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Zeitgemäße Ausbildung zu Gesundheitsberufen

Neuerungen für PTAs, einheitliche Ausbildung für ATAs und OTAs

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat zwei weitere Ausbildungsreformen für Gesundheitsberufe auf den Weg gebracht: jeweils einen Referentenentwurf für ein

  • „Gesetz zur Weiterentwicklung des Berufsbildes der Ausbildung der pharmazeutisch-technischen Assistentinnen und Assistenten (PTA)“ und ein
  • „Gesetz über die Ausbildung zur Anästhesietechnischen Assistentin und zum Anästhesietechnischen Assistenten (ATA) und über die Ausbildung zur Operationstechnischen Assistentin und zum Operationstechnischen Assistenten (OTA)“.

Die Ausbildungen nach den neuen Regelungen sollen jeweils zum 1. Januar 2021 beginnen.

Unser Gesundheitswesen braucht gut ausgebildete Fachkräfte. Und wir brauchen Ausbildungen, die auf der Höhe der Zeit sind. Dies setzen wir seit 12 Monaten konsequent in allen Bereichen um. Nun auch für diese beiden Berufsbilder. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

So soll die Ausbildung zum pharmazeutisch-technischen Assistenten neu strukturiert und gewichtet werden

Künftig sollen PTAs besser dazu ausgebildet werden, Kunden in der Apotheke über Arzneimittel, Medizinprodukte und allgemeine Gesundheitsfragen – wie z.B.Ernährungstipps – zu beraten. Dadurch können sie auch mehr Verantwortung in der Apotheke übernehmen. Die Ausbildung dauert weiterhin zwei Jahre und wird mit einer staatlichen Prüfung abgeschlossen. Auszubildende, die ihre Ausbildung vor dieser Reform begonnen haben, führen sie nach den bisherigen Vorschriften weiter und schließen sie ab.

Darüber hinaus ist eine weitere Überarbeitung der Gesundheitsfachberufe geplant. Damit soll auch die Frage geklärt werden, ob und inwiefern das Schulgeld abgeschafft wird.

Warum wird die PTA-Ausbildung überarbeitet?

Der Beruf des pharmazeutisch-technischen Assistenten wurde 1968 erstmals gesetzlich geregelt. Im Vordergrund stand dabei die Unterstützung des Apothekers, vorwiegend für die Arbeit im Labor und bei der Rezeptur. Im Laufe der Jahre wandelten sich jedoch die Aufgaben in den Apotheken. „Heute erwarten Patientinnen und Patienten in ihrer Apotheke eine gute Beratung und kompetente Information zu Arzneimitteln“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Mit der Reform modernisieren wir die Ausbildung – ausgerichtet an die Anforderungen im Apotheker Alltag.

Die neue Ausbildung zum Anästhesietechnischen Assistenten und zum Operationstechnischen Assistenten

ATA und OTA arbeiten gemeinsam mit Ärzten und anderen Fachkräften in den operativen und anästhesiologischen Bereichen von Krankenhäusern und ambulanten Einrichtungen. Bisher gab es keine bundesweit einheitliche Ausbildung für ATAs und OTAs. Das soll sich nun ändern:

„Wir gehen endlich an, was die Bundesländer seit über 10 Jahren fordern und schaffen erstmals einheitliche Regelungen für die Ausbildung der Anästhesie- und Operationstechnischen Assistentinnen und Assistenten“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. In der neuen, bundeseinheitlich geregelten Ausbildung erhalten die Auszubildenden wichtige Kompetenzen im sicheren Umgang mit Patientinnen und Patienten in einem sehr sensiblen Arbeitsumfeld. Sie erlernen beispielsweise den fachgerechten Umgang mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und weiteren medizinischen Geräten. Sie lernen darüber hinaus, eigenverantwortliche Aufgaben in der medizinischen Diagnostik und Therapie auszuführen oder Ärztinnen und Ärzten im Anästhesie- und OP- Bereich zu assistieren.

Die Ausbildung soll drei Jahre dauern. Sie setzt sich zusammen aus einem theoretischem Teil und praktischem Unterricht sowie einer praktischen Ausbildung an Krankenhäusern und in geeigneten ambulanten Einrichtungen. Die Auszubildenden schließen mit einer staatlichen Prüfung ab; damit ist auch ihr Abschluss staatlich anerkannt. Sie sollen außerdem eine angemessene Vergütung erhalten. Um eine Ausbildung zu beginnen, ist ein mittlerer Schulabschluss oder eine mindestens zweijährige, abgeschlossene Berufsausbildung nach einem Hauptschulabschluss nötig. Die Ausbildung zum ATA und OTA wird mit einer staatlichen Prüfung abgeschlossen und somit auch staatlich anerkannt.

Beide Referentenentwürfe sehen vor, dass der Bundesrat den Gesetzen zustimmen muss.

Zu den Referentenentwürfen

Shuntchirurgie im Fokus der Passion Chirurgie

Schwerpunktthema im April ist die Shuntchirurgie – ein oft unterschätzter Bereich der Gefäßchirurgie. Zwei Experten, E. Metzler und Prof. Dr. G. Krönung, beschreiben die Entwicklung und den Status der Shuntchirurgie. Das Besondere in dieser Ausgabe: ein Shuntpatient berichtet über seine Erfahrungen und eine ehemalige Chirurgin erzählt über ihren Weg zum Coaching. Natürlich finden Sie auch wieder interessante Beiträge aus der Politik, zu rechtlichen Themen und Internes aus dem BDC und der DGCH.

Wir wünschen Ihnen schöne Ostertage und eine angenehme Lektüre!

Ihre PASSION CHIRURGIE-Redaktion

April-Ausgabe PASSION CHIRURGIE
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Präsidentenwahl der BÄK: 6 Fragen – 6 Kandidaten (Frage 5)

Die Selbstverwaltung wird immer mehr eingeschränkt. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie das ändern?

