Eine Rekonstruktion des Qualitätsbegriffs in der Chirurgie
„Das Personal ist streng angewiesen, jeden Gast zufriedenzustellen.“ Dieser Satz war im Jahre 1930 in einem kleinen Cafe im Berliner Westen auf allen Getränkekarten aufgedruckt.
Auf die heutige Zeit und die Chirurgie übertragen könnte dieser Satz lauten:
„Die Chirurgen werden von der Bundesregierung streng angewiesen, jeden Patienten mit guter Qualität zufriedenzustellen.“
Während der letzten Monate wurde in den Medien, in der Politik und in Fachverbänden über die Mengenausweitung insbesondere bei operativen Eingriffen ausführlich diskutiert. Ein Grund dafür ist, auch nach Ansicht von vielen Experten, das derzeitige Vergütungssystem für die erbrachten Leistungen der Kliniken. Statt dieses Vergütungssystem grundsätzlich in Frage zu stellen und neu zu ordnen, soll es eine Qualitätsoffensive geben. Die griffige Kurzformel lautet aktuell: „Qualität statt Quantität“. Dagegen hat niemand etwas, das klingt gut. Dementsprechend findet sich diese Forderung in unterschiedlichen Varianten in dem Teil des Koalitionsvertrages, der sich mit unserem Medizinsystem beschäftigt.Die Forderung nach mehr Qualität impliziert, dass die Qualität bisher nicht ausreichend war und dass die bisherigen Strukturen nicht für eine gute Qualität gesorgt haben. Es braucht also, nach Einschätzung der Bundesregierung, Sanktionen, damit sich die Qualität verbessert. Diese Sanktionen sind im konkreten Fall finanzieller Art. Es gab und gibt schon lange einen Qualitätswettbewerb. Der, aus welchen Gründen auch immer, unzufriedene Patient, wird das Krankenhaus nach schlechten Erfahrungen nicht mehr aufsuchen und auch nicht weiterempfehlen. Auch der Arzt, bei dem sich die Klagen der Patienten über ein Krankenhaus häufen, wird mit Empfehlungen für dieses Krankenhaus zurückhaltend sein.
Was ist Qualität?
„Eine Qualität, von lat. qualitas, Beschaffenheit, bezeichnet eine Eigenschaft von Gegenständen, die eine Angabe wie (griech. poion) der jeweilige Gegenstand der Rede oder das Ding ist. […] Manchmal gebraucht man das Wort ‚Qualität‘ auch in einer engeren, wertenden Bedeutung, nämlich im Sinne von ‚positiver Eigenschaft‘, etwa wenn man von den Qualitäten einer Person oder einer Institution, eines Gesetztes, einer Erfindung oder eines Geräts, eines Kunstwerks oder Künstlers spricht.“[2]
Im heutigen Sprachgebrauch ist Qualität immer etwas Gutes. Gegen Qualität hat niemand etwas, es sei denn, man spricht explizit von schlechter Qualität. Hier ein Zitat aus dem Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung:
„Gut heißt: Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, nach dem neuesten medizinischen Stand und in bester Qualität behandelt zu werden. In einer Qualitätsoffensive werden wir die Qualität der stationären Versorgung verbessern.“[3]
Man könnte den Satz auch anders formulieren, ohne dabei den Inhalt zu verändern:
„Gut heißt: Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, gut behandelt zu werden. In einer Offensive für das Gute wollen wir das Gute weiter verbessern.“ („Besser“ ist der Komparativ von „Gut“)
Die Qualität im Medizinsystem spielt im Koalitionsvertrag der Bundesregierung eine zentrale Rolle. Immerhin wird der Begriff „Qualität“ auf den drei Seiten, die das Krankenhaus betreffen, 25mal erwähnt. [4]
Gute Qualität soll dann auch finanziell belohnt werden, insbesondere die Qualität, die von den unterschiedlichen Krankenhäusern erbracht wird. Da dieses Vorhaben mit großer Wahrscheinlichkeit unser ärztliches Handeln beeinflussen wird, erscheint es mir notwendig, eine Diskussion über dieses „Qualitätsparadigma“ zu führen. Im Folgenden möchte ich die Diskussion vor allem aus Sicht eines Chirurgen führen.
