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Vorwort – Sie haben Post!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Sie haben Post!“ Diesen Klassiker von AOL aus dem Jahr 2012 kennen sicherlich die meisten. Dagegen den 14. Juni 2024 vielleicht nicht jeder. An diesem Tag haben alle Krankenhäuser in NRW die Benachrichtigungen des MAGS bzgl. der Leistungsgruppen-Zuteilung im Rahmen der zukünftigen Krankenhausplanung erhalten.

Und was Laumann kann, das kann natürlich Lauterbach mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) allemal. Im Gegenteil, jetzt sind es nicht nur 60, sondern 65 Leistungsgruppen, die auf den Weg gebracht werden sollen.

Natürlich kann man diese bundesweiten Reformpläne aus unterschiedlicher Sicht betrachten, wie z. B. vor dem Hintergrund des chronischen Fachkräftemangels oder der aktuellen Weiterbildungsordnung. Aber auch mit dem „juristischen Auge´“ sollten die Reformpläne sorgfältig betrachtet und eventuelle Auswirkungen definiert werden.

Entsprechend freuen wir uns, dass Herr Rechtsanwalt Steinhäuser uns im folgenden Beitrag einen aktuellen Überblick zu dieser Thematik gibt.

Erhellende Lektüre wünschen

Prof. Dr. med. C. J. Krones

und

Prof. Dr. med. D. Vallböhmer

Weg von einer Bettenplanung und hin zu einer Leistungsgruppensystematik. So war zumindest einer der zentralen Gedanken im Rahmen der Krankenhausreform. Durch die Leistungsgruppen sollte der regionale Versorgungsbedarf der Bevölkerung sowie die landeseinheitlichen Qualitätskriterien sorgfältig und angemessen berücksichtigt werden. Doch was nun? Ist die Leistungsgruppenzusage futsch?

Hierzu sollte man zumindest den aktuellen Stand der Krankenhausreform genauer unter die Lupe nehmen. Diese setzt sich im Kern im ersten Schritt aus dem am 28.03.2024 in Kraft getretenen Gesetz zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz (Krankenhaustransparenzgesetz) und im zweiten Schritt wesentlich durch das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz „KHVVG“), für das am 27.06.2024 die erste von drei Lesungen im Bundestag stattfand, zusammen.

Ziel der Reform ist die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuer, die sich in den letzten Jahren wegen Mängeln des Finanzierungssystems massiv verschlechtert hat, zu verbessern. Zumindest kann ein solches Versagen nicht von der Hand gewiesen werden, wenn fast 80 Prozent der Krankenhausstandorte dauerhaft rote Zahlen schreiben. Doch kann die aktuelle Reform diesem Vorhaben gerecht werden?

Das Verlangen nach einer finanziellen Sicherung und dadurch Sicherheit der Versorgungsstrukturen unter Berücksichtigung der Morbidität der Gesellschaft und der Entbürokratisierung wurde von vielen Stimmen deutlich geäußert. Besonders viel erhofften sich die Akteure von den Leistungsgruppen, die sich an dem Modell aus Nordrhein-Westfalen orientieren sollten. Umso größer scheint die Enttäuschung, dass das Bundesgesundheitsministerium gerade dieses Modell eher oberflächlich im Referentenentwurf des KHVVG vom 15.05.2024 berücksichtigt hat. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft betont in der aktuellen Stellungnahme vom 30.05.2024, dass die notwendigen und geforderten Reformbedürfnisse in dem Referentenentwurf deutlich hinter den Erwartungen der Krankenhäuser zurückliegen.

Bereits im Juli 2023 konnten Bund und Länder eine Einigung dahingehend erzielen, dass die Krankenhausplanung nach dem Vorbild NRW und somit bundeseinheitlichen Leistungsgruppen erfolgen soll. Diese Leistungsgruppen wurden nicht im Alleingang von oben herab verordnet, sondern es wurde nach intensiver Beteiligung der Landesverbände der Krankenkassen, der kommunalen Spitzenverbände, der Ärzte- und Pflegekammer, der Krankenhausgesellschaft sowie weiterer ein gemeinsames System entwickelt. Dieses beinhaltet zudem in regelmäßigen Abständen Auswirkungsanalysen, nach denen dann gegebenenfalls weitere Anpassungen vorzunehmen sind. Die Allgemeinen Gruppen ergeben sich insbesondere aus der Weiterbildungsordnung für Ärztinnen und Ärzte. Die spezifischen Leistungsgruppen richten sich nach den Operationen- und Prozedurenschlüsseln nach § 301 SGB V, der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) und anderen geeigneten Merkmalen, wie zum Beispiel dem Alter der Patientinnen und Patienten.

