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Ambulante Chirurgie beim älteren Menschen

„Alter ist keine Krankheit“ möchte man diesen Überlegungen zu den Auswirkungen der demographischen Veränderungen auf die Tätigkeit niedergelassener Chirurgen vorausschicken. Viele Prognosen zur Versorgungslandschaft in den kommenden Jahren gehen davon aus, dass eine alternde Bevölkerung auch regelmäßig mit einer erhöhten Krankheitslast verbunden sei. Diesem vermeintlichen Automatismus gilt es sich durch präventive Maßnahmen entgegenzustellen. Auch für die ambulante Chirurgie sind nicht das kalendarische Alter, sondern der Allgemeinzustand und das biologische Alter unserer Patienten entscheidend.

Auswirkungen auf die chirurgische Sprechstunde

„Gefühlt“ ist der Trend zu älteren Patienten in der chirurgischen Praxis schon jetzt evident. Die Auswertung der Altersverteilung in der eigenen Praxis (Praxis am Wall in Rinteln) bestätigt diesen Trend schon in der relativ kurzen Zeitspanne von 2009 zu 2011. Die Kurve in der Abb. 2 zeigt im Vergleich zu Abb. 1 eine „Rechtsverschiebung“ der kumulierten Patientenzahlen in ansteigenden Altersklassen.

Abb. 1: Altersverteilung der eigenen Patienten 4. Quartal 2009 (Quelle: adaline der KV Niedersachsen)

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Abb. 2: Altersverteilung der eigenen Patienten 4. Quartal 2011 (Quelle: adaline der KV Niedersachsen)

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Insbesondere bei einer unfallchirurgisch-orthopädischen Ausrichtung der Praxis hat man es zunehmend mit älteren Menschen zu tun, dabei in der „Generation 80+“ zu einem Großteil mit Frauen. Vor allem für die konservative Behandlung der häufigen Schmerzsyndrome infolge degenerativer Wirbelsäulen- und Gelenkveränderungen ist dabei leider in der Ära der Budgetierung und Komplexierung das therapeutische Spektrum stark zusammengeschmolzen. Während die vorige Generation von Unfallchirurgen und Orthopäden noch über ausgedehnte Geräteparks für physikalische Therapie (Reizstrom, Mikrowelle, Rüttelmassagen, Ultraschall etc.) verfügte, kann sich heutzutage kaum ein niedergelassener Chirurg den Luxus leisten, diese Anwendungen als „add on“ und für minimale Honorare, noch dazu innerhalb der Budgets, anzubieten. Der therapeutische Wert dieser Maßnahmen mag im Zeitalter der „evidence based medicine“ durchaus kritisch hinterfragt werden. Für viele der älteren Patienten stellen diese Behandlungen aber weit mehr dar als eine medizinische Maßnahme: Es sind meist mehr die sozialen Kontakte, die persönlichen Beziehungen zwischen Patient, Arzt und MFA und die menschliche Zuwendung, die im Zeitalter der Auflösung traditioneller Familienstrukturen und Vereinsamung im Alter einen allgemeinen therapeutischen Wert entwickeln.

Ältere Patienten stellen sich meist nicht wie junge Menschen mit einem isolierten Gesundheitsproblem, sondern häufig mit einem ganzen Bündel von Beschwerden und Befunden in der Sprechstunde vor. Es ist noch nicht erwiesen, ob die mit den Krankenkassen vereinbarte Anpassung der vertragsärztlichen Gesamtvergütung analog zur demographischen Entwicklung der Bevölkerung diesen Mehraufwand kompensieren kann.

Darüber hinaus werden die niedergelassenen Chirurgen zunehmend auch mit einem erhöhten Behandlungsaufwand bei frühzeitig aus stationärer Behandlung entlassenen betagten Patienten konfrontiert. Insbesondere die notwendigen Röntgenkontrollen und die Verordnung der notwendigen Krankengymnastik stellen die Niedergelassenen in Anbetracht begrenzter Röntgen-Budgets und Existenz gefährdender Regresse vor kaum lösbare Probleme. Der vom Gesetzgeber vollmundig versprochene finanzielle Ausgleich für die Leistungsverlagerung aus dem stationären in den ambulanten Sektor harrt angesichts fehlender anerkannter Messmethoden immer noch der Umsetzung.

Ambulante Operationen beim älteren Menschen

Die operative Erstversorgung der meisten typischen Altersfrakturen am koxalen Femur liegt nicht im Spektrum der ambulanten Chirurgie. Auf die Zunahme der Inzidenz und die sich daraus für das Gesundheitssystem ergebenden Probleme wird an anderer Stelle im Rahmen dieses Schwerpunktheftes eingegangen. Distale Radiusfrakturen sind aber durchaus auch ambulant osteosynthetisch zu versorgen. Auch die zunehmende Morbidität durch (osteoporotische) Wirbelfrakturen belastet mit der notwendigen konservativen Behandlung den ambulanten Sektor.

Häufig wird der niedergelassene Chirurg mit der Frage konfrontiert, ob ein hohes Lebensalter ein erhöhtes perioperatives Risiko und damit eine Kontraindikation für eine ambulante Operation darstellt. Dazu haben die wissenschaftlichen Fachgesellschaften aktuell im Rahmen einer Leitlinie [1] Stellung bezogen. Dort wird ausdrücklich betont, dass sich die Auswahl der für ambulante Operationen oder Tageschirurgie geeigneten Patienten ausschließlich am physiologischen Status und nicht am Lebensalter der Patienten zu orientieren hat. Dazu hat sich eine Evaluation nach der ASA-Klassifikation (Tab. 1) seit Jahrzehnten bewährt. Patienten der Risiko-Klassen ASA 1 und ASA 2 sind auch in hohem Alter problemlos ambulant zu operieren. Allein bei hochbetagten Patienten >85 Jahre wurde in einer Studie [2] eine altersabhängige erhöhte Rate an notwendigen stationären Aufnahmen und möglichen Todesfolgen festgestellt.

Tab. 1: ASA Klassifikation

ASA Definition
ASA 1 Normaler, gesunder Patient
ASA 2 Patient mit leichter Allgemeinerkrankung
ASA 3 Patient mit schwerer Allgemeinerkrankung
ASA 4 Patient mit schwerer und ständig lebensbedrohender Allgemeinerkrankung
ASA 5 Moribunder Patient

Dabei gilt allgemein, dass das perioperative Risiko durch die Anwendung von schonenden Narkose-Verfahren zu reduzieren ist. Dabei sind Lokal- und Regionalanästhesien mit deutlich geringeren Komplikationsraten verbunden als Vollnarkosen. Bei unseren eigenen Patienten hat sich für die häufig notwendigen handchirurgischen Eingriffe (z. B. Karpaltunnelspaltungen) die intravenöse Regionalanästhesie als schonend, sicher und vor allem gut steuerbar bewährt. Gegenüber einer Plexusanästhesie hat sie den Vorteil, dass bei der Entlassung aus der postoperativen Betreuung regelmäßig keine (Teil-) Parese mehr besteht.

Viele kleine und mittelgroße Eingriffe auch in der Viszeralchirurgie sind bei entsprechender Erfahrung in Lokalanästhesie bzw. peripheren Nervenblockaden durchführbar.

Ein wesentlicher Vorteil ambulanter Operationen gerade für ältere Patienten ist die Tatsache, dass sie ihr gewohntes häusliches Umfeld nicht zu verlassen brauchen. Dies hat nachgewiesen und nachvollziehbar eine geringere Rate von postoperativer kognitiver Dysfunktion (POCD) zur Folge. Abgesehen davon wünschen gerade ältere Patienten ambulante Eingriffe, da sie oft auch aus irrationalen Gründen stationäre Krankenhausaufenthalte grundsätzlich ablehnen.

Gerade bei älteren Patienten ist jedoch schon im Vorfeld bei der Indikationsstellung und Operationsplanung unbedingt sorgfältig die Sicherung der postoperativen häuslichen Betreuung zu prüfen [3]. Heutzutage leben die SeniorInnen häufig alleine und abseits von ihrer Familie. In aller Regel ist es aber möglich, für kurze Zeit eine Betreuung durch Familienmitglieder oder einen vorübergehenden Aufenthalt im Haushalt der Kinder zu arrangieren. Die postoperative Nachsorge durch einen Pflegedienst ist bei entsprechender Behinderung sinnvoll, alleine aber nicht ausreichend! Die häusliche Versorgung muss ebenso wie der postoperative Transport nach Hause beizeiten eruiert, geplant und vor allem aus juristischen Gründen sorgfältig dokumentiert werden. Ist die häusliche Versorgung nicht gewährleistet oder treffen die „Allgemeinen Tatbestände“ in Anlage 2 des dreiseitigen Vertrages nach § 115b SGB V [4] zu, ist eine stationäre Behandlung zu veranlassen.

Exkurs: Demographie bei niedergelassenen Ärzten

Mindestens in gleichem Maße wie die Alterung unserer Patienten, wenn nicht sogar gravierender, wird sich der Mangel an Nachwuchs für die chirurgischen Praxen auf die Tätigkeit der niedergelassenen Chirurgen auswirken. Die demographischen Daten aus dem Arztregister der KBV (Abb 3. und Abb. 4) zeigen eine zunehmende Überalterung der niedergelassenen Ärzte. Dies und die Tatsache, dass sich Praxen heute vor allem im ländlichen Raum kaum noch weiterverkaufen lassen, wird dazu führen, dass niedergelassene Chirurgen voraussichtlich deutlich länger werden arbeiten müssen, als es der individuellen Lebensplanung entspricht. Auch aus Gründen der Sicherung der chirurgischen Versorgung wird die Gesellschaft darauf angewiesen sein, auch ältere chirurgische Kollegen weiter für die Versorgung der Bevölkerung einzusetzen. Diese „Marktlage“ kann und muss dazu führen, dass ärztliche Tätigkeit von der Politik und den Krankenkassen in der Zukunft wieder jene Wertschätzung erfährt, die ihr zusteht.

Abb. 3: Anzahl und Anteil „junger Vertragsärzte“. Quelle: KBV

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Abb. 4: Anzahl und Anteil „älterer Vertragsärzte“. Quelle: KBV

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Auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Ernst der Lage erkannt. Anlässlich des jüngsten Demographiegipfels bezeichnete sie den demographischen Wandel als „neben der Globalisierung die größte Veränderung unseres gesellschaftlichen Lebens“. Es ist zu hoffen, dass diese gesellschaftliche Mega-Aufgabe endlich konzeptionell angepackt und nicht weiter verdrängt wird.

Literatur

[1] Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (2010):
Präoperative Evaluation erwachsener Patienten vor nicht kardio-chirurgischen elektiven Eingriffen. Anästh Intensivmed 51:787-797

[2] Bryson, GL, Chung, F, Finegan BA et al. (2004) Patient selection in ambulatory anaesthesia – an evidence based review. Part I. Can J Anaesth 51:768-781

[3] Bundesverband Ambulantes Operieren (BAO): Auswahl-Kriterien zum Ambulanten Operieren. http://www.operieren.de

[4] Anlage 2 zum Vertrag nach § 115b Abs. 1 SGB V: Allgemeine Tatbestände, Stand 1.1.2005: http://www.kbv.de/rechtsquellen/2613.html

Vertrag nach § 115b SGB V [4]

Kalbe P. Ambulante Chirurgie beim älteren Menschen. Passion Chirurgie. 2012 Dezember; 2(12): Artikel 02_03.

Machen was denkbar ist: Verzahnung stationär-ambulant am Beispiel der Praxis am Wall in Rinteln – Gelenkzentrum Schaumburg

Die Zukunft erfordert neue Modelle für attraktive Lebenspositionen für die kommende Generation von Chirurginnen und Chirurgen. In diesem Beitrag wird beispielhaft dargestellt, wie im kleinstädtischen Bereich ein Modell für ein sektorenübergreifendes Gelenkzentrum entwickelt wurde, welches zukunftsfähige berufliche Chancen für alle Beteiligten bietet. Die Strukturen der Praxis am Wall in Rinteln – Gelenkzentrum Schaumburg – wurden in der Passion Chirurgie 9/2012 ausführlich dargestellt [3].

Krankenhauskarriere oder Niederlassung?

Schon seit vielen Jahren wird die Tätigkeit als Chirurg in einer Praxis oder einem ambulanten Operationszentrum nicht mehr als „Notnagel“ bei einem Karriereknick im Krankenhaus betrachtet [2]. Die Bereitschaft zur Tätigkeit als Freiberufler hat jedoch in letzter Zeit stetig abgenommen. Dabei spielen gesamtgesellschaftliche Trends („Generation Y“[1]) eine Rolle, jedoch auch zahlreiche inhaltliche und formale Hindernisse, die durch eine geeignete Organisation und vor allem durch eine stationär-ambulante Kooperation weitgehend beseitigt werden können.

Arbeitszufriedenheit

Operatives Spektrum

In früheren Jahren war der Wechsel aus dem Krankenhaus in die Praxis meist mit einer erheblichen Einschränkung des operativen Spektrums verbunden. Dies stellte gerade für Chirurgen eine individuell unterschiedlich stark ausgeprägte Barriere dar. Die rasante Entwicklung der ambulanten Operationen konnte dies teilweise kompensieren. Außerdem gab es schon früher die Möglichkeit, als Belegarzt weiterhin stationäre Patienten zu betreuen und auch größere Operationen durchzuführen. Es sind vorwiegend wirtschaftliche Gründe, die dieses an sich ideale Modell in den letzten Jahren in Schwierigkeiten gebracht haben. Die Alternative, bestimmte Operationen durch Kooperationsärzte (Honorarärzte) durchführen zu lassen, hat viele Krankenhäuser veranlasst, die Belegabteilung in Hauptabteilungen umzuwandeln, um dem 20 prozentigen Abschlag auf die DRG zu entgehen. Die daraus in regional unterschiedlichem Ausmaß entstehenden Probleme sind ausgiebig in der Öffentlichkeit und den Berufsverbänden und Fachgesellschaften diskutiert worden.

Unsere Lösung besteht in einer Tätigkeit aller Praxispartner sowohl als niedergelassene Chirurgen als auch als (Teilzeit-)Angestellte des kooperierenden Krankenhauses. Dies ermöglicht weiterhin die operative Tätigkeit auf hohem Niveau, allerdings auch beschränkt auf das Spektrum der operativen Spezialisierung (Schulterchirurgie bzw. Hüftgelenkschirurgie). Aus Gründen der Kapazität und aus strategischen Überlegungen ist einer der Partner darüber hinaus als Belegarzt an einem weiteren (Beleg-)Krankenhaus im Bereich der Kniegelenkschirurgie tätig. Alle fünf Partner stellen gemeinsam die durchgängige Betreuung unserer stationären Patienten auch im postoperativen Verlauf sowie zu den Unzeiten sicher. Die aus dem Krankenhausbereich 2012 neu in unsere Praxis eingetretenen Chirurgen begrüßen vor allem die Möglichkeit, die Patienten jetzt bei entsprechendem Wunsch kontinuierlich von der Diagnose und Indiktionsstellung über die Operation und Nachbehandlung in der Klinik bis zur postoperativen Nachsorge kontinuierlich und kohärent betreuen zu können.