Reinhardt: Die Ärzteschaft muss die sich ergebenden und absehbaren Herausforderungen im Gesundheitswesen und in der ärztlichen Versorgung in viel stärkerem Maße antizipieren und eigenständige Lösungen anbieten – und zwar bevor die Politik das Problem als lösungsbedürftig erkannt hat. Dazu müssen die ärztlichen Organisationen, d. h. ausdrücklich auch Verbände und Fachgesellschaften, durch die Bundesärztekammer moderiert in einen internen Reflexionsprozess eintreten und aus diesem heraus der Politik politisch praktikable Lösungen anbieten. Das politische „Pfund“, mit dem wir die Politik bewegen müssen, ist die gute ärztliche Versorgung und der emphatische Umgang mit den Patientinnen und Patienten, die sich uns anvertrauen. Das Thema „ausreichende Zeit für gutes ärztliches Handeln“ und das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis, das frei von Fremdeinflüssen ist, spielt auch an dieser Stelle eine zentrale Rolle.

Lundershausen: Die ärztliche Selbstverwaltung ist immer noch stark. Ärztinnen und Ärzte organisieren über ihre Selbstverwaltung die gesundheitliche Versorgung in Deutschland auf hohem Niveau. Der Staat hat diese Aufgabe an die Selbstverwaltung mit gutem Grund übertragen. Das ist für uns Auftrag und Verpflichtung. Erwarten dürfen Ärzte und med. Personal dafür auch Wertschätzung. Mehr Sorgen bereitet mir die Überregulierung der gemeinsamen Selbstverwaltung. Einzelne Vorgaben, wie sie derzeit über den Gemeinsamen Bundesausschuss oder das IQTIG erfolgen, sind schlicht und einfach nicht praxistauglich, verprellen junge Ärzte und werden der Patientenversorgung nicht gerecht. Gegen derartige Beschränkungen müssen wir opponieren/rebellieren.

Gitter: Siehe Frage 1. Das heißt auch, dass wir immer wieder in der BÄK eine Aufgabenkritik machen müssen, um schnell reagieren zu können aber auch um mehr proaktiv zu agieren. Wenn wir keine eigenen Lösungsvorschläge entwickeln, müssen wir uns nicht wundern, wenn es andere machen.

Wenker: Sowohl die gemeinsame Selbstverwaltung als auch die berufsständische Selbstverwaltung in den (Landes-)Ärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind in einem staatlichen Rechtsrahmen eingebunden. Dies birgt die Chance effektiver Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen des ärztlichen Berufsstandes, aber auch das Risiko der Einschränkung des Handlungsrahmens durch den Gesetzgeber. Die freien ärztlichen Verbände unterliegen diesen Einschränkungen nicht. Aus diesem Grund bin ich als Fachärztin für Innere Medizin seit vielen Jahren Mitglied im Berufsverband Deutscher Internisten. Wir werden in Zukunft unsere ärztlichen Interessen am effektivsten vertreten, wenn wir die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Körperschaften und Verbänden ausbauen und gegenüber der Politik und den anderen Akteuren im Gesundheitswesen mit einer Stimme sprechen!

Quitterer: Indem wir unsere originären Aufgaben weiterhin verantwortungsvoll wahrnehmen. Wir haben die ärztliche Selbstverwaltung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Übernahme von Aufgaben im Gesundheitswesen war dem Staat so wichtig, dass er Ärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts eingerichtet hat mit Pflichtmitgliedschaft und weitgehender Satzungsautonomie. Darin liegt unsere Stärke. Daran wird nicht gerüttelt. Auch nicht durch Private-Equity-Gesellschaften.

Jonitz: 1. Wir müssen der Politik zeigen, dass wir es besser können, sowohl strategisch als auch mit konkreten Maßnahmen. Die neue Strategie hat der Ärztetag 2017 aufgezeigt (Antrag Ia-03).
2. Wir müssen den Wert unserer Arbeit besser darstellen. Probleme lösen wir Ärztinnen und Ärzte immer gerne, uns öffentlich über Erfolge freuen gehört noch nicht zu unserem Programm. Dabei sind es die Erfolge, die unseren Beruf so wertvoll und angesehen machen. Ein „Tag der guten Botschaft“, ein Weißbuch für jedes Fachgebiet, das die größten Erfolge sichtbar macht, motiviert und zeigt gleichzeitig, was auf dem Spiel steht. Und, 3., wir brauchen eine deutlich bessere Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Die gesundheitspolitische Diskussion gewinnt der, der glaubhaft Anwalt der Patientenversorgung ist. Da ist vieles ungenützt.

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Quelle: NAV-Virchow-Bund, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V., Chausseestraße 119b, 10115 Berlin, http://www.nav-virchowbund.de, 16.04.2019

Präsidentenwahl der BÄK: 6 Fragen – 6 Kandidaten (Frage 4)

Der ambulant-stationäre Übergang muss besser werden. Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zu einer Öffnung der Krankenhäuser für niedergelassene Ärzte?

Reinhardt: Die Zusammenarbeit der ambulanten und stationären Strukturen, gerade auch im Sinne des ärztlichen Arbeitens über die Sektorengrenzen hinweg, findet ja an vielen Stellen schon sehr erfolgreich statt. Es ist sicher ein Modell, das geeignet ist, die Versorgung in der Zukunft effizient zu organisieren. Wichtig ist an dieser Stelle, dass solche Modelle unter unternehmerischer Mitverantwortung von Ärzten entstehen und sich aus der medizinisch-inhaltlichen Sicht ergeben und nicht Optimierungsmodelle der Klinikträger bei gegebenen Abrechnungsmöglichkeiten darstellen.

Lundershausen: Ich meine, wir haben bereits eine gute intersektorale Zusammenarbeit. Und dennoch, schon jetzt gibt es Kollegen, die im stationären Bereich und ambulant an Krankenhaus MVZs arbeiten. Es ist aber ebenso denkbar, dass Krankenhäuser mit niedergelassenen Kollegen betrieben werden-im Sinn eines neu strukturierten Belegarztsystems. Das wäre eine optimale Organisationsstruktur für die Versorgung von Patienten in Flächenländern.

Gitter: Siehe Frage 1, hier wird das herkömmliche Belegarztsystem aber nicht reichen, es müssen tragfähigere Lösungen entwickelt werden. Moderne Teamarztmodelle bei denen die Fachärztinnen und Fachärzte in einer Region und in einem definierten Versorgungsgrad sowohl die ambulante als auch die stationäre Versorgung sicherstellen und auch die Weiterbildung des (angestellten) Nachwuchses. Das kann je nach Bedarf und Region von der Grundversorgung bis zur hochspezialisierten Versorgung reichen.