Die Leistungsgruppen und die an sie gestellten Qualitätskriterien werden in Anlage 1 zu dem durch das KHVVG neu einzuführenden § 135e SGB V aufgeführt. Dabei orientierte sich das Bundesgesundheitsministerium zwar an dem Modell aus NRW 2022, aber zusätzlich zu den sechzig Leistungsgruppen aus NRW fügte es fünf weitere Leistungsgruppen hinzu und stellte erhebliche Mindestanforderungen auf. Diese Qualitätsanforderungen richten sich nach dem neu durch das KHVVG einzuführenden § 135e Abs. 1 Nr. 2 SGB V und richten sich nach der Erbringung verwandter Leistungsgruppen, der sachlichen Ausstattung, personellen Strukturen und sonstigen Struktur- und Prozesskriterien. Die zusätzlichen fünf eingeführten Leistungsgruppen wurden unter Berücksichtigung der Vorschläge aus medizinisch wissenschaftlicher Sicht der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) im Zuge des Eckpunktepapiers vom 10.07.2023 eingeführt. Die Leistungsgruppen selbst als auch die an sie gestellten Qualitätskriterien sollen grundsätzlich den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse berücksichtigen und zu einer leitliniengerechten, qualitativ hochwertigen und für Patienten sicheren medizinischen Versorgung beitragen. So heißt es zumindest in der Begründung zu dem KHVVG. Was jedoch bei genauer Betrachtung der Anforderungen direkt ist Auge fällt, sind die Vielzahl an interdisziplinären Verbindungen und auch die Notwendigkeit bestimmte Kooperationen abschließen zu müssen. Die Qualitätsvoraussetzungen werden in personelle und sachliche Voraussetzungen eingeteilt und es werden sowohl kumulative als auch alternative Voraussetzungen aufgelistet. Für den Leistungsort der Kooperation kommt es auf den Ort an, der durch Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Leistungsort festgelegt wird.

Nach Ansicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft sind die neu eingeführten Leistungsgruppen weder im Einklang mit der Weiterbildungsordnung noch mit den möglichen zur Verfügung stehenden Ressourcen. Diese Problematik gibt sich auch weiter, wenn man die Qualitätsvoraussetzungen für die einzelnen Gruppen betrachtet. In der Regel wird eine feste Anzahl von Ärzten vorausgesetzt. Diese scheint geradezu willkürlich. Dabei ist ebenfalls davon auszugehen, dass mit der Anzahl der genannten Ärzte auch lediglich solche gemeint sein können, die im Umfang von 40 Wochenstunden tätig sind. Der aktuelle Fachkräftemangel scheint komplett unberücksichtigt geblieben zu sein, wenn man sich die personellen Voraussetzungen der einzelnen Leistungsgruppen ansieht.

Die hinter der Einführung der Leistungsgruppen in NRW stehenden Überlegungen finden sich hier gerade nicht wieder. Zudem werden teilweise kleine Leistungsgruppen wie etwa die „chirurgische Onkologie“ an die Zahl der vorzuhaltenden Fachärztinnen und Fachärzte geknüpft, ohne dabei derzeitige Versorgungsstrukturen abzuschätzen. Die Mindestvorhaltezahlen führen lediglich dazu, dass in Zukunft den Krankenhäusern ein wichtiger Anteil ihrer Finanzierung entfällt und das nur, weil ein bestimmter sowieso schon kleiner Fachbereich nicht mit im Einzelfall aufgrund von Spezialisierungen größer angelegten Fachbereichen mithalten kann. Zudem stellt das ganze Verfahren einen erheblichen bürokratischen Aufwand dar.