Flache Hierarchie

In Umfragen unter Krankenhausärzten werden häufig überkommene hierarchische Strukturen kritisiert. Dagegen ist eine kollegiale Zusammenarbeit auf Augenhöhe in einer Gemeinschaftspraxis selbstverständlich. Es darf natürlich nicht übersehen werden, dass dies ein hohes Maß an Kollegialität, Toleranz und Souveränität voraussetzt. Es ist daher nach unserer Erfahrung hilfreich, wenn sich potenzielle Praxispartner schon längere Zeit kennen und möglichst auch aus einer gemeinsamen Therapie-Schule stammen. Da dies nicht immer möglich sein wird, empfiehlt es sich, die gemeinsamen Ziele der Zusammenarbeit vor Aufnahme der Kooperation als Kernpunkte in einem „letter of intent“ zu konsentieren. So kann man zumindest grobe Missverständnisse in der strategischen Ausrichtung der Gemeinschaft vermeiden. Voraussetzung ist natürlich eine Gemeinschaftspraxis, denn die Tätigkeit als „Einzelkämpfer“ in einer Einzelpraxis kann eben diesen kollegialen Diskurs nicht bieten und wird vom chirurgischen Nachwuchs auch aus diesem Grund zunehmend als unattraktiv betrachtet.

Familienfreundlichkeit

Junge Chirurginnen und Chirurgen sind häufig auch junge Mütter und Väter, die nicht mehr akzeptieren, ihren Nachwuchs nur mehr oder weniger zufällig und im Urlaub zu erleben. Freie Nachmittage und Flexibilität bei der Urlaubs- und Freizeitplanung gehören zu den wichtigsten strukturellen Angeboten attraktiver Arbeitsplätze. Eine große Gemeinschaftspraxis kann ihre Dienstpläne in gewissem Umfang flexibel gestalten und somit auf die Wünsche der Partner eingehen.

In unserer Praxis kann so z. B. auf die berufspolitischen Termine des Autors Rücksicht genommen werden, während andere Partner freie Nachmittage für Familie und Sport oder einen möglichst späten Beginn des Arbeitstages im Fokus haben. Natürlich müssen an allen Tagen die Kernzeiten an den Standorten eingehalten werden, so dass die Flexibilität während der Urlaubszeit und bei Erkrankungsfällen ihre Grenzen findet. Trotzdem war dieser Aspekt beim Eintritt der zwei neuen Partner im Jahr 2012 ein wesentlicher Aspekt.

Für die Zukunft bietet unser Modell auch die Möglichkeit, Halbtagsstellen anzubieten, je nach Vorliebe auch in einer Angestelltenposition. Eine Kinderkrippe befindet sich in fußläufiger Entfernung unserer Praxis, sodass wir hoffen, in der Zukunft auch jungen Chirurginnen einen attraktiven Arbeitsplatz anbieten zu können.

Wirtschaftliches Risiko

Unabhängig davon, dass sich die Lebensentwürfe der nachfolgenden Chirurgengeneration grundlegend gewandelt haben [1] ist es nachvollziehbar, dass der Schritt in die Selbständigkeit heute schwerer fällt als vor einigen Jahrzehnten. Die mit einer Niederlassung verbundene relative Sicherheit eines wirtschaftlichen Erfolges gehört definitiv der Vergangenheit an. Es herrscht insbesondere in Ballungsgebieten ein harter Wettbewerb der Praxen untereinander und zunehmend auch mit den ambulanten Einrichtungen der Krankenhäuser. Diese Tatsache ist natürlich auch den Banken bekannt, so dass die Finanzierung einer neuen Praxis mit Investitionskosten im hohem sechsstelligen Euro-Bereich heute keineswegs ein „Selbstläufer“ ist.

Die heute übliche Alternative ist der Einstieg als Partner in eine existierende und funktionierende Gemeinschaft. Ein Einblick in die betriebswirtschaftliche Analyse des Betriebes ist legitim und dürfte die finanziellen Sorgen deutlich verringern. Erfahrene Chirurginnen und Chirurgen aus (leitenden) Oberarztpositionen sind gesucht und haben heutzutage eine hervorragende Verhandlungsposition beim Einstieg in den niedergelassenen Bereich.

Unser Gelenkzentrum basiert auf einer unfallchirurgischen D-Arzt-Praxis, die seit den 50er Jahren als Einzelpraxis in der Kleinstadt Rinteln (26.800 Einwohner) im Landkreis Schaumburg (Südwest-Niedersachsen) geführt wurde und dort bestens im Bewusstsein der Bevölkerung etabliert ist. 1994 erfolgte die Erweiterung zur Gemeinschaftspraxis mit zwei Partnern. Ein entscheidender Schritt zur sektorenübergreifenden Erweiterung war der Eintritt eines weiteren Partners, der nicht nur eine dezidierte operative Expertise (Kniegelenkschirurgie) mit einbrachte, sondern auch ambulant und belegärztlich an einem weiteren Standort im benachbarten Minden/Westfalen tätig werden konnte. Grundlage der finanziellen Vereinbarungen war die Zusicherung, dass der individuelle Gewinnanteil des neuen Partners mindestens dem bisherigen Oberarztgehalt entsprechen sollte.

Die Umsetzung einer solchen Vereinbarung ist natürlich stets davon anhängig, dass sich der angestrebte wirtschaftliche Erfolg auch tatsächlich einstellt. Andererseits erwarten die „Alt-Partner“ natürlich, dass ein neu eintretender Partner mindestens seinen angestrebten Gewinnanteil durch die Erweiterung des Leistungsspektrums und einen entsprechenden Umsatzzuwachs erwirtschaftet. Für den neuen Partner bietet eine solche Regelung aber einen recht guten Schutz vor einem unkalkulierbaren Risiko bei Neugründung einer Praxis und den hohen Investitionskosten. Dabei muss aber bedacht werden, dass die für Leistungsträger in den Kliniken bezahlten Oberarztgehälter durch Zulagen, Gutachten Poolanteile etc. deutlich über den für die Kalkulation des EBM zugrunde gelegten ca. 105.000,00 Euro/Jahr liegen. Auf die Dauer muss hier natürlich eine Steigerung angestrebt werden, um dem Engagement als Freiberufler einen entsprechenden Unternehmerlohn entgegenzusetzen und die Investition in den Kauf eines Praxisanteils und einer Vertragsarztzulassung zu amortisieren.

Regress-Gefahr

Die Gefahr von Arzneimittel-Regressen ist für Chirurgen gering. Jedoch spielt insbesondere im Bereich der orthopädischen Chirurgie die Gefahr eines Heilmittel-Regresses („unwirtschaftliche“ Verordnung von Krankengymnastik) eine wichtige Rolle. Sehr häufig können angedrohte Regresse durch Nachweis der Wirtschaftlichkeit abgewendet werden. Dies bedeutet jedoch einen immensen bürokratischen Aufwand für die Praxisinhaber und die emotionale Belastung durch Regressforderung im sechsstelligen Euro-Bereich ist abschreckend. Auf berufspolitischer Ebene wird angestrebt, das Regress-Risiko grundsätzlich abzuwenden, da es sich insbesondere für den hausärztlichen Bereich als wesentlicher Hinderungsgrund für Niederlassungen darstellt.

Für den Neueinsteiger in eine Facharztpraxis bietet die Zusammenarbeit und Erfahrung der bisherigen Praxispartner einen gewissen Schutz. Die Altpartner kennen in der Regel die regionalen Erfordernisse (Kennzeichnung von Praxis-Besonderheiten) und können den neuen Partner im gemeinsamen Interesse davor schützen, in die „Verordnungsfalle“ zu geraten.

Bürokratie

Die ungewohnte Bürokratie mit Abrechnung, Plausibilität und betriebswirtschaftlicher Organisation stellt eine nicht unerhebliche Belastung für neu Niedergelassene dar. Dies kann durch den Eintritt in eine bestehende Gemeinschaftspraxis weitgehend entschärft werden. Die Altpartner werden dem Neuling anfangs selbstverständlich mit ihrer Erfahrung sämtliche derartige Unannehmlichkeiten vom Hals halten und für einen sanften Einstieg und Übergang dieser Aufgaben sorgen.

Ungelöste Probleme

Obgleich wir mit den ersten Erfahrungen unseres neuen Modells sehr zufrieden und alle betriebswirtschaftlichen Prognosen bisher eingetroffen sind, muss doch bedacht werden, dass wir erst ein halbes Jahr damit unterwegs sind. Wir sind von unserem Konzept überzeugt, können jedoch auch nicht alle Probleme lösen, die auch im Klinikbereich virulent sind.

Weiterbildung

Bei der Vorstellung unseres Modells auf dem Chirurgenkongress 2012 in Berlin gab es berechtigte Kritik aus den Reihen der Weiterbildungsassistenten. Nicht ganz zu Unrecht wurde befürchtet, dass unser Modell die Anzahl der Weiterbildungseingriffe weiter schmälern würde. Dieses Problem wäre allerdings aus unserer Sicht lösbar. Wir streben ein Engagement in der Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie im Verbund mit den kooperierenden Krankenhäusern an. Die größte Hürde ist zurzeit der ökonomisch diktierte Zwang zu extrem kurzen Operations- und Wechselzeiten. Gäbe es, wie auch von zahlreichen Kliniken gefordert, eine zusätzliche finanzielle Förderung für die Weiterbildung, so würden auch wir uns gerne in die Weiterbildung des chirurgischen Nachwuchses einbringen.

Refinanzierung von Investitionen

Die Kosten- und Strukturanalyse des BDC [4] hat bewiesen, dass nicht nur in den Kliniken, sondern auch in den Praxen ein erheblicher Investitionsstau besteht. Notwendige Modernisierungen und Ersatzbeschaffungen werden verschoben, weil die Investitionen aus den Honorarerträgen nicht finanziert werden können. Diese Hypothek auf die Zukunft muss bei der geplanten Neubewertung der Gebührenordnungen durch Anhebung der Kostenkalkulation unbedingt berücksichtigt werden.

Rechtliche Konstruktion

Obgleich der politische Wille und die aktuelle Gesetzgebung eindeutig den Weg zu einer zunehmenden stationär-ambulanten Kooperation ebnen, hat sich die bisherige Rechtsprechung diesbezüglich als äußerst restriktiv erwiesen. Es bleibt daher trotz intensiver Rechtsberatung und Absicherung stets eine gewisse juristische Unwägbarkeit für Modelle wie unseres zurück. Wir haben daher bei allen unseren vertraglichen Vereinbarungen streng darauf geachtet, dass stets marktübliche Konditionen vereinbart wurden und sämtlichen Entgelten entsprechende Leistungen gegenüberstehen.

Fazit

Zusammenfassend haben wir mit unserem Gelenkzentrum das umgesetzt, was wir uns schon seit Jahren gewünscht hatten. „Machen, was denkbar ist“ bedeutet für uns, dass nunmehr alle fünf Partner unserer Praxis sowohl als Niedergelassener als auch als angestellter Krankenhauschirurg tätig sind und dass wir eine eigene Sektion für Schulter- und Gelenkchirurgie im Evangelische Krankenhaus Bethel in Bückeburg betreiben. Noch vor zehn Jahren hätte man eine solche Konstruktion als vollkommen undenkbar bezeichnet. Der Facharztmangel im ländlichen Bereich schreitet voran und wir sind gespannt, welche weiteren stationär-ambulanten Kooperationsmöglichkeiten sich in der Zukunft noch ergeben werden, um überhaupt noch eine ausreichende fachärztliche Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.

Literatur

[1] Hucklenbroich, Christina: Der alte Arzt hat ausgedient. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.4.2012

[2] Kalbe, P.: Welchen Chirurgentyp braucht die chirurgische Praxis der Zukunft? Chirurg BDC 9/2007 und BDC Online 11.9.2007

[3] Kalbe P. Enge transsektorale Kooperation im kleinstädtischen Bereich am Beispiel der Praxis am Wall in Rinteln- Gelenkzentrum Schaumburg. Passion Chirurgie. 2012 September; 2(09): Artikel 02_02.

[4] Rüggeberg, J-A.: Chirurgie am Limit. Erste Ergebnisse der Kosten-Struktur-Analyse Ambulante Chirurgie. BDC Online 01.12.2010

Kalbe P. Machen was denkbar ist: Verzahnung stationär-ambulant am Beispiel der Praxis am Wall in Rinteln – Gelenkzentrum Schaumburg. Passion Chirurgie. 2012 Oktober; 2(10): Artikel 02_02.

Enge transsektorale Kooperation im kleinstädtischen Bereich am Beispiel der Praxis am Wall in Rinteln- Gelenkzentrum Schaumburg

Die Überwindung der strengen sektoralen Trennung der Versorgungsstrukturen im deutschen Gesundheitswesen steht schon seit Jahren auf der Agenda der Politik und der Selbstverwaltung. Die jüngsten gesetzlichen Klarstellungen zeigen, dass die diesbezügliche restriktive Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes und die Abwehrhaltung mancher wissenschaftlichen Fachgesellschaft nicht dem politischen Willen entsprechen [1]. Auch der Berufsverband der Deutschen Chirurgen hat seinen niedergelassenen Mitgliedern stets empfohlen, wenn möglich größere Kooperationen und eine Verzahnung mit dem stationären Bereich anzustreben.

In diesem Beitrag wird das Gelenkzentrum Schaumburg als Beispiel für eine enge sektorenübergreifende Kooperation im kleinstädtischen Bereich vorgestellt.

Titelfoto: Die 4 Standorte des Gelenkzentrums Schaumburg: Hauptpraxis in Rinteln. Zweigpraxis und stationäre Behandlung in Bückeburg. Ambulante und belegärztliche Operationen in Minden

Regionale Rahmenbedingungen

Der Landkreis Schaumburg hat gut 160.000 Einwohner und liegt im südwestlichen Niedersachsen, direkt angrenzend an Nordrhein-Westfalen (Landkreis Minden-Lübbecke). Die Bevölkerung ist ländlich bis kleinstädtisch geprägt. Die Bevölkerungsdichte ist im westlichen Teil im Bereich der Städte Rinteln, Bückeburg und der Kreisstadt Stadthagen deutlich höher als im östlichen Kreisgebiet, das an die Region Hannover grenzt. Die bisherigen drei Krankenhäuser im Landkreis Schaumburg sollen bis 2015 geschlossen und durch einen zentralen Neubau in Vehlen mit ca. 430 Betten ersetzt werden.

Stationär-ambulante Kooperation

Unser Gelenkzentrum Schaumburg besteht aus der „Praxis am Wall in Rinteln“, einer Gemeinschaftspraxis für Unfallchirurgie und Orthopädie mit fünf Fachärzten, und zwei stationären Kooperationspartnern (www.paw-rinteln.de).