Wenker: Grundsätzlich begrüße ich alle geeigneten Maßnahmen, die strikt sektorenbezogene Patientenversorgung zu überwinden. Die Akademie der Gebietsärzte der Bundesärztekammer hat sich in den letzten Jahren unter meinem Vorsitz wiederholt mit dieser Frage beschäftigt, z.B. durch kritische Bewertungen der Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Ausgehend vom Positionspapier zur Zukunft der fachärztlichen Versorgung der Akademie für Gebietsärzte hat bereits der 115. der Deutsche Ärztetag beispielhaft im Jahr 2012 eine Stärkung des kooperativen Belegarztwesens gefordert als Best-Practice-Beispiel effektiver Verzahnung von ambulanter und stationärer ärztlicher Versorgung.

Quitterer: Das lässt sich nicht generell beantworten. Zunächst bin ich der Auffassung, dass jeder Arzt in seinem Bereich bleiben soll. Dort versorgt er die Patienten gemäß seinem Auftrag und dort liegt seine Kompetenz. Ambulante und stationäre fachärztliche Versorgung stellen aus meiner Sicht sich ergänzenden Versorgungsbereiche dar. Die Rahmenbedingungen sollen so umgestaltet werden, dass es statt eines kontraproduktiven Wettbewerbs eine konstruktive Zusammenarbeit gibt. Im Sinne einer sektorenverbindenden statt einer sektorenübergreifenden Versorgung. Wo es künftig regional Kooperationsmodelle einer solchen gemeinsamen Versorgung geben sollte, wird man das konstruktiv begleiten.

Jonitz: Zusammenarbeit ist immer gut und darf besser werden. Die meisten niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen dürften froh sein, dass sie nichts mehr im Krankenhaus zu tun haben und eine sinnvolle Arbeitsteilung ist jederzeit willkommen. Die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur ist genauso sinnvoll wie Fallbesprechungen für besondere Patienten bzw. Patientengruppen. Die Verantwortung für die regionale Versorgung hat man eh gemeinsam.

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Quelle: NAV-Virchow-Bund, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V., Chausseestraße 119b, 10115 Berlin, http://www.nav-virchowbund.de, 16.04.2019

Präsidentenwahl der BÄK: 6 Fragen – 6 Kandidaten (Frage 3)

Der Bedarf an medizinischer Behandlung wächst stärker als die von berufstätigen Ärzten mögliche Arbeitszeit. Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zum Thema Patientensteuerung?

Reinhardt: Neben der Tatsache, dass wir seit zwei Jahrzehnten definitiv zu wenig Ärztinnen und Ärzte ausbilden – Stichwort: zunehmender Anteil von Ärztinnen, Work-life-Balance, gerechtfertigter Anspruch auf geregelte Arbeitszeit – ist die unkoordinierte Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitswesens sicher ein zentrales Problem. Es gibt drei wesentliche Ursachen, die das immer knapper werdende Gut der ärztlichen Zeit in unsinniger Weise noch weiter einschränken:

  • die fehlende Strukturierung der Inanspruchnahme
  • schlecht gemachte Vergütungssysteme im ambulanten (Stichwort: Hamsterrad) und stationären Sektor (Stichwort: DRG-Fehlanreize)
  • Bürokratie-Overengineering im Sinne der Mißtrauenskultur

Bei der Gestaltung von steuernden Elementen im Zugang zum Gesundheitswesen sind die üblichen Argumente wie soziale Unzumutbarkeit und die Gefahr der Verschleppung von ernsthaften Erkrankungen durch Nichtinanspruchnahme aus Angst vor ökonomischer Überforderung irrelevant. Es ist eine Frage der Phantasie und technischen Gestaltung sicherzustellen, dass medizinische Leistungen da ankommen, wo sie gebraucht werden und die Ressourcen-Verschwendung ein Ende hat.

Lundershausen: Für mich steht als erstes die Frage nach mehr Medizinstudienplätzen in Deutschland. Medizinische Versorgung wird zunehmend in Teilzeit und durch Frauen und Männer erbracht, die auch, berechtigterweise, ein Leben außerhalb des Arztberufes haben möchten. Hierfür bedarf es einer Erhöhung der Arztzahlen, wenn die zunehmend älter werdende Bevölkerung auf gleichem Niveau versorgt werden soll. Wir brauchen außerdem die konstruktive Zusammenarbeit mit anderen nichtärztlichen Berufen und eine Entbürokratisierung unserer Tätigkeit.

Gitter: Es ist Aufgabe der gewählten Parlamente, hier eine wissenschaftlich basierte (und dabei kann die BÄK helfen) Leistungspriorisierung aufzubauen und dies wahrheitsgemäß den Bürger/innen (Wähler/innen) zu vermitteln, jedenfalls wenn wie bisher (und wie sinnvoll) Ressourcen nicht unbegrenzt verfügbar sein sollen. Beispiel haben wir schon, wie die Arzneimittelnutzenbewertung. Wer das nicht schafft, muss über eine sozialverträgliche Steuerung über Selbstbeteiligung nachdenken, aber für mich hätte die Priorisierung von Leistungen und die Fokussierung auf Leitliniengerechte Medizin Vorrang. Zudem muss das Verhältnis zwischen Grund- und Regelversorgung in Klinik und Praxis zur hochspezialisierten Medizin inklusive der Notfallversorgung immer wieder überprüft werden.

Wenker: Zunächst möchte ich an dieser Stelle meine unmissverständliche und langjährige Forderung nach einem effektiven Abbau von Bürokratie in unserem ärztlichen Alltag, sei es in der Praxis oder in der Klinik, wiederholen. Sofern wir spürbar von mindestens 30% Bürokratieaufwand täglich entlastet würden, könnten wir diese gewonnene Arbeitszeit wieder der Patientenversorgung zukommen lassen. Ausreichend ärztliche Arbeitszeit kann zudem nur von ausreichend gut aus-, weiter- und fortgebildeten Ärzten erbracht werden, hierfür benötigen wir bundesweit deutlich mehr Medizinstudienplätze!
Maßnahmen zur Patientensteuerung sind als weitere Maßnahme denkbar, z.B. in der sektorenübergreifenden Akut- und Notfallversorgung, damit das knapp gewordene Gut „Arztstunden“ vorrangig denen zugute kommt, die es wirklich benötigen.