Vorbemerkungen
Es war und ist eine genuin ärztliche Aufgabe, sich um die Verbesserung (heute würde man sagen „die Qualität“) der diagnostischen und therapeutischen Methoden zu kümmern. Selbstverständlich steht dabei der erkrankte oder hilfesuchende Mensch im Mittelpunkt.
Die Verbesserung der diagnostischen und therapeutischen Methoden war schon immer Gegenstand des wissenschaftlichen Arbeitens innerhalb der Medizin. Verbesserung bedeutet, Methoden zu finden, die den bereits vorhanden überlegen sind. Dabei stellt sich häufig die Frage: „Was bedeutet überlegen?“ Diese ist im Einzelfall nicht einfach zu beantworten. Als Beispiel sei hier die Entwicklung von Chemotherapeutika genannt. Durch den Einsatz solcher Therapeutika kann das Fortschreiten einer bösartigen Erkrankung verzögert werden, aber unter Umständen mit vielen Nebenwirkungen für den Erkrankten. Die zunächst vermutete Verbesserung stellt sich dann bei genauem Hinsehen als Verschlechterung heraus. Dies zu bewerten, abzuwägen und dann konkrete Handlungsempfehlungen zu geben, ist auch Gegenstand medizinischer Forschung.
Worum geht es bei der „Qualitätsoffensive“?
Die Ergebnisse ärztlichen Handelns sollen gemessen, bewertet und sanktioniert werden. Chirurgische Handlungen sind im Wesentlichen zwei zentrale Handlungen: Die Indikation und der operative Eingriff. (Andere Handlungen wie Ausbildung, Gespräche mit Patienten und Angehörigen, Kommunikation mit anderen Kollegen usw. sollen hierbei nicht betrachtet werden.)
Bei der Indikation entscheidet der Chirurg, ob eine Operation durchgeführt wird oder nicht. Eine klassische Ja-/Nein-Entscheidung.
Ist diese für eine Operation getroffen, muss aber weiterhin folgendes entschieden werden:
- Wer führt die Operation durch?
- Wann wird die Operation durchgeführt?
- In welchem Krankenhaus soll die Operation durchgeführt werden?
Dies gilt sowohl für die planbaren (elektiven) als auch nicht planbaren (Notfall) operativen Eingriffe. Der Einfachheit halber möchte ich diese Handlungen als „Präoperative Handlungen“ zusammenfassen. Die sogenannte Qualitätsoffensive wird sich direkt und indirekt auf diese auswirken. Auch hierbei würde auf den ersten Blick niemand, vor allem keiner der patientenfernen Theoretiker, etwas dagegen einwenden wollen. Aber wie immer lohnt es sich auch hier, etwas genauer hinzusehen.
„Handlungen sind Mittel zur Realisierung von Zwecken“ [5] Der Zweck ärztlichen Handelns ist die bestmögliche (optimale) Therapie des erkrankten Menschen. Nun kommt aber noch ein weiterer Zweck, ein Nebenzweck, hinzu – nämlich die Vermeidung von Sanktionen bei der Vergütung der ärztlichen Leistung. Neben den bisherigen Zielen der präoperativen Handlungen muss nun auch die Erfüllung der „Qualitätsindikatoren“ bei der Wahl der Mittel in Betracht gezogen werden. Dieser Nebenzweck muss nicht zwangläufig identisch sein mit dem eigentlichen Zweck ärztlichen Handelns, nämlich die bestmögliche Therapie zu finden.