Mit dem Ev. Krankenhaus Bethel in Bückeburg in Trägerschaft der pro-Diako-Gruppe wurde zum Januar 2012 eine enge stationär-ambulante Zusammenarbeit vereinbart. Der bisherige Chefarzt und ein leitender Oberarzt aus der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie dieses Krankenhauses ließen sich zu diesem Zeitpunkt als zusätzliche Partner unserer bereits aus drei Unfallchirurgen bestehenden Gemeinschaftspraxis nieder. Alle fünf Ärzte unserer Praxis betreiben seitdem gemeinsam eine eigene „Sektion Schulter- und Gelenkchirurgie“ in dieser Klinik mit einem eigenen Betten-Kontingent. Entsprechend der Expertise der beiden neuen Partner liegt der Schwerpunkt der durchgeführten Operationen auf der elektiven Schulter-und Hüftchirurgie (Tab. 2). Die übrigen drei Partner der Gemeinschaftspraxis sind an der Betreuung unserer stationären Patienten ebenfalls beteiligt. Die bisherige Hauptabteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie wird mit dem bisherigen Spektrum unter der Leitung von zwei ehemaligen Oberärzten weitergeführt.

Darüber hinaus besteht eine enge Kooperation mit dem Belegkrankenhaus „Chirurgische Innenstadtklinik“ im benachbarten Minden/Westfalen. Der auf Kniegelenkserkrankungen spezialisierte Partner führt dort arthroskopische Operationen in ausgelagerten Praxisräumen sowie stationäre Operationen als Belegarzt durch. Der Fokus liegt auf Kreuzbandersatzoperationen und Kniegelenks-Endoprothesen (Tab. 3).

Struktur der Gemeinschaftspraxis am Wall in Rinteln

Namensgeber ist die Hauptpraxis in Rinteln, die auf einer der historischen ehemaligen Wallanlagen in der Kleinstadt Rinteln (26.800 Einwohner) angesiedelt und täglich von 8-18 Uhr geöffnet ist. Dort arbeiten meist zwei, ausnahmsweise drei Ärzte gleichzeitig. Hier befindet sich neben der Verwaltung und der EDV-Abteilung die zentrale Anlaufstelle für die unfallchirurgischen und D-ärztlichen Akutpatienten. Traditionell hat die Praxis auch einen konservativ-orthopädischen Schwerpunkt, u. a. durch die Zusatzbezeichnung „Chirotherapie“ eines Partners. Grundsätzlich erfolgen hier die Diagnostik (incl. Röntgen und Sonographie) und die grundsätzliche Indikationsstellung für die elektiven operativen Eingriffe. Weiterhin werden hier die Kleinchirurgie und alle ambulanten Operationen der Hand- und Dermatochirurgie erbracht.

Strategisch erschließt die geographische Lage der Praxis in Rinteln südlich der Weser auch den südlich von Rinteln gelegenen Landkreis Lippe/Westfalen.

Gleichzeitig mit der Erweiterung im Jahr 2012 wurde eine Zweigpraxis im 12 Kilometer entfernten Bückeburg (20.460 Einwohner) eingerichtet. Diese Praxis hat nicht die Akutversorgung in Fokus, sondern erleichtert v. a. die präoperative Aufklärung und Prämedikation sowie die nachstationäre Behandlung durch eine enge Nachbarschaft zum Kooperationskrankenhaus Bethel direkt gegenüber. Gleichzeitig ist die Zweigpraxis verkehrstechnisch gut erreichbar für Patienten aus dem Schaumburger Nordkreis und der Region um Minden. Die Zweigpraxis ist an vier Tagen in der Woche ausschließlich für Terminpatienten geöffnet. Ein Ausbau zur Vollversorger-Praxis wäre wünschenswert, scheitert zurzeit aber an fehlender ärztlicher Arbeitskapazität.

Medizinrechtliche Konstruktion

Allen fünf Partnern der Gemeinschaftspraxis war es von Anfang an wichtig, eine kontinuierliche Betreuung der eigenen Patienten während des gesamten Verlaufes von der Diagnostik über die seriöse Indikationsstellung, den stationären Verlauf einschließlich der postoperativen Nachbehandlung über die Rehabilitation bis hin (sofern gewünscht) zur ambulanten Nachsorge sicherzustellen. Es macht den besonderen Reiz unserer stationär-ambulanten Kooperation aus, dass die häufig (zu Recht) kritisierten Brüche an den Schnittstellen der Versorgung vermieden werden. Daher kam auch eine typische Konsiliararzt-Tätigkeit mit einer Begrenzung auf die alleinige operative Leistung für uns nicht infrage. Vielmehr wollen wir die kontinuierliche Patientenbetreuung auch im postoperativen Verlauf in der Klinik aus unserer eigenen Struktur sicherstellen. Dieses Konzept musste nach den zum Zeitpunkt der Umsetzung geltenden gesetzlichen Vorschriften und der aktuellen Rechtsprechung in einen zulässigen vertraglichen Rahmen gegossen werden.

Somit war es unabdingbar, alle fünf niedergelassenen Praxispartner gleichzeitig am kooperierenden Krankenhaus in Bückeburg anzustellen. Für die zwei Operateure erfolgte dies als Leitende Ärzte der von uns betriebenen „Sektion Schulter- und Gelenkchirurgie“ und für die drei anderen Ärzte in Form einer geringfügigen Beschäftigung für Vertretungen der leitenden Ärzte insbesondere zu Unzeiten und für die Visitentätigkeit während der Wochenenden. Die Tätigkeit als Teilzeitangestellte am Krankenhaus ist derzeit die beste Möglichkeit, ein solches Modell rechtlich einwandfrei zu gestalten und insbesondere auch die Gefahr der Scheinselbständigkeit zu bannen. Durch die Halbierung der Vertragsarztsitze stellt die stationäre Nebentätigkeit auch keinen Verstoß gegen die Verpflichtung dar, als Vertragsarzt Sprechstunden anzubieten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden in enger Abstimmung mit den beratenden Juristen des Krankenhauses und dem Justiziar des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen entwickelt.

Die Praxis wird als BGB Gesellschaft mit gleichberechtigten Partnern geführt. Trotz der unterschiedlichen Schwerpunkte (Operationen/Grundversorgung) sind wir der Überzeugung, dass alle Partner in gleichem Maße zum Erfolg der Gesellschaft beitragen. Für die Gewinnverteilung haben wir daher ein Konzept entwickelt, dass sowohl den Beitrag zur Basisversorgung als auch leistungsbezogen die Expertise der spezialisierten Operateure berücksichtigt.

Spezialisierung und/oder allgemeinchirurgische Leistungen

Nach unserer Überzeugung geht in der Zukunft für operative Leistungen kein Weg an der Spezialisierung vorbei. Die Komplexität der modernen Behandlungsmaßnahmen kann von einem Chirurgen allein nicht mehr für die gesamte orthopädische Chirurgie in der notwendigen Breite und Tiefe beherrscht werden. Auch die zunehmende Dynamik der Weiterentwicklung speziell der minimal invasiven Operationstechniken erfordert im Interesse der Patienten die Fokussierung auf ein Organgebiet. In der Konsequenz haben wir bewusst personenbezogene Spezialsprechstunden für Schulter, Knie und Hüfte eingerichtet.

Unabhängig davon stehen wir aber zur Sicherstellung der Grundversorgung mit allgemeinchirurgischen und orthopädischen Leistungen zur Verfügung. Das bedeutet, dass wir in unserer Praxis auch alle Leistungen der Oberflächenchirurgie und der Notallbehandlungen, wie Wund- und Frakturversorgungen und Abszess-Spaltungen etc. anbieten. Wir haben jedoch konsequent alle Leistungen gestrichen, die spezielle Erfahrungen und Techniken erfordern, wie z. B. die Proktologie und alle Eingriffe der Allgemein- und Viszeralchirurgie, (Herniotomien, Struma etc.). Dazu arbeiten wir gegenseitig eng mit einer benachbarten chirurgischen Gemeinschaftspraxis zusammen, die sich auf diese Eingriffe spezialisiert hat.

Leistungen

Die Praxis in Rinteln steht weiterhin zur Grundversorgung zur Verfügung. Spezialsprechstunden für einzelne Gelenke werden sowohl in Rinteln als auch in Bückeburg abgehalten (Tab. 1).

Tab. 1: Leistungsdaten pro Quartal der Praxis und der Zweigpraxis

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Der stationäre Bereich im Krankenhaus Bückeburg befindet sich noch im Aufbau. Eine Ausweitung der OP-Kapazität wird angestrebt. Der Fokus auf die Schulterchirurgie wird aus den Zahlen deutlich.

Tab. 2: Leistungsdaten im 1. Quartal im Krankenhaus Bückeburg

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Der Operationsbetrieb in der Innenstadtklinik läuft bereits seit dem Frühjahr 2010, sodass uns Zahlen für das gesamte Jahr 2011 vorliegen. Die Gesamtzahl der Operationen steigt kontinuierlich, sodass 2012 voraussichtlich mehr als 100 Primärimplantationen von Knie-Endoprothesen durch den auf Knieoperation spezialisierten Partner durchgeführt werden.

Tab. 3: Leistungsstatistik an der Betriebsstätte in Minden

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Erste Erfahrungen und Zukunftsplanung

In den ersten sechs Monaten sind sämtliche betriebswirtschaftliche Prognosen eingetroffen. Nachdem in der Planungsphase unser Modell in der Öffentlichkeit skeptisch beurteilt und teilweise auch bekämpft wurde, ist die Kritik mittlerweile einer überwiegenden Zustimmung gewichen.

Die Patienten und die zuweisenden Kollegen äußern sich überwiegend sehr zufrieden. Der Einzugsbereich unseres Gelenkzentrums hat sich deutlich über Schaumburg hinaus auf die angrenzenden Regionen ausgeweitet. Die Patientenzahlen sind gestiegen und werden durch die verfügbaren Sprechstundenzeiten begrenzt. Die Operationskapazitäten sind auf Monate im Voraus ausgelastet.

Unterschätzt haben wir den Aufwand für die Administration unserer Gesellschaft. Die Organisationsplanung für Ärzte und MFA, die Abrechnungen, das Personal- und Zulassungsmanagement erfordern stetigen Einsatz der Geschäftsführung. Wir können die auf dem letzten Bundeskongress für Chirurgie in Nürnberg 2012 dargestellte Auffassung nur bestätigen, dass mit der Komplexität unserer Einrichtung die Grenze dessen erreicht ist, was sich noch durch die ärztlichen Partner selbst (mit Hilfe externer Buchhaltung sowie Steuer- und Rechtsberatung) administrieren lässt. Um unser gutes Betriebsklima nicht zu gefährden wünschen wir zurzeit keine externe nicht ärztliche Geschäftsführung, sodass wir mittelfristig keine Ausweitung durch Aufnahme neuer Partner planen. Allerdings suchen wir einen Nachfolger für einen unserer Partner, der sich 2014 zur Ruhe setzen möchte.

Abb. 1: Die Komplexität der Organisation darf nicht unterschätzt werden

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Unterschätzt wurde auch der Umfang der Honorarverluste durch die vertragsarztrechtlich vorgeschriebene Honorar- Zuwachsbegrenzung infolge der Halbierung der Vertragsarztsitze. Unser Nahziel ist daher die Einbindung einer weiteren orthopädischen Praxis.

Die größte Herausforderung der nächsten Jahre dürfte die Bewältigung des sich auch im fachärztlichen Bereich abzeichnenden Nachwuchsmangels sein. Wir fühlen uns dafür gut gewappnet, weil wir in unserer Praxis am Wall alle Möglichkeiten hätten, auch risikoarme Positionen für angestellte Ärzte anzubieten. Darüber hinaus könnten wir auch flexible Arbeitszeitmodelle und familienfreundliche Arbeitsplätze für die nachrückende, zum größeren Teil weibliche Generation entwickeln.

Für die nahe Zukunft ist es geplant, mit dem stationären Partnerkrankenhaus eine Verbundweiterbildung in Orthopädie und Unfallchirurgie zu etablieren.

Abb.2: Planung des neuen Klinikums Schaumburger Land in Vehlen

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Die Partner der Gemeinschaftspraxis unterstützen ausdrücklich die Konzeption des neuen Klinikums „Schaumburger Land“ in Vehlen, das 2015 in Betrieb gehen soll (Abb. 2). Wir haben geplant, unsere operativen Aktivitäten dann vom Krankenhaus Bückeburg an den neuen zentralen Klinikstandort zu verlegen, ggfs. mit einer weiteren Zweigpraxis direkt im Ärztehaus am neuen Klinikum.

Die Praxis am Wall unterstützt mit ihrem Gelenkzentrum Schaumburg einen in die Zukunft gerichteten Strukturwandel. In der Zukunft wird es nach unserer Einschätzung insbesondere außerhalb von städtischen Ballungsgebieten unerlässlich sein, die noch verbleibenden fachärztlichen Kapazitäten im klinischen und vertragsärztlichen Bereich zusammenzuführen, um eine hinreichende Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Unsere Kooperation könnte als Modell für einen derartigen Strukturwandel dienen.

Unser gemeinsames Projekt verwirklicht auch die seit Jahren gehegten persönlichen Wünsche und Vorstellungen der Partner von einer konstruktiven und gedeihlichen kollegialen Zusammenarbeit, die einerseits den Patienten und der regionalen Gesundheitsversorgung nützt, andererseits aber auch allen beteiligten Chirurgen berufliche Befriedigung bringt. Bisher konnten wir unsere Planziele erreichen. Inwieweit unser „Experiment“ als Modell für zukünftige Versorgungsstrukturen taugt, kann allerdings noch nicht abschließend beurteilt werden. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist der kollegiale Zusammenhalt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass alle fünf Partner unserer Praxis direkt oder indirekt aus der unfallchirurgischen Schule von Professor Harald Tscherne stammen und sich seit Jahren persönlich kennen und schätzen. Diese idealen persönlichen Voraussetzungen dürften nicht überall gegeben sein.

Abb. 3.: Freundschaft kann nicht schaden: 5 Unfallchirurgen = 1 Team. Partner der Praxis am Wall in Rinteln (von links): Dr. Claus-Joachim Kant, Dr. Karl-Heinz Thielke, Dr. Florian Barth, Dr. Stefan Bartsch, Dr. Peter Kalbe

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Literatur

[1] Jansen, C.: Überwindung der Sektorengrenze. Dauerbaustelle des Gesetzgebers.
Dtsch Arztebl 2012; 109(26): A-1363 / B-1180 / C-1160

Praxis am Wall in Rinteln, Gemeinschaftspraxis für Unfallchirurgie und Orthopädie

Kalbe P. Enge transsektorale Kooperation im kleinstädtischen Bereich am Beispiel der Praxis am Wall in Rinteln- Gelenkzentrum Schaumburg. Passion Chirurgie. 2012 September; 2(09): Artikel 02_02.

Neufassung des AOP-Vertrages – Ambulantes Operieren und sonstige stationsersetzende Eingriffe zum 1.6.2012

Die Neufassung des dreiseitigen Vertrages zum § 115b SGB V zum 01.06.2012 setzt die geänderten gesetzlichen Bestimmungen des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes um.