Quitterer: Dabei ist zu hinterfragen, ob es sich wirklich um einen Bedarf handelt oder ob wir Bedürfnisse befriedigen. Angesichts von 1 Milliarde Arzt-Patienten-Kontakten pro Jahr in Deutschland sehe diese Entwicklung nicht nur im Zusammenhang mit dem zugegeben steigenden Versorgungsbedarf der Menschen in unserem Land. Die Menschen müssen wieder lernen, das medizinisch Notwendige vom Wünschenswerten zu unterscheiden. Subsidiarität versus Solidarität. Wir Ärzte helfen dabei und werden uns gerne dieser Verantwortung bewusst. Wir und nicht die Politik definieren den Behandlungsbedarf. Aufgabe der Politik wäre es, dem Bürger auch die Grenzen der Leistungsfähigkeit  eines solidarisch finanzierten Krankenversicherungssystems aufzuzeigen.

Jonitz: Um mehr Freiräume zu schaffen, müssen wir lernen, zu delegieren und unsere Rolle zunehmend als Teamchefs wahrnehmen. Sehr gute Beispiele zeigen, dass dies bspw. in der landärztlichen Versorgung hervorragend funktioniert. Wir müssen die Indikation unserer Maßnahmen hinterfragen und dafür sorgen, dass richtig indizierte Maßnahmen gut vergütet werden. „Mehr Arzt und weniger Medizin“ würde auch das Zeitbudget entlasten. Erst, wenn wir unser eigenes System besenrein haben, wird man auch die sogenannte Vollkasko-Mentalität stärker in Angriff nehmen können. Die Verantwortung für eine unangemessene Inanspruchnahme muss künftig stärker bei Versicherten und ihrer Krankenkasse liegen. Der Arzt kann nichts dafür, wenn der Patient unangemessen Leistungen in Anspruch nimmt. Die zentralen Probleme liegen aber woanders.

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Quelle: NAV-Virchow-Bund, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V., Chausseestraße 119b, 10115 Berlin, http://www.nav-virchowbund.de, 16.04.2019

Präsidentenwahl der BÄK: 6 Fragen – 6 Kandidaten (Frage 2)

Der Druck von kapitalträchtigen Investoren auf des Gesundheitssystem wächst kontinuierlich. Darin liegen Chancen aber auch Gefahren sowohl für den stationären als auch für den ambulanten Bereich. Wie stehen Sie zu externen Kapitalinteressen und wie soll angesichts des Kapitaldrucks die Freiberuflichkeit ärztlichen Handelns sichergestellt werden?

Reinhardt: Investitionen von international operierenden Kapitalanlegern stellen eine große Herausforderung dar. Grundsätzlich muss es möglich sein, auch im Gesundheitswesen zu investieren. Dennoch wird die Situation schwierig, wenn die Investoren im Sinne der sogenannten „Heuschrecken“ ausschließlich an einer maximalen Rendite interessiert sind und jegliche soziale Verantwortung (siehe die deutsche Verfassung: Eigentum verpflichtet) missachten. Neben der Grundsatzfrage, ob ein soziales Sicherungssystem mit Pflichtversicherten tatsächlich einen Markt darstellen kann, müssen wir verhindern, dass renditegetriebene Investoren Einfluss auf ärztliche Entscheidungen nehmen können. Rechtliche Lösungen zu finden, die alle diese Aspekte angemessen berücksichtigen und die Bestand haben, ist ein hoch-komplexes, aber unbedingtes Vorhaben.

Lundershausen: Ich lehne Investitionen in das Deutsche Gesundheitssystem ausschließlich aus Kapitalanlegerinteressen ab. In meinem Heimatland Thüringen existiert die größte Anzahl von Krankenhäusern in privater Trägerschaft. Eine Krankenhausplanung nach fachlichen Zentren ist kaum noch möglich, da die privaten Träger der einzelnen Häuser ihre Kliniken vorwiegend nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausrichten. Eine Medizin ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten lehne ich allerdings ab. Die Öffnung der Gesundheitsversorgung für die Interessen von Kapitalanlegern haben verheerende Folgen. Von uns Ärzten geforderte ethische Grundsätze sind unter diesen Bedingungen kaum noch durchsetzbar. Die Entscheidungsträger würden nicht vor Ort im Zentrum der Betreuung unserer Patienten sitzen, sondern in den Zentralen überörtlicher Kapitalgesellschaften. Dies sind übrigens nicht sozialistische Ansichten einer Frau aus den neuen Bundesländern, sondern geschichtlich verfestigte Tatsachen. Wichtige Bereiche des öffentlichen Lebens müssen durch die öffentliche Gesellschaft vorgehalten werden. Nicht ohne Grund wurde einst die eine gesetzliche Krankenversicherung geschaffen. Es ist systemwidrig, öffentliche Zwangsbeiträge wie die der Krankenversicherung für kapitalanlegergesteuerte Interessen zu verwenden.

Gitter: Ganz klar: Share holder value Unternehmen haben keine öffentlichen Investitionsgelder oder GKV-Gelder zu bekommen, um sie an Aktionäre auszuschütten: Unternehmen/Kliniken dürfen ausschließlich gemeinnützig agieren (Trägervielfalt besonders bei den Kliniken ja, jedoch nur gemeinnützig). Der Aushöhlung der freien Praxis über Großunternehmen (Großpraxen/MVZ) muss klug entgegengewirkt werden, ohne sinnvolle Gemeinschaftsprojekte von Ärzten für Ärzte und Patienten zu beschneiden.

Wenker: Das verstärkte Vordringen von Kapitalinvestoren jetzt auch in den ambulanten Bereich sehe ich mit großer Sorge – es gefährdet sowohl die Wahlfreiheit der Patienten als auch den freiberuflichen Charakter ärztlicher Tätigkeit. Das TSVG greift diesen negativen Aspekt der zunehmenden Kommerzialisierung mit verstärkter Übernahme von ambulanten Gesundheitseinrichtungen durch externe Kapitalgeber leider nur sehr zurückhaltend auf. Der Vorstand der Bundesärztekammer hat sich im Januar 2019 der Forderung des Bundesrates angeschlossen, wonach im TSVG der gesundheitspolitisch gewünschte Versorgungsbeitrag von MVZ klarer zu fassen sei, um einem kapitalgetriebenen Missbrauch wirksam zu begegnen. Eine Bindung von Krankenhaus-MVZ an einen regionalen und fachlichen Bezug, die Verhinderung einer Fokussierung auf lukrative Leistungsbereiche und sinnvolle Vorgaben zur Größe von MVZ bleiben als Forderungen der Ärzteschaft auch nach Inkrafttreten des TSVG aktuell.

