. Alexander Urbanski
Leiter ÖkonomieKlinik für Allgemein-, Viszeral-, Tumor- und TransplantationschirurgieUniversitätsklinik KölnWeitere Artikel zum Thema
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