Neben Krankenhausärzten und Belegärzten können nunmehr auch andere Vertragsärzte auf der Grundlage einer vertraglichen Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus die Leistungen nach dem AOP-Vertrag erbringen (§ 7 Abs. 4). Auch in diesem Fall gilt der vom Krankenhaus sicherzustellende Facharztstandard § 14). Die Abrechnung dieser Leistungen erfolgt ausschließlich über die Abrechnung des Krankenhauses direkt mit der Krankenkasse (§ 18 Abs. 2).

Erfolgt die Leistungserbringung durch einen Belegarzt, rechnet dieser sie – wie bisher – über die Kassenärztliche Vereinbarung ab, und zwar nach belegärztlichen Grundsätzen (§ 18 Abs. 3), es sei denn, er wird aufgrund einer vertraglichen Regelung wie der Vertragsarzt gem. § 18 Abs. 2 tätig. Dann erfolgt die Abrechnung wiederum durch das Krankenhaus.

Der BDC begrüßt diese rechtliche Klarstellung, die im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung steht.

Der aktuelle Vertrag Vertrag nach § 115 b Abs. 1 SGB V - Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus

Kalbe P. Neufassung des AOP-Vertrages – Ambulantes Operieren und sonstige stationsersetzende Eingriffe zum 1.6.2012. Passion Chirurgie. 2012 September; 2(09): Artikel 02_05.

Abrechnungs-Tipps für GOÄ und UV-GOÄ

Grundleistungen: Untersuchung und Beratung (Teil 2)

Die in diesem Beitrag aufgeführten Gebührenpositionen kommen nicht so häufig zur Abrechnung, sind aber teilweise relativ hoch dotiert, so dass nichts vergessen werden sollte.

Rektale Untersuchung: GO-Nr. 11 (GOÄ) bzw. 18 (UV-GOÄ)

Die „Digitaluntersuchung des Mastdarms und/oder der Prostata“ ist nicht Bestandteil des Ganzkörperstatus, kann also neben den übrigen Untersuchungsziffern (Go.-Nrn 5-8) zusätzlich abgerechnet werden. Lediglich für den urologischen und gynäkologischen Bereich wird die rektale Untersuchung als Bestandteil der Untersuchung eines Organsystems nach GOÄ-Nr. 7 angesehen. Dies bedeutet für die viszeralchirurgische Untersuchung, dass die GOÄ-Nr. 11 zusätzlich anzusetzen ist. Es bestehen allerdings Ausschlüsse gegenüber zahlreichen proktologischen Eingriffen und auch gegenüber der Proktoskopie (GOÄ-Nr. 705) und der Rektoskopie (GOÄ Nr. 690).

Tipp: Im unfallchirurgischen Bereich und bei der BG dürfte die Leistung vor allem bei Steißbeinverletzungen (zusätzlich) in Betracht kommen, die meist palpatorisch besser zu beurteilen sind als radiologisch.

Einleitung und Koordination flankierender therapeutischer und sozialer Maßnahmen während der kontinuierlichen ambulanten Betreuung eines chronisch Kranken nach GO-Nr. 15 (GOÄ) bzw. 19 (UV-GOÄ)

Der ausführliche Legenden-Text spricht schon dafür, dass an die Abrechnung dieser GO-Nr. an zahlreiche Bedingungen geknüpft wird. Im Grunde handelt es sich um eine typische „Hausarzt-Ziffer“. Aber auch im fachärztlichen Bereich kann diese im Einzelfall abgerechnet werden, z. B. bei der kontinuierlichen Betreuung eines an Rheuma oder an einem Malignom erkrankten Patienten. Im Bereich der Unfallchirurgie und der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung z. B. bei einem Querschnittsgelähmten oder bei einem langwierigen Verlauf nach Polytrauma. Der ausdrückliche Bezug auf die ambulante Betreuung schließt die Abrechnung bei einem Krankenhausaufenthalt aus. Die Abrechnung ist lediglich einmal pro Kalenderjahr möglich. Die GOÄ-Nr. 4 (s. Passion Chirurgie 04/2012) kann daneben nicht abgerechnet werden, weil deren Leistungsinhalt enthalten ist.

Tipp: Als zeitliche Definition des unbestimmten Begriffs „ kontinuierlich“ wird vorgeschlagen, dies auf den Behandlungsfall zu beziehen. Dies bedeutet für Privatpatienten einen Monat und für BG-Patienten drei Monate.
In Anbetracht der recht ordentlichen Bewertung dieser GO-Nr. wird die Abrechnung von den Kostenträgern stets kritisch hinterfragt. Der Arzt sollte daher im Streitfall den o. a. Leistungsinhalt einschließlich sämtlicher Teilinhalte dokumentiert haben und nachweisen können.

Zuschläge zu den Beratungs- und Untersuchungsleistungen

Die Systematik für den Ausgleich der Leistungserbringung zu Unzeiten und bei Kleinkindern unterscheidet sich in der GOÄ grundsätzlich von der UV-GOÄ. Für Privatpatienten sind Zuschläge nach den Buchstaben A-D und K1 möglich, die allerdings sämtlich nicht gesteigert werden können. (GOÄ 1-fach). Die UV-GOÄ enthält dagegen unterschiedliche UV-GOÄ-Nrn. (2 bis 5 und 7 bis 10) für Leistungen zu Unzeiten und gewährt keinen Zuschlag für die Behandlung von Kleinkindern.

Zuschlag für außerhalb der Sprechstunde erbrachte Leistungen: A

Dieser Zuschlag ist (im Gegensatz zu den Zuschlägen B, C und D) für Krankenhausärzte nicht berechnungsfähig. Die Abrechnung ist auch neben einer telefonischen Beratung nach GOÄ-Nr. 1 zulässig. Beispiele finden sich in der Tabelle 1.

Zuschlag für in der Zeit zwischen 20 und 22 Uhr oder 6 und 8 Uhr außerhalb der Sprechstunde erbrachte Leistungen: B

Dieser Zuschlag ist mit den Zuschlägen D und K1 kombinierbar, nicht aber mit den Zuschlägen A und C. Griffig kann man diesen Zuschlag als „kleine Nacht“ bezeichnen. Die Leistungslegende bedingt, dass der Zuschlag nicht abrechnungsfähig ist, wenn zu diesen Zeiten Sprechstunden abgehalten werden.

Zuschlag für in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr erbrachte Leistungen: C

Dieser Zuschlag wird für Leistungen in der Nachtzeit („große Nacht“) fällig, kann aber natürlich nicht mit dem Zuschlag B und auch nicht mit dem Zuschlag A kombiniert werden. Sprechstunden zu diesen Zeiten dürfte wohl kaum jemand abhalten. Allerdings bestünde in diesem Fall kein Ausschluss.

Zuschlag für an Samstagen, Sonn- oder Feiertagen erbrachte Leistungen: D

Dieser Zuschlag ist bei Leistungen während der Abend- und Nachtstunden wiederum mit den Zuschlägen nach B oder C kombinierbar. Der Zuschlag nach D ist für Krankenhausärzte zwischen 8 und 20 Uhr nicht berechnungsfähig, wohl aber zu den Unzeiten in Kombination mit den Zuschlägen B oder C. Wenn an Samstagen Sprechstunden abgehalten werden, kann nur der halbe Zuschlag nach D berechnet werden (s. Tabelle 1).

Zuschlag zu den Untersuchungen nach den Nummern 5, 6, 7 und 8 bei Kindern bis zum vollendeten 4. Lebensjahr: K1

Dieser Zuschlag kann bei Kleinkindern bis zum 4. Geburtstag neben Untersuchungen und Beratungen angesetzt werden. Ein ausdrücklicher Abrechnungsausschluss besteht gegenüber Zuschlägen zu Besuchen (E, F, G, H, J und K2) sowie gegenüber Leistungen der intensivmedizinischen Überwachung und Behandlung sowie Leistungen der Dialyse.

Tab. 1: Beispiele für gängige Untersuchungs- und Beratungsleistungen mit Zuschlägen (gilt nur für die GOÄ)

GOÄ-Nrn Leistung U und B
(2.3-fach)
Zuschlag Honorar
5+1+A Symptomorientierte Untersuchung und Beratung außerhalb der Sprechstunde 21,46 € 4,08 € 25,54 €
5+1+A+K1 Symptomorientierte Untersuchung und Beratung eines Kleinkindes (bis 3 Jahre)
außerhalb der Sprechstunde
21,46 € 4,08 €
6,99 €
32,53 €
1+B+D Beratung (auch tel. ) am Samstagabend um 20:45 h (kleine Nacht) 10,73 € 10,49 €
12,82 €
34,04 €
5+1+B Spätabendliche (21:30 h)Untersuchung und Beratung wochentags (kleine Nacht) 21,46 € 10,49 € 31,95 €
5+1+½ D Untersuchung und Beratung in der Sonnabendsprechstunde 21,46 € 6,41 € 27,87 €
1+C+D Beratung (auch tel. ) am Wochenende um 23:00 h (große Nacht) 10,73 € 18,65 €
12,82 €
42,20 €
3+D Ausführliche Beratung tagsüber am Wochenende ohne Sprechstunde 20,11 € 12,82 € 32,93 €

Tipp: Die erbrachten Sonderleistungen (Wundversorgungen, Verbände, Röntgen etc.) können natürlich daneben abgerechnet werden, allerdings nur einmal im Behandlungsfall. Fallen mehrfach im Behandlungsfall Sonderleistungen neben Grundleistungen zu Unzeiten an, so muss unter Berücksichtigung der o. a. Zuschläge (wie in meinem Artikel in Passion Chirurgie 09/2011 dargestellt) kalkuliert werden, ob es günstiger ist, die Sonderleistungen abzurechnen oder die Grundleistungen mit den Zuschlägen. Zuschläge können nämlich nur in Kombination mit den GOÄ-Nrn. 1, 3, 4, 5, 6, 7 und 8 angesetzt werden und nicht, wenn ausschließlich Sonderleistungen abgerechnet werden.

Kalbe P. Abrechnungs-Tipps für GOÄ und UV-GOÄ – Teil 2. Passion Chirurgie. 2012 Juni; 2(06): Artikel 04_01.

Abrechnungs-Tipps für GOÄ und UV-GOÄ – Teil 1

Grundleistungen: Untersuchung und Beratung – Teil 1

Die Einzelpositionen der Untersuchungen und Beratungen erscheinen auf Grund der relativ geringen Honorarbeträge auf den ersten Blick unbedeutend. Da dies jedoch die häufigsten Abrechnungspositionen sind, spielen sie für das Gesamthonorar eine wichtige Rolle. Die optimale Abrechnung dieser Leistungen sollte also nicht unterschätzt werden. Insbesondere bei nicht operativen Fällen wird das Honorar (neben den technischen Leistungen) vor allem aus diesen Positionen generiert. Grundsätzlich sind diese Leistungen nach unserer Einschätzung unterbewertet, sodass bei der für dieses Jahr geplanten GOÄ-Reform eine Aufwertung angestrebt wird.

Erstbehandlung in einfachen Fällen und Kontrolluntersuchungen
GO-Nr. 1 (UV-GOÄ) bzw. 1 und 5 (GOÄ)

Dies ist der Standard für alle persönlichen Arzt-Patientenkontakte. Bei der UV-GOÄ ist die „symptomzentrierte Untersuchung bei Unfallverletzungen …“ bereits in die Nr. 1 einkalkuliert. Im Bereich der Privat-GOÄ wird die GO-Nr. 1 als Beratung getrennt von den Untersuchungen abgerechnet. Die GO-Nr. 5 steht dort für eine „symptombezogene Untersuchung“. Dies dürfte für die meisten Einzelverletzungen und alle Kontrollen zutreffen. Leider ist die GO-Nr. 5 pro Sitzung nur einmal abzurechnen, auch wenn mehrere Verletzungen oder Erkrankungen untersucht werden.

Tipp: Der Aufwand für die Behandlung zahlreicher oder schwierig zu behandelnder Einzelverletzungen kann über einen erhöhten Steigerungssatz (z. B. 3,5-fach) abgebildet werden.

Tipp: Mehrfachberechnung an einem Tag (unter Angabe der jeweiligen Uhrzeit) ist möglich, wenn dies in mehreren Sitzungen erfolgt. Eine Sitzung ist ein zusammenhängender Aufenthalt in der Praxis. Kommt ein Patient zum Beispiel einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag, liegen 2 Sitzungen vor. Wenn ein Patient am Nachmittag nur noch einmal anruft und beraten wird, kann die GO-Nr.1 (GOÄ) bzw. 11 (UV-GOÄ) jeweils mit Angabe der Uhrzeit angesetzt werden.


Darüber hinaus sind Grundleistungen nur einmal im Behandlungsfall (Definition s. Passion Chirurgie 9/2011) neben Sonderleistungen abzurechnen. Daher ist für alle Kontrolluntersuchungen zu prüfen, ob die Abrechnung der GO-Nr. 1 (UV-GOÄ) oder 1 und 5 (GOÄ) im Betrag günstiger ist oder die Abrechnung erbrachter Sonderleistungen, z. B. für das Débridement sekundär heilender Wunden, für Verbände, Übungsbehandlung etc.

Tipp: Sollte sich herausstellen, dass die Abrechnung der Untersuchung und Beratung einen höheren Betrag ergibt als die durchgeführten Sonderleistungen, so können aber auf jeden Fall die Sachkosten nach § 10 der Allgemeinen Bestimmungen der GOÄ bzw. die „Besonderen Kosten“ der UV-GOÄ zusätzlich angesetzt werden. Dazu sollte man sich im Praxis-Verwaltungs-System (PVS) so genannte „Kunstziffern“ anlegen. Dies wird hier an einem Beispiel erläutert:

Ein Patient kommt zur Kontrolle bei Ruhigstellung mit einer dorsalen Unterarmschiene. Er klagt über Druckbeschwerden, so dass die Schiene zur Kontrolle der Hautverhältnisse abgenommen und danach wieder angelegt wird. Sofern in diesem Zusammenhang keine Übungsbehandlung durchgeführt wird, kann nur die Leistung nach der GO-Nr. 229 abgerechnet werden. Bei einer BG-Behandlung ist es günstiger, die GO-Nr. 229 anstelle der GO-Nr. 1 anzusetzen. Bei einem Privatpatienten ist es dagegen günstiger, die GO-Nrn. 1 und 5 abzurechnen. Zusätzlich kann man die Sachkosten für die Wiederanlage der Schiene, also z. B. für die verwendeten Binden ansetzen. Die Kosten sind in einer „Kunstziffer“ im PVS hinterlegt worden, z. B. als „0229“. Diese ist mit 0 € Honorar und den in der Praxis in der Regel anfallenden Sachkosten (z. B. 3,40 €) hinterlegt und erscheint auf der Rechnung nur als „Sachkosten nach § 10 GOÄ“. Die richtige Abrechnung für diesen Tag lautet dann also: 1 und 5 und 0229.