Quitterer: Diesen Druck sehen wir nicht nur, aber zunehmend auch im Gesundheitswesen. Er geschieht nicht primär aus versorgungsrelevanten Gesichtspunkten, sondern hat etwas mit Gewinnorientierung zu tun. Damit rückt das Patientenwohl in den Hintergrund. Deshalb sehe ich in der Tat hier mehr Gefahren als Chancen. Die Freiberuflichkeit ärztlichen Handelns unter diesen neuen Entwicklungen sicherzustellen gelingt nur, wenn wir selbst unser Berufsbild neu definieren, indem wir uns frei machen von Repressalien im Zusammenhang mit unserer Berufsausübung, unseriösen Arbeitsverträgen, Gängelung durch Geschäftsführungen und Bürokratie. Indem wir auch einmal nein sagen und uns nicht einkaufen lassen.

Jonitz: Im Gesundheitswesen wurde schon immer Geld verdient. Das ist normal. Die Frage ist die der Angemessenheit. Erst durch die Verherrlichung von „Markt“ und „Wettbewerb“ durch Politik und manche Krankenkassen wurde das Primat der Ethik durch das der Ökonomie bzw. des Kommerzes abgelöst. Wir brauchen also als erstes eine andere politische Strategie (s. Frage 5). Als nächstes brauchen wir Aufklärung darüber, wie primäres Profitstreben die Patientenversorgung behindert und darüber, was gute Medizin eigentlich ist. Nur dadurch bekommen wir auch Verbündete in der politischen Arbeit gegen die Kommerzialisierung unseres Gesundheitswesens. Und wenn wir es ernst meinen, können wir grundsätzlich mit unseren ärztlichen Versorgungswerken selbst Verantwortung übernehmen und in solchen Kapitalgesellschaften mitreden.

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Quelle: NAV-Virchow-Bund, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V., Chausseestraße 119b, 10115 Berlin, http://www.nav-virchowbund.de, 16.04.2019

Präsidentenwahl der BÄK: 6 Fragen – 6 Kandidaten (Frage 1)

Der Wert der ärztlichen Freiberuflichkeit ist vielen – auch Ärzten – nicht mehr präsent. Fragen von Werten und Ethik sind Kernaufgaben des Kammersystems. Was planen Sie konkret, um Grundlagen, Bedeutung und Notwendigkeit von ärztlicher Freiberuflichkeit bei allen Ärzten und in der Gesellschaft wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen?

Reinhardt: Es ist die Freiberuflichkeit, die die Grundlage unserer beruflichen Unabhängigkeit im Sinne der Therapiefreiheit, des Arztgeheimnisses und des besonderen Schutzstatus des Arzt-Patienten-Verhältnisses darstellt. Auch das Privileg der ärztlichen Selbstverwaltung ist daran gebunden. Diese Zusammenhänge und deren Wert für uns, aber gerade auch für unsere Patienten haben wir in der berufspolitischen Arbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu wenig betont. Im gesellschaftlichen Diskurs zu dem Thema müssen wir unterstreichen, dass es der Status des Freiberuflers ist, der uns in die Lage versetzt, uns schützend vor unsere Patienten zu stellen, wann immer es erforderlich ist. Innerärztlich müssen wir die Vermittlung des Wissens um diese Zusammenhänge zum festen Bestandteil der ärztlichen Ausbildung machen. Es ist ein integraler Bestandteil der ärztlichen Kultur und unseres Selbstverständnisses.

Lundershausen: Die Definition ärztlicher Werte und die ethische Auffassung von Ärzten sind hervorragend in der modernen Überarbeitung des Eides des Hippokrates und der ärztlichen Berufsordnung verfasst. Hier bedarf es keiner Neudefinition. Vielmehr müssen diese Werte stärker vermittelt und gelebt werden. Die Bundesärztekammer muss sich dieser Aufgabe widmen und in einer modernen Sprache diese Werte an die Ärzteschaft weitergeben. Hier helfen unterschiedliche Auffassungen verschiedener Kammerbereiche nicht. Unsere medizinischen Wertevorstellungen können aber auch nur gelebt werden, soweit diese nicht durch zunehmenden Wirtschaftsdruck in Krankenhäusern und Praxen zunichte gemacht werden. Konkret heißt das, dass der ärztliche Einfluss wieder mehr Raum bekommen muss. Mit dem Leid von Menschen kann ebenso wenig Profit gemacht werden wie es keinen Wettbewerb um Krankheit geben kann. Der Sinn der Freiberuflichkeit liegt in freier Berufsausübung außerhalb eines Spannungsfeldes zwischen Ethik und starren wirtschaftlichen Vorgaben.

Gitter: Der Arztberuf ist ein Freier Beruf – in allen Arbeitsverhältnissen. Hierüber muss laufend inner- und außerärztlich informiert werden. Zudem müssen alle übergriffigen Regelungen, die in die Freiberuflichkeit und damit in das Patienten-Arztverhältnis eingreifen und auch solche, die in die ärztliche Selbstverwaltung insbesondere der Kammern eingreifen, deutlich als unzulässig adressiert werden. Um aber Übergriffe zukünftig zu minimieren, müssen proaktiv die wichtigsten Felder angegangen werden: Sektordurchlässige Behandlung ausschließlich nach dem Bedarf der Patienten muss unbürokratisch möglich werden, und zwar so, dass die verantwortlichen Fachärzte/innen unabhängig und möglichst auch wirtschaftlich freiberuflich agieren können. Wir haben mehrere Beschlusspapiere der Deutschen Ärztetage dazu, die dringend in konsensfähige Eckpunkte für neue Regelungen gegossen werden müssen. Nur wirklich unabhängige Ärztinnen und Ärzte können selbstbewusst und frei agieren zum Wohle ihrer Patienten. Dazu gehört auch eine entsprechende leistungsorientierte Vergütung ohne Fehlplatzierung des Morbiditätsrisikos bei den Ärztinnen und Ärzten. Wichtig sind auch die Themen Entlastung von unnötigen – vor allem bürokratischen – Aufgaben (Misstrauensbürokratie) und Qualitätssicherungsmaßnahmen die keine sind, sondern nur Mangel verwalten sollen oder unangemessene Kostenkontrollen steuern (besser Nutzung und Bündelung der vorhandenen Gremien der Ärzteschaft, die sich mit QS befassen), damit Ärztinnen und Ärzte wieder mehr Zeit für die Kommunikation und Zuwendung mit / zu ihren Patienten haben.