Nach dem durch das KHVVG neu einzuführenden § 6a Absatz 1 KHEntgG erfolgt bei Vorliegen der Qualitätsmerkmale die Festsetzung mit Feststellungsbescheid durch die zuständige Landesbehörde. In Absatz 2 Satz 1 heißt es weiterhin, dass das Krankenhaus jeweils vor Zuweisung den Nachweis die sachlich und personellen Qualitätsmerkmale nachzuweisen hat. Bei notwendiger Auswahl mehrerer Krankenhäuser entscheidet die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde, wonach die Ziele besser erreicht werden können. Daraus ergibt sich, dass auch wenn ein Krankenhaus aktuell eine bestimmte Abteilung besetzt, dies nicht zwingendermaßen nach den nun neu festgelegten Leistungsgruppen gilt. Zudem kann eine Überprüfung der Leistungsgruppe durch den Medizinischen Dienst erfolgen. Ein Anspruch auf Zuweisung einer Leistungsgruppe besteht allerdings nicht. Dabei ist die Vorstellung, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Schließung ihres Krankenhauses gesichert in das nächstgelegene Krankenhaus wechseln, nicht belegt und realitätsfremd.

Weitere Probleme ergeben sich unter Berücksichtigung daher insbesondere für kleinere Krankenhäuser und Krankenhäusern in dünnbesiedelten Gegenden. Die besonders umfangreichen Anforderungen werden kleinere Kliniken mit dem dazukommenden Personalmangel kaum erfüllen können. Insbesondere wenn man bedenkt, dass zwar die Qualität auf höchstem wissenschaftlichem Stand, so heißt es in der Begründung des KHVVG, umgesetzt werden soll, der Start jedoch aus einem bereits finanziell überwiegend defizitären Bereich erfolgt. Insofern ist auch die sachliche Ausstattung kaum in kurzer Zeit anzupassen, während andere Bereiche nutzlos werden, in denen womöglich noch laufenden Finanzierungen bestehen. Zuletzt kann sich die erhoffte finanzielle Sicherheit nur Schall und Rauch erweisen, da die Vorhaltefinanzierung zwar 60 Prozent der Finanzierung ausmachen soll, die restliche Finanzierung sich jedoch letztlich auch wieder über die Anzahl von Fällen bestimmt. Insofern kann kaum von einer Verbesserung durch Wegkommen von „Betten“ die Rede sein, da hieraus ein wesentlicher Teil der Finanzierung des Krankenhauses resultiert. Insofern ändern sich zumindest 40 Prozent der Finanzierung rein tatsächlich nicht oder bleiben jedenfalls unsicher.

Eine Frage ist weiter, wie vor allem mit solchen Ärzten mit doppelten Facharztweiterbildung und solchen Ärzten, die in besonders speziellen Gebieten tätig sind, umzugehen ist. Zum Beispiel ist der Fachbereich „Allgemeine Chirurgie“ offen und umfangreich. Die Ärzte müssen nun in gewisser Weise taktisch Leistungsgruppen zugeordnet werden. Zudem werden kleine Fachbereiche kaum bis gar nicht abgebildet und letztlich durch die Mindestvorhaltezahlen wieder aussortiert. Es obliegt daher der Klinikleitung und dem Klinikmanagement, sich hier Ausgestaltungen zu überlegen und bestmöglich so zuzuordnen, wie es im Rahmen der fachärztlichen Bildung und vertretenen Leistungsgruppen im Krankenhaus möglich ist. Die Weiterbildungsordnung sollte dabei zudem nicht zu kurz kommen. Auch wenn diese im Rahmen der Krankenhausreform kaum aufgegriffen wurde, zumal die ärztliche Weiterbildung ohnehin verfassungsrechtlich der Zuständigkeit der Länder unterliegt. Wobei aktuell ad absurdum zum Beispiel in der Leistungsgruppe „Allgemeine Chirurgie“ besondere Schwerpunktbereiche tätig sein dürfen, jedoch die Weiterbildung nur in der Allgemeinen Chirurgie umgesetzt werden darf.

Im Kontext der taktischen Planung, die nun primär die Klinikleitung und sekundär den Chirurgen trifft, müssen unbedingt Kooperationen bedacht werden. Deren Einführungen grundsätzlich begrüßt werden, wenngleich es teils noch an konkretisierenden Regelungen fehlt und sich sozialversicherungsrechtliche Themen ergeben werden.

Weiter offen bleibt, wie mit den Geräten umgegangen werden soll, die in laufender Finanzierung sind, wenn die Leistungsgruppe nicht in dem Krankenhaus festgelegt wird. Das finanzielle Ausmaß scheint lediglich in der nun fünfjährigen Übergangsphase eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Möglicherweise kann eine außerordentliche Kündigung erwirkt werden, die rechtlichen Möglichkeiten sind jedoch sehr vom Einzelfall abhängig.