Eingehende Beratung nach GO-Nr. 3 (nur Privat-GOÄ)

Diese Ziffer ist auf den ersten Blick attraktiv. Laut Leistungslegende muss die Beratung allerdings eingehend sein und das gewöhnliche Maß überschreiten. Dauer mindestens 10 Minuten. Mehrfachabrechnung ist im Behandlungsfall nur mit besonderer Begründung möglich. Die GO-Nr. 3 kann z. B. für die Besprechung eines MRT-Befundes angesetzt werden. Wenn in der gleichen Sitzung auch eine Untersuchung nach den GO-Nr. 5, 6, 7, 8, 800 oder 801 erfolgt, kann diese daneben abgerechnet werden. Ansonsten können in gleicher Sitzung keinerlei Leistungen (vor allem keine technischen Leistungen) neben der GO-Nr. 3 abgerechnet werden, was die Attraktivität für Chirurgen erheblich schmälert.

Fremdanamnese und Unterweisung von Bezugspersonen nach GO-Nr. 4 (nur Privat-GOÄ)

Der Text der Leistungslegende lautet:

Erhebung der Fremdanamnese über einen Kranken und/oder Unterweisung und Führung der Bezugsperson(en) – im Zusammenhang mit der Behandlung eines Kranken.

Immer wieder wird diese Leistung von privaten Krankenkassen beanstandet mit der Behauptung, diese sei nur ansatzfähig bei behinderten Kindern, bewusstseinsgestörten Patienten oder Unfallpatienten. Dies ist aus der Leistungslegende nicht zu entnehmen und widerspricht der Kommentierung durch die Ärztekammern. Demnach kann diese Leistung auch angesetzt werden bei der Behandlung von Kleinkindern oder anderen Personen, von denen keine verlässlichen Informationen über die Anamnese zu erhalten sind. Desgleichen auch dann, wenn eine Unterweisung von Bezugspersonen aus medizinischen Gründen erforderlich ist.

Tipp: Eine Unterweisung von Bezugspersonen, z. B. von Familienmitgliedern oder Freunden ist regelmäßig nach ambulanten Operationen medizinisch geboten. Dies kann ausnahmsweise auch telefonisch erfolgen.

Tipp: Die GO-Nr. 1 kann neben der GO-Nr. 4 abgerechnet werden, es sei denn, dass sich sämtliche Bestandteile der Leistungslegende an ein und dieselbe Person richten. Dies wäre z. B. der Fall bei Mutter und Kleinkind oder bei einem schwer kommunikationsgestörten Patienten und seinem Betreuer. In allen anderen Fällen ist die zusätzliche Abrechnung der GO-Nr. 1 möglich, wenn der Leistungsinhalt (Beratung des Patienten) erfüllt wurde.

Ausführliche Untersuchungen (Privat-GOÄ)

Bei den relativ geringen Bewertungen der Grundleistungen sollte regelmäßig geprüft werden, ob man statt der GO-Nr. 5 eine der höher bewerteten GO-Nummern 6 bis 8 ansetzen kann.

GOÄ Nr. 6:

Vollständige körperliche Untersuchung mindestens eines der folgenden Organsysteme: alle Augenabschnitte, der gesamte HNO-Bereich, das stomatognathe System, die Nieren und ableitenden Harnwege (bei Männern auch gegebenenfalls einschließlich der männlichen Geschlechtsorgane) oder Untersuchung zur Erhebung
eines vollständigen Gefäßstatus – gegebenenfalls einschließlich Dokumentation.

Für Chirurgen kommt hier vor allem das Gefäßsystem in Betracht. Allein die routinemäßige Prüfung der „DMS“ erfüllt nicht den Leistungsinhalt. Bei Vorliegen einer AVK oder einer venösen Durchblutungsstörung gehört der Gefäßstatus zum medizinischen Standard. In den einschlägigen Kommentaren wird der Leistungsinhalt so interpretiert:

Palpation und gegebenenfalls Auskultation der Arterien an beiden Handgelenken, Ellenbeugen, Achseln, Fußrücken, Sprunggelenken, Kniekehlen, Leisten sowie der tastbaren Arterien an Hals und Kopf, Inspektion und gegebenenfalls Palpation der oberflächlichen Bein- und Halsvenen.

Die Dokumentation ist zwar eine optionale Leistung, wird gleichwohl allein schon aus Gründen der Beweissicherung dringend empfohlen. Dies verbessert auch die Position des Arztes bei evtl. aus der Abrechnung resultierenden Streitigkeiten.

GOÄ Nr. 7:

Vollständige körperliche Untersuchung mindestens eines der folgenden Organsysteme: das gesamte Hautorgan, die Stütz- und Bewegungsorgane, alle Brustorgane, alle Bauchorgane, der gesamte weibliche Genitaltrakt (gegebenenfalls einschließlich Nieren und ableitende Harnwege) – gegebenenfalls einschließlich Dokumentation.

Dies dürfte die für Chirurgen am häufigsten zutreffende umfassende Untersuchungsleistung sein. Für die Bewegungsorgane wird z. B. in den Kommentaren folgender Umfang vorgeschlagen:

 

Inspektion, Palpation und orientierende Funktionsprüfung der Gelenke und der Wirbelsäule einschließlich Prüfung der Reflexe.

GOÄ Nr. 8:

Untersuchung zur Erhebung des Ganzkörperstatus, gegebenenfalls einschließlich Dokumentation.

Diese Leistung dürften Chirurgen eher selten erbringen. Denkbar aber z. B. als IGeL bei einem Check-Up oder im Rahmen von Gutachten. Der Leistungsinhalt wird so interpretiert:

 

Der Ganzkörperstatus beinhaltet die Untersuchung der Haut, der sichtbaren Schleimhäute, der Brust- und Bauchorgane, der Stütz- und Bewegungsorgane, sowie eine orientierende neurologische Untersuchung.

Da die Leistungen nach GOÄ Nr. 6 bis 8 nicht nebeneinander abgerechnet werden können, bietet die GO-Nr. 8 eine Alternative, wenn mehrere Organsysteme untersucht wurden und der Leistungsinhalt erfüllt ist. Ansonsten bleibt nur die Möglichkeit, die GOÄ Nr. 6 bzw. 7 mit der entsprechenden Begründung zu steigern (z. B. 3,5 –fach).

Ausführliche Untersuchungen (UV-GOÄ)

Für die BG-Abrechnung gilt eine grundsätzlich abweichende Systematik.


Die GO-Nr. 11 der UV-GOÄ beinhaltet eine alleinige Beratung des Unfallverletzten (auch telefonisch), wird aber selten verwendet, da in aller Regel auch eine Untersuchung erfolgt. Dann ist die GO-Nr. 1 anzusetzen, die in der UV-GOÄ eine Untersuchung einschließlich Beratung beinhaltet.

GO-Nr. 6 (UV-GOÄ)

Schwierigkeiten bereitet immer wieder die Abgrenzung zur GO-Nr. 6, die folgende Leistungslegende hat:

Umfassende Untersuchung verbunden mit nach Umfang und Zeit besonderem differenzialdiagnostischen Aufwand und/oder Beteiligung mehrerer Organe einschl. Klärung oder Überprüfung des Zusammenhangs mit der Berufstätigkeit sowie der notwendigen Beratung.

Diese GO-Nr. hebt also zum einen auf einen besonderen Aufwand bei der Differenzialdiagnose und zum anderen auf die Beteiligung mehrerer Organe ab. Aus den Arbeitshinweisen der BG ist zu entnehmen, wann die BG dies regelmäßig anerkennt (vorausgesetzt, der Leistungsinhalt wurde erbracht!)

    • bei Knieverletzungen, wenn eine umfassende Untersuchung durchgeführt wird (am besten dokumentiert durch den „Kniebogen“),
    • bei einer Kopfverletzung mit Verdacht auf Hirnbeteiligung,

      • vor einer Vollnarkose,
      • bei einer Generaluntersuchung für eine Begutachtung.

Dies benennt Umstände, die von den prüfenden Sachbearbeitern in der Regel akzeptiert werden. Diese Aufzählung ist jedoch nicht abschließend. So würde z. B. eine aufwändige körperliche und neurologische Untersuchung in Folge einer schweren HWS-Distorsion analog zu einer Kopfverletzung mit Verdacht auf Hirnbeteiligung bzw. neurologische Ausfälle ebenfalls den Leistungsinhalt erfüllen. Im Gegensatz zur GOÄ ist die GO-Nr. 800 in der UV-GOÄ ausdrücklich nur von Neurologen anzusetzen.

Die GO-Nr. 6 hat darüber hinaus den Charme, dass sie (in begründeten Fällen) bis zu 3-mal im Behandlungsfall (3 Monate bei BG-Patienten) angesetzt werden kann und im Gegensatz zur GO-Nr. 1 keinen Leistungsausschluss gegenüber Sonderleistungen hat. Allerdings besteht ein Abrechungsausschluss gegen die GO-Nr. 1. Bei mehr als einmaliger Berechnung der GO-Nr. 6 wird die BG die Berechtigung kritisch prüfen.

Tipp: Grundlage der Rechnungsprüfung durch die Sachbearbeiter wird die dort vorliegende Dokumentation sein. Es ist daher empfehlenswert, die bei der Erstuntersuchung erhobenen Befunde im D-Arzt-Bericht bzw. Zusatzberichten und die Besonderheiten im Heilverlauf durch Zwischenberichte ausführlich zu dokumentieren.

Tipp: Wenn bei der Erstuntersuchung z. B. bei einer Knieverletzung die GO-Nr. 6 zusammen mit Sonderleistungen (z. B. Röntgen, Ultraschall, Punktion etc.) abgerechnet wurde, kann im weiteren Verlauf an einem anderen Tag die GO-Nr. 1 noch neben Sonderleistungen abgerechnet werden (einmal im Behandlungsfall).

Untersuchung und Beratung zu Unzeiten: GO-Nr. 2 und 5 (UV-GOÄ)

In der UV-GOÄ stehen die GO-Nrn. 2 bis 5 für Untersuchungen und Beratungen zu Unzeiten. Die Abrechnung der GO-Nr. 2 für Untersuchungen und Beratungen von BG-Patienten am Sonnabend bis 12.00 Uhr und der GO-Nr. 5 am Sonnabend ab 12.00 Uhr erscheint für niedergelassene D-Ärzte sachgerecht. Da in den Bedingungen für die D-Arzt-Tätigkeit seit 2012 die Unfallbereitschaft am Sonnabend weggefallen ist, können die GO-Nr. 2 bzw. 5 statt der GO-Nr. 1 am Sonnabend abgerechnet werden, es sei denn es werden zu den fraglichen Zeiten Sprechstunden abgehalten. Die in den Kommentaren der BG aufgestellte Forderung, die GO-Nr. 2 könne nur dann abgerechnet werden, wenn der Arzt nicht in der Praxis erreichbar war und diese erst zur Behandlung aufsuchen müsse, ist aus der Leistungslegende nicht abzuleiten. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass ein Aufschlag auf die GO-Nr. 1 von 1,20 € (für die GO-Nr. 2) bzw. 3,61 € (für die GO-Nr. 5) den Aufwand für das Aufsuchen der Praxis auch nur annähernd ausgleichen könnte.

In der Ausgabe 05/2012 ‚Passion Chirurgie’ werden weitere Leistungen aus dem Kapitel B vorgestellt und kommentiert.

Exkurs: Sind BDC-Abrechnungstipps eine „Anstiftung zum Abrechnungsbetrug“?

Die erste Folge der Abrechungstipps (Passion Chirurgie 09/2011) hat neben Zustimmung auch Kritik geerntet. Es wurde von einem beratenden Arzt der Berufsgenossenschaften mit harten Worten bemängelt, in der Kolumne seien unzulässige Abrechnungsketten empfohlen worden. Dies gibt Anlass zu folgender Klarstellung:

Wenn in dieser BDC-Kolumne Empfehlungen ausgesprochen werden, so basieren diese stets auf einer gründlichen Recherche der Gebührenordnungen und deren Auslegungen. Grundlage ist die jeweils zutreffende Leistungslegende der abgerechneten GO-Nr. Dabei gibt es stets einen gewissen Interpretationsspielraum. Allein die zahlreichen Auslegungshinweise der Bundesärztekammer sowie die ausgiebige Rechtsprechung zu strittigen Abrechnungsfragen und die Standardwerke der Fachkommentare beweisen, dass die Auslegung der Gebührenordnungen durchaus unterschiedlich sein kann. Dies liegt auch daran, dass die Legendierung der aktuell (noch) gültigen GOÄ völlig veraltet ist. Grundlage jeder Gebührenabrechnung ist der Grundsatz, dass nur Leistungen abgerechnet werden können, die auch tatsächlich erbracht worden sind. Sofern eine Leistung erbracht wurde, so kann die Honorierung aber auch nicht ohne weiteres mit dem Argument verwehrt werden, sie sei nicht notwendig oder unwirtschaftlich gewesen.

Während es bei der GOÄ vor allem auf die medizinische Plausibilität und die „Angemessenheit“ der Gebühren ankommt, ist im Bereich des D-Arztwesens eine Verpflichtung zur Wirtschaftlichkeit festgeschrieben: So heißt es in den „Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger … zur Beteiligung am Durchgangsarztverfahren“ unter 5.2.:

„Der Durchgangsarzt verpflichtet sich ferner…

…die durchgangsärztliche Tätigkeit persönlich und unter Beachtung der Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit auszuüben.“

Auch im Vertrag zwischen der KBV und der DGUV findet sich im § 8 eine entsprechende Formulierung:

(1) Die ärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit der Ärzte, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich und zweckmäßig ist und das Gebot der Wirtschaftlichkeit erfüllt.

Daraus ergibt sich naturgemäß ein Spannungsfeld zwischen der Therapiefreiheit des D-Arztes und dem Anspruch der Berufsgenossenschaften, die Unfallverletzten „mit allen geeigneten Mitteln“ zu versorgen einerseits und dem Wirtschaftlichkeitsgebot andererseits.

Demgemäß wird in den „Arbeitshinweisen der Unfallversicherungsträger zur Bearbeitung von Arztrechnungen“ folgender Hinweis an die prüfenden Sachbearbeiter gegeben:

„Bestehen Zweifel an der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer abgerechneten ärztlichen Behandlung (Art, Umfang, Intensität, Behandlungsabstände), sollte der beratende Arzt bzw. ein für das jeweilige Gebiet kompetenter Facharzt gehört werden. Dieser hat die notwendige Fachkompetenz zu entscheiden, ob die Grenzen der ärztl. Therapiefreiheit im Einzelfall überschritten sind.“

Eine grundsätzliche Streichung von erbrachten und abgerechneten ärztlichen Leistungen durch die Sachbearbeiter ist dadurch nicht gedeckt.

Im konkreten Fall wurde die Abrechung der GO-Nr. 510 bei der ersten Kontrolle und nach Wiederanlage einer ruhig stellenden Schiene bei einer unverschobenen distalen Radiusfraktur als nicht sachgerecht bemängelt. Dies ist nicht ohne weiteres akzeptabel. Dazu wird auf die Leistungslegende verwiesen:

Nr. 510: Übungsbehandlung auch mit Anwendung medikomechanischer Apparate, je Sitzung.