Wenker: Der Arztberuf ist seiner Natur nach ein freier Beruf und kein Gewerbe – diese Feststellung in der Bundesärzteordnung ist aktueller denn je. Einen freien Beruf auszuüben bedeutet mehr als freiberufliche Tätigkeit im Sinne des Steuerrechts. Auch angestellte Ärzte im Krankenhaus und in MVZ sind freiberuflich tätig. Charakteristika eines freien Berufs wie Professionalität, Gemeinwohlverpflichtung, Selbstkontrolle und Eigenverantwortlichkeit sind kein Selbstzweck, sondern dienen einer von Weisungen und Einflussnahmen Dritter unabhängigen Berufsausübung. Hierauf vertrauen Patienten und erwarten zu Recht eine persönliche Behandlung durch einen Arzt ihrer Wahl. Dies bedeutet konkret für den Vorstand der Bundesärztekammer, sich auch zukünftig in Gesetzgebungsvorhaben für eine unabhängige und freie Berufsausübung einzusetzen, wie beispielhaft in der Neufassung des § 135c SGB V geschehen mit Ausschluss rein ökonomischer Zielvereinbarungen in Verträgen mit leitenden Ärzten zur Sicherung der Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen. Ganz aktuell gilt es, unter dem Primat des Erhalts der ärztlichen Freiberuflichkeit die MVZ-Regelungen des TSVG konstruktiv-kritisch zu bewerten und Lösungsvorschläge zu erarbeiten, damit Privat Equity-Fonds keinen maßgeblichen Einfluss auf die ärztliche Tätigkeit als solche gewinnen.

Quitterer: Das ist richtig, dabei bedeutet der Begriff Freiberuflichkeit die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidung in der Gesundheitsversorgung unserer Patienten: frei nach medizinischen, ethischen und erfahrungsgebundenen Gesichtspunkten, frei von wirtschaftlichen und ökonomischen Interessen. Selbstverständlich ist es Aufgabe des ärztlichen Kammersystems unsere Profession und damit die Freiberuflichkeit des Arztes zu verteidigen. Unabhängig davon, wo wir tätig sind, denn auch der angestellte Arzt ist eine Freier Beruf und in seinen ärztlichen Entscheidungen weisungsfrei. Ich möchte unsere Profession wieder stärker ins Bewusstsein sowohl im eignen Berufsstand wie auch bei Bevölkerung und Politik bringen, indem ich die Profession selber lebe. In der Patientenversorgung, im öffentlichen Auftreten und in meiner Argumentation. Wir Ärzte sind die Versorger unserer Patienten, wir tragen die Verantwortung für Ihre Gesundheit und auch das Risiko, wenn Krankheit nicht mehr heilbar ist. Wir begleiten in allen Gesundheitsfragen bis hin zum Sterben.

Jonitz: Durch Aufklärung und politische Arbeit: Der freie Beruf des Arztes ist das Privileg der Patientinnen und Patienten. Diese haben einen Anspruch darauf, dass der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin frei ist in seinen/ihren Entscheidungen und nur auf das Wohl des anvertrauten Patienten fokussiert. Die Freiberuflichkeit ist die effizienteste und effektivste Form ärztlich zu arbeiten. Menschen machen Menschen gesund, nicht Technologien. Das muss transparent gemacht werden. Freiberuflichkeit ist außerdem Wertschöpfung und schafft Arbeitsplätze im Inland und auch in strukturschwachen Regionen. Erträge aus Freiberuflichkeit bleiben ebenfalls im Inland. Auch das sollte besser dargelegt werden. Wir müssen unsere Rolle im 21. Jhdt. neu definieren. Unsere Medizin, unsere Patienten und unsere Rahmenbedingungen haben sich z. T. dramatisch verändert. Da können wir nicht einfach weitermachen wie bisher. An Beispielen aus der Schweiz, Großbritannien und den USA darf gelernt werden.
Unsere Selbstbestimmung müssen wir uns zurück erkämpfen. Die Ärzteschaft ist politisch in die Defensive geraten. Bürokratische Fremdbestimmung und sinnlose Vorgaben erschweren unsere Arbeit. Diese Hindernisse müssen transparent gemacht und es muss aufgezeigt werden, woher die meisten dieser Probleme kommen, nämlich von einer fehlgeleiteten Politik. Wir müssen den Spieß umdrehen.

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Quelle: NAV-Virchow-Bund, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V., Chausseestraße 119b, 10115 Berlin, http://www.nav-virchowbund.de, 16.04.2019

Präsidentenwahl der BÄK: 6 Fragen – 6 Kandidaten (Frage 6)

Selbstständig niedergelassen sein scheint nicht mehr attraktiv zu sein. Soll die Selbstständigkeit gefördert werden?

Reinhardt: Es muss uns gelingen, deutlich zu machen, dass das Maß an Selbstbestimmung, das wir uns leisten können, in der selbständigen Tätigkeit mit Abstand am größten ist. Dieser Aspekt ist in der öffentlichen Darstellung zahlreicher vertragsärztlicher Organisationen und Verbände – vielleicht im politischen Alltagsgeschäft, in dem wir es als unsere Aufgabe verstehen, Missstände anzusprechen – gelegentlich zu kurz gekommen.

Lundershausen: Eine Förderung suggeriert eine Hilfsbedürftigkeit. Dies schmeckt mir im Zusammenhang mit der ärztlichen Selbständigkeit gar nicht. Die eigene Niederlassung garantiert die größte ärztliche Freiheit in der Ausübung unseres Berufes. Einer Förderung würde es gar nicht erst bedürfen, wenn die Finanzierung der Tätigkeit in freier Niederlassung angemessen und kalkulierbar gesichert wäre. Soweit die Niederlassung wirtschaftlich attraktiv ist, wird es genügend junge Ärztinnen und Ärzte geben, die ihre Tätigkeit selbständig ausüben wollen.
Niedergelassen zu sein ist attraktiv, das muss besser transportiert werden, dazu kann auch das Kammersystem beitragen.