Besondere Sorge besteht aktuell zudem, was die Grund- und Notfallversorgung im ländlichen Raum anbelangt. Hier gibt es nach vielen Stimmen zum Teil einen besonders akuten Fachpersonalmangel, sodass die Annahme naheliegt, dass nunmehr eine Verschlechterung statt einer Verbesserung der Versorgung aufgrund der Umstrukturierung eintreten wird.

Die zuständigen Landesbehörden können Leistungsgruppen trotz fehlender Qualitätskriterien im Ausnahmefall erteilen, wenn dies zur Sicherung der flächendeckenden Versorgung der Patienten notwendig ist. Eine solche Sicherung ist nach der Vorstellung des Bundesgesundheitsministeriums notwendig, wenn die Allgemeinmedizin und Allgemeine Chirurgie nicht innerhalb von 30 Minuten mit einem Kfz und für die anderen Leistungsgruppen innerhalb von 40 Minuten mit einem Kfz erreichbar sind. Dagegen wurde sich im öffentlichen Diskurs ausgesprochen, jedoch ist eine solche Ausnahmeregelung notwendig, damit die Grundversorgung in ländlichen Bereichen gesichert ist oder gesichert werden kann. Die konkrete Ausgestaltung bleibt aktuell abzuwarten. Die Landesbehörde kann daher nach ihrem Ermessen entscheiden, in welchem Krankenhaus die Ausnahmeregelung angewandt wird und in welchem Krankenhaus nicht. In den Übergangsjahren ist nicht darauf zu bauen, dass einem Krankenhaus eine Ausnahme genehmigt wird, sondern die Geschäftsführung gemeinsam mit den Ärztinnen und Ärzten aktiv an der Erfüllung der Qualitätskriterien arbeiteten. Und dennoch ist zu berücksichtigen, dass die Landesbehörde selbst bei Erfüllung der Qualitätskriterien der Zuweisung der Leistungsgruppe widersprechen kann.

Im Zweifel steht dem Krankenhaus der Verwaltungsrechtsweg gegen den Feststellungsbescheid der Leistungsgruppe offen oder ggf. der Sozialrechtsweg gegen das in § 135e Abs. 3 SGB V neu eingeführte Gremium.

Zusammengefasst ist daher festzuhalten, dass sich das Bundesgesundheitsministerium bei dem Entwurf des KHVVG im Kern nur bei der Benennung der sechzig Leistungsgruppen an dem NRW-Modell orientiert hat. Diese Abweichung findet besonders starke Ablehnung, da zumindest nach Ansicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft und auch einiger Länder dadurch unnötige Versorgungsengpässe forciert werden. Für die unnötig hohen Qualitätsanforderungen der Leistungsgruppen und die zusätzlich eingeführten Leistungsgruppen ergibt sich nach aktuellem Stand keinerlei Notwendigkeit. Viel eher hätte nach einer Einführungsphase von zwei Jahren des strengen NRW-Modells eine Analyse stattfinden können und es hätten weitere Gruppen oder Voraussetzungen festgelegt werden können. Durch das aktuelle Vorhaben streut das Bundesgesundheitsministerium in gewisser Weise Salz in die offene Wunde und verfehlt letztlich die eigene Zielsetzung.

Nach der aktuellen Planung soll ab dem Jahr 2029 das KHVVG komplett implementiert sein. Nach einer zweijährigen Eingangsphase folgt eine zweijährige Konferenzphase. Die Zuweisung der Leistungsgruppen soll innerhalb der Anfangsphase bis Ende des Jahres 2026 erfolgen.

Derzeit befindet sich das KHVVG noch im Gesetzgebungsprozess. Bereits nach der ersten Lesung im Bundestag erfolgte die Streichung einiger Passagen, sodass mit weiteren Änderungen zu rechnen ist. Es bleibt spannend, wie es am Ende des Gesetzgebungsprozesses um die Leistungsgruppen steht und ob die Länder entgegen der Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums dem KHVVG zustimmen müssen.

René T. Steinhäuser

Rechtsanwalt

Rechtsanwälte Wigge

Großer Burstah 42

20457 Hamburg

[email protected]

Gesundheitspolitik

Steinhäuser RT: BDC-Praxistest: Leistungsgruppe futsch – Aus die Maus?. Passion Chirurgie. 2024 Juli/August; 14(07/08): Artikel 05_01.

Diesen und weitere Artikel zum Thema finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Politik.

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