Aus der Formulierung „auch“ kann nicht geschlossen werden, dass die Anwendung medikomechanischer Apparate obligater Leistungsbestandteil wäre. Somit erfüllt eine durchgeführte Übungsbehandlung den Leistungsinhalt. Es ist unstrittig, dass dies nicht gleichbedeutend ist mit einer reinen Überprüfung der Gelenkbeweglichkeit. Vielmehr erfordert diese ärztliche Leistung, wie zutreffend in den Arbeitshinweisen ausgeführt wird:

„auch – zusammen mit entsprechenden Verhaltensmaßregeln – eine Demonstration der vom Verletzten selbstständig fortzuführenden Übungen“.

Wurde dieser Leistungsinhalt erbracht, so kann die Leistung nicht als unwirtschaftlich gestrichen werden. Schon gar nicht generell, sondern allenfalls – wie in den Arbeitshinweisen ausgeführt – im Einzelfall. Wird also bei einer Wiederanlage einer ruhig stellenden Schiene eine Übungsbehandlung der nicht ruhig gestellten Gelenke (hier insbesondere der Fingergelenke und der Schultern) durchgeführt und der Verletzte entsprechend zu Eigenübungen angeleitet und überprüft, so ist der Leistungsinhalt erfüllt und die Abrechnung der GO-Nr. 510 gerechtfertigt.

Es wird zusammenfassend nochmals darauf hingewiesen, dass der BDC keinesfalls die Abrechnung von Leistungen empfehlen würde, die nicht erbracht worden sind. Gleichwohl unterstützt der Berufsverband selbstverständlich seine Mitglieder, wenn es darum geht, das optimale Honorar für tatsächlich erbrachte ärztliche Leistungen einzufordern.

Kalbe P. Abrechnungs-Tipps für GOÄ und UV-GOÄ – Teil 1. Passion Chirurgie. 2012 März; 2(03): Artikel 04_01.

Rezension: Behandlungsfehler und Haftpflicht in der Viszeralchirurgie

Behandlungsfehler und Haftpflicht in der Viszeralchirurgie
Bauch, J.; Bruch, H.-P.; Heberer, J.; Jähne, J. (Hrsg.)
Springer Medizin Verlag, 1st Edition, 2010, 383 S. 50 Abb.
ISBN 978-3-642-05371-9, 79,95 Euro
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Die Bewertung von Behandlungsfehlern durch die Ärzteschaft befindet sich in einem grundsätzlichen Änderungsprozess. Die noch vor Jahren weit verbreitete grundsätzliche Negierung weicht immer mehr einem aktiven qualitätsbewussten Fehlermanagement. Die Herausgeber Bauch, Bruch, Heberer und Jähne unterstützen diesen Prozess in Zusammenarbeit mit dem BDC und der wissenschaftlichen Fachgesellschaft der Viszeralchirurgie durch eine offene und konstruktive Darstellung von Gefahren und möglichen Fehlern in der Viszeralchirurgie. Die Kompetenz der Autoren ergibt sich zum einen aus ihrer eigenen chirurgischen Erfahrung, zum anderen aus der langjährigen Tätigkeit als Gutachter, ehrenamtlicher Richter und als juristischer Beistand.

Der allgemeine Teil bietet eine Synopsis der aktuellen rechtlichen Grundlagen und hebt immer wieder auf die immense Bedeutung einer ausführlichen präoperativen Patientenaufklärung und einer aussagekräftigen Dokumentation ab. Neben allgemeinen Verhaltensregeln zur Vermeidung von Behandlungsfehlern finden sich praktische Hinweise zum offenen, wenngleich juristisch unverfänglichen Vorgehen beim Eintreten eines Behandlungsfehlers. Auf häufige Streitpunkte wie die Thrombembolieprophylaxe und postoperative Wundinfektionen wird dezidiert eingegangen. Ein eigenes Kapitel ist der Begutachtung durch den MDK gewidmet.

Der spezielle Teil bietet in den Kapiteln 7 bis 28 eine organ- bzw. methodenbezogene Übersicht über sämtliche allgemein- und viszeralchirurgischen Eingriffe von der Oesophaguschirurgie bis zur Leber- und Nierentransplantation. Ausgewiesene Experten ihrer Fächer stellen systematisch den aktuellen Stand der chirurgischen Behandlung anhand der Unterkapitel präoperative Diagnostik, Indikation, Aufklärung, OP-Vorbereitung, Operation und postoperative Behandlung dar. In fast allen Kapiteln finden sich zusätzlich hilfreiche tabellarische Übersichten über typische und häufige Komplikationen, welche als Grundlage für die präoperative Patientenaufklärung dienen können. Der spezielle Fokus liegt in allen Kapiteln nicht auf operationstechnischen Details, sondern auf den typischen Gefahren und deren Vermeidung. Dies nicht nur im Hinblick auf die Operation selbst, sondern vor allem auch bezüglich der Indikation und organisatorischer Maßnahmen vor allem bei Notfällen. Grundsätzlich findet der Leser eindeutige und durch Literatur belegte Aussagen zum aktuellen Stand der Viszeralchirurgie und auch zu heute obsoleten, wenngleich noch verbreitet anzutreffenden Behandlungsmethoden.

Auch für den nicht vizeralchirurgisch tätigen Chirurgen ist dieses Buch hilfreich, denn es bietet auf 383 Seiten mit 50 Abbildungen für 79,95 € in komprimierter Form einen aktuellen Überblick über den Goldstandard viszeralchirurgischer Operationen. Insgesamt somit sehr zu empfehlen für alle Kliniker, aber auch für niedergelassene Chirurgen, die sich ohne großen Aufwand einen Überblick über den aktuellen Standard in der Viszeralchirurgie verschaffen wollen.

Kalbe P. Rezension: Behandlungsfehler und Haftpflicht in der Viszeralchirurgie. Passion Chirurgie. 2011 Dezember; 1(12): Artikel 03_07.

Abrechnungs-Tipps für GOÄ und UV-GOÄ

Begriffsbestimmung: Behandlungsfall

Der Behandlungsfall dauert bei Privatpatienten einen Monat und bei BG-Patienten drei Monate. Ein Behandlungsfall ist für die GOÄ also verstrichen, wenn sich der Monatsname geändert und das Datum um mindestens eins erhöht hat. Wenn ein Privatpatient erstmals am 1. September behandelt wird, beginnt der neue Behandlungsfall am 2. Oktober. Für einen BG-Patienten jedoch erst am 2. Dezember.

Wofür hat dies Bedeutung? Die GOÄ schreibt vor, dass nur einmal im Behandlungsfall die häufige Kombination aus den GON 1 und 5 (Beratung und symptombezogene Untersuchung) neben Sonderleistungen abgerechnet werden kann. Diese Ausschlussregelung der Allgemeinen Bestimmungen in der GOÄ bezieht sich nur auf die Kombination mit Sonderleistungen nach den Kapiteln C bis O. Jedoch können Leistungen des Kapitels B der GOÄ durchaus auch mehrfach im Behandlungsfall neben der 1 bzw. 5 berechnet werden. Dazu gehören beispielsweise der Arztbrief nach der GON 75, das Konsilium nach der GON 60 und die GON 70 für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Analog gilt dies auch für die UV-GOÄ, wobei hier die Leistungen der Beratung und der symptombezogenen Untersuchung in der GON 1 zusammengefasst sind.Beispiel:Dies wird in der Tabelle 1 am Beispiel einer unverschobenen distalen Radiusfraktur erläutert. Am Unfalltag wird die Beratung und Untersuchung nach den GON 1 und 5 (Privat) bzw. GON 1 (BG) abgerechnet. Dazu kommen die Leistungen des Röntgens und der Schienenanlage. Ggf. zusätzlich die AU-Bescheinigung und der Arztbrief. Am Tag danach die Schienenkontrolle. Hier ist die Kombination der GON 1-5 günstiger als die durchgeführte Übungsbehandlung nach GON 510.

Tab.1: Beispiel unverschobene distale Radiusfraktur

Beh.-Tag Leistung GOÄ UV-GOÄ Sachkosten Bemerkung
1 U/B/Rö./Schiene/

Arztbrief (DAB)/AU

1-5-5020-228-75-70 1-5020-228B*3-132-143 *1 zusätzliche Leistungen, wie z. B. Eisanwendung (530) möglich
2 Kontrolle, Übungen 1-5 1 keine besser als 510
5 Kontrolle auf Druckstelle, Übungen 229-510 229-510*2 *1 besser als 1-5 (Privat) bzw. 1(BG)
8 Geschl. „Gips,“ Übungen 230-510-5020 230B*3-510*2-5020 *1
9 Kontrolle, Übungen 1-5 1 keine besser als 510
15 Kontrolle, Übungen 1-5 1 keine besser als 510, ggf. Rö-Ko., dann Abrechnung 510-5020
29 „Gips“-Entfernung/

Übungen, Rö. Ko.

246-510-5020 246-510*2-5020 *1
1 Monat

+ 1 Tag

Ergebniskontrolle/

Übungen

1-5-510 1 keine für Privat-GOÄ neuer Behandlungsfall, für BG dauert Behandlungsfall noch an
3 Monate

+ 1 Tag

Z. B. Spätkomplikation CRPS, U/B/Rö. bds./

Übungen, ggf. AU

1-5-5020 x 2-510-70 1-5020 x 2-510*2-115-143 Keine, ggf.

Medikamente

jetzt auch für die BG neuer Behandlungsfall, kein neuer D-Bericht, Zwischenbericht

*1 Sachkosten können nach § 10 der Allgemeinen Bestimmungen der GOÄ als „Ersatz von Auslagen“ stets abgerechnet werden. Nach der UV-GOÄ sind die „Besonderen Kosten“ vertraglich festgelegt. Das Thema „Sachkosten“ wird in einer späteren Ausgabe der „Passion Chirurgie“ ausführlich behandelt.

*2 Übungsbehandlung. Der Leistungsinhalt wird nicht durch bloße Funktionsprüfung erfüllt. Häufig durch BG gestrichen.

*3 In der UV-GOÄ unterschiedliche Zusatz-Buchstaben je nach verwendetem Fixier-Material. Heute meist Kunststoff (Cast).

In unserem Beispiel kommt der Patient aber zwei Tage später wieder und klagt über Druckbeschwerden. Die Schiene wird abgenommen, um Druckstellen auszuschließen und danach wieder angelegt, da sie in Ordnung ist. Es können an diesem Tag entweder nur die Grundleistungen oder die Sonderleistungen abgerechnet werden. Es muss kalkuliert werden, was günstiger ist. Hier die Kombination der GON 229-510.In jedem Fall aber können die angefallenen Sachkosten nach § 6 der GOÄ bzw. die „Besonderen Kosten“ nach der UV-GOÄ und ggf. erbrachte weitere Leistungen aus dem Kapitel B angesetzt werden. In unserem Bespiel dauert der Behandlungsfall nach vier Wochen Ruhigstellung (Tag 29) noch an. Erst bei der Spätkontrolle kann die GON 1 und 5 wieder einmalig neben der durchgeführten Übungsbehandlung abgerechnet werden. Unter der Annahme einer erneuten Vorstellung mit einer Spätkomplikation (z. B. CRPS) nach mehr als drei Monaten besteht dann sowohl für die GOÄ als auch für die UV-GOÄ ein neuer Behandlungsfall mit entsprechender Abrechnungsmöglichkeit.

Ausnahmen: Bei Privatpatienten begründet jede weitere behandelte Erkrankung einen neuen Behandlungsfall. Dies sollte in der Rechnung durch eine entsprechende Erläuterung der Beratungs- und Untersuchungsleistungen und Angabe der Diagnose begründet werden, z. B. 1 (neue Erkrankung, grippaler Infekt) bis fünf (neue Erkrankung, grippaler Infekt). Sämtliche begründenden Diagnosen müssen in der Rechnung aufgeführt werden. Theoretisch könnte man Privatpatienten also tageweise zur Abarbeitung einer ganzen Reihe von degenerativen Erkrankungen der Bewegungsorgane einbestellen. Dies dürfte jedoch gerade von dieser Klientel nur in sehr engen Grenzen toleriert werden.

Für die Beurteilung, ob eine weitere Diagnose eine neue Erkrankung darstellt oder ob es sich nur um eine Begleiterscheinung und/oder Komplikation der ursprünglichen Krankheit handelt, besteht eine gewisse Grauzone und Konfliktpotenzial mit den Kostenträgern.Eine weitere Besonderheit bei Privatpatienten liegt vor, wenn am ersten Behandlungstag nicht die GON 5, sondern die GON 7 (komplette Untersuchung eines Organsystems, hier Bewegungsorgane) abgerechnet wurde. Wenn in unserem Beispiel der Sturz mit multiplen zusätzlichen Prellungen verbunden gewesen wäre und eine komplette körperliche Untersuchung erfordert hätte, wäre der Ansatz der GON 7 gerechtfertigt gewesen. Dann könnte an einem späteren Behandlungstag die GON 5 noch neben anderen Leistungen abgerechnet werden, weil diese GON im Behandlungsfall noch nicht neben Sonderleistungen abgerechnet worden war.

Bei BG-Patienten kann es vorkommen, dass sich ein Unfallverletzter gleichzeitig wegen verschiedener Unfälle in Behandlung befindet. Beispiel: Ein Verletzter wird wegen einer frischen Außenbandruptur des rechten OSG D-ärztlich behandelt. Im Rahmen der Kontrollen klagt er auch über Schmerzen als Folge eines früheren Arbeitsunfalls mit fehlverheiltem Unterschenkelbruch links. Beide Fälle müssen getrennt geführt und abgerechnet werden. Die Praxis-Software sollte eine Zuordnung der BG-Leistungsziffern zu den unterschiedlichen D-Arztberichten/Unfällen ermöglichen.

Dann kann z. B. an einem Tag zweimal die GON 1 abgerechnet werden, wenn beide Unfälle behandlungsrelevant sind.Die BG-Rechnungen müssen dann getrennt und auf die jeweiligen Unfälle bezogen erstellt werden. Dies schon allein deswegen, weil u. U. verschiedene Berufsgenossenschaften als Kostenträger zuständig sind.Diese und andere Abrechnungsfragen werden ausführlich in den Seminaren abgehandelt, die der BDC über seine Fortbildungs-Akademie für niedergelassene Chirurgen anbietet.

Kalbe P. Abrechnungs-Tipps für GOÄ und UV-GOÄ. Passion Chirurgie. 2011 September; 1(9): Artikel 04_01.

Auswirkungen der Neuordnung des D-Arzt-Verfahrens ab 2011

Ein Kommentar der Gemeinsamen BG-Kommission der unfallchirurgisch-orthopädischen Berufsverbände (GBK)

Seit mehreren Jahren war eine Neuordnung des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) angekündigt worden. Sowohl die Berufsverbände als auch die wissenschaftlichen Fachgesellschaften der Unfallchirurgen und Orthopäden wurden im Vorfeld dazu gehört und teilweise sind deren Vorstellungen und Wünsche auch in die Reform eingeflossen. Für den Bereich der Niedergelassenen wurde die Neuordnung zum 1.1.2011 wirksam, für den (noch schwieriger zu regelnden) stationären Bereich sollen die Veränderungen im Laufe des Jahres 2011 umgesetzt werden.