Gitter: Ja unbedingt. Ich denke man muss aufhören, die Selbstständigkeit schlecht zu reden, vielmehr muss man dem ärztlichen Nachwuchs Wege in die Selbständigkeit aufzeigen und ebnen. Mehr Zeit für Patienten, Work-life-Balance, gute Weiterbildung, fachlicher Austausch unter Ärztinnen und Ärzten, Bürokratieabbau, gut nutzbare IT-Lösungen etc. wären alles Anreize für den Nachwuchs. Wir haben viele starke Verbände, die dabei helfen könnten und sollten.

Wenker: Auf den Absolventenfeiern an den medizinischen Fakultäten erlebe ich jedes Jahr eine hochmotivierte und selbstbewusste junge Ärztegeneration mit klaren Vorstellungen bezüglich der angestrebten fachlichen Weiterbildung zum Facharzt. Die spätere berufliche Perspektive, also Tätigkeit z. B. in Krankenhaus oder Praxis, z. B. in Forschung und Lehre oder z. B. im ÖGD steht dabei nicht im Vordergrund. Das aktuelle Berufsmonitoring Medizinstudenten von KBV, Universität Trier, MFT und bvmd weist eine Präferenz für angestellte Tätigkeit und Teilzeitarbeitsmodelle auf, Weiterbildung in Allgemeinmedizin und hausärztliche Tätigkeit sind attraktiver geworden, als Niederlassungsbremsen gelten Bürokratie und Regresse. Die selbstständige Tätigkeit in eigener Praxis, z. B. im Team mit anderen Kollegen sowie mit planbaren Arbeitszeiten und familienfreundlichen Arbeitsbedingungen sollte auf jeden Fall gefördert werden. Dies wird nur unter Berücksichtigung der Berufswünsche der jungen Kollegen und Kolleginnen gelingen.

Quitterer: Auf jeden Fall. Die Niederlassung ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Nicht zuletzt auch Garant dafür, dass Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich in die Anstellung gehen können. Neben den bestehenden finanziellen Förderungen muss eine Verbesserung der Bedingungen durch Gleichstellung der Berufsausübungsgemeinschaften und Praxisgemeinschaften gegenüber MVZ gegeben sein.

Jonitz: Ja, durch mehr Freiheit und Selbstbestimmung, durch attraktivere Arbeitsbedingungen und weniger abrechnungstechnisch begründete Mengenvorgaben und durch eine bessere Vergütung der primären ärztlichen Leistung. Von € 100,- GKV-Beitrag kommen derzeit nur €8,74 als Honorar – Arbeitgeberbrutto – beim Kassenarzt an. Ich halte das für falsch.

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Quelle: NAV-Virchow-Bund, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V., Chausseestraße 119b, 10115 Berlin, http://www.nav-virchowbund.de, 16.04.2019

Patientenbedürfnisse müssen wieder im Mittelpunkt stehen

Berliner Forum fordert Maßnahmen für eine wissenschaftlich begründete, patientenzentrierte und ressourcenbewusste Versorgung

Jeden Tag spüren Patienten, Ärzte und Pflegende den ökonomischen Druck im Gesundheitswesen. In einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem müssen die zur Verfügung stehenden Mittel angemessen, effizient und gerecht verwendet werden. Ökonomische Vorgaben dürfen aber die medizinische Versorgung nicht unangemessen beeinflussen. Das Patient- Arzt-Verhältnis und das Patientenwohl sind in Gefahr, wenn sich marktwirtschaftliche Interessen im Sinne einer „Ökonomisierung“ in der Medizin ungebremst weiter durchsetzen. Im Rahmen einer Pressekonferenz zum Berliner Forum der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) e.V. am 11. April 2019 stellen Experten konkrete Maßnahmen vor, die zu einem Ausgleich zwischen qualitätsgesichertem medizinischen Anspruch, Patientenzentrierung und ökonomischen Erfordernissen beitragen sollen.

Wenn betriebswirtschaftliche Anforderungen zum Primat der Entscheidungen für die medizinische Versorgung in Kliniken werden und dadurch die wissenschaftlich begründete, patientenzentrierte Medizin in den Hintergrund tritt, ist das Patientenwohl gefährdet. Um dem entgegenzutreten, fordert die AWMF konkret die Implementierung der partizipativen Entscheidungsfindung, die Teilung von Führungsverantwortung im Krankenhaus zwischen ärztlicher Direktion, Pflegedirektion und kaufmännischer Leitung mit Verhandlungen auf Augenhöhe und eine bedarfsorientierte Planung und Finanzierung von Krankenhäusern mit Vergütung stationärer Leistungen im Rahmen regionaler, sektorenübergreifender Versorgungskonzepte.

„Patienten sind heute nicht mehr passive Empfänger von Gesundheitsleistungen, sondern wollen vielfach selbst aktiv über die für sie richtige Therapie mitentscheiden“, sagt Dr. med. Monika Nothacker, stellvertretende Leiterin des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement (AWMF-IMWi). Patientenzentrierte Versorgung bedeutet, dass ärztliche und pflegerische Aktivitäten auf die Bedürfnisse des Patienten ausgerichtet sowie gemeinsam geplant und entschieden werden. „Um ein Patient-Arzt-Verhältnis aufzubauen, in dem eine gemeinsame Entscheidungsfindung möglich ist, muss ausreichend Zeit im klinischen Arbeitsalltag vorhanden sein“, betont Nothacker. Zu einer patientenzentrierten Versorgung gehören auch der Einbezug der Angehörigen und verständliche Patienteninformationen auch auf der Basis von Leitlinien. Unverzichtbar ist zudem die interdisziplinäre und interprofessionelle Abstimmung zwischen den Behandelnden, um eine kontinuierliche, gute Versorgung sicherzustellen, insbesondere zwischen den Versorgungssektoren.