„Das kann dazu führen, dass Ärzte komplizierte Fälle von vornherein aussortieren. Genau das beobachten wir in den USA: Die ausschließliche Orientierung an Erfolgskriterien führt dort dazu, dass Schwerstkranke abgeschoben werden und nicht mehr die beste Therapie bekommen, weil das den Ärzten die Bilanz verschlechtert“[6]
Zudem wird dieser neue Zweck, die „Erfüllung von Qualitätsindikatoren“, auf weitere Bereiche wie Ausbildung, Bürokratie, Kodierung von Erkrankungen, Liegedauer, etc. Einfluss nehmen.
Industrie versus Krankenhaus
Bei den Methoden, die die patientenfernen Theoretiker zur Messung von Qualität vorschlagen, dienten sehr wahrscheinlich industrielle Prozesse als Vorbild: Ein Stück Metall wird in eine Werkbank eingebracht. Mit Messfühlern unterschiedlicher Art wird dann der Arbeitsprozess kontrolliert, damit am Ende dieses Prozesses aus diesem Stück Metall ein Gegenstand wird, der eine vorgegebene Beschaffenheit oder Qualität besitzt. Dieser Gegenstand könnte z. B. eine Kurbelwelle sein, also die Qualität „Kurbelwelle“. Je mehr Messfühler, umso dichter ist das Ergebnis des Arbeitsprozesses an der vorgegebenen Beschaffenheit. Anders formuliert: Mehr Messfühler bedingen bessere Qualität.
Auf die Chirurgie übertragen bedeutet dies Folgendes: Das Werkstück ist der erkrankte Mensch. Die Werkbank ist der Operationssaal. Die Messfühler sind die Qualitätsindikatoren.
Warum ist diese Denkweise nicht auf das Krankenhaus übertragbar?
- Ein Metallstück hat keinen eigenen Willen; es wird auch nicht gefragt, ob es in die Werkbank will oder nicht.
- Das Schicksal des Metallstücks ist bereits am Anfang des Prozesses besiegelt. Daraus soll eine Kurbelwelle werden und nicht, aus welchen Gründen auch immer, plötzlich eine Tachonadel.
- Das Metallstück wird auch während des gesamten Prozesses nicht plötzlich seine Eigenschaften ändern. Es wird keine kleine Beule bekommen, die dann auf einer anderen Werkbank korrigiert werden muss.
- Etc.
Methodische Probleme der „Qualitätsmessung“ in der Chirurgie
„Nach wie vor ist der Glaube an die Möglichkeit einer quantitativen Erfassung von qualitativen Leistungen weit verbreitet, obwohl es sich ständig von neuem zeigt, dass dies nicht geht. […] Man kann durchaus die Zahl der Dreifachsprünge bei einer Eiskunstlaufkür messen, aber diese Zahl ist nicht identisch mit ihrer Qualität. Und wenn man versucht, der Qualität mit immer mehr Indikatoren auf die Spur zu kommen und ganze Indikatorsysteme kreiert, dann sieht man schnell einmal vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Und ein immer genaueres Ausmessen von Bäumen ermöglicht einem nicht, die Qualität des Waldes besser zu verstehen.“[7]
Qualitätsindikator: Wundinfektion
Wenn man versucht, die Qualität z. B. anhand der Wundinfektionen bei der Appendektomie einer chirurgischen Abteilung zu messen, kann dies immer nur in Relation zur Gesamtzahl der Appendektomien und in Relation zu anderen chirurgischen Abteilungen sein. Wenn bei 100 Appendektomien in einem Jahr zwei Wundinfektionen und im darauffolgenden Jahr vier auftreten, ist dies eine hochsignifikante Zunahme der Infektionsrate. Dies kann zahlreiche Ursachen haben, die mit der eigentlichen chirurgischen Qualität dieser Abteilung nichts zu tun haben, angefangen bei Zunahme der Risikopatienten bis hin zu Simultanappendektomien im Rahmen von großen onkologischen Eingriffen.