Die GBK hat sich ausführlich mit den neuen Bestimmungen auseinandergesetzt. In diesem Beitrag werden die Auswirkungen analysiert und mit allen Beteiligten abgestimmte Handlungsempfehlungen gegeben.

Grundsätzlich sind die Beziehungen zwischen den Vertragsärzten und der DGUV gemäß § 34 Abs. 3 des SGB VII vertraglich geregelt. Der entsprechende Vertrag wird zwischen der KBV und der DGUV geschlossen. Im Deutschen Ärzteblatt Nr. 41 vom 15.10.2010 [1] wurde die aktuelle Fassung veröffentlicht. Darüber hinaus gelten die „Anforderungen der Gesetzlichen Unfallversicherung nach § 34 SGB VII zur Beteiligung am Durchgangsarztverfahren“ [2], die zum 1.1.2011 novelliert worden sind. Auf die relevanten Änderungen im Vergleich zum Stand vom 1.1.2005 wird jeweils eingegangen.

Der Vertragstext, die dazu gehörigen Zulassungsvoraussetzungen und Auslegungsgrundsätze sind von den Homepages des BDC, des BVBGÄ und der DGUV herunterzuladen.

D-Ärzte

Nach Bekanntwerden der Eckpunkte zur Neuausrichtung der Heilverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahr 2008 und Gründung einer AG Berufsgenossenschaften in der ehemaligen Union Orthopädie und Unfallchirurgie mit Beteiligung beider Fachgesellschaften DGU und DGOOC entwickelte sich in der Diskussion mit der DGUV ein dreistufiges D-Arztmodell, welches dem neuen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Rechnung tragen sollte. Es ist mittlerweile Konsens, dass es einen Basis-D-Arzt geben soll, der Facharzt für O/U ist und nach seiner Anerkennung noch ein Jahr an einer für das Verletzungsartenverfahren (VAV) zugelassenen Klinik gearbeitet haben muss. Während der Weiterbildung werden Kurse in der Führung und Organisation der Heilverfahren, in Begutachtung und Rehabilitation besucht werden müssen. Exakte Kriterien für diese Anforderungen liegen noch nicht fest, sind aber in Bearbeitung. Die operativen Eingriffe, die diese Basis-D-Ärzte ausführen dürfen, sind in den Grundsätzen ambulantes Operieren in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) in der Fassung vom 1.1.2011 [4] nachzulesen (s. Homepages).

Dies gilt für alle bis zum 31.12.2010 beteiligten niedergelassenen oder an Krankenhäusern tätigen D-Ärzte. Andere sind zur Durchführung ambulanter Operationen nur berechtigt mit der Schwerpunktbezeichnung „Unfallchirurgie“ oder der Zusatzbezeichnung „Spezielle Unfallchirurgie“. Durchgangsärzte ohne diese Voraussetzungen dürfen nur solche ambulanten Operationen durchführen und abrechnen, die in den GON 442 bis 445 mit einem „*“ gekennzeichnet sind, andere Operationen nur nach vorheriger Genehmigung durch den Unfallversicherungsträger. Weitere Voraussetzung ist die Anerkennung der fachlichen und räumlich-apparativen Voraussetzungen und Pflichten der DGUV. Eine Liste der Operationen kann unter „Grundsätze ambulantes Operieren“ eingesehen werden.

H-Ärzte können auf Antrag zum Basis-D-Arzt übergeführt werden, wenn sie eine Mindestfallzahl von 250 Erstfällen an einem Standort pro Jahr in den letzten 3 Jahren oder in der Zukunft bis zum 31.12.2015 nachweisen können. Neue H-Ärzte werden seit 1.1.2011 nicht mehr zugelassen. Zu den Regelungen der H-Arztüberleitungsverfahren aus Sicht der BVOU wird ein Artikel von G. Rauch in den Orthopädie Mitteilungen 3/2011 erscheinen [5].

Der D-Arzt „Operative Tätigkeit“ muss neben den Facharzt für O/U weitere 3 Jahre in einer VAV-Klinik mit entsprechender Weiterbildungsbefugnis tätig sein und die zusätzlichen Qualifikationen in Kursen für Heilverfahrensführung, Gutachten und Rehabilitation erwerben.

Der D-Arzt in einer VAV-Klinik braucht über die Qualifikation zum D-Arzt “Operative Tätigkeit“ hinaus weitere 3 Jahre Tätigkeit in einer VAV-Klinik oder SGB-VII-Klinik und damit mindestens 12 Jahre Weiterbildungszeit.

Mit der dreistufigen Gliederung der D-Arzttätigkeit wurden der Bestandsschutz, die Neuanpassungen an die Weiterbildung zum Facharzt O/U und die speziellen Tätigkeiten des D-Arztes unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen der DGUV nach Qualitätsgesichtspunkten berücksichtigt. Es liegt im vitalen Interesse der D-Ärzte und der von ihnen betreuten Unfallpatienten, die Qualität der Versorgung mindestens auf dem bisherigen Niveau zu erhalten und stetig zu verbessern.

Grundsätzlich haben jetzt bereits zugelassene D-Ärzte Bestandsschutz für ihre geltende Zulassung. Weiterhin ist von entscheidender Bedeutung die Formulierung unter Punkt 2.4 in den Voraussetzungen für D-Ärzte: Ärzte mit der Facharztbezeichnung „Chirurgie“ und der deutschen Schwerpunktbezeichnung “Unfallchirurgie“ werden dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit der Zusatzbezeichnung „Spezielle Unfallchirurgie“ gleichgestellt. Damit ist sichergestellt, dass auch bereits niedergelassene D-Ärzte nach alter Weiterbildungsordnung weiterhin ihrer operativen Tätigkeit bei BG-Patienten nachkommen können, auch wenn sie nicht über die Zusatzweiterbildung „Spezielle Unfallchirurgie“ verfügen. Damit verfügen die nach alter Weiterbildungsordnung zugelassenen D-Ärzte über einen besonderen und herausgehobenen Status, der auf ihrer zielgerichteten unfallchirurgischen Weiterbildung beruht. Allerdings soll dem Vernehmen nach die unter Punkt 6.4 der D-Arzt-Anforderungen aufgeführte Überprüfung der Beteiligung nach 5 Jahren auch für bereits zugelassene D-Ärzte gelten. Der Bestandsschutz ist somit formal zeitlich begrenzt. Die DGUV hatte im Vorfeld und in den Diskussionen großen Wert darauf gelegt, ein Qualitätssicherungsverfahren für D-Ärzte einzuführen. Die dort zugrunde zu legenden Beurteilungskriterien sollen in naher Zukunft in enger Kooperation mit den Berufsverbänden entwickelt werden.

Fortbildung

Die deutlich verschärfte Fortbildungsverpflichtung gilt auch für bereits jetzt niedergelassene D-Ärzte. In den alten Anforderungen (Stand 2005) wurde unter Punkt 5.10 lediglich die Verpflichtung „zur ständigen unfallchirurgischen Fortbildung und zur Teilnahme an mindestens einer unfallchirurgischen Fortbildungsveranstaltung“ festgeschrieben.

Der Fortbildungs-Nachweis wurde mit der jährlichen BG-Statistik angefordert und soweit bekannt, wurden jegliche unfallchirurgischen Fortbildungsveranstaltungen anerkannt. Dies ist jetzt (Stand 2011) grundlegend anders, denn die neuen Anforderungen verlangen unter 5.12 innerhalb eines Zeitraumes von 5 Jahren darüber hinaus jeweils je eine der nachfolgend genannten, grundsätzlich von den Landesärztekammern zertifizierten Fortbildungen in den Bereichen:

  • „Rehabilitationsmanagement“ und „Rehabilitationsmedizin“
  • Begutachtungswesen
  • Kindertraumatologie.

Weiterhin ist die Teilnahme an zwei unfallmedizinischen Tagungen der DGUV-Landesverbände nachzuweisen. Die DGUV hat angekündigt, hierzu noch nähere Auslegungsgrundsätze vorzulegen. Dem Vernehmen nach ist die verschärfte Fortbildungsverpflichtung Folge vereinzelt festgestellter Qualitätsmängel. Die Berufsverbände werden in Kooperation mit der DGUV geeignete Fortbildungs-Curricula und Seminare entwickeln und anbieten.

Mindestmengen bzw. “Bedarfsplanung“

Die Mindestmenge an D-Fällen pro Jahr wurde von 150 auf 250 angehoben (6.5.1), dies im Durchschnitt der letzten 5 Jahre oder regelmäßig in den letzten 3 Jahren. Dies dürfte nach den vorliegenden statistischen Daten für die meisten D-Ärzte kein Problem darstellen. Gemäß den ergänzenden Erläuterungen der DGUV wird darüber hinaus diese Mindestfallzahl in Berufsausübungsgemeinschaften nicht pro D-Arzt, sondern pro Standort berechnet. Im Vorfeld war von der DGUV eine „Bedarfsplanung“ für D-Ärzte angekündigt worden. Nunmehr stellt sich heraus, dass damit die oben beschriebene Anpassung der Mindestfallzahl gemeint ist. Für den Fall drohender Unterversorgung sind Ausnahmen möglich. Unterversorgung wird definiert als weniger als 1 D-Arzt pro 30.000 Einwohner oder fehlende Erreichbarkeit eines D-Arztes innerhalb von 30 Minuten.

Unfallärztliche Bereitschaft/D-ärztliche Vertretung

Auf dringenden Wunsch der Berufsverbände ist die bisherige unfallärztliche Bereitschaft am Sonnabend entfallen. Nach wie vor besteht aber die Verpflichtung der Erreichbarkeit werktags von 8 bis 18 Uhr, also auch am Mittwochnachmittag. Der Begriff der „Unfallärztlichen Bereitschaft“ ist in den Auslegungsgrundsätzen[3] präzisiert worden. Grundsätzlich wird die Anwesenheit des D-Arztes gefordert. Bei kurzzeitiger Abwesenheit des D-Arztes muss die Praxis geöffnet sein und der D-Arzt muss diese innerhalb „kürzester Zeit“ erreichen können. Eine vorübergehende Vertretung in der Praxis (Urlaub, kurzfristige Erkrankung, Fortbildung) durch eine Facharzt O/U oder Facharzt für Chirurgie mit besonderen Kenntnissen in der Behandlung von Unfallverletzten ist möglich.

Die bisher schon mögliche durchgangsärztliche Vertretung ist in den Auslegungsgrundsätzen [3] exakt definiert worden. Demnach kann sich der Durchgangsarzt an zwei halben oder einem ganzen Tag pro Woche vertreten lassen, vorzugsweise mit Präsenz des Vertreters in der Praxis. Falls dies nicht möglich ist, kann der nächstgelegene Durchgangsarzt die Vertretung übernehmen, sofern dessen Praxis nicht weiter als 5 km entfernt oder innerhalb 15 Minuten erreichbar ist. Wenn allerdings in Berufsausübungsgemeinschaften mehr als ein D-Arzt zugelassen ist, muss die Vertretung intern gewährleistet werden. Die Vertretung kann auch in Absprache mit einem stationär tätigen D-Arzt am Krankenhaus erfolgen. Entsprechende Regelungen müssen für den Patienten gut erkennbar sichtbar sein. Dies gilt auch für die „Unfallärztliche Bereitschaft“. Diese Regelung löst zumindest ansatzweise die Probleme von D-Ärzten in einer Einzelpraxis, die an bestimmten Tagen in einem ambulanten Operationszentrum tätig sind.

Neu ist auch die Möglichkeit analog zum D-Arzt im Krankenhaus einen ständigen Vertreter zu benennen. Dieser muss über die Qualifikation zum D-Arzt verfügen und vom zuständigen Landesverband der DGUV anerkannt sein. Damit ist allerdings immer noch nicht ganz die Forderung der Berufsverbände erfüllt, eine pragmatische Regelung für die D-ärztliche Versorgung von Unfallverletzten in den zunehmend verbreiteten Praxisverbünden mit ausgelagerten Betriebstätten und Filialen zu ermöglichen. Diese gewünschte Flexibilisierung soll in weitere Verhandlungen mit der DGUV eingebracht werden. Es wird angestrebt, dass analog zu den Krankenhausambulanzen in ausgelagerten Praxisräumen und Filialen nicht zwingend die gesamten persönlichen und strukturellen Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Der D-Arzt in der zentralen Praxis würde gleichwohl die ungeteilte persönliche Verantwortung für alle Behandlungen, Verordnungen und Berichte tragen.

Strukturelle Voraussetzungen

Wie bisher müssen mindestens zwei Eingriffsräume vorgehalten werden. Verschärfend kommt allerdings seit 1.1.2011 dazu, dass einer der beiden Eingriffsräume die strukturellen Voraussetzungen eines OP-Raumes entsprechend der Qualitätssicherungsvereinbarung nach § 115b SGB V erfüllen muss. Wie dies interpretiert wird, wenn ein solcher OP in einem ausgelagerten Operationszentrum genutzt werden kann, bedarf noch der Klärung. Es erscheint wenig sachgerecht, dass diese Verpflichtung auch für D-Ärzte gilt, die nicht über die Zusatzweiterbildung „Spezielle Unfallchirurgie“ verfügen und keine ambulante Operationstätigkeit in ihrer Praxis anstreben. Für die allfälligen Wundversorgungen bei Unfallverletzten reichen die strukturellen Voraussetzungen von Eingriffsräumen vollkommen aus. In dieser Weise scheint die DGUV diese Regelung auch zu interpretieren, denn für die Übergangsregelung für die bisherigen H-Ärzte wurde auf den Nachweis eines Paragraph-115b – Operationsraumes verzichtet (s. a. Artikel von Rauch in den Orthopädie Mitteilungen 3/2011 [5]).

Ärzte in der Weiterbildung mit dem Ziel der Niederlassung als D-Arzt

Sofern die Entscheidung zur Niederlassung als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit D-Arzt Tätigkeit gefallen ist, muss die Weiterbildung entsprechend ausgerichtet werden. Nach (nicht während!) der Facharztanerkennung muss ein weiteres Jahr unfallchirurgische Weiterbildung in einem Krankenhaus erfolgen, das zum Verletzungsartenverfahren zugelassen ist (VAV-Krankenhaus). Es empfiehlt sich, dies frühzeitig zu planen. Da die DGUV plant, die Anzahl der VAV-Krankenhäuser in den nächsten Jahren von ca. 600 in etwa zu halbieren, dürfte dieser Weiterbildungsabschnitt in der Zukunft voraussichtlich den „Flaschenhals“ darstellen. Rechtzeitige Planung ist daher angezeigt.

Wenn eine ambulante operative Tätigkeit bei BG-Patienten angestrebt wird, sollte die Zusatzweiterbildung „Spezielle Unfallchirurgie“ erworben werden, mit der man auf jeden Fall bezüglich einer Tätigkeit als niedergelassener D-Arzt auf der sicheren Seite ist.