Mit einer gemeinsamen Krankenhausführung, in der die ärztliche, pflegerische und kaufmännische Direktion auf Augenhöhe gemeinsam Entscheidungen treffen, sei es möglich, eine gleichzeitig effiziente wie wissenschaftlich fundierte, in Bezug auf den Zugang zur Versorgung gerechte und auch patientenzentrierte Versorgung zu implementieren. Dadurch könnte der ökonomische Druck auf Ärzte und Pflegende sinken. „Zu einem solchen Krankenhausmanagement gehört auch eine Kultur, die von Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern geprägt ist und die deren Arbeitsbedingungen im Blick hat“, betont AWMF-Präsidiumsmitglied Dr. med. Manfred Gogol.

Zusätzlich gelte es, Fehlanreize im DRG-basierten Vergütungssystem zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren, um unangemessene Leistungsausweitungen und „Portfolioanpassungen“ zu vermeiden. Außerdem müssten derzeit schlecht vergütete Maßnahmen wie die „Sprechende Medizin“ besser im System der Fallpauschalen berücksichtigt werden.

„Ein weiterer Hebel ist eine Krankenhausplanung, die sich an regionalen, sektorenübergreifenden Versorgungskonzepten orientiert – mit dem Ziel, stationäre Überkapazitäten zu reduzieren“, sagt Professor Dr. med. Rolf Kreienberg, Präsident der AWMF. Er fordert auch eine Unterstützung der Bildung von Zentren. „So würde eine qualitativ hochwertige, flächendeckende Versorgung ermöglicht, und davon profitiert der Patient.“

Quelle: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), Birkenstraße 67, 10559 Berlin, www.awmf.org, 11.04.2019

Das Problem mit der „wissenschaftlichen“ Wahrheit

Ein Statement von Herzchirurg Prof. Dr. Markus Heinemann, Vorstandsmitglied und Editor der wissenschaftlichen Fachzeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie

Aufgabe der „Wissenschaft“ ist es, wie es das Wort schon nahelegt, Wissen zu schaffen. Dazu bedient sie sich etablierter Methoden, die die Gültigkeit neu gewonnener Erkenntnisse sicherstellen sollen. In der Medizin spricht man auch von „evidence based medicine“. Dieses Schaffen von Wissen ist in Gefahr.
Zum einen ermöglichen es die „Sozialen Medien“ jedermann, sich ungefragt zu Themen zu äußern, für die eigentlich das tiefere, fachliche Verständnis fehlt. Beispielsweise sind segensreiche Impfungen leichtfertig ins Gerede gekommen, weil u.a. verunsicherte Eltern befürchteten, ihr Kind könne nach einer Masernimpfung autistisch werden. Ein weiteres Beispiel: Eine Überbewertung von möglichen Nebenwirkungen der fettsenkenden Statine hat unlängst die Herausgeber internationaler wissenschaftlicher Fachzeitschriften der Herz-Kreislaufmedizin zu einer gemeinsamen klärenden Stellungnahme veranlasst. Das Stichwort: „fake news“ ist in der Medizin angekommen.

Auf der anderen Seite mag der Druck zu veröffentlichen, der auf Wissenschaftlern lastet, diese dazu veranlassen, fragwürdige Zeitschriften ohne wissenschaftliche Qualitätskontrolle zu wählen, um möglichst rasch und ungestört ihre Publikationslisten zu füllen. Das von öffentlichen Geldgebern empfohlene „Open Access Publishing“, bei dem der Autor die Kosten der Veröffentlichung trägt, hat leider auch eine ganze Industrie von „fake journals“ ins Leben gerufen, deren Zwielichtigkeit sich selbst dem Erfahrenen nicht immer auf den ersten Blick erschließt. Dass in derartigen Zeitschriften letztlich auch erfundene oder manipulierte Studienergebnisse unterkommen, verwundert nicht.

Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) unterhält mit dem Thieme Verlag als wissenschaftliche Fachzeitschrift den englischsprachigen „The Thoracic and Cardiovascular Surgeon“ (ThCVS) sowie einen Open Access Ableger „ThCVSReports“ für Fallberichte.

Die Zeitschrift ist jetzt 65 Jahre alt und seit 40 Jahren im Science Citation Index gelistet. Das macht sie zu einem der ältesten Publikationsorgane auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Von Anfang an wurde auf eine strenge Qualitätskontrolle geachtet, was schon bei einem relativ aufwendigen Begutachtungsprozess der Manuskripte beginnt. Hier wissen die Gutachter nicht, wer die Autoren sind. Es ist nachgewiesen, dass diese Methode für größere Objektivität sorgt.

Ein seit Jahren steigender „Journal Impact Factor“ – ein Maß dafür, wie oft Artikel der Zeitschrift in anderen Arbeiten zitiert werden – gibt der Strategie Recht. Allerdings ist es auch wichtig, mit entsprechenden Seminaren Autoren in Ländern zu unterstützen, die noch nicht eine so alte Publikationskultur, wie sie in Deutschland gegeben ist, haben. Das Team des ThCVS ist dazu immer wieder unterwegs. Leider muss man aber feststellen, dass auch hierzulande die vereinbarten ethischen Codes des Publizierens vermehrt unterlaufen werden.

Die DGTHG wird auch künftig dafür Sorge tragen, dass wissenschaftliche Arbeiten, die in ihrer Fachzeitschrift veröffentlicht werden, den höchsten Qualitätsansprüchen genügen. Bedingungslose Ehrlichkeit gegenüber den Lesern, besonders aber auch gegenüber den von den Erkenntnissen betroffenen Patienten, ist das oberste Prinzip. Eine vorschnelle Publikation noch nicht solide untermauerter Ergebnisse gilt es in der klinischen Medizin zu vermeiden, damit keine „alternativen Wahrheiten“ geschaffen werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. (DGTHG) mit Sitz in Berlin ist eine gemeinnützige, wissenschaftliche, medizinische Fachgesellschaft, deren Ziele u.a. der Förderung der Wissenschaft und Weiterentwicklung von Therapien auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie sind. Zu den weiteren Hauptaufgaben zählen die Durchführung von Weiter- und Fortbildungsprogrammen, Erstellung medizinischer Leitlinien, Förderung von Nachwuchskräften und die Ausrichtung medizinischer Fachtagungen. Als Vertretung der über 1.000 in Deutschland tätigen und in der DGTHG organisierten Thorax-, Herz- und Kardiovaskularchirurgen stehen die Verantwortlichen der Fachgesellschaft für einen Dialog mit der Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft zur Verfügung.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Luisenstraße 58/59, 10117 Berlin, www.dgthg.de,  09.04.2019