An diesem sehr einfachen Beispiel werden die Grenzen der „Qualitätsmessung“ deutlich. Von den zahlreichen Strategien, möglichen Sanktionen (geringe Vergütung) entgegenzuwirken, seien hier nur zwei genannt:
- Wenn ich schon zwei Wundinfektionen in meiner Statistik habe, führe ich keine weiteren Appendektomien durch.
- Ich führe weitere Appendektomien durch (Indikationsausweitung), bis die Relation wieder stimmt.
Hinzu kommt, dass eine genaue Beurteilung und Wertung von solchen Wundinfektionen (Qualitätsindikator) natürlich nur möglich ist, wenn die Daten zu 100 % erfasst werden. Bei Verlegungen in andere Kliniken oder Abteilungen, vorzeitigen Entlassungen, Jahreswechsel, Chefarztwechsel, Veränderungen der Dokumentation- und Codierqualität etc. kann es schnell dazu kommen, dass die Daten eben nicht zu 100 % erfasst werden.
Wundinfektion ist nicht gleich Wundinfektion. Neben der Tiefe (Innerhalb der Bauchdecke) einer solchen Infektion geht es auch um die Größe der Wundfläche. Diese Befunde müssten konsequenterweise ebenfalls erfasst werden. Adipositas, Nikotinabusus, Diabetes mellitus, Durchblutungsstörungen etc. stellen Risikofaktoren dar. Auch diese Faktoren müssten dokumentiert werden. Schließlich kommt es auch darauf an, wie sehr die Entzündung im Wurmfortsatz fortgeschritten war. Auch dies müsste dokumentiert werden. Eine chirurgische Abteilung, die eine niedrige Wundinfektionsrate bei zahlreichen „nicht notwendigen“ Appendektomien hätte, würde demnach eine gute Qualität für den Qualitätsindikator „Wundinfektion“ haben. Dieses einfache aber realistische Beispiel zeigt auch hier die Grenzen der Messung von Qualität.
Selbstverständlich beeinflusst auch die technische Durchführung einer Operation das Operationsergebnis und damit auch die Rate an Wundinfektionen. Dies ist aber nur ein Element von vielen und dieses eine Element soll letztlich über zahlreiche Indikatoren geprüft und auch sanktioniert werden.
Hinzu kommt, dass Patienten auch das Problem „Wundinfektion“ unterschiedlich erleben und unterschiedlich damit umgehen können oder müssen. Entscheidend ist, wie mit dem Problem (hier Wundinfektion), wenn es auftritt, von ärztlicher Seite umgegangen wird:
Muss ambulant oder stationär behandelt werden? Wie ist der tägliche Verbandwechsel organisiert? Wer führt diesen durch? Gibt eine Anbindung an die Klinik? Sieht der Operateur den weiteren Verlauf?
Weitere Qualitätsindikatoren
Wie ist es mit dem Qualitätsindikator „Dauer des stationären Aufenthaltes“ nach Appendektomie, wenn der engagierte junge Stationsarzt bei der körperlichen Untersuchung des Patienten ein Melanom entdeckt, und sich dadurch der stationäre Aufenthalt verlängert?
Wie ist die Qualität einer Hüftoperation zu bewerten, wenn der weniger engagierte Arzt bei der körperlichen Untersuchung ein Rektumkarzinom übersieht, die Qualitätsindikatoren für eine Hüftoperation aber sämtlich erfüllt werden? Ist dies dann „gute Qualität“?
Diese Beispiele aus dem Alltag ließen sich beliebig fortführen.
Routinedaten, Lebensbäumchen, Transparenz versus Verantwortung, Vertrauen, Freiheit
Routinedaten sind Daten, wie der Name schon sagt, die bei der täglichen Arbeit (Routine) der Krankenkasse oder Gesundheitskasse anfallen. Diese Daten der erkrankten Menschen erhält die Krankenkasse in erster Linie im Rahmen des Vergütungsprozess für erbrachte Leistungen der Leistungserbringer. Der Zweck dieser Daten ist die optimale Vergütung der erbrachten Leistung. Plötzlich haben die vorhandenen Daten einen anderen Zweck, nämlich die „Qualitätsmessung“.