H-Ärzte

Die jetzigen H-Ärzte sind zweifellos von der Neuordnung des Verfahrens am stärksten betroffen. Das H-Arzt-Verfahren läuft zum 31.12.2015 komplett aus. Nach § 30(4) des Vertrages und Absatz 2.5 der D-Arzt-Anforderungen [2] haben jetzt zugelassene H-Ärzte die Möglichkeit, auf Antrag den Status eines D-Arztes zu erhalten, wenn sie die personellen, sachlichen und pflichtgemäßen Anforderungen erfüllen. Bezüglich der Mindestfallzahl sind Ausnahmen möglich, wenn ansonsten die Versorgung gefährdet wäre (s. o.). Es erscheint sachgerecht, dass die fachliche Befähigung (Absatz 2 der D-Anforderungen) ausgeklammert wird, denn ein bereits niedergelassener H-Arzt könnte die dort geforderte Tätigkeit an einem VAV-Krankenhaus nicht mehr nachholen. Die Mehrzahl der jetzt zugelassenen H-Ärzte sind Orthopäden nach alter Weiterbildungsordnung (WBO) bzw. Fachärzte O/U. Nach internen Recherchen des BVOU [5] dürften nur ca. 15-20 Prozent dieser Kollegen die Mindestfallzahl erreichen.

Für sie und die wenigen niedergelassenen H-Ärzte, die Chirurgen nach alter WBO sind, stellt sich jetzt die Frage, ob eine Antragstellung auf D-Arzt-Zulassung sinnvoll ist. Dies ist im Einzelfall entscheidend von der aktuellen und der in der Zukunft zu erwartenden Fallzahl abhängig. Die strukturellen Anforderungen an die Operationsräume nach Absatz 4.3.1 der Anforderungen [2] werden dem Vernehmen nach von der DGUV flexibel gehandhabt. Dies bedeutet, dass auch die Vorhaltung von Eingriffsräumen ausreicht, wenn keine ambulanten Operationen durchgeführt werden sollen. Im Einzelfall muss abgewogen werden, ob sich allein für das Erreichen des D-Arzt-Status bauliche Investitionen betriebswirtschaftlich rechnen würden. Die Berufsverbände bieten hierzu Einzelfallberatungen an. Es ist unbedingt zu beachten, dass der entsprechende Antrag spätestens bis zum 31.12.2014, also ein Jahr vor Ablauf der Übergangsfrist, gestellt werden muss.

Für spezialisierte Operateure (z. B. Spezialisten für Knie- und Schulterarthroskopie) bietet sich die Möglichkeit nach Genehmigung durch den Landesverband der DGUV auf Überweisung von D-Ärzten tätig zu werden. Hierzu ist kein eigener D-Arzt-Status erforderlich.

Berufsausübungsgesellschaften/Gemeinschaftspraxen/MVZ

Von der Neuordnung war erhofft worden, dass eine flexiblere Lösung für die in zunehmender Zahl etablierten Filialen und ausgelagerten Praxisräume einfließen würde. Dies könnte zum Bespiel so aussehen, dass auch in Bereich der niedergelassenen D-Ärzte die Erstbehandlung ggf. durch entsprechend qualifizierte – u. U. auch angestellte – Ärzte erfolgt, die Überprüfung der erhobenen Befunde und die Endverantwortung letztlich beim D-Arzt liegt. Diese Regelung wäre nicht unähnlich der gelebten Praxis in den meisten Krankenhäusern. In den Auslegungsgrundsätzen der DGUV wird allerdings weiterhin auf die persönliche Erbringung der Kernleistungen des niedergelassenen D-Arztes abgestellt, während der D-Arzt am Krankenhaus diese Forderung nach persönlicher Leistungserbringung ebenfalls erfüllen muss, sie aber an nachgeordnete Ärzte mit gleicher Qualifikation oder Fachärzte für O/U mit besonderen Kenntnissen in der Behandlung von Unfallverletzten delegieren kann. Allein die Möglichkeit, dass jetzt auch jeder niedergelassene D-Arzt einen ständigen Vertreter beim Landesverband anerkennen lassen kann, ist als Erleichterung anzusehen. Dies kann allerdings nicht die Ungleichbehandlung von D-Ärzten im Krankenhaus und in der Niederlassung ausgleichen.

Chefärzte

Für die leitenden Ärzte an Krankenhäusern hat sich (noch) nicht viel geändert. Allerdings ist zu beachten, dass für die Tätigkeit als D-Arzt an einem Krankenhaus oder einer Klinik die Zusatzweiterbildung „Spezielle Unfallchirurgie“ Voraussetzung ist. Hier gelten die gleichen Übergangsbestimmungen wie bei den Niedergelassenen, d. h. die alte Facharztbezeichnung Chirurgie/Unfallchirurgie wird der Zusatzweiterbildung „Spezielle Unfallchirurgie“ gleichgestellt.

Die DGUV wird sich an die Strukturen des Trauma-Netzwerkes der DGU anpassen. Es ist vorgesehen, die Kliniken der Grund- und Regelversorgung, diejenigen des bisherigen VAV-Verfahrens und neu zu definierende Kliniken der Maximalversorgung zu unterscheiden. Ziel der Untergliederung ist eine zielgenaue und schnellstmögliche Steuerung des Unfallverletzten in die jeweils geeignete Klinik. Es soll ausgeschlossen werden, dass Fälle in Krankenhäusern behandelt werden, die nicht zugelassen sind oder nicht die erforderliche Qualität der Versorgung bieten. Erstmals ist hier von Sanktionen die Rede, die bei Nichtbeachtung auch finanzielle Folgen haben könnten. Der Begriff „Qualität der Versorgung“ wird zunehmend in den Vordergrund gerückt. Kriterien müssen noch erarbeitet werden. Hier spielen Mindestmengen ebenfalls eine Rolle. Zunächst gilt noch der Bestandsschutz. Neu zu besetzende Kliniken werden sich allerdings einer Überprüfung unterziehen müssen. Die Zugehörigkeit zu einem Trauma-Netzwerk der DGU, die Qualifikation und die organisatorische und fachliche Unabhängigkeit des Leiters sind neben den möglichen Mindestmengen wichtige Entscheidungskriterien. Feste Zahlen existieren noch nicht, aber 100 VAV-Fälle/Jahr könnten für eine VAV-Klinik realistisch sein. Es ist an eine Zertifizierung analog dem Trauma Netzwerk und eine Rezertifizierung alle drei bis fünf Jahre gedacht.

Die Vergütung der Leistungen sollen möglicherweise den Qualitätsstufen der Krankenhäuser und dem medizinisch-therapeutischen Aufwand angepasst werden. Zunehmend werden auch Reha-Gesichtspunkte im Akutkrankenhaus eine Rolle spielen. Andererseits sollen auch Bedarfsgesichtspunkte in der Zukunft eine größere Rolle spielen. In diesem Zusammenhang sind auch einzelvertragliche Regelungen mit spezialisierten Leistungserbringern für planbare Eingriffe vorgesehen.

Zunächst aber soll eine Zulassung in einem dreistufigen Modell erfolgen. Die Reform des stationären Heilverfahrens steht noch an und es ist damit zu rechnen, dass die Anzahl der Krankenhäuser die zum VAV-Verfahren zugelassen sind, deutlich verringert wird. Für eine Leitungsposition an einem VAV-Krankenhaus sind über die Zusatzweiterbildung „Spezielle Unfallchirurgie“ hinaus drei weitere Jahre Tätigkeit in einem VAV-Haus und ein qualifizierendes Zeugnis Voraussetzung.

Stationäre Weiterbehandlung (BGSW/KSR)

Der Trend zur Schwerpunktbildung und Spezialisierung in den Rehabilitationskliniken und bisher fehlende Vorgaben für eine bedarfsgerechte Zuweisungssteuerung sollen die Bildung von Schwerpunktkliniken nach sich ziehen, auch in der Anschlussrehabilitation. Regelmäßige Kontrollen der Rehabilitationsergebnisse und Aspekte der Vernetzung sowie berufsbezogene Bestandteile der angebotenen Reha werden eine wichtige Rolle spielen. Es sollen Reha-Verfahren mit unterschiedlichen Qualitätsstufen entwickelt werden von einer „einfachen“ Anschlussrehabilitation, über die BGSW bis hin zu komplexen Maßnahmen im Sinne der Komplexen stationären Rehabilitation (KSR). Speziell die medizinisch-berufliche Förderung (Arbeitsplatzorientierte Muskuloskelettale Rehabilitation (AOMR) und ähnliche) sollen fortentwickelt werden.

Sobald diese Kriterien im Einzelnen bekannt und festgelegt sind, wird die Gemeinsame BG-Kommission der unfallchirurgisch-orthopädischen Berufsverbände dazu Stellung nehmen. Die Autoren und die Mitglieder der Gemeinsamen BG-Kommission der unfallchirurgisch-orthopädischen Berufsverbände (GBK) stehen für Einzelfallberatungen gern zur Verfügung.

Literatur:

[1] Vertrag gem. § 34 Abs. 3 SGB VII zwischen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV), Berlin, dem Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV-SpV), Kassel, einerseits und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, K.d.ö.R., Berlin, andererseits über die Durchführung der Heilbehandlung, die Vergütung der Ärzte sowie die Art und Weise der Abrechnung der ärztlichen Leistungen (Vertrag Ärzte / Unfallversicherungsträger) gültig ab 1. Januar 2011 Deutsches Ärzteblatt (2010) 107, 41 Seite 1999-2010

[2] Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger nach § 34 SGB VII zur Beteiligung am Durchgangsarztverfahren (in der Fassung vom 1. Januar 2011) www.dguv.de

[3] Auslegungsgrundsätze zu den Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger zur Beteiligung am Durchgangsarztverfahren in der Fassung vom 01.01.2011 www.dguv.de

[4] Grundsätze Ambulantes Operieren in der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) in der Fassung vom 1. Januar 2011 www.dguv.de

[5] Rauch, G.: Übergangsregelung vom H-Arzt zum D-Arzt Orthopädische Mitteilungen 3/2011

Kalbe P, Bonnaire F, Kübke R. Auswirkungen der Neuordnung des D-Arzt-Verfahrens ab 2011. Passion Chirurgie. 2011 Mai/Juni; 1(5/6): Artikel 02_01

Ärger mit Kürzungen bei den BG-Rechnungen

In den letzten Jahren erreichen den BDC immer wieder Klagen von Kollegen über vermeintlich willkürliche Streichungen von einzelnen Positionen in den Rechnungen für berufsgenossenschaftlich behandelte Patienten. Es ist nicht zu übersehen, dass sich die „Kürzungswut“ der Berufsgenossenschaften und (insbesondere) der Unfallkassen auf einzelne Kostenträger, einzelne Sachbearbeiter, bestimmte Kollegen und vor allem immer wieder strittige Gebührenordnungsziffern konzentriert. Besonders ärgerlich ist die Tatsache, dass es sich oft um kleine Beträge unter 10 Euro handelt, bei denen eine Reklamation und aufwändige Nachforderung wegen der damit verbundenen Bürokratiekosten betriebswirtschaftlich wenig Sinn haben. Gleichwohl addieren sich durch die Häufigkeit der Streichungen durchaus erhebliche Honorarverluste.

Lage etwas gebessert

Dieses Problem war unter anderem ein Thema bei der 1. Jahrestagung des Bundesverbandes der für die Berufsgenossenschaften tätigen Ärzte (BVBGÄ) am 2.10.2008 in Berlin. Die dort anwesenden leitenden Mitarbeiter der DGUV waren (glaubhaft) überrascht über den von den Vortragenden und im Plenum artikulierten Unmut über die Rechnungskürzungen, die als Eingriffe von medizinisch höchstens angelernten Sachbearbeitern in die Behandlungs- bzw. Abrechnungshoheit der D-Ärzte empfunden werden. Allerdings hat sich nach den aktuellen Meldungen der Regionalvertreter des BDC die Lage nach der genannten Jahrestagung des BVBGÄ und nach der letzten Überarbeitung der „Arbeitshinweise“ (s. u.) tendenziell etwas gebessert.

Arbeitshinweise der Unfallversicherungsträger

Es wird gern übersehen, dass beide Seiten ihre „Truppen“ bezüglich der BG-Abrechnung durchaus schulen. So wie der BDC Seminare zur Abrechnung nach GOÄ und UV-GOÄ anbietet so werden natürlich auch die Sachbearbeiter der Berufsgenossenschaften entsprechend in speziellen Seminaren mit der Prüfung der Rechnungen vertraut gemacht. Grundlage für die Rechnungsprüfung sind die so genannten „Arbeitshinweise der Unfallversicherungsträger zur Bearbeitung von Arztrechnungen“. Lange Zeit wurde dieses Werk (BG-intern früher als „Jäger-Papier“ tituliert) lediglich mehr oder weniger konspirativ weitergegeben. Seit einigen Jahren sind die Arbeitshinweise jedoch problemlos von der Homepage der DGUV herunter zu laden. Die aktuelle Version findet sich zum Download auch auf der Homepage des BDC am selben Ort wie dieser Artikel.

Interpretation der Gebührenordnung durch den DGUV

Die Versionen 4/2006 und 4/2008 wurden von den für die D-Ärzte tätigen Berufsverbänden in vielen Details kritisiert. In der im Jahr 2010 veröffentlichten aktuellen Version (8/2010) sind zwar immer noch nicht alle Wünsche der D-Ärzte berücksichtigt worden, jedoch sind viele Verbesserungsvorschläge vor allem im Kapitel C „Nicht gebietsbezogene Sonderleistungen“ (= Verbände und Ruhigstellung) eingeflossen. Der BDC empfiehlt allen D-Ärzten, sich dieses Werk von der DGUV- oder der BDC-Homepage zu besorgen und den Inhalt mit den für die Abrechnung in der Praxis bzw. Klinik zuständigen Mitarbeitern/-innen durchzuarbeiten. Die profunde Kenntnis der einheitlichen Prinzipien der Rechnungsprüfung kann durchaus auch erweiterte Abrechnungsmöglichkeiten eröffnen, die zuvor nicht bekannt oder nur unzureichend bewusst waren. Auch wenn man noch nicht in allen Punkten mit der Interpretation der Gebührenordnung durch die DGUV (und seine beratenden Ärzte) zufrieden sein kann, so bieten doch die „Arbeitshinweise“ eine vernünftige Orientierungshilfe für eine weitgehend stressfreie BG-Abrechnung.

Es empfiehlt sich, die Datei im PDF-Format zu speichern und jeweils nur die chirurgisch relevanten Kapitel anzusehen bzw. auszudrucken, da weite Passagen, wie z. B. Labor und Psychiatrie/Psychotherapie keine Relevanz für die Unfallchirurgen haben. Im Inhaltsverzeichnis wird die jeweils gültige Revision angegeben. Wenn aktuelle Überarbeitungen vorliegen, werden diese rot markiert.

Der BDC wird in den kommenden Ausgaben der Mitgliederzeitschrift „Passion Chirurgie“ in einer regelmäßigen Kolumne zu den Grundlagen und zu einzelnen immer wieder streitigen Gebührenordnungsnummern der UV-GOÄ Stellung nehmen.

Kalbe P, Kübke R. Ärger mit Kürzungen bei den BG- Rechnungen. Passion Chirurgie. 2011 Mai/Juni; 1(5/6): Artikel 04_01.