Sogar mit aufwendigen Datenerhebungen die dem Zweck der „Qualitätsmessung“ dienen und damit auch die Möglichkeit der Risikoadjustierung haben, kann eine Beurteilung der Qualität, wie an den genannten Beispielen gezeigt, nur eingeschränkt gelingen. Wie soll dieses Vorhaben mit Routinedaten möglich sein?
Diese Routinedaten, die ursprünglich zur Vergütung gesammelt wurden, müssen sich neuerdings durch die großen Rechenapparate der Gesundheitskasse quälen, damit am Ende des Rechenprozesses, drei Lebensbäumchen (LB) entstehen (AOK-Krankenhausnavigator).
„Die Häuser, welche mit drei Lebensbäumchen gekennzeichnet sind, gehören zu den besten 20 Prozent im Bundesgebiet.“ [8] Die drei LBs sind in der Kategorisierung nur zwei Zeichen (zwei LBs) von Facebook entfernt. Facebook kommt mit nur einem Zeichen zurecht. Dieses ist: Daumen hoch. Das ist die ultimative Reduktion des wahren Lebens.
Ein Krankenhaus, das für eine bestimmte Leistung drei LBs von der Gesundheitskasse bekommt, ist über dem Durchschnitt. Daher aus Sicht der Gesundheitskasse empfehlenswert.
Innerhalb eines Krankenhauses können sich die Gegebenheiten schnell ändern, insbesondere dann, wenn das Personal, Anzahl und Qualifikation sich ändert. Reagieren darauf auch die Lebensbäumchen? Ist es in der Welt der Lebensbäumchen auch vorgesehen, dass die Bewertung schlichtweg falsch ist?
Wer, innerhalb der Gesundheitskasse, übernimmt eigentlich die Verantwortung, wenn sich ein erkrankter oder hilfesuchender Mensch auf die drei Lebensbäumchen verlässt und sich in der Klinik, mit den drei LBs, die Erwartungen nicht erfüllen. In diesem Fall, der auch moralisch zu bewerten ist, entstehen wahrscheinlich enorme Fliehkräfte.
Immer wieder muss die Transparenz zur Legitimation für fragwürdige Zahlenreihen herhalten:
„Der Patient braucht dafür eine fachlich fundierte Orientierung, mehr Transparenz, welche Klinik besonders gut abschneidet.“ (Wilfried Boroch, Unternehmenssprecher der AOK) [9]
“Transparenz und Wahrheit sind nicht identisch. […] Mehr Informationen, oder eine Kumulation von Informationen alleine, stellt noch keine Wahrheit her. Ihr fehlt die Richtung, nämlich der Sinn“[10]
„Statt ‚Transparenz schafft Vertrauen‘ sollte es eigentlich heißen: ‚Transparenz schafft Vertrauen ab.‘ […] Die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft des Misstrauens und des Verdachts, die aufgrund des schwindenden Vertrauens auf Kontrolle setzt. […] An die Stelle der wegbrechenden moralischen Instanz tritt die Transparenz als neuer gesellschaftlicher Imperativ.“ [11]
Martin Hartmann schreibt in der Einleitung des Buches „Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts“: „Vertrauen kann nicht gekauft werden, es kann auch nicht gelernt oder gelehrt werden; wie wir es auch drehen und wenden, es braucht Zeit zum Entstehen und verlangt in der Regel nach wiederholter Begegnung. […] Andererseits sollte man die Gefahren nicht gering schätzen, die entstehen, wenn man Vertrauen tatsächlich überall durch Kontrolle ersetzt. Der Freiheitsverlust, der damit einherginge, könnte tiefer sein, als man auf den ersten Blick anzunehmen geneigt wäre.“[12] (Fett-gedruckt durch Weigel)
Zusammenfassung
Qualität und Quantität sind grundsätzlich zwei verschiedene Kategorien. Will man, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, in Zukunft die Qualität sanktionieren, muss diese zwangsläufig quantifiziert werden. Hier liegt das eigentliche Dilemma. Hier ein Zitat aus einer Enzyklopädie der Philosophie:
„Durch die entsprechend diffusen Quantifizierungen werden auch sonst in den zahlenartigen Quantitäten die qualitativen Bestandteile dieser Wertungen regelmäßig nivelliert. Das ist der Grund, warum eine Orientierung unseres institutionellen Handelns bloß an quantitativen Bewertungen regelmäßig in die Irre führen kann.“ [13] (Fett-gedruckt durch Weigel)
Die Qualität von ärztlichen Handlungen ist abhängig von der Ausbildung, der Erfahrung, dem Engagement und nicht zuletzt von der Zeit, die einer Ärztin oder einem Arzt für den jeweiligen erkrankten oder hilfesuchenden Menschen zur Verfügung steht.
Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit, Engagement und Verlässlichkeit sind zentrale ärztliche Tugenden. Da insbesondere ärztliches Handeln immer etwas Irreversibles ist, gibt es ein altes und sehr bewährtes Prinzip „primum nil nocere“.
Die Beachtung dieses Prinzips, das Leben der genannten Tugenden, und die Erkenntnis, dass medizinische Kriterien und ökonomische Kriterien unterschiedlichen Kategorien angehören [14], würden ausreichen, um das ein oder andere „Qualitätsproblem“ und „Mengenproblem“ dauerhaft zu beseitigen.
Durch weitere Zettel [15], die ausgefüllt werden müssen, oder Institute, in denen patientenferne Theoretiker weitere Zettel produzieren, wird die Qualität mit großer Wahrscheinlichkeit nicht verbessert. Sicher ist nur, dass das Geld der Beitragszahler und die Zeit der Leistungserbringer verbraucht werden.
Literatur
[1] Voswinkel, Stephan: Glossar der Gegenwart, hrsg. Ulrich Bröckling et al. Frankfurt 2004, Seite 145
[2] Pirmin Stekeler-Weithofer: Qualität/Quantität – in Enzyklopädie Philosophie, hrsg. Von H.J. Sandkühler, Hamburg 2010, Seite2184
[3] Koalitionsvertrag, 18. Legislaturperiode, Seite 78
[4] Jens Flintrop: Qualitätsoffensive im Krankenhaus, Zu kurz gedacht, Deutsches Ärzteblatt, Jg 110, Heft 49, 6.Dezember 2013
[5] Felix Thiele: Autonomie und Einwilligung in der Medizin. Eine moralphilosophische Rekonstruktion, Paderborn 2011, Seite 18
[6] Eckard Nagel: Interview in der „ Zeit“ vom 5.12.2013
[7] Mathias Binswanger: Sinnlose Wettbewerbe, Freiburg 2012, Seite 218
[8] Wilfried Boroch: Es gibt messbare Unterschiede, Frankfurter Rundschau online, vom 23.1. 2014
[9] Wilfried Boroch: Es gibt messbare Unterschiede ,Frankfurter Rundschau online, vom 23.1. 2014
[10] Byung-Chul Han: Transparenzgesellschaft, Berlin 2012, Seite 17
[11] Byung-Chul Han: Transparenzgesellschaft, Berlin 2012, Seite 79
[12] Martin Hartmann: Einleitung, in Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts, hrsg. von M. Hartman, C. Offe, Frankfurt 2001, Seite 34
[13] Pirmin Stekeler-Weithofer: Qualität/Quantität, in Enzyklopädie Philosophie, hrsg. von H.J. Sandkühler, Hamburg 2010, Seite2189
[14] Julian Nida-Rümelin: Die Optimierungsfalle, Philosophie einer humanen Ökonomie, München 2011, Seite 124
[15] Zettel: Abwertender Begriff für Formulare zur Erfassung von Daten – Weigel